Saadi
Bostan
Saadi

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Neunte Pforte.

Buße und Bekehrung.

(220.)

    1   Du, dessen Jahre nun zu siebzig sind gegangen,
Hast du geschlafen, daß sie in den Wind gegangen?
2   Zum Bleiben eifrig hast Anstalten du gemacht,
Doch an das Weggehn hast du ernstlich nie gedacht.
3   Am jüngsten Tag, wenn Himmelsjahrmarkt wird gehalten,
Da wird ein jeder nach der Werke Wert erhalten.
4   Soviel du bringst, soviel bekommest du dafür;
Und bringst du nichts, so ist Beschämung die Gebühr.
5   Denn um wie voller ist der Markt von Gegenständen,
Um so verlegner ist, wer kommt mit leeren Händen. 254
6   Von funfzig Dirhemen wenn man dir fünfe nahm,
So fällt dein wundes Herz zum Raub anheim dem Gram;
7   Wenn funfzig Jahre dir gekommen sind abhanden,
Mach' die fünf Tage dir zu Nutz, die noch vorhanden!
8   Der arme Tote, hätt' er eine Zunge nur,
Zu Klag' und Weheruf wär' sie im Schwunge nur:
9   »O Lebender, der du noch reden kannst, laß nun
Die Lippe nicht von Dank alswie ein Toter ruhn.
10   Da uns verstrichen sind die Tag' in Unbedacht,
Nimm du nun wenigstens den Augenblick in Acht.«

 
(221.)

    1   In einer Nacht voll Lust und jugendlichen Flammen
Saßen wir eine Zahl von Jünglingen zusammen,
2   Wie Nachtigallen laut, wie Rosen frisch entglommen;
Die Gasse war in Braus durch unsre Lust gekommen.
3   Von uns saß nebenaus ein Alter, dessen Haar
Durch Himmelsumschwung Tag aus Nacht geworden war;
4   Dem war wie einer Nuß der stumme Mund verschlossen,
Mit Lachen nicht wie uns Pistazien-gleich erschlossen.
5   Ein junger trat zu ihm: »Ei, alter Mann, warum
Sitzest du mit Verdruß im Winkel einsam stumm?
6   Erheb einmal das Haupt aus der Bekümm'rung Kragen,
Und mit den Jünglingen reg' dich in Lustbehagen.«
7   Darauf erhob das Haupt der Hochbetagte leise;
Vernimm, wie greisenhaft die Antwort gab der Greise:
8   »Wenn Morgenwindes Hauch den Rosenhain bewegt,
Steht's jungem Zweige wohl, daß er sich lustig regt.
9   Die junge Saat regt sich, die noch grünhauptig steht;
Wie sie zur Bleichheit ist gelangt, wird sie gemäht. 255
10   Wann jung im Frühling sproßt der Moschusweide Laub,
Dann wirft die alte Palm' ihr Dürres in den Staub.
11   Mir ziemt nicht Regung gleich dem jugendlichen Strauch,
Da meine Wangen traf des Alters Morgenhauch.
12   Der Edelfalke, den ich hatte fest am Band,
Schon reißen will er mir den Faden aus der Hand.
13   An euch ist nun die Reih zu sitzen an dem Tische,
Wo ich mir vom Genuß bereits die Hände wische.
14   Wenn auf das Haupt sich dir gesetzt des Alters Staub,
So blicke nicht mehr aus nach Jugendwonneraub.
15   Mir hat der Schnee beschneit die Fittige des Raben;
Darf ich wie Nachtigall mein Fest im Garten haben?
16   Stolziren mag der Pfau, weil er ist schön geputzt;
Was soll der Falke, dem die Schwingen sind gestutzt?
17   Eng in der Scheun' ist mir der Ernte Kornvorrat;
Und euch steht eben jetzt in frischem Grün die Saat.
18   Mir ist fürs Rosenbeet die Blütezeit verstrichen;
Wer bindet einen Strauß von Rosen, die verblichen?
19   Der Stab, beim Himmel, ist zum Anhalt mir gegeben,
Und Sünde wär's, wollt' ich mich halten noch ans Leben.
20   Fahrlos ist Jünglingen der Sprung mit freien Füßen,
Wo Alte wol die Hand zur Hülfe nehmen müssen.
21   Unreife Jugend selbst mag sündlichem Verlangen
So widrig nicht als ein unreifer Greis nachhangen.
22   Gleich Kindern mag mir wol geziemen nun zu weinen
Aus Sündenscham, jedoch nicht kindisch zu erscheinen.
23   Indes den Jüngling bringt zu Glanz der dunkle Duft,
Befördert einen Greis der weiße Glanz zur Gruft.«
––
24   Wie schön hat Lokman dies gesprochen: »Nicht zu leben
Ist besser, denn viel Jahr' als schlechter Wicht zu leben. 256
25   Viel besser schließest du gleich morgens deinen Kram,
Als daß dir aus der Hand Ertrag und Hauptstock kam.«

 
(222.)

    1   Zu einem Arzte kam ein Alter hochbejahrt,
Von dessen Klagen kurz zum Tode war die Fahrt.
2   »Befühle mir den Puls, o hocherfahrner Mann,
Weil ich den Fuß nicht mehr vom Flecke bringen kann!
3   Mein Leib ist so gekrümmt, die Ahnung kommt mir bei,
Als ob ich in den Lehm bereits geraten sei.«Der Fuß im Lehmen = in Not (s. 88, 11), hier in Todesnot (und mit einem Fuß im Grabe).
4   Der Arzt sprach: »Von der Welt mußt du nur Abschied nehmen,
So kommt am jüngsten Tag der Fuß dir aus dem Lehmen.« –
5   Beim Alter suche nicht der Jugend Munterkeiten;
Das Wasser, das verlief, läßt nicht zurück sich leiten.
6   Wenn in der Jugend du ausschlugst mit Fuß und Hand,
So brauch im Alter nun Besinnung und Verstand.
7   Wenn über Vierzig ging die Lebenszeit hinaus,
Zapple nicht mehr! denn schon ging übern Kopf der Braus.= du bist schon ertrunken.
8   Nun von der Lust des Spiels das Haupt du räumen mußt,
Denn abgelaufen ist die Frist dem Spiel der Lust.
9   Mir hat die Munterkeit zu weichen angefangen,
Als aus dem Abend mir der Morgen aufgegangen.[als mein schwarzes Haar anfing grau zu werden.]
10   Wie würde nun das Herz mir frisch von grünem Laube,
Da grünes Laub wird bald entsprießen meinem Staube!
11   Lustwandeln gingen wir in unsrer Wonne Schwellen
Hin über Grubenstaub viel fröhlicher Gesellen.
12   Gesellen werden nun, die wir nicht vorgesehn,
Nachkommen und dahin ob unserm Staube gehn. 257
13   O Schad' und Jammer, daß der Jugend Tage schwanden,
Und uns in Spiel und Tand das Leben kam abhanden.
14   O Schad' und Jammer um die Zeit voll Seelenspeise,
Daß sie vorüberfuhr in eines Blitzes Weise.
15   Vor Eifer über das »was ess' ich? zieh' ich an?«
Fand ich nicht Muße, mich dem Heiligen zu nahn.
16   O Schad' und Jammer, daß ich an dem Eitlen hing,
Dem Wahren ferne blieb, und ohne Schmuck ausging.
17   Wie treffend hat gesagt der Lehrer zu dem Knaben:
»Kein Tagwerk thatest du, und hast den Tag begraben.«
18   O Jammer, daß dahin das edle Leben ist,
Und bald dahin wird sein auch diese letzte Frist.
19   Wenn für dich ist das Haus der Seligkeit gebaut,
Genügt von Saadi dir ein seelenvoller Laut.

 
(223.)

    1   Heut mach, o Jüngling, dich nach Tugend auf die Reise,
Weil Jugend zu Gebot nicht morgen steht dem Greise.
2   Ein sorgenfreies Herz, Gliedmaßen derb und prall;
Der Tummelplatz ist weit, du schlage deinen Ball!hic Rhodus, hic salta.
3   Sieh, um ein Leben hat das Schicksal mich gebracht,
Von dem ein jeder Tag galt eine Schöpfungsnacht.Schöpfungsnacht, worin der Koran herabgesandt und die menschlichen Schicksale bestimmt wurden.
4   Den Wert der Tage hatt' ich nicht erkannt zuvor;
Nun kenn' ich ihn, nachdem ich ihn im Spiel verlor.
5   Was kann das alte Thier nun unter seiner Last?
Du reit', weil unter dir du einen Renner hast.
6   Zerbrochen Glas, wie fest man kitten mag die Scherben,
Den Wert des ganzen wird es nimmermehr erwerben; 258
7   Doch, durch Nachlässigkeit ist's deiner Hand entglitten,
Es bleibt kein andrer Rat als eben es zu kitten.
8   Wer hat dir denn gesagt: »stürze dich in den Fluß!«
Da du darein nun fielst, so rühre Hand und Fuß.
9   Nachlässig wiesest du das Wasser von der Hand;
Was bleibt dir übrig, als zu baden dich im Sand?mit Sand wird, nach dem arabischen Ritualgesetz (das in einer Sandwüste gemacht ist) im Notfalle des fehlenden Wassers die Abreibung = Abwaschung zum Gebet vorgenommen. Der bildliche Sinn ist: das Versäumte, so gut es noch geht, wieder einholen.
10   Da von den Flinken erst den Wettpreis du im Laufen
Davon nicht trugst, so mußt du nun mit Müh nachschnaufen.
11   Wenn die Windfüßigen hinsausten wie ein Hauch,
Du ohne Hand und Fuß magst kriechen auf dem Bauch.

 
(224.)

    1   Der Schlummer eines Nachts legt' in der Wüste Feid[in der Wüste Feid; es sollte heißen: in der Wüste von Feid; denn Feid ist ein kleiner Ort an dem Wege von Kusa nach Mekka.]
An meines Laufes Fuß sein hemmendes Geschmeid.
2   Ein Treiber aber kam mit drohndem Braus und Schnauf,
Schlug den Kamelzaum mir ums Haupt und rief: »Steh auf!
3   In deinem Herzen scheint die Lebenslust zu stocken,
Daß du dich nicht erhebst beim Schall der Reiseglocken.
4   Auch mir ist süß wie dir im Haupt des Schlummers Duft,
Doch vor uns öffnet sich der Wüste Totengruft.« –
5   Du, den vom süßen Schlaf der Klang der Karawan
Erweckt nicht hat, wie willst du finden nun die Bahn?
6   Längst hat der Sarawan die Trommel schon gerührt;
Schon hat die Station der erste Trupp berührt.
7   Heil den Besonnenen und nicht in Trägheit Blinden,
Die, eh die Trommel ruft, schon ihre Bündel binden. 259
8   Wer unterweges schläft, wann er den Kopf nun schwer
Erhebt, sieht der des Wegs Gegangnen Spur nicht mehr.
9   Den Vorsprung haben, die beizeiten auf sich machen;
Was kann es helfen, nach dem Aufbruch zu erwachen?
10   Wenn Gersten Einer hat im Frühling ausgestreut,
O meinst du wol, daß ihm die Ernte Waizen beut?
11   Komm' nicht mit leerer Hand zum Markt der Auferstehung;Der Jahrmarkt des jüngsten Tags wie 220, 3–5.
Denn unersprießlich ist das Leid der Leerausgehung.
12   Jetzt rühre dich, da dir die Flut am Gürtel steht,
Nicht dann erst, wenn der Strom dir übers Haupt hingeht.
13   Bring jetzt Entschuldigung für deine Mängel vor,
Nicht wann die Seel' im Mund des Worts Gebrauch verlor.
14   Hör' heute gern ein Wort, das dir die Weisen sagen;
Denn strenger wird dich einst der Todesengel fragen.
15   Erbeute rasch den Schatz der kurzen Lebensfrist;
Was ist der Käfig wert, aus dem der Vogel ist?
16   Verlier' das Leben nicht an Tand! Gelegenheit
Verdienet Ehr', es ist ein edler Gast die Zeit.

 
(225.)

    1   Den Lebensfaden riß das Schicksal Einem ab,
Ein Anderer zerriß sein Kleid bei dessen Grab.
2   Da sprach ein dritter, der mit schärferm Auge sah,
Als seinem Ohre kam Wehklag und Leidruf nah:
3   »Zerreißen würd' er selbst, der Tote, wenn die Hand
Dazu ihm wäre frei, um dich sein Grabgewand:
4   ›O winde dich um mich in Schmerz nicht solcherweise,
Weil vor dir ein paar Tag' ich antrat meine Reise. 260
5   An deinen eignen Tod hast du wol nicht gedacht,
Daß dir der meinige so vielen Kummer macht.‹« –
6   Der Wahrheitskenner, der die Handvoll Erde gibt
Dem Toten, ist um sich und nicht um ihn betrübt.
7   Was klagst du, daß zu Grab ein Kindelein gegangen?
Rein kam es her zur Welt, und hin ist's rein gegangen.
8   Rein kamst du selber auch; sei achtsam und sei rein!
Denn Schand' ist es, ins Grab unrein zu gehen ein.
9   Dem wilden Vogel leg' jetzt um den Fuß das Band,
Nicht dann wenn er dir riß den Faden aus der Hand.
10   An eines andern Platz so lange saßest du;
Bald sitzt ein anderer an deinem Platz in Ruh.
11   Seist du ein Pehlewan, seist du ein Riesensohn,[Pehlewan = gewaltiger Held.]
Du trägst ein Leichenhemd und weiter nichts davon.
12   Wildesel, der dem Wurf der Fangeschnur entgangen,
Wenn er im Sande bleibt, ist ihm der Fuß gefangen.
13   So lange hast auch du die Macht in deiner Hand,
So lange nicht dein Fuß kam in des Grabes Sand.
14   O leg dein Herz nicht auf dies altermorsch Gemach;
Denn liegen bleibet nicht die Wallnuß auf dem Dach.
15   Da Gestern dir entging, und Morgen sich dem Strick
Des Fangs entzieht, so rechn' auf deinen Augenblick.

 
(226.)

    1   Schah Dschemschid mußte sehn den holdsten Knaben scheiden;
Dem Seidenwurme gleich hüllt' er die Leich' in Seiden.
2   Ins Grabmal ging er dann hinab nach ein'gen Tagen,
Um weinend über ihn mit heißem Leid zu klagen. 261
3   Da er vermodert sah das seidne Totenkleid,
Stellt' er Betrachtung an, und sprach in seinem Leid:
4   »Was mit Gewalt dem Wurm ich abgerissen habe,
Das reißen wieder ihm die Würmer ab im Grabe.« –
5   Keine Cypresse wächst so hoch in diesem Park,
Die nicht des Todes Wind versengt an Stamm und Mark.
6   In vielen Jahren wird zu einem Baum ein Sproß,
Den aus der Wurzel dann reißt eines Windes Stoß.
7   Kein josephschönes Bild ist dem Geschick gelungen,
Das nicht wie Jonas hat des Grabes Fisch verschlungen.
––
8   Durch ein Paar Verse lag auf einem Flammenroste
Mein Herz, die jüngst zur Laut' ein Sänger also koste:
9   »O Schade, daß ohn' uns so viele Tage blühn
Die Rose wird, und neu erstehn des Frühlings Grün.
10   Soviele Monate, December, Mai, August,
Gehn über uns dahin, und wir sind Staub und Dust.
11   Das Rosenbeet wird stehn nach uns in Rosenflammen,
Und andre sitzen, die sich lieben, dort beisammen.«

 
(227.)

    1   Ein Frommer, lang getreu in Gottes Dienst bestanden,
Kriegt' eine Platt' aus Gold, ich weiß nicht wie, zu Handen.
2   Und sein vernünft'ger Kopf ward so erhitzt davon,
Daß Leidenschaft sein hell Gemüt mit Nacht umsponn.
3   Ganz in Gedanken war er Nachts: »Das ist ein Schatz,
Bei dem, so lang ich leb', ein Mangel nicht hat Platz.
4   Nun soll mein schwacher Leib, um keines Menschen Gnade
Zu betteln, bald gebückt sich zeigen bald gerade. 262
5   Ich baue mir ein Haus, den Sockel Marmor stolz,
Und jede Sparr' am Dach massives Aloeholz;
6   Ein trauliches Gemach, Herzfreunde zu erwarten,
Die Thüre des Gemachs geht in den Hausbaumgarten.
7   Zu flicken Fleck auf Fleck hat vormals mich bedrängt,
Und des Kochherdes Dampf der Seele Hirn versengt.
8   In Zukunft kochen mir die Diener meine Speise,
Ich pfleg' in Ruh' den Gast auf angenehme Weise.
9   Durch ihre Schwere hat mich die Matratz' erstickt,
Ich geh' und breite mir nun Tepp'che goldgestickt.«
10   Einbildung macht' ihn so verschroben und vertrackt,
Als ob das Hirn ihm von Krebsscheeren sei gezwackt.
11   Ihm blieb nicht Muße zu Betrachtung und Myster,
Ihm blieb für Essen, Schlaf und Beten Zeit nicht mehr.
12   Einst ging er in das Feld, den Kopf erfüllt von Brause,
Weil er nicht hatte Ruh' noch Rast in seinem Hause.
13   Dort knetet' Einer Lehm an eines Grabes Seiten,
Um daraus lehmene Grabplatten zu bereiten.
14   Dem alten Mann erwuchs da des Nachdenkens Saat;
»O Seele,« rief er aus, »kurzsichtige, nimm Rat!
15   Was heftest du dein Herz an eine goldne Platte?
Bald wirst zur lehmenen du selbst, der nimmersatte.« –
16   Nicht soweit ist der Gier der Rachen aufgethan,
Daß ihn ersättigen ein mäß'ger Bissen kann.
17   Von dieser Platte zieh, o Wicht, die Hand zurücke;
Mit Einer Platte baut man nicht des Oxus Brücke.
18   Auf Zins und Kapital bedacht, fällt dir nicht bei,
Wie untern Fuß gestampft des Lebens Grundstock sei.
19   Staub der Versäumnis hat dein Auge zugedeckt,
Der Gierde Glutwind dir die Saat in Brand gesteckt.
20   Der Thorheit Schminkestaub wasch aus dem Auge rein!
Bald wirst du Schminkestaub im Aug' der Erde sein. 263

 
(228.)

    1   Zwei Feinde lebten, die einander zu bedräuen
Pflegten mit Kampf und Zorn alswie zwei grimme Leuen.
2   Sie hätten mögen selbst vor ihrem Anblick fliehn,
So daß für alle zwei der Himmel enge schien.
3   Vom Heer des Todes nun ward einer überzogen,
Die Tage seiner Lust waren hinweggeflogen,
4   Und seines Feindes Herz war hocherfreut darüber;
Er ging an seinem Grab nach ein'ger Zeit vorüber.
5   Sein Totenschlafgemach sah er betüncht mit Lehm,
Des Lusthaus er gesehn mit Gold betüncht vordem.
6   Zu seinem Pfühle trat er hin mit stolzem Gang,
Und sprach, indes die Lipp' ihm auf mit Lächeln sprang:
7   »O wie behaglich ist zu Mute dem, der warm
Nach seines Feindes Tod ausruht in Freundesarm!
8   Nicht weinen soll man, wenn man solchen einst begräbt,
Der auch nur einen Tag den Feind hat überlebt.«
9   Und aus Feindseligkeit, mit Armen der Gewalt
Brach in des Feindes Grab er einen breiten Spalt.
10   In seiner Niedrigkeit sah er das hohe Haupt,
Die Augen, die die Welt einst schauten, eingestaubt,
11   Sein Dasein eingezwängt im engen Grabeskreise,
Sein Leib des Wurmes Fraß, die Beute der Ameise;
12   Als ob der Moder ihm aus allen Knochen wüchse
Und quölle, wie voll Duft gestopft die Salbebüchse;
13   Der Vollmond des Gesichts zum Neumond eingeschrumpft,
Des Wuchses Buchsbaum zum Zahnstocher abgestumpft;
14   Die Spannung seiner Händ' und seiner Fäuste Kraft
Durch die Gewalt der Zeit gelöst aus Band und Haft.
15   So überkam sein Herz ein Mitleid mit dem Schemen,
Daß er aus Thränen macht' auf seinem Grabe Lehmen. 264
16   Er sah mit Reu beschämt auf sein vermeßnes Treiben,
Und ließ dem Toten dies auf seinen Grabstein schreiben:
17   »Du sollst dir keine Lust an Jemands Tode machen;
Denn lange wirst du nicht nach seinem Schlafen wachen.«
18   Die Rede hörte drauf ein weiser frommer Mann,
Und den Allmächtigen rief er mit Thränen an:
19   »Unmöglich wird von dir Erbarmen dem versagt,
Um welchen selbst der Feind mitleidig hat geklagt.«
20   Uns allen auch wird so der Leib an einem Tag,
Daß über ihn ein Herz des Feindes schmelzen mag.
21   Es wird mir wol der Freund Erbarmung nicht entziehn,
Wenn er gesehn hat, wie mir selbst der Feind verziehn.

 
(229.)

    1   In solchem Zustand kommt gar bald ein Schädel, daß
Du meinetest, daß nie in ihm ein Auge saß.
2   Den Spaten schlug ich einst in eine Erdenscholle,
Da kamen an mein Ohr Klaglaute schmerzenvolle:
3   »O Schonung, wenn ein Mensch du bist, sei grausam nicht!
Dies war ein Aug' und Ohr, ein Haupt und Angesicht.
4   Ein Weltgebieter war einmal ich in der Welt,
Und nun dem Staube bin ich worden gleichgestellt.«

 
(230.)

    1   Ich schlief in einer Nacht mit Reisevorsatz ein,
Und schloß der Karawan' mich an beim Morgenschein.
2   Ein Wirbel furchtbar sich erhob von Staub und Wind,
Dem Menschenauge ward die Welt umher stockblind.
3   Auch ein Haustöchterchen war da mit auf der Reise,
Die wischte mit dem Tuch den Staub vom Vater leise. 265
4   Der Vater sprach zu ihr: »Mein holdes Angesicht,
Verstör aus Liebe doch zu mir dein Herzchen nicht!
5   In dieses Auge wird nicht so der Staub sich setzen,
Daß du mit deinem Tuch hinweg ihn könntest netzen.« –
6   So lange wird die Luft ob meinem Staub hin gehn,
Bis sie wo anders hin wird jedes Stäubchen wehn.
7   Der Trieb des Lebens trägt voreilig dich bergab
Wie ein unbändig Roß, und steht mit dir am Grab.
8   Die Hand des Schicksals bricht dir unversehns den Bügel,
Und von dem Abhang hältst du nicht zurück die Zügel.

 
(231.)

    1   Du Vogelhaus von Bein, es ist dir wohlbekannt,
Ein Vogel wohnt in dir, der Seele wird genannt.
2   Wenn aus dem Käfig ist der Vogel und zerbrach
Die Fessel, stellest du mit List umsonst ihm nach.
3   Nimm die Gelegenheit in Acht! ein Atemzug
Ist Leben, Weisen ist ein Atemzug genug.
4   Auch Alexander, der die Welt am Zügel hält,
Er geht zuletzt hinweg, und läßt zurück die Welt.
5   Vergönnt ist es ihm nicht, daß eine Welt er gebe,
Und eine Stunde Frist empfange, daß er lebe.
6   Sie gehn, und jeder hat geerntet, was gesät;
Und nur der Nam' allein, gut oder schlecht, besteht.
7   Was binden wir das Herz an diesen Einkehrort?
Die Freunde sind schon weg, und wir auch müssen fort.
8   Das Rosenbeet wird stehn nach uns in gleichen Flammen,
Und andre sitzen, die sich lieben, dort beisammen.[= 226, 11. Auch Harington hat diesen Vers zweimal.] 266
9   O hänge nicht dein Herz an dieses Lieb, die Welt!
Sie saß bei keinem, dem sie nicht das Herz zerspellt.
10   Liegt erst der Mensch im Bett von Erde, wird mit Rütteln
Ihm nur der jüngste Tag den Staub vom Antlitz schütteln.
11   Heb' jetzt dein Haupt empor aus der Sorglosheit Schoß,
Daß du nicht lassest einst es hängen hoffnungslos.
12   Wenn du eintreten willst in Schiras Stadtgehege,
Wischest du nicht von Kopf und Leib den Staub der Wege?
13   Nun denn, bestaubter Mann der Sünde, nachgerade
Wirst du zur fremden Stadt eingehn auf deinem Pfade:
14   Ergeuß aus deines Augs zwei Quellen einen Bach,
Und hast du Schmutz an dir, so wasch' dich allgemach.

 
(232.)

    1   Von meinem Vater her hab' ich ein Angedenken
(Stets müsse seinen Staub der Gnade Regen tränken!):
2   Er kaufte mir als Kind Tafel und Buch nach Brauch,
Und einen goldnen Ring kauft' er dazu mir auch.
3   Da nahm den goldnen Ring mir unversehens ab
Ein Käufer, der dafür mir eine Dattel gab. –
4   Da Kindes Unverstand nicht kennt des Goldes Wert,
Kann ihm für Süßigkeit es nehmen, wer's begehrt.
5   Du kennst des Lebens Wert noch jetzt nicht, da du ihn
Wirfst für die Süßigkeit des Weltgenusses hin.
6   Beim Auferständnis, wann die Guten aufwärts steigen
Vom Reich der Dunkelheit zum lichten Sternenreigen,
7   Wird dir das Haupt vor Schmach zu Boden niederhangen,
Wenn deine Werke rings im Kreise dich umfangen.
8   O schäme dich des Werks der Bösen, daß du nicht
Dich müssest schämen vor der Guten Angesicht! 267
9   Des Tages, wo man fragt nach jedem Werk und Wort,
Den Frommen selber bebt das Herz vor Schrecken dort;
10   Wo der Bestürzung nicht die Heiligen entgingen,
Was für Entschuldigung hast du da vorzubringen?
    [quid sum miser tum dicturus,
    quem patronum rogaturus,
    quum cix justus sit securus?]
11   Selbst Weiber, die sich gern der Andacht unterziehn,
Sind Männern, welche Gott nicht fürchten, vorzuziehn.
12   O kommt dich keine Scham vor deiner Mannheit an,
Wenn Weiber dir's zuvor an Würdigkeit gethan?
13   Ein Weib hat triftiger Entschuldigung genug,
Wenn es zu Zeiten nicht der Andacht Schuld abtrug;
14   Allein in seiner Seel' empfindet's Leid und Qual,
Daß es von Blut ist rot und von den Wangen fahl.
15   Du ohn' Entschuld'gungsgrund gehst wie ein Weib abseits;
Du, minder als ein Weib, nicht als ein Mann dich spreiz'!
16   Inzwischen merke nur auf meine Worte nicht,
O merke was der Mund der weisen Vorzeit spricht!
17   Der Zungenmeisterschaft rühm' ich mich selbst nicht hie;
Gesprochen hat das Meer der Dichtkunst, Enweri:[Enweri, berühmter Dichter, † um 1190. Die meisten Ausgaben nennen statt seiner den älteren Dichter Unsuri, einen Zeitgenossen des Firdosi; nur Harington hat Enweri.]
18   »Krumm heißt es, wenn man ab von dem Geraden weicht;
Was ist der für ein Mann, der selbst dem Weib nicht gleicht!«

 
(233.)

    1   Wenn zart und weichlich du die Seele pflegst, gib Acht,
Am Ende hast du nur stark einen Feind gemacht.
2   Ein Wölflein groß zu ziehn war einst ein Mann beflissen,
Und als es groß nun war, hat es den Mann zerrissen. 268
3   Als mit dem letzten Hauch er auf der Seite lag,
Ging ein beredter Mann an ihm vorbei und sprach:
4   »Da du solch einen Feind so zärtlich hast gepflegt,
Weißt du nicht, daß er dir notwendig Wunden schlägt?« –
5   Hat Iblis nicht von uns gesagt das Schmähewort?:
»Die werden anders nichts denn Böses thun hinfort.«
6   Weh über's Böse, das in uns wir lassen walten!
Iblis, ich fürchte, wird am Ende Recht behalten.
7   Da der Verfluchte sich vermaß, uns zu bezwingen,
Warf unsertwegen Gott ihn aus des Himmels Ringen;
8   Wie können wir das Haupt vor solcher Schmach erheben,
Daß wir mit Gott im Krieg, mit ihm in Frieden leben?
9   Soll dir vom Freund der Baum der Freundschaft Früchte bringen,
So mußt du nicht dem Feind zum Knechte dich verdingen.
10   Der Blick des Freundes wird wol selten dir beschert,
Wenn dem Gesicht des Feinds ist deines zugekehrt.
11   Dir selbst hast du des Freunds Entfremdung zuzuzählen,
Wenn du den Feind zur Hausgenossenschaft wirst wählen.
12   O siehst du nicht, der Freund wird minder zu dir kommen,
Sieht er, daß dir im Haus der Feind ist aufgenommen!
13   O wenn du weise bist, vom Freunde nie dich trenne,
Daß seinen Blick auf dich der Feind nie werfen könne.

 
(234.)

    1   Erinnerlich ist mir aus meinem Vaterhaus:
An einem Festtag ging ich mit dem Vater aus.
2   Als ich im Spiele mit den Leuten ab mich gab,
Kam ich im Volksgewühl von meinem Vater ab.
3   Da hob ich ein Geschrei, als ich den Mut verlor,
Und unversehens nahm der Vater mich beim Ohr: 269
4   »Hab ich's nicht oftmal dir, leichtfertiges Gesicht,
Gesagt: ›Laß deine Hand von meinem Saume nicht?‹« –
5   Ein kleines Kind ist nicht im Stand, allein zu gehn;
Man findet schwer den Weg, den man nie hat gesehn.
6   Ein kleines Kind im Weg des Heils, o Strebender,
Bist du auch, halte dich am Saum Ratgebender.
7   Mit der gemeinen Welt hab' nicht den Sitz gemein;
Sonst stell' auf Würde nur jedweden Anspruch ein.
8   Leg an den Sattelgurt der Edlen deine Hand;
Almosen fordern, bringt dem Weisen keine Schand'.
9   Die Jünger sind an Kraft noch mehr als Kinder schwach,
Die Scheich' an Festigkeit stehn einer Wand nicht nach;
10   Drum lerne du das Gehn von jenes Kindes Hand,
Sieh, wie es, um zu gehn, zu Hilfe nimmt die Wand!
11   Der ist unheiligen Umkettungen enteilet,
Wer im geweihten Ring der Heiligen verweilet.
12   O wenn dir etwas fehlt, so ziehe diesen Ring
Am Thor, zu dem auch wol ein Fürst bedürftig ging.
13   Geh, lerne Saadi-gleich der Ährenlese pflegen,
Um einen Ernteschatz von Weisheit anzulegen.
14   O ihr, die im Gemach der Gottvertrautheit itzt,
Und künftig an dem Tisch der Auserwählten sitzt,
15   Kehrt nicht von Bettlern vor der Thür ab eu'r Gesicht;
Denn ein Großmütiger vertreibt Schmarotzer nicht.

 
(235.)

    1   Stell' heut mit der Vernunft dein Bündnis wieder her;
Denn morgen steht nicht auf das Thor der Wiederkehr. –
2   Um Geld und Gut betrog die Menschen ein Verruchter;
Und als er seinen Fang vollbracht, dem Teufel flucht' er. 270
3   Der Teufel aber sprach zu ihm einst unterm Gehn:
»Solch einen Thoren hab' ich nie wie dich gesehn.
4   Im Bunde bist du doch mit mir, o Wunderlich;
Was sträubest du zum Kampf den Nacken wider mich?« –
5   O Schad' und Jammer, wenn, wozu dich angetrieben
Der Teufel hat, dir wird vom Engel angeschrieben.
6   Hältst du's in thörichter Scheulosigkeit für gut,
Daß deiner Unreinheit der Reine Meldung thut?
7   Schlag' einen Heilsweg ein, such' eine Friedensthür,
Ruf' eine Fürsprach' an, bring' ein Entschuld'gen für!
8   Zu hoffen ist nicht Heil in Augenblickes Frist,
Wenn voll im Lauf der Zeit das Maß geworden ist.
9   Wenn dir sich in der Hand der Werke Kraft nicht fand,
So hebe, Kranken gleich, mit Klageruf die Hand.
10   Und wenn das Böse schon die Grenzen überschritt,
Sag', daß es böse ging, und gut fährst du damit.
11   Komm' her, weil du die Thür des Friedens offen siehst,
Bevor man unversehns das Thor der Reue schließt.
12   O laß von dir, mein Sohn, der Sünde Bündel fliegen;
Denn wer beladen geht, wird auf dem Weg erliegen.
13   Du mußt der Frommen Spur nacheilen, daß dies fruchte;
Denn diese Seligkeit fand jeder, der sie suchte.
14   Allein du hängest dich als Schweif dem Teufel an;
Ich weiß nicht, wie du willst dem Engelchore nahn.
15   Denjenigen allein wird der Prophet vertreten,
Der wandelt im Gesetzrichtwege des Propheten.

 
(235 b.)

    1   Dem Schah bot Trotz ein Mann in seinem Frevelmut;
Da übergab er ihn dem Feind: »Vergeuß sein Blut!« 271
2   Dem Rachegierigen gegeben in die Hand,
Sprach er betrübt bei sich in seines Herzens Brand:
3   »Wenn ich nicht gegen mich den Freund hätt' aufgebracht,
Wie hätte wol der Feind mir wehzuthun die Macht?« –
4   Natürlich hat der Feind dein Fell entzwei gerissen,
Geselle, der den Freund zu kränken war beflissen.
5   O daß du mit dem Freund ein Herz wärst und ein Mund,
So wär' von selbst der Feind entwurzelt aus dem Grund.

 
(236.)

    1   Ein Lehmbeschmutzter schlug den Weg ein zur Moschee;
Um die Beschmutzung war ihm selber wunderweh.
2   Den Eintritt wehrt' ihm wer: »Sei dir die Hand verdorrt!
Komm mit beflecktem Saum nicht an den reinen Ort!« –
3   Mir ward das Herz gerührt, als ich vernommen dies;
Denn rein und lustreich ist das höchste Paradies.
4   In diesem Wonneraum der hoffnungsreichen Reinen
Dürft' ein mit Sündenlehm Beschmutzter wol erscheinen?
5   Das Paradies empfahn, die treu in Werken waren;
Wer Baares lösen will, der kommt zu Markt mit Waaren.
6   Beeile dich, vom Saum den Staub der Schmach zu schwemmen;
Denn unversehns wird man den Strom von oben dämmen.Der Strom der göttlichen Gnade.
7   Des Glückes Vogel ist entronnen deinem Band,
Doch hältst du noch ein End' des Fadens in der Hand.
8   Spät ist es schon; doch schreit' nur scharf auf, frisch und munter!
Zu späte fürchtet nicht zu kommen ein Gesunder.
9   Noch band des Bittens Hand der Todestag dir nicht;
Erhebe sie zum Thron des, der das Urteil spricht!
10   O Sünder, der du liegst im Schlummer, auf, erwach'!
Zur Sündentschuldigung gieß einen Augenbach! 272
11   Da man nun doch einmal dies Wasser muß vergießen,
So lassen wir es denn auf dieser Gasse fließen.
12   Und fehlt's am Wasser dir, sei dein Vertreter Einer,
Bei dem ergiebiger dies Wasser ist und reiner.
13   Will Gott mich mit Gewalt von seiner Thüre stoßen,
Mögen vertreten mich die Geister jener Großen.

 
(237.)

    1   Als sie den Rausch empfand vom süßen Liebeschaume,
Da hieng Suleicha's Hand an Joseph's Kleidersaume.
2   Der böse Geist der Lust, er fand daran Gefallen,
Daß sie, ein andrer Wolf, den Joseph angefallen.Der Wolf, der Josef zwar nicht zerrissen, aber zerrissen haben sollte und sprichwörtlich so gestellt wird, als habe er's wirklich gethan.
3   Ägyptens Herrin hatt' ein Götzenbild von Stein,
Vor dem sie Andacht hielt bei Früh- und Abendschein;
4   Doch jetzt verdeckte sie ihm Kopf und Angesicht,
Damit vor Augen ihm das Böse käme nicht.
5   In einem Winkel saß Joseph von Schmerz umgossen,
Vorm Sturm der Leidenschaft die Händ' ums Haupt geschlossen.
6   Ihm küßte Hand und Fuß sie, die in Thränen schwomm:
»O widerspenstiger und ungetreuer, komm!
7   Mit Amboßherzigkeit wend ab nicht dein Gesicht;
Verstör' mit Eigensinn die gute Stunde nicht!«
8   Er ließ den Thränenquell aus seinen Augen springen:
»Laß ab und heiße nicht Unreines mich vollbringen!
9   Du hast Beschämung hier gefühlt vor einem Stein;
Wie sollt' ich nicht beschämt vor meinem Schöpfer sein?« –
10   Was bleibt dir zu Gewinn leichtsinnigen Bestrebens,
Wenn du dabei verlierst das Kapital des Lebens? 273
11   Sie trinken Wein, um rot sich das Gesicht zu färben;
Das End' ist aber, daß sie bleiche Wang' erwerben.
12   Bring' die Entschuldigung heut in die Gnadenpforte!
Denn morgen wird der Gang gehemmet sein dem Worte.

 
(238.)

    1   Ich kam als Reisender nach Habessinien;
Mein Herz war wohlgemut und frei wie Pinien.
2   Am Wege sah ich sich erheben einen Zwinger,
Gefangene darin, gefesselt Fuß und Finger.
3   Da macht' ich schnell mich aus dem Staub, und vor der Mauer
Floh ich ins Weite, wie ein Vogel aus dem Bauer.
4   Doch einer sprach: »Die dort Gefangenen sind Diebe,
Sie achten nicht auf Rat, und merken nicht auf Liebe.
5   Da Frevel deine Hand an Niemand hat gethan;
Wenn alle Welt der Vogt ergreift, was geht dich's an?« –
6   Wer guten Namen hat, den nimmt kein Mensch gefangen;
Laß dir vor Gott, und laß nicht vorm Emir dir bangen.
7   Wenn der Verwalter bringt im Korne keine Spreu,
Macht ihn die Sichtung nicht der Rentbeamten scheu.
8   Doch wenn der Lauterkeit sich mischet Falschheit unter,
So regt zur Rechenschaft die Zunge sich nicht munter.
9   Will Fleiß und Eifer nur dem Dienst ein Diener weihn,
Wird er in Ehren auch vom Herrn gehalten sein.
10   Doch wenn er stumpf und träg im Dienst ist überall,
Kommt er vom Leibwachamt zum Dienst im Eselsstall.
11   Vorwärts, und überhol' auch einen Engel hier!
Bleibst du zurück, so bist du wen'ger als ein Thier. 274

 
(239.)

    1   Einst mit dem Schlägel traf der Schah von DameganDer höchste Vogt ist Gott, dessen Stellvertreter und Werkzeug der Schah (von Damegan ist blos durch den Reim herbeigeführt). Der Sinn der Rede ist: die Mißhandlung von Seite des Schahs ist eine göttliche Strafe, verschuldet durch Dienstversäumnis.
Einen, daß er zu schrein der Trommel gleich begann.
2   Vor Unbehagen konnt' er in der Nacht nicht schlafen;
Ein Frommer ging vorbei, und sprach, um ihn zu strafen:
3   »Hätt' er mit Inbrunst Nachts sich vor dem Vogt ergossen,
Hätt' ihm nicht Sünd' am Tag die Wangenflut vergossen.« –
4   Am Auferstehungstag wird nicht bestehn in Schand'
Ein Herz, das vor den Thron bringt nächtlich seinen Brand.
5   Wenn dir Besinnung ward, erbitte vom Gerechten
Des Sündentags Vergehn in deinen Reuenächten.
6   Wenn noch auf Friede steht dein Sinn, was kann dir schaden?
Dem Flehnden schließet nicht das Thor der Herr der Gnaden.
7   Der Güt'ge, der dein Nichts ins Sein hat treten lassen,
Wie sollt' er, wenn du fällst, nicht bei der Hand dich fassen?
8   Wenn du bist Gottes Knecht, so bringe dein Begehren;
Und mußt du schämen dich, so regne Reuezähren.
9   Kein Schuldbeladner trug zu diesem Thron sein Ach,
Dem nicht die Sündenschuld abwusch der Reue Bach.
10   Gott wird nicht dem den Glanz des Angesichts vergießen,Hier ist das Gesichtswasser = Ehre, Glanz des Angesichts übersetzt; es vergießen = zu Schande werden lassen.
Dem seine Sünde läßt der Augen Wasser fließen.

 
(240.)

    1   Wohl einen reinen Ort verunreint eine Katze,
Doch weil's ihr häßlich scheint, verscharrt sie's mit der Tatze. 275
2   Fühlest du dich so frei von Mißgefälligkeiten,
Und fürchtest keinen Blick, der drüber möge gleiten?
3   Gedenk an jenen Knecht und seine Sündigkeit,[Knecht; in Rückert's Manuscript steht auch hier »Herrn«.]
Der seinem Herren ist entlaufen ein'ge Zeit;
4   Wenn er zurücke kehrt aufrichtig reuevoll,
Ist's not nicht, daß man ihn mit Kett' und Banden hol'.
5   Auflehnen mögest du dich gegen einen Herrn,
Dem du entrinnen kannst und kannst ihm bleiben fern.
6   In dieser Zeit mußt du der Werke Rechnung tragen,
Nicht dann, wenn dort das Buch vor dir wird aufgeschlagen.
7   Wer Böses hat gethan, hat's gleichwol nicht gethan,
Wenn er vorm jüngsten Tag des Bessern sich besann.
8   Zwar wird des Spiegels Glanz getrübt von einem Hauch,
Doch klärt ein Seufzerhauch des Herzens Spiegel auch.
9   Vor deiner Sündenschuld erbeb' in diesem Nu,
Alsdann am jüngsten Tag vor Niemand bebest du.

 
(241.)

    1   Die Ernte legt' ein Mann auf Haufen im August,
Nicht für'n December hatt' er Sorgen in der Brust.
2   In einer Nacht betrank er sich und schürt' ein Feuer,
Der glückverlaßne Thor verbrannte seine Scheuer.
3   Des andern Tages las er auf der Stoppel Ähren,
Weil ihm kein Körnchen war geblieben zum Ernähren.
4   Wie sie nun sinnverwirrt den Bettler gehen sahn,
Sprach Einer mahnend so den eignen Zögling an:
5   »Wenn du nicht also willst umirren trübgemut,
So setz in Wahnsinn nicht die eigne Scheu'r in Glut.
6   Wenn dir das Leben gieng im Bösen aus der Hand,
So bist du der gesetzt die Scheuer hat in Brand. 276
7   Beschämend ist es, wenn man Ähren liest zuletzt,
Nachdem man selbst in Brand die Scheuer hat gesetzt.
8   Mein Leben, thu das nicht! Sä' Frömmigkeit mit Rat,
Und gib dem Wind nicht preis des guten Namens Saat.
9   Wenn ein Unseliger in Weh gestürzt sich hat,
So nehmen Glückliche davon der Warnung Rat.
10   Erhebe heut den Kopf aus der Betäubung Kragen,
Um morgen nicht beschämt ihn auf der Brust zu tragen.«

 
(242.)

    1   Mit etwas Häßlichem wollt' einer ab sich geben;
Ein wohlgesinnter Mann ging ihm vorüber eben.
2   Und jener saß, daß ihm vor Scham der Schweiß ausbrach:
»Vorm Scheich des Stadtquartiers bin ich beschämt, ach, ach!«
3   Der Geisterleuchtete gewahrte was er dachte,
Und sprach zu ihm, indem sein edler Zorn erwachte:
4   »O schämst du, junger Mann, nicht selber dich vor dir?
Gott ist zugegen, und du schämest dich vor mir!« –
5   Willst du von irgendwem unangefochten sein,
So hab auf niemand Acht, als nur auf Gott allein.
6   Schäme dich nur so viel vor deinem Herrn, o Kind,
Als du vor Fremden thust und deinem Hausgesind!

 
(243.)

    1   In Sanaa legte man ein Kind von mir ins Grab;
Was soll ich sagen, was es mir für Schmerzen gab!
2   Es ist kein Wunder, daß die Erde Rosen bringt,
Da so viel Rosenwang' und Glieder sie verschlingt. 277
3   Zum Herzen sprach ich: »Stirb, o du der Welt Unpreis!
Denn rein geht hin das Kind, und schuldbefleckt der Greis.«
4   Aus schmerzlicher Begier nach seiner Wohlgestalt
Drängt' ich mich in sein Grab durch einen Felsenspalt.
5   Vom Schauder an dem Ort der Dunkelheit und Enge
Schwand mir die Farb' und kam der Odem ins Gedränge.
6   Als aus der Wandelung ich zu mir wieder kam,
War's meines Lieblings Ton, den ich im Ohr vernahm:
7   »Wenn dich verstöret hat die Dunkelheit der Stelle,
So sei bedacht, wie du kannst eingehn in die Helle.
8   Soll dir des Grabes Nacht hell gleich dem Tage sein,
So bringe du mit dir der Werke Lampenschein.« –
9   Den Sonnenbrand erträgt der Landmann mit dem Leibe,
Damit nicht ohn' Ertrag der Palme Stamm ihm bleibe.
10   Die Leute meinen wol, die allzu hoffnungsvollen,
Daß, wo sie nicht gesät, sie Ernte halten sollen.
11   Doch, Saadi, wer den Baum gepflanzt hat, ißt die Frucht;
Und wer das Korn gestreut, trägt ein die Garbenwucht.

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