Saadi
Bostan
Saadi

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Dritte Pforte.

Liebesrausch und Schwärmerei.

(80.)

    1   O gute Stunde der an Seinem Kummer Kranken,
Ob sie von ihm das Gift, ob sie die Labe tranken.Sein, Gottes.
2   Die Liebesbettler, die der Fürstenschaft entsagen,
Und Seiner Hoffnung voll die Bettlerschaft ertragen,
3   Sie ziehen Zug um Zug in sich des Wehes Wein,
Und wenn er bitter schmeckt, ziehn sie den Odem ein.sie sind geduldig, ergeben.
4   Im Weinbehagen ist des Rausches Ungemach,
Der Waffenträger-Dorn steht bei dem Rosen-Schach.
5   Doch Wermut ist nicht herb in Seinem Angedenken,
Zucker ist Herbes, das des Freundes Hände schenken.
6   Schmach tragen die am Freund berauschen ihre Seele,
Denn leichter wird die Last dem trunkenen Kamele. 112
7   Nicht Sein Gefangener begehrt sich aus den Ketten,
Nicht Sein Erjagter aus der Fangschnur sich zu retten.
8   Fürsten der Einsamkeit, die Bettler des Geheges,
Der Stationen kund, verirret ihres Weges,
9   Zu ihrem Sorgenfrei die Spur ist's, die wir missen.
Denn wie der Lebensquell sind sie in Finsternissen:
10   Alswie Jerusalem im Innern kuppelreich,
Die Mauern außenher gemacht dem Boden gleich.
11   Alswie der Schmetterling in Glut zerrinnen sie,
Nicht wie der Seidenwurm sich selbst einspinnen sie.
12   Ihr Herzlieb an der Brust, ihr Herzlieb suchen sie,
Mit trockner Lippen Durst, im Wasser bis ans Knie.
13   Ich sage nicht, daß sie nicht haben Wassers Füllen,
Ich sage, daß sie selbst im Nil den Durst nicht stillen.

 
(81.)

    1   Gleichwie die Selbstigkeit aus Wasser und aus Lehmen,
Will Lieb' auch die Geduld und will die Ruh dir nehmen.
2   Im Wachen wird von ihm das Wangenmal dich plagen,
Den Fußblock Seines Traums wirst du im Schlafe tragen.
3   In Treue legst du so das Haupt zu Seinem Fuß,
Daß dir in Seinem Sein der Welt Sein schwinden muß.
4   Da in des Liebsten Aug' wohnt deinem Golde bei
Kein Wert, ist Gold und Staub an Wert dir einerlei.
5   Vertraut wird dir nicht mehr ein anderer Geselle,
Denn neben ihm wie hätt' ein andrer eine Stelle!
6   Du sagst: in meinem Aug' ist seine Wohnung ja;
Und schließest du das Aug', ist er im Herzen da.
7   Du hast nicht Furcht, ein Spott zu sein im Leutemunde,
Und hast die Kraft nicht Ihn zu missen eine Stunde. 113
8   Will er die Seele, legst du auf die Lippen sie;
Legt er das Schwert ans Haupt, legst du das Haupt aufs Knie.

 
(82.)

    1   Da Liebe, deren Bau auf Luft gegründet steht,
Regt solche Stürme, wo ihr Machtgebot ergeht;
2   Was wunderst du dich, daß die Pilger ihrer Pfade
Du siehest untergehn im Geisteswogenbade!
3   Daß selbst berauscht sie sind von ihren Liebesklagen,
Und, Ihn im Sinn, Verzicht auf beide Welten sagen;
4   Aus Lust am liebsten auf ihr Leben unbedacht,
Ihn denkend, auf das All daneben unbedacht;
5   Entfliehend dem Geschöpf, weil sie ins Herz Ihn schließen,
Vom Schenken so berauscht, daß sie den Wein vergießen:
6   Zu heilen sind sie nicht mit einem Heilungskraut,
Weil niemand in den Grund von ihren Schmerzen schaut.
7   »Bin Ich nicht?« klingt der Ruf von ewig ihrem Ohr,
Und laut: »sie sprachen Ja« antwortet stets ihr Chor.
8   Die Schar werkthätiger stillsitzender in Feier,
Im Staube wandelnder und atmender im Feuer.
9   Sie rücken einen Berg durch einen Schrei vom Ort,
Und raffen eine Stadt durch einen Seufzer fort.
10   Sie sind dem Winde gleich verborgen und auf Schwingen,
Und sind dem Steine gleich in Schweigen und Lobsingen.
11   So reichlich weinen sie am frühen Morgen wach:
Des Schlafes Schminke wäscht aus ihrem Aug' ein Bach.
12   Erlegen ist ihr Roß vom scharfen Ritt der Nacht,
Und morgens klagen sie, daß sie's nicht weit gebracht.
13   Die Nacht wie Tag im Meer voll Brand und Wellenschlag,
Werden sie im Gedräng gewahr nicht Nacht und Tag. 114
14   So von des Bildners Schön' ist ihr Gemüt bethört,
Daß sie die Schönheit läßt des Bildes ungestört.
15   Und wenn ein schön Gebild einmal sie schauen an,
So sehn von Gottes Kunst sie das Geheimnis dran.
16   Kein Herzbegabter gab sein Herz der Hülle hin,
Wenn auch ein Thor es that, der ohne Hirn und Sinn.
17   Dem wird der reine Wein der Einheit zugemessen,
Der diese Welt dabei und jene kann vergessen.

 
(83.)

    1   Mir ward erzählt, daß einst wandt' eines Bettlers Sohn
Sein Aug' auf einen, der geboren war zum Thron.
2   Er ging, indem er ein ungar Verlangen kochte,
Mit der Einbildung Zahn den Wunsch erschnappen mochte.
3a   Des Prinzen Rennbahn war nie leer von ihm zu sehn,
Als ob er müßte dort wie die Rennsäule stehn;
3b   Und immer war er da, wo man ihn sah ausreiten,
Als wär' im Schachbrett er der Thurm an Rosses Seiten.
4   Sein Herz ward Blut, und still im Herzen blieb sein Sehnen;
Doch stecken blieb sein Fuß im Strome seiner Thränen.
5   Die Wächter wurden sein geheimes Weh gewahr,
Und sagten: stelle dich am Ort hier nicht mehr dar.
6   Er ging ein Streckchen, dann dacht' er des Schönen wieder,
Und ließ sich wiederum im Gau des Schönen nieder.
7   Ein Sklave schlug ihm Kopf und Hand und Fuß entzwei:
Ward dir's nicht schon gesagt? komm hier nicht mehr herbei!
8   Und wieder ging er fort, und Halt und Haft ihm fehlte,
Des Liebsten Angesicht zu missen Kraft ihm fehlte.
9   Man jagte wie die Flieg' ihn immer weg vom Zucker,
Und immer kam zurück im nächsten Nu der Schlucker. 115
10   Zu ihm sprach einer: »Ei Wahnsinn'ger ohne Zügel,
Geduldig wunderbar bist du für Stein und Prügel.«
11   Er sprach: »Dies Ungemach kommt mir von seinen Härten,
Und nicht zu klagen ziemt ob Freundes kleinen Härten.
12   Hier bin ich, und für ihn in Freundschaft halt' ich still,
Ob er als Freund, ob er als Feind mich halten will.
13   Verlange nicht von mir, mich seiner zu enthalten,
Da selbst bei ihm für mich ist keine Ruh enthalten.
14   Zu dulden keine Kraft, kein Raum um mich zu sträuben,
Kein Mittel zu entfliehn, und keine Statt zu bleiben.
15   Sag nicht, daß ich mein Haupt vom Zelt hier wegbewege,
Ob er den Strick ums Haupt mir wie dem Zeltpflock lege.
16   Ist nicht der Schmetterling, der stirbt dem Licht zu Fuß,
Viel besser dran, als der im Finstern leben muß?«
17   Sprach jener: »Wenn du schmeckst von ihm des Schlägels Prall?«
Er sprach: »So fall' ich ihm zu Füßen wie der Ball.«
18   Sprach jener: »Wenn dein Haupt er mit dem Schwert wird schlagen?«
Er sprach: »Die Kleinigkeit werd' ich ihm ab nicht schlagen.
19   Wie würde Kunde selbst vom Haupte mir zu Teil,
Ob überm Scheitel mir die Kron' ist, ob das Beil?
20   Mit Schelte wolle nicht mich fassungslosen kränken,
Weil bei der Liebe nicht an Fassung ist zu denken.
21   Und wenn das Auge mir wie Jakob sollt' erblinden,
Ließ' ich die Hoffnung nicht auf Josephs Anblick schwinden.
22   Wenn wer für einen hat den Kopf voll süßen Weines,
Der wird nicht übel ihm gleich nehmen jedes Kleines.«
23   Dem Fürsten küßt' einmal der junge Mann den Bügel,
Drob er in Zorn geriet und wandt' ihm ab den Zügel.
24   Doch jener lächelnd sprach: »Zurück nicht sollst du ziehn
Den Zügel, denn es wird vor Nichts kein Sultan fliehn.Vor einem Nichts wie ich. 116
25   Vor deinem Dasein ist kein Dasein mir geblieben,
In deiner Liebe blieb kein Raum mich selbst zu lieben.
26   Wenn du mich fehlen siehst, darfst du mich nicht verklagen;
Denn deinen Kopf hast du gestreckt aus meinem Kragen.
27   Mit solchem Mut schlug ich die Hand in deinen Bügel,
Weil ich nicht dacht' an mich in eigenem Geklügel.
28   Ich zog des Griffels Strich durch meinen Namen hin,
Und setzte meinen Fuß aufs Haupt dem eignen Sinn.
29   Selbst wird mich schon der Pfeil des trunknen Auges töten;
Was brauchest du die Hand mit deinem Schwert zu röten?«
30   Wirf Feuer nur ins Schilf und geh vorüber risch!
Denn übrig bleibet nichts, was dürr ist und was frisch.

 
(84.)

    1   Ich hörte, daß bei Klang von Saitenspiel und Lied
Ein junges Schönheitsbild entzückt in Tanz geriet.
2   Und da so manches Herz umher in Flammen stand,
Ergriff der Kerze Brand urplötzlich sein Gewand.
3   Da ward ihm das Gemüt verstört und zornesvoll;
Doch von den Liebenden sprach einer: »Wozu Groll?
4   Dir hat, o Liebchen, nur den Saum gesengt das Feuer,
Und mir in Flammen auf ging meine ganze Scheuer.« –
5   Bist du ein Liebender, darfst du an dich nicht denken;
Du kannst nicht dein sein und zugleich dem Freund dich schenken.
6   Ein Herz, das liebumstrickt der Herzgeliebte hält,
Ist ledig aller Sorg' um sich und alle Welt.

 
(85.)

    1   Mein weiser Meister war's, der dieses mir erzählte:
Daß einst ein Schwärmender das Feld zur Wohnung wählte. 117
2   Seit er entflohen, aß sein Vater nicht noch schlief;
Die Leute schalten drum den Sohn aus, doch er rief:
3   »Seitdem den seinigen mich hat der Freund genannt,
Ist mir kein andrer mehr bekannt und anverwandt.« –
4   So wahr Er lebt! seit mir die wahre Schön' Er wies,
Erblickt' ich nichts mehr, das sich nicht als Schein erwies.
5   Der Welt abhanden kommt, der ihr sich abgewandt,
Da den abhanden ihm gekommenen er fand.
6   Die irregehenden, die unterm Himmel rennen,
Man kann sie wilde Thier' und kann sie Engel nennen;
7   Sie ruhn den Engeln gleich niemals von Gottes Preise,
Und fliehn vor Menschen Tag und Nacht in Thieresweise.
8   Von Arme sind sie stark und von gebundner Hand,
Berauschte nüchterne, Wahnsinn'ge mit Verstand;
9   Bald rastend in der Zell' und flickend ihre Kutten,
Bald schwärmend beim Gelag, zerpflückend ihre Kutten;
10   Wie ohne Menschenscheu so sonder Eigendünkel,
Ohne Gesellschaft in der Gotteseinheit Winkel;
11   Zerstreueten Gemüts, umstreunender Gedanken,
Ausschließend guten Rat von ihrer Ohren Schranken.
12   Im Wasser fürchtet nicht die Ente zu ertrinken,
Der Salamander bebt nicht vor der Flamme Blinken.
13   Die Männer leer an Hand und vollgenährt an Geist,
Die ohne Karawan in Wüsten sind gereist,
14   Beifall erwarten sie nicht von der Kreatur,
Denn ihnen ist genug der Beifall Gottes nur;
15   Ehrwürdige, die sich dem Blick der Welt verdecken,
Nicht unterm Ordenskleid den Feuergurt verstecken;
16   Sie sind wie Reben reich an Frucht und Schattenfülle,
Nicht wie wir andern schwarz von Werken, blau von Hülle;
17   Beschauungsvoll das Haupt einziehend muschelgleich,
Meerähnlich nicht die Hand erhebend schaumflutreich. 118
18   Hast du das Glück zum Freund, so fliehe du geschwind
Vor jenen, die im Kleid von Menschen Dewe sind.[Dewe, böse Geister.]
19   Denn nicht besteht der Mensch allein aus Haut und Bein,
Und eine Seele wohnt nicht jedem Bildnis ein.
20   Der Sultan mag in Dienst nicht nehmen jeden Knappen;
Ein Lebender steckt nicht in jedem Kleid von Lappen.
21   Wenn alle Tropfen Thau zu lauter Perlen würden,
So brächte man zu Markt von Perlen ganze Bürden.
22   Sie ziehn Luftspringern gleich den Fuß nie ruhig ein;
Gewaltig schreitet aus des Kranichs Stelzenbein.
23   Die Zecher aber von des ew'gen Bunds Gelag,
Berauscht von einem Schluck bis zur Posaun' am Tag,Die Posaune des jüngsten Tages.
24   Vor Schwertern ziehen sie vom Wunsch die Hand nicht ein;
Denn Mäßigkeit und Lieb' ist Glasgefäß und Stein.

 
(86.)

    1   Ein feines Liebchen hatt' ein Mann in Samarkand,
Das führte statt der Red' im Munde Zuckerkand;
2   Ein Schönheitsbild, das mit der Sonn' es wol aufnahm,
Liebreiz, durch den zu Fall der Bau der Andacht kam:
3   O Gottes Preis! soweit gesteckt der Anmut Grenzen,
Daß sie alswie ein Vers der Gnade schien zu glänzen.
4   Sie wandelte dahin und jedes Aug' ihr nach,
Und jedes Freundesherz ein Liebesopfer brach.
5   Es blickte nach ihr hin der Lüsterne verstohlen;
Sie ward's einmal gewahr und braust' auf unverhohlen:
6   »Wirrköpfiger, wielang verfolgst du meine Spur?
Weißt du nicht, daß ich bin kein Vogel deiner Schnur? 119
7   Wenn ich dich noch einmal erblicke, mit dem Stoß
Des Schwertes treff' ich dich wie Feinde schonungslos.«
8   Da sprach zu ihm ein Freund: »Nun zieh dich aus dem Spiel,
Sieh anderwärts dich um nach einem leichtern Ziel.
9   Ich glaube nicht, daß du wirst diesen Wunsch erlangen;
Du setzest, fürcht' ich, nur den Kopf ans Herzverlangen.«
10   Der treue Dulder, als die Scheltred' er vernahm,
Zog einen Seufzer aus dem Busen voller Gram:
11   »Laß es geschehen, daß von Todesschwertes Streiche
In Staub sei und in Blut gewälzet meine Leiche.
12   O möchte man von mir vor Feind und Freunde sagen:
Von dieser Hand ist er, von diesem Schwert erschlagen.
13   Aus dieser Gasse Staub ist mir die Flucht verschlossen:
Sei meiner Wange Flut von Unhuld nur vergossen!
14   O selbstgefälliger, du predigst Buße mir;
Doch Buße wäre für die Predigt besser dir.
15   Hab Mitleid nicht mit mir! Denn was mein Lieb beschlossen,
Ob auf mein Blut es zielt, es ist mir lieb beschlossen.
16   In seinem Feu'r verbrenn' ich jede Nacht, es ruft
Ins Leben wieder mich im Morgenhauch sein Duft.
17   Wenn heut in Liebchens Gass' ich soll zum Tode schreiten,
So schlag' ich morgen auf mein Zelt an Liebchens Seiten.«
18   O wend' um keinen Preis in diesem Kampf den Rücken!
Denn Saadi lebt erst, seit er starb in Liebentzücken.

 
(87.)

    1   Ein Durst'ger rief, als er den Geist aufgeben wollte:
»O dreimal glücklich, wer im Wasser sterben sollte!«
2   Da sprach ein junger Fant: »O wunderbar, mich deucht,
Wer stirbt, dem gilt es gleich, ob trocken oder feucht.« 120
3   Doch jener: »Soll ich nicht die Zunge noch mir netzen,
Daß ich mein Leben mög' auf ihre Spitze setzen?« –
4   Wenn ein Verdurstender ins Wasserbecken sinkt,
Was fragt er, ob er auch, wann er sich labt', ertrinkt?
5   Bist du ein Liebender, halt am Gewandsaum ihn;
Und wenn er sagt »gib her dein Leben«, sag »nimm hin!«
6   Bei diesem Feste wirst du deinen Wunsch empfahn,
Wenn aus dem Becher du den letzten Trunk gethan.

 
(88.)

    1   Die Überlieferung hab' ich von Wanderern
Des Heilswegs, armen reich, die Bettler sind beim Herrn:
2   Daß auf Almosen ging ein Bettler morgens aus,
Und seinen Anruf that vor einem Gotteshaus.
3   Da sprach ein Mann zu ihm: »Hier wohnen keine Leute,
Die etwas geben dir, was wartest du auf Beute?«
4   Er sprach: »Wer ist's denn, der in diesem Hause wohnt,
Der keinen Dürstigen mit seiner Gnade lohnt?«
5   Doch jener sprach: »Sei still, was sprichst du Thörichter?
Der Herr von diesem Haus ist unser aller Herr.«
6   Kronleuchter sah er nun und den Altar der Wand,
Und einen Seufzer zog er aus der Leber Brand:
7   »Ein Jammer wär' es, daß ich sollte weiter gehn,
Ein Schade, hoffnungslos vor dieser Thüre stehn.
8   Aus keiner Gasse bin ich ungewährt gegangen;
Wie aus dem Haus des Herrn ging' ich mit bleichen Wangen?
9   Auch hier will ich die Hand des Gehrens strecken aus;
Ich weiß, ich gehe nicht mit leerer Hand hinaus.« –
10   Ich hörte, daß er dort ein Jahr saß auf den Stufen,
Und seine Hand erhub, wie die um Hülfe rufen. 121
11   In einer Nacht sank ihm des Lebens Fuß im Schlamm,
Und pochend ihm das Herz in Todesschwäche schwamm.
12   Früh brachte wer die Lamp' ihm an das Haupt, und sah
Ihn der Frühlampe gleich schon dem Verlöschen nah.
13   Doch er mit einem Schrei rief gellend aus: »Wer an
Das Thor der Großmut pocht, dem wird es aufgethan.« –
14   Dem Suchenden geziemt zu dulden und zu tragen;
Ich hörte, niemals dürf' ein Alchimist verzagen.
15   O wieviel Stücke Gold bringt er zur schwarzen Erde
In Hoffnung, daß zu Gold ihm einst ein Messing werde.
16   Gut ist, um was dafür zu kaufen, ein Goldhaufen;
Was kannst du bessers als des Liebsten Antlitz kaufen?
17   Wenn enge dir das Herz um ein Herzliebchen ward,
So findest du zum Trost ein andres bessrer Art;
18   Trag um ein saueres Gesicht nicht bittern Mut,
Das Feuer lösche du mit anderweit'ger Flut:
19   Doch wem kein Gleiches ist an Schönheit zu erfragen,
Um kleine Kränkungen mußt du ihm nicht entsagen;
20   Wol eines solchen Freunds mag sich dein Herz begeben,
Von dem du weißt, daß du vermagst ohn' ihn zu leben.

 
(89.)

    1   Ich hörte, daß ein Scheich die Nacht in Andacht wachte,
Und, als der Tag anbrach, Gott sein Gebet darbrachte.
2   Ein Himmelsherold warf ihm diesen Gruß ins Ohr:
»Geh deines Wegs, du bist verstoßen hier am Thor.
3   Dein Flehn nimmt man nicht an in diesem Throngemach;
Wo dir nicht Ehre wird, was bleibst du da in Schmach?«
4   Doch wieder in der Nacht schlief er vor Beten nicht;
Da sprach ein Jünger, dem geworden der Bericht: 122
5   »Du siehest, daß man dich von dieser Thüre stieß;
Was willst du länger dich bemühen ohn' Ersprieß?«
6   Doch der Bekümmerte goß auf den Teppich lind
Von Thränen einen Strom und sagte: »Liebes Kind!
7   O glaube nicht, wenn er mir wendet ab die Zügel,
Daß ich darum die Hand abzieh von seinem Bügel.
8   In Hoffnungslosigkeit hätt' ich mich abgewandt
Von diesem Thore, wär' ein bessres mir bekannt.
9   Denn, wird von einer Thür der Bittend' abgewiesen,
Wenn er ein' andre weiß, läßt er sich's nicht verdrießen.
10   Ich hört' es wol, kein Weg bleibt mir in dem Geheg,
Doch keine Aussicht bleibt mir auch auf andern Weg.«
11   So senkt' er hin sein Haupt im Staube der Ergebung,
Da sagte man ins Ohr der Seel' ihm zur Erhebung:
12   Obgleich Verdienst dir fehlt, bist du doch angenommen,
Weil du hast außer uns kein andres Unterkommen.

 
(90.)

    1   Hört, wie das junge Weib bei einem alten Mann
Klag' über des Gemahls Lieblosigkeit begann:
2   »O wolle nicht, daß mir mit diesem wilden Knaben
In Bitterkeit die Zeit des Lebens sei begraben.
3   Die andern, die mit uns im gleichen Hause sind,
Ich sehe nicht, daß sie im gleichen Brause sind.
4   So freundlich leben sie, Gemahl mit dem Gemahle,
Zwei Mandeln scheinen sie zu sein in einer Schale.
5   In all der Frist sah ich von meinem Gatten nicht,
Daß er einmal gelacht mir hätt' ins Angesicht.«
6   Es hörte dieses Wort der alte geistesklare;
Wortkundig ist ein Mann, der lebte lange Jahre. 123
7   Ein' Antwort gab er ihr voll Anmut und Gewicht:
»Ertrag ihn immer, wenn er schön ist von Gesicht.« –
8   Verlust ist es, von dem das Antlitz abzuwenden,
Dem wir an Schönheit gleich nicht einen andern fänden.
9   Warum entziehst du dich dem, der, wenn dir er sich
Entzieht, dir durch die Schrift des Daseins zieht den Strich?
10   Ergib dich dem Befehl des Herrn in Dienerweise,
Weil keinen Herrn wie ihn du siehst im Weltenkreise.

 
(91.)

    1   Jüngst ging für einen Knecht mein Herz in Rührung auf,
Der also sprach, als ihn sein Herr gab zum Verkauf:
2   »Wol manchen bessern Knecht bekommst du leicht als mich,
Doch einen Herrn wie du bekomme niemals ich.«

 
(92.)

    1   In Merw war einst ein Arzt von Engelschönheitsreine,
Sein Wuchs war die Cypress' im Herzensgartenhaine.
2   Nicht Kunde nahm der Arzt von kranker Herzen Kunde,
Vom Schmachten seines Augs hatt' er auch keine Kunde.
3   Ein fremder kranker Mann berichtet wundervoll:
»Mit meinem Arzte war mir's eine Zeitlang wohl.
4   Ich wünschte selber nicht Gesundheit zu erlangen,
Aus Furcht, es käme dann nicht mehr mein Arzt gegangen.« –
5   Wie manchen trotzigen Verstand voll Übermacht
Die Liebesleidenschaft hat unter sich gebracht!
6   Zupft einmal Leidenschaft nur die Vernunft beim Ohr,
So wagt's Besinnung nie und hebt das Haupt empor. 124

 
(93.)

    1   Ein Mann verfertigte sich einen Stahlhandschuh,
Und schritt getrost dem Kampf mit einem Löwen zu.
2   Doch als der Löw ihn hielt in seiner Hand von Stahl,
Da ward sein Stahlhandschuh ihm unnütz auf einmal.
3   »Was liegst du wie ein Weib?« rief einer da ihm zu:
»Triff ihn doch auf den Kopf mit deinem Stahlhandschuh.«
4   Der arme, hört' ich, sprach in solcher Niederlage:
»Es geht nicht, daß man so mit einem Leun sich schlage.« –
5   Sieht die Vernunft vom Kampf der Liebe sich bedräuen,
Das ist derselbige Stahlhandschuh mit dem Leuen.
6   In eines Löwen Hand, der seinen Mann im Nu
Daniederschlägt, bist du; was hilft dein Stahlhandschuh?

 
(94.)

    1   Ein Liebesbund vereint' einst zwei Geschwisterkinder,
Schön wie die Sonne beid' und hohen Stamms nicht minder.
2   Doch wie das eine war im höchsten Grad gefällig,
So war das andre scheu, störrisch und ungesellig.
3   Und wenn das eine hold den Blick gelichtet hatte,
Das andre finster ihn zur Wand gerichtet hatte.
4   Das eine schmückte sich mit angenehmen Sitten,
Das andre wußte Gott nur um den Tod zu bitten.
5   Den Knaben nahmen da des Dorfes Ältste vor:
»Du liebst sie nicht, gib ihr zurück den Brautschatz, Thor!«
6   Er lacht' und sprach: »Es soll mich reuen nicht ein Haufen
Von hundert Schafen, um die Freiheit zu erkaufen.«
7   Sie ritzte sich die Haut mit ihren Nägeln auf:
»Wie gäb' ich je den Freund um solchen Bettel auf? 125
8   Nicht hundert Schafe, nein, dreihundert tausend nicht
Nähm' ich und säh' nicht mehr des Freundes Angesicht.« –
9   Was immer dein Gemüt dem Freunde will entziehn,
Betracht es nicht, du hast Gemütsruh nur durch ihn.

 
(95.)

    1   An einen, der im Geist verzückt war, schrieb man dies:
Was wünschest du für dich, Höll' oder Paradies?
2   Darauf antwortet' er: Das müßt ihr mich nicht fragen;
Was Ihm behagen mag, das lass' ich mir behagen.

 
(96.)

    1   Zu Medschnun sagte wer: »Was ist dir, Freund, geschehn,
Daß du am Lagerort nicht mehr dich lässest sehn?
2   Der Rausch von Leila gährt dir wol im Kopf nicht mehr?
Dein Sinn hat sich gewandt, und kocht dein Topf nicht mehr.«
3   Der arme hörte das und weinte blut'gen Schaum:
»Ich bitte, Freund, o laß die Hand von meinem Saum!
4   Selbst hab' ich Schmerzen gnug im wunden Herzensgrunde,
Du bohre mir nicht auch den Stachel in die Wunde.
5   Entfernung ist nicht stets aus Gleichmut nur entsprungen,
Entfernung von der Lieb' ist oft nur notgedrungen.«
6   Der andre sprach darauf: »Getreuer Edler, sage,
Hast du nicht einen Gruß, den ich zu Leila trage?«
7   Er sagte: »Thu vor ihr nicht meinen Namen kund;
Denn laut zu werden ziemt mir nicht vor ihrem Mund.«

 
(97.)

    1   Man wollte den Geschmack des Schah's von Gasna schelten:
»O Wunder, sein Ejas kann doch für schön nicht gelten! 126
2   Wenn weder Farbenglanz noch Duft hat eine Rose,
Wie seltsam ist's, daß ihr die Nachtigall liebkose!«
3   Dem Sultan trug dies Wort jemand in Eile zu,
Und der nachdenklich hört' ihm eine Weile zu.
4   »Mein Lieben«, sprach er, »ruht auf seines Sinns Gehalt,
Und nicht auf seinem Wuchs und Leibeswohlgestalt.« –
5   Nun hört' ich, daß einmal ein Maulthier mit den Lasten
Im Bergweg fiel, wobei zerbrach ein Perlenkasten.
6   Des Sultans Großmut gab den Schatz den Leuten preis,
Und setzt' ohn Aufenthalt zu Rosse fort die Reis'.
7   Da waren hinter Perl' und Glas die Reuter her,
Und dachten bei der Beut' an ihren Schah nicht mehr.
8   Von allen, denen stolz zu Haupt die Haube saß,
Blieb keiner auf der Spur des Königs als Ejas.
9   Der König sah sich um, und jener kam ihm nach;
Der Anblick that ihm wohl wie Rosen, und er sprach:
10   »O du, von Lockennacht umfloßnen Wangenlichts,
Was trugst von Beute du davon?« Er sagte: »Nichts.
11   Du siehst, daß ich einher auf deinen Spuren ritt,
Und nicht um Schätze ward ich deines Dienstes quitt.« –
12   Wenn Zutritt zum Palast dir höchste Gnade gab,
So wende nie vom Schah dich dein Bedürfnis ab.
13   Das ginge fehl des Wegs, wenn die vom Herrn Erwählten
Vom Herrn sonst einen Wunsch als nur den Herrn erwählten.
14   Wenn du vom Freunde noch Wohlthaten kannst verlangen,
So bist du nicht beim Freund, du bist bei dir gefangen.
15   Solange von Begier dir noch der Mund steht offen,
Hast du nicht für dein Ohr Geheimnisgruß zu hoffen.
16   Sieh, aufgeschlagen ist ein Offenbarungszelt,
Doch Staubeswirbel regt die Lieb' und Lust der Welt;
17   O siehst du nicht, daß wo Staub aufgestiegen ist,
Dein Auge blind ist, wenn du selbst schon sehend bist? 127

 
(98.)

    1   Durch Magreb wanderten ich und aus Fariab
Ein Scheich; zu einem Fluß trug uns der Wanderstab.
2   Mich nahmen sie ins Schiff fürs letzte Silberstück,
Der arme hatte keins, ihn ließen sie zurück.
3   Die Schwarzen ruderten das Schiff wie Dampf davon;
Denn ohne Gottesfurcht war jene Region.
4   Als mir aus Sorg' um ihn die Flut ins Auge lief,
Da lachte jener laut vom Ufer her und rief:
5   »O laß nicht Gram um mich, verständ'ger Mann, dich nagen;
Der dieses Schifflein trägt, der wird mich selber tragen.«
6   Den Beteteppich legt' als Brück' er übern Saum
Des Wassers; ein Phantom ist's, dacht' ich, oder Traum!
7   In der Verwunderung mein Auge Nachts nicht schlief;
Am Morgen blickte da der Mann mich an und rief:
8   »Was bist du so erstaunt, o edler weis' und klug,
Daß mich getragen Gott, weil dich das Schifflein trug?« –
9   Warum beherzigt nicht der Thoren Übermut,
Daß Gottesmänner gehn durch Flut und Feuerglut?
10   Ist nicht ein Kindelein, das nichts vom Feuer weiß,
Davor behütet durch der Mutter Liebesfleiß?
11   Nun, die versunken sind im Meer der Liebesglut,
Das Auge Gottes hält sie Tag und Nacht in Hut.
12   Er hütet vor der Glut das Leben Elchalil's,Elchalil = Abraham.
Wie Moses Kasten vor den Strömungen des Nil's.
13   Der Knab', der sicher in des Fährmanns Händen ruht,
Erschrickt nicht, wenn sich breit ergießt des Tigris Flut.
14   Doch wie kannst du als Mann den Fuß aufs Wasser setzen,
Da auf dem Trocknen du liegst in des Kleinmuts Netzen! 128

 
(99.)

    1   Die Wege der Vernunft sind voll von Irrgewinden,
Doch für die Liebenden ist nichts als Gott zu finden.
2   Wol sagen darf man das dem Wesenheiterkenner,
Doch mäkeln werden dran die schulgelehrten Männer:
3   »Was also wäre denn die Erd' und was der Himmel,
Das menschliche Geschlecht und thierische Gewimmel?«
4   Gefällig fragst du mich, Verständ'ger, nach dem allen;
Ich sag' es dir, laß auch die Antwort dir gefallen.
5   Die Berg' und Himmelshöhn, die Thäler und das Meer,
Der Menschen und Peri'n, Dewen und Engel Heer,
6   Sie alle, die da sind, sind minder als der Eine,
In dessen Dasein hat ein jegliches das seine.
7   Vor deinen Augen ist das Meer an Wellen breit,
Und hoch am Himmel ist der Sonne Herrlichkeit;
8   Doch, die da sind im Schein, wie könnten sie dahin
Gelangen in das Reich derer, die sind im Sinn,
9   Wo, wenn die Sonn' ist was, sie ist ein Sonnenstäubchen,
Und sieben Meere, wenn sie sind, ein Wasserträufchen!
10   Der Herr der Herrlichkeit, wann er die Fahn' erhebt,
Sieh, wie die Welt ihr Haupt im Schoß des Nichts begräbt!

 
(100.)

    1   Der Oberste des Dorfs ging mit dem Sohn zur Reise;
Sie kamen durch des Schah's Hoflagers Sonnenkreise.
2   Trabanten sah daselbst der Sohn, und Schwert und Bogen,
Der Gürtel Goldgestick, der Röck' atlassne Wogen;
3   Die Bogenschützen kühn zum Werk der Jagd gerüstet,
Und Dienerschar, die sich mit Pfeil und Köcher brüstet; 129
4   Dem einen um die Brust der Leibrock seidenweich,
Dem andern auf dem Kopf die Haube fürstengleich.
5   Wie er nun all die Pracht und Herrlichkeit erblickt,
Erschien der Vater ihm gar sehr herabgedrückt.
6   Verloren war sein Halt und seine Farb' entwich,
In einem Winkel flugs vor Furcht verkroch er sich.
7   Da sprach der Sohn: »Du bist des Dorfes Obrer doch,
Und trägst in Macht das Haupt vor hohen Häuptern hoch.
8   Wie kommt es, daß dich so Mutlosigkeit erfaßt
Und du vor Schrecken bebst alswie ein Weidenast?«
9   Der Vater sprach: »Ich bin Gebieter immerhin,
Doch gilt mein Ansehn nur, solang' im Dorf ich bin.« –
10   Verwirrung hat den Sinn der Großen drum befangen,
Weil ihm die Majestät des Throns ist aufgegangen.
11   Du aber, weil so groß dir noch dein Ansehn ist,
Zeigst, daß aus deinem Dorf du nicht gekommen bist.
12   Die Meister haben nie ein Wörtchen vorgetragen,
Wozu uns Saadi nicht ein Gleichnis könnte sagen.

 
(101.)

    1   Du hast wol, wann die Nacht in Wald und Felde feuchtet,
Ein Würmchen schon gesehn, das wie ein Lämpchen leuchtet.
2   Zu ihm sprach einer einst: Sag an, wie du das meinst,
O Würmchen, daß du Nachts, und nie am Tag erscheinst?
3   Nun gebet Acht, wie solch ein Würmchen staubgeboren
Aus leuchtendem Verstand gab Antwort einem Thoren:
4   »Bei Tage wie bei Nacht bin ich im Felde zwar,
Doch vor der Sonne Licht ist meines unsichtbar.« 130

 
(102.)

    1   Mit Lobpreis trat ein Mann zu Sengi's Sohne Saad
(Ob dessen Staube sei des Allerbarmers Gnad'!);
2   Mit einem Ehrenkleid belohnt' er ihn und Geld,
Und nach Verdienst ward er dem Throne nah gestellt.
3   In Goldschrift las er da den Thronspruch: »Gott allein!«
Und von der Brust riß er das Kleid in Liebespein.
4   Ein Feuerschauder war's, der so ihn überkam,
Daß stracks er aufsprang und den Weg zur Wüste nahm.
5   Dort fragt' ihn einer von der Wüste Wohngenossen:
»Wie ist dir solcherlei Verwandlung zugestoßen?
6   Da du den Boden erst geküßt an den drei Stellen,
Wie durftest du zuletzt auf flücht'gen Fuß dich stellen?«
7   Da lächelt' er und sprach: »Zuerst von Furcht und Hoffen
Mit Zittern war mein Leib wie Weidenlaub betroffen;
8   Doch endlich durch die Kraft des Wortes ›Gott allein‹
War aus den Augen mir geschwunden Groß und Klein.«

 
(103.)

    1   Einst war in einer Stadt von Syrien ein Tumult,
Dabei ergriffen ward ein Alter ohne Schuld.
2   In meinem Ohre klingt noch immer jener Gruß,
Wie, da in Fesseln ihm gelegt ward Hand und Fuß,
3   Er sprach: »Wenn nicht ein Wink vom höchsten Sultan käme,
Wer dürft' es wagen, daß er mich gefangen nähme?
4   Ich nehm' als meinen Freund solch einen Feind in Acht,
Dem über mich der Freund gegeben hat die Macht.
5   Ob Ehr' und Glück es sei, ob Schmach es sei und Leid,
Von Gott erkenn' ich es, und nicht von Amr und Seid.« –Amr und Seid = der und jener, Hinz und Kunz. 131
6   Laß dir, Verständiger, nicht vor der Krankheit bangen,
Wenn bittre Arzenei du wirst vom Arzt empfangen.
7   Nimm hin, was aus der Hand dir des Geliebten kommt;
Der Arzt weiß besser als der Kranke, was ihm frommt.

 
(104.)

    1   Ein Mann gab einst, wie ich, sein Herz in fremde Hand
Zu Liebespfand, woraus ihm große Not entstand.
2   Er, der vordem den Ruhm der Sinnigkeit getragen,
Ward wahnsinnshalber gleich der Trommel jetzt geschlagen.
3   Um Freundes willen gern ertrug er Feindes Plack;
Denn Gift aus Freundes Hand ist bester Theriak.
4   Es ward ihm Schlag auf Schlag von der Genossen Schar,
Und wie ein Nagel bot er seine Stirne dar.
5   So drang die Phantasie mit Sturm in seine Sinne,
Daß unterm Fuß gestampft lag seines Hirnes Zinne.
6   Er nahm von Schmähungen der Freunde keine Kunde;
Denn dem Ertrunknen schlägt der Regen keine Wunde.
7   Gleichgültig kann das Glas des guten Namens sein
Dem, dessen Herzensfuß gestoßen an den Stein.An den Stein anstoßend zerbricht das Glas (vgl. oben 85, 24), aber daran denkt nicht, wer mit dem Fuß selbst an den Stein stößt – das kleinere Übel vertrieben von dem größern. –
8   Der Teufel, der das Bild des Schönen angenommen,
War in des jungen Manns Umarmung Nachts gekommen.
9   Dem ward am Morgen draus unstatthaft das Gebet;
Doch das Geheimnis blieb den Freunden unerspäht.
10   Er stieg in aller Früh in eine Flut zu baden,
Die hatte Frost der Nacht gesperrt mit Marmorgaden. 132
11   Ein Mahnender begann darob ihn auszuschelten:
»Du gibst dir selbst den Tod in dieses Wassers Kälten.«
12   Vom sitt'gen Jünglinge hört' ich den Ausruf steigen:
»Was soll mir, guter Freund, dein Tadel? laß ihn schweigen.
13   Erst seit fünf Tagen nahm das Herz mir jener Knabe,
Des Liebe so mir that, daß ich nicht Ruhe habe.
14   So freundlich war er nicht, nach mir einmal zu fragen;
Und sieh, mit ganzer Seel' hab' ich sein Joch getragen.
15   Nun jener, der den Leib mir aus der Erde schuf,
Und eine Seele drin mit seinem Werde schuf –
16   Was wunderst du, daß ich mich füge seinem Joch,
In dessen Gnad' und Huld ich bin so lange doch!«nicht erst fünf Tage wie im Dienst des Geliebten. Die Argumentation hat für uns keine Kraft, weil unser Gefühl das erotische Verhältnis solcher Art abstößt, auch die ceremoniöse Gottesverehrung solcher Art. Es ist aber an sich tief und innig genug. Der Jüngling hat sich von der sinnlichen Liebe zu der göttlichen erhoben.

 
(105.)

(Von der Musik.)

    1   Bist du ein Liebesmann, so trage deine Ketten,
Und wenn du nicht es bist, so suche dich zu retten.
2   Erzittre nicht, daß dich zu Staub die Liebe macht,
Denn ewig wirst du sein, wenn sie dich umgebracht.
3   Nie ist gewachsen und nie wachsen wird ein Laub
Aus Samen, ohne daß wird fest darauf der Staub.
4   Der hat zu Göttlichem die Weihung dir gegeben,
Der von dir selber hat Befreiung dir gegeben.
5   Denn weil du bist bei dir, gelangst zu dir du nicht;
Nur wer nicht bei sich ist, weiß davon den Bericht. 133
6   Nicht Saitenspiel, der Klang von eines Rosses Huf
Ist dir Musik, wenn du vernahmst der Liebe Ruf.
7   Vorm Liebentzückten kann nicht tanzen eine Mücke,
Daß mückengleich die Händ' er übers Haupt nicht zücke.in viel variirter Anschauung spielend aufgefaßt, die Mücke, auch die Ameise, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
8   Nicht Baß kennt noch Discant der sinnverstörte Thor,
Ihn reizt zu Klaggetön der laute Vogelchor.
9   Der Sänger selber hört zu singen niemals auf,
Allein zu hören ist das Ohr nicht immer auf.
10   Wenn in den Liebesrausch Verstörte sind versunken,
Macht eines Wasserrads Getöne schon sie trunken;
11   Alswie das Wasserrad drehn sie im Kreise sich,
Und gleich ihm um sich selbst weinen sie bitterlich.
12   Sie, die ergebungsvoll den Kopf im Kragen tragen,
Wenn die Geduld nun reißt, zerreißen sie den Kragen.
13   O schilt den Derwisch nicht, der trunken taumeln muß;
Er ist es, der ertrinkt, drum zuckt er Hand und Fuß.
14   Was die Musik sei, mußt du, Bruder, mich nicht fragen;
Wer der Musikfreund sei, das mußt du erst mir sagen:
15   Wenn von des Sinnes Höhn sich schwinget sein Gefieder,
So senkt vor seinem Flug sich selbst der Engel nieder;
16   Doch wenn er ist ein Mann des Spiels, des Tands, der Lust,
So wird der Teufel nur ihm stärker in der Brust.
17   Wenn er Musikmann ist und Knecht der Sinnlichkeit,
Macht Wohlgetön ihn schlafberauscht, nicht rauschgeweiht.
18   Am Morgenwind mag sich entzückt die Ros' entfalten,
Ein Holzblock aber wird vom Beile nur gespalten;
19   Die Welt ist voll Musik und Lust und Rausch, doch was
Sieht eines Blinden Aug' in einem Spiegelglas?
20   Siehst du nicht das Kamel, wie Arabergesang
Es in Entzückung setzt? zum Tanze wird sein Gang: 134
20   Ist dem Kamel das Haupt vom Rausch genommen ein;
Der Mensch, dem's so nicht ist, der muß ein Esel sein.

 
(106.)

    1   Süß auf der Flöte Rohr ein Jüngling lernte spielen,
Davon alswie in Rohr in Herzen Funken fielen.
2   Der Vater manchmal warf darob ein Scheltwort scharf
Ihm zu, und selber auch das Rohr ins Feuer warf.
3   Da hört' in einer Nacht er spielen seinen Sohn,
Und in Entzücken so setzt' ihn der Flöte Ton:
4   Er rief, indem der Schweiß drang aus der Stirn hervor:
»Feuer hat mich selbst geworfen jetzt das Rohr.« –
5   O weißt du nicht, warum im Tanz nach allen Seiten
Derwische trunkene so ihre Händ' ausbreiten?
6   Ein Offenbarungsthor erschließt sich ihren Herzen,
Und aus den Händen streun das Dasein sie mit Scherzen.
7   Zu Freundes Ehren ist der Tanz erlaubt dem Mann,
Der schütteln eine Seel' aus jedem Ärmel kann.
8   Gesetzt, daß meisterlich und mannhaft auch im Fluß
Du schwimmest, nackt nur kannst du regen Hand und Fuß.
9   Zieh aus das Heuchelkleid von Namen, Ehr' und Stand;
Denn hülflos ist ein Mann im Wasser mit Gewand.
10   Besitz ist unfrei und hat vorm Gesicht den Schleier,
Wenn du die Bande brichst, bist du des Glückes Freier.

 
(107.)

    1   Zum Schmetterlinge sprach ein Fremder: »Kleiner Wicht,
Warum erwählst du dir gemäße Liebschaft nicht? 135
2   Geh eines Wegs, auf dem du siehst der Hoffnung Schein;
Du hier, die Kerze dort, was habet ihr gemein?
3   Sal'mander bist du nicht, versuche nicht die Glut;
Um in den Kampf zu gehn, bedarf es Mannesmut.
4   Die blinde Maus verkriecht sich vor dem Sonnenstrahl,
Und nur der Unverstand trotzt einer Faust von Stahl.
5   Wer andres, wie du weißt, dir nie im Sinne trug
Als Feindschaft, den zum Freund zu nehmen ist nicht klug;
6   Gewiß sagt niemand dir, du habest gut gethan,
Daß du dein Leben hast in solche Hut gethan.
7   Der Bettelmann, als er freit' um des Sultans Tochter,
Bekam Schläg' hinters Ohr, und eitle Sehnsucht kocht' er.
8   Wie sollt' in Anschlag wol dich bringen eine Braut,
Nach der von Königen und Fürsten wird geschaut?
9   O bilde dir nicht ein, daß anders als verspotten
Sie wird bei ihrem Fest solch einen Bankerotten.
10   Und wenn mit Freundlichkeit sie alle wird begaben,
Unglücklicher, für dich wird sie nur Gluten haben.« –
11   Gib Acht nun, was darauf der glühnde Schmetterling
Erwidert: »Brenn' ich denn, ist das so großes Ding?
12   Wie Abraham hab' ich ein Feuer in der Brust,
Und diese Funken sind die Rosen meiner Lust.
13   Noch ferne war sie mir, als sie mich schon verbrannte,
Nicht damals erst, als ich die Glut in ihr erkannte.
14   Das Herz nicht ist es, das der Liebe Saum ergreift,
Es ist die Liebe, die die Seel' am Kragen schleift;
15   Von selber hab' ich nicht ins Feuer mich gestürzt,
Der Sehnsucht Kett' ist um den Nacken mir geschürzt.
16   Das was an Lieblichkeit das Liebchen hat gethan,
Nicht mit Enthaltsamkeit kämpft man dagegen an.
17   Wer darf mich schelten, daß ich werb' um ihren Gruß?
Da ich zufrieden bin zu sterben ihr zu Fuß. 136
18   Weißt du, warum ich so begierig bin zu sterben?
Wo sie nur da ist, ziemt um Nichtsein mir zu werben.
19   Ich brenne, sollt' ich nicht? Daß von des Liebchens Glut
Er selbst sei angesteckt, ist dem Verliebten gut.
20   Was mahnest du mich nur?: such einen standesgleichen
Genossen dir, an den auch deine Schmerzen reichen!
21   Wer den Verliebten schilt, das ist als ob man spricht
Zu dem vom Skorpion gestochnen: winsle nicht!
22   Verschwende doch an den nicht deiner Weisheit Schatz,
Von dem du weißt, daß er dafür hat keinen Platz.
23   Dem Reiter bügellos, dem Zaum und Zügel brach,
Ruft man vergebens zu: Geselle, reit gemach!
24   Wie artig ist der Spruch im Buche Sindubad:
Lieb' ist das Feu'r, o Sohn, und Wind der gute Rat.Sind'bad, ein altes Buch der Sprüche, in Text gebracht von Asreki. Die Übersetzung hat Sindubad gedehnt, um wie im Persischen zu reimen.
25   Mit jedem Windhauch wird das Feuer glutiger,
Mit jedem Angriff wird der Tiger blutiger.
26   Wenn ich es recht beseh, hast Unrecht du gethan,
Daß du mich weisest nur auf meines gleichen an.
27   Ein besserer als du sei dir zu Nutz erkoren:
Mit einem gleichen hast du deine Zeit verloren.
28   Die Selbstgefälligen gehn auf bequemer Spur,
Ein Liebestrunkener auf der Gefahren Flur.
29   Sobald ich mich begab in diese Lebensfahr,
Begab ich mich zugleich des Lebens ganz und gar.
30   Im Liebespiele setzt sein Haupt ein der Getreue,
Sein eigen Selbst hat lieb der Mutlos-opferscheue.
31   Vom Hinterhalte fällt doch einst der Tod mich an,
Drum ruf' ich lieber ihn von holden Händen an.
32   Da doch der Untergang ist über uns verhängt,
Heil dem, der lieblich ihn von Lieblichen empfängt. 137
33   Wirst du nicht eines Tags unrettbar sterben müssen?
Drum stirbst du besser gleich zu des Geliebten Füßen.«

 
(108.)

    1   Eins Nachts, erinnr' ich mich, als nicht mein Auge schlief,
Hört' ich den Schmetterling, wie er zur Kerze rief:
2   »Ich bin ein Liebender, brenn' ich, so ist es gut;
Woher kommt aber dir das Weinen in der Glut?«
3   Sie sprach: »O armer, der du mußt um mich erblassen,
Es hat mein süßer Freund, der Honig, mich verlassen.Der Honig. Es ist nämlich die Wachskerze, die spricht.
4   Seitdem mich, der so süß wie Schirin war, verließ,
Brenn' ich alswie Ferhad, da Schirin ihn verstieß.«
5   So sprach sie, und ihr rann einmal ums andre wieder
Der heiße Schmerzenstrom die bleichen Wangen nieder:
6   »O Prahler, geh, kein Werk für dich ist Liebesbrand,
Ausdauer hast du nicht, noch Mut zu halten Stand.
7   Die Flucht ergreifst du roh vor einem Fünkchen Glanz,
Ich aber steh bis ich herabgebrannt bin ganz.
8   Wenn einen Flügel dir der Liebe Kuß verbrannt,
Sieh mich an, wie er mich von Kopf zu Fuß verbrannt.«
9   Sie sprach's, und noch war nicht ein Teil der Nacht vergangen,
Da löschte plötzlich sie ein Knab' mit Feuerwangen.
10   Sie rief, indem der Rauch ihr stieg zu Kopfe schon:
»Das ist das Ende, das die Liebe nimmt, mein Sohn.
11   Das ist der Weg, wenn du ihn kennen lernen willst:
Nur das Erlöschen ist's, womit den Brand du stillst.« –
12   Wein' überm Grabe nicht des, der von Liebe starb;
Sprich ein ›Gott sei gelobt‹ daß er die Lieb' erwarb. 138
13   Bist du ein Liebender, entzieh dich nicht dem Schmerz:
Wie Saadi, zieh zurück vom Ird'schen Hand und Herz.
14   Der Todgeweihte geht kühn seinem Ziel entgegen,
Mag regnen auf sein Haupt Stein- oder Pfeileregen.
15   Geh nicht aufs Meer, ich hab' es dir gesagt, gib Acht!
Und gehst du doch, so gib dich in der Fluten Macht.

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