Saadi
Bostan
Saadi

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Fünfte Pforte.

Ergebung.

(139.)

    1   Öl der Betrachtungen brannt' ich in einer Nacht,
Und von Wohlredenheit die Lampe war entfacht.
2   Ein Schwätzer ohne Sinn vernahm mein Wohlgetön,
Und konnte nicht umhin mir zuzurufen: »Schön!«
3   Doch etwas Bosheit schob er alsbald mit hinein;
Denn stille schweigen läßt nicht das Gefühl der Pein.
4   »Die Worte sind beredt, erhaben die Gedanken,
Doch nur in guten Rats und frommer Lehre Schranken,
5   Nicht in der Schilderung von Keul' und Lanzenschaft;
In Dingen dieser Art sind andre meisterhaft.« –
6   Er weiß nur nicht, daß wir nicht haben Lust an Fehde;
Sonst wär' auch da nicht eng der Tummelplatz der Rede.
7   Das Schwert der Zunge wol versteh auch ich zu ziehn,
Durch alle Schreiberein der Welt den Strich zu ziehn.
8   Komm, laß uns einen Gang in diesem Spiele machen,
Für unsers Gegners Haupt den Stein zum Pfühle machen.

 
(140.)

    1   Mir lebt' in Ispahan vor diesem ein Bekannter,
Ein kriegsbegieriger, verwegner, mutentbrannter;
2   Sein Dolch und seine Hand in Blut beständig badend,
Und seines Feindes Herz durch ihn am Feuer bratend.bratend. Ein im Persischen unendlich häufiges, uns meist sehr anstößiges Bild. Es hat das Wort kebâb, gebratnes Fleisch, durch Häufigkeit des Gebrauchs sich ganz abgenutzt. 177
3   Ich sah ihn niemals, daß nicht voll sein Köcher klang,
Aus Spitzen seines Stahls der Feuerfunke sprang.
4   Ein Recke mit der Kraft der Fäuste stiergewaltig,
Von seinem Schrecken ward des Löwen Mut zwiespaltig.
5   Zu schießen wußt' er so mit einem Pfeil ins Ziel,
Daß eines Feindes Leib vom Schuß in zwei zerfiel.
6   Nie sah ich einen Dorn der Rose durchs Gewand
So dringen wie sein Sper drang durch der Schilde Rand.
7   Wo er ein Kämpferhaupt traf mit seines Spießes Flammen,
Da löthet' er ihm Helm und Kopf in eins zusammen.
8   Alswie ein Spatz am Tag des Heuschreckfangs, am Platz
Des Kampfes, gleichviel galt vor ihm Mann oder Spatz.
9   Wenn gegen Feridun er einen Anlauf nähme,
Er ließ ihm Zeit nicht, daß zum Ziehn des Schwerts er käme.
10   Die Tiger senkten scheu vor seiner Kraft die Klauen,
Wenn er ins Hirn des Leun ließ seine Krallen hauen.
11   Wo von ihm ward gefaßt am Gurt ein Kampfgeselle,
Und wär' er ein Gebirg, er riß ihn von der Stelle.
12   Wenn auf Gepanzerte das Sattelbeil er hieb,
So fuhr es durch den Mann, daß es im Sattel blieb.
13   An hohem Mannesmut und edler Männlichkeit
Ward gleich kein zweiter ihm gefunden weit und breit.
14   Mich wollt' in keiner Zeit er lassen aus der Hand,
Weil zu Rechtschaffenen er einen Trieb empfand.
15   Doch unversehens riß von dannen mich die Reise,
Weil mir am Orte nicht zureichte mehr die Speise.
16   Es rückte das Geschick mich von Irak nach Scham,Ispahan im persischen Irak; Scham = Syrien oder dessen Hauptstadt Damask.
Ein gutes Land, wo mir das Weilen wohlbekam.
17   Was soll ich sagen? dort verbracht' ich manchen Morgen
In Arbeit und in Ruh', in Hoffnung und in Sorgen. 178
18   Nun schien vom Lande Scham mein Becher voll zu sein,
Und bei mir stellte sich nach Haus die Sehnsucht ein.
19   Da hatte Zufall es so wunderlich geführt,
Daß wieder durch Irak der Rückweg mich geführt.
20   Das Haupt sank eines Nachts mir in Gedanken nieder,
Und jener Treffliche kam in das Herz mir wieder.
21   Die alte Wunde ward mit frischem Salz begossen;
Denn aus des Mannes Hand hatt' ich das Salz genossen.
22   Um ihn zu sehn, begab ich mich nach Ispahan,
Wo liebevoll nach ihm zu suchen ich begann.
23   Ich fand den jungen Mann vom Lauf der Zeit zum Greise
Gewandelt, seinen Schaft voll Saft zu dürrem Reise;
24   Wie ein Gebirg sein Haupt vom Schnee der Haare blasser,
Vom Schnee der Jahre lief ihm übers Kinn das Wasser.
25   Die Hand des Himmels hatt' an ihm die Meisterschaft
Bewährt, ihm aufgedreht die Faust der Manneskraft.
26   Die Welt hatt' aus dem Kopf den Dünkel ihm gerückt,
Und seiner Unmacht Haupt war auf das Knie gebückt.
27   Ich sprach zu ihm: »O du Leunfänger, stolz von Wuchse,
Was brachte dich herab gleich einem alten Fuchse?«
28   Er lachte drauf und sprach: »Durch die Tatarenschlacht
Ward aus dem Kopfe mir die Kampfbegier gebracht.
29   Starren sah ich das Feld, als wie ein Schilf, von Speren,
Und Kugelregen es dem Feuer gleich verzehren.Das Feuer ist nur bildlich; sie verzehren die Schlachtreihn wie Feuer das Röhricht (Schilf). Eine andere Lesart hat die Kugeln weggeschafft, sagt (ungefähr):
        Und Fahnen flatterten wie Feuer zu den Sphären.
30   Da regt' ich auf den Staub der Schlacht wie Rauch und Dampf;
Doch, wo das Glück nicht hilft, was hilft der Mut zum Kampf?
31   Ich bin der Mann, der wol, wann es zum Angriff ging,
Vom Finger mit der Lanz' herabholt' einen Ring; 179
32   Doch da die Sterne mir nicht Beistand wollten leihn,
So schlossen wie ein Ring die Feinde rings mich ein.
33   Da macht' ich eilig mir den Weg der Flucht zu Nutz;
Denn eines Thoren Faust beut dem Verhängnis Trutz.
34   Was konnte meinem Leib der Panzer, meiner Stirne
Helfen der Helm, da mir nicht halfen die Gestirne?
35   Wenn deine Hände nicht der Obmacht Schlüssel tragen,
Wirst du nicht mit dem Arm des Sieges Thür aufschlagen.
36   Wir waren eine Schar Kampfhelden von Beruf,
In Erz gefaßt das Haupt des Manns und Rosses Huf.
37   Als wir der Feinde Heer wahrnahmen an dem Staube,
War Panzer unser Kleid und Helm war unsre Haube.
38   Arab'sche Rosse gleich Gewölken schwenkten wir,
Und die Geschosse gleich den Schloßen lenkten wir.
39   Zwei Heere stürzten aus dem Hinterhalt zusammen,
Als stürzten auf die Erd' hernieder Himmelsflammen.
40   Vom Pfeileregen dicht wie Hagelkörnerschauer
Schwoll Todessündflut rings hin über Wall und Mauer.
41   Geworfen ward zu kampfbegier'ger Leuen Fange
Die Fangschnur, eine weit den Mund aufthu'nde Schlange.
42   Zum Himmel ward die Erd' im dunkelblauen Staube,
Und Sternen gleich der Blitz von Schwert und Pickelhaube.
43   Wie sich die Reiterei des Feinds auf uns ergossen,
Stemmten wir Schild an Schild entgegen fest geschlossen.
44   Wir spalteten ein Heer mit Pfeilen und mit Speren,
Bis uns das Glück verließ, und wir den Rücken kehren.
45   Was kann mit Macht des Manns gestraffte Faust erzwingen,
Wenn höh'rer Leitung Arm ihm nicht will Beistand bringen?
46   Nicht das gezückte Schwert der Kämpen war so stumpf,
Nur die Feindseligkeit des Glücks war im Triumph.
47   Keiner von unserm Heer war aus des Kampfes Wut
Entkommen, ohne daß sein Kaftan troff von Blut. 180
48   Wie hundert Körner, die in einer Ähre sind,
Zerstoben Korn um Korn wir hier und dort im Wind.
49   Verzagend gaben wir verloren unser Spiel,
Wie wenn ins Netz ein Fisch mit Schuppenpanzer fiel.
50   So mancher bohrte nicht die Spitz' in weiche Seiden,
Von dem ich dacht', er würd' durch einen Amboß schneiden.
51   Da wider uns verzog der Glückstern sein Gesicht,
So half der Schild uns vor dem Pfeil des Schicksals nicht.« –
52   Glückseligkeit ist vom Allmächtigen geschenkt,
Nicht von des Kämpfenden gewalt'gem Arm gelenkt.
53   Wenn du das Glück nicht hast, die Sphären im Azur
Macht nicht Mannhaftigkeit zum Jagdfang deiner Schnur.
54   Da wider'n Himmel man die Hand nicht kann erheben,
Muß man zufrieden sich mit seinem Gange geben.
55   Durch ihre Ohnmacht nicht kommt die Ameis' in Haft,
Und nicht der Löwe frißt durch seine Stärk' und Kraft.
56   Steht längres Leben dir geschrieben, sei nicht bange,
Der Leu zerreißt dich nicht, es beißt dich nicht die Schlange.
57   Und wenn von Lebensfrist kein Teil geblieben dir,
So tötet dich wie Gift ein Lebenselixir.
58   Nicht Rostem, weil er noch sein Nahrungsmaß verzehrt
Nicht hatte, wurde von Schegad's Verrat verheert.
59   Noch Wunderbareres will ich dir nun erzählen,
Wie das Bemühn nicht hilft, wo günst'ge Sterne fehlen:

 
(141.)

    1   Ein Mann der Eisenfaust war einst in Ardebil,
Der schoß wol einen Pfeil selbst durch ein Beil mit Spiel.
2   Ein Kittelträger kam zum Kampf mit ihm heran,
Ein weltanzündender streitfert'ger junger Mann; 181
3   Auf Kampf hatt' er den Sinn gestellt wie Behramgur;
Aus rohem Ellen hing am Nacken ihm die Schnur.Die Schnur = die Fangschnur, ein Jagdwerkzeug, hier die einzige Waffe des Kittelträgers (d. i. Unbepanzerten) (wie David mit der Schleuder vor Goliath); aus rohem Ellen, eigentlich Wildeselscil.-Fell.
4   Als der von Ardebil den Kittelträger sah,
Spannt' er des Bogens Senn' und zog dem Ohr sie nah.
5   So schoß er funfzig Pfeil' auf ihn vom besten Holz,
Doch durch den Kittel bracht' er ihm nicht einen Bolz.
6   Der kühne Bursche kam wie Sal der Held gegangen,
Warf ihm die Fangschnur um und rafft' ihn fort gefangen.
7   Ins Lager schleppt' er ihn und band mit einem Strick
Ans Zelt wie einem Dieb die Arm' ihm ins Genick.
8   Die ganze Nacht durch hielt ihn Scham und Ärger wach;
Am Morgen hört' er, wie vom Zelt ein Diener sprach:
9   »O der du Sper und Pfeil machst durch das Eisen dringen,
Ein Kittelträger wie konnt' er dich so bezwingen?«
10   Ich hörte, daß er sprach und weinte still ergeben:
»O weißt du nicht? wer kann am Tag des Todes leben?
11   Wol bin ich jener, der im Schick von Stoß und Schlag
Dem Rostem Unterricht der Kriegskunst geben mag;
12   Da stark des Glückes Arm für mich sich schlug ins Mittel,
Da war für mein Geschoß ein Panzer nur ein Kittel;
13   Nun sich von meiner Faust gewandt des Glücks Anteil,
Ist Eisenplatten gleich ein Kittel meinem Pfeil.« –
14   Am Tag des Schicksals wird der Sper den Panzer schlitzen,
Und ohne Schicksal wird er nicht ein Hemde ritzen.
15   Wem übern Nacken ist Verhängnisschwerts Gewalt,
Ist nackt, ob immer sei sein Panzer zehenfalt.
16   Und steht Geschick ihm bei, und deckt ihm Glück den Rücken,
Kann auch ein Fleischerbeil den nackten nicht zerstücken. 182
17   Nicht Lebensfristung hat des Weisen Kunst erworben;
An Unverdaulichem ist nicht der Narr gestorben.

 
(142.)

    1   Von Leibweh war ein Kurd' in einer Nacht geplagt;
Von diesem hat ein Arzt der Nachbarschaft gesagt:
2   »Da dergestalt der Mann Goldblättchen niederschlingt,[»Goldblättchen«, vielmehr »Weinblätter«; raz, nicht zar.]
Verwundr' ich mich, wenn er die Nacht zu Ende bringt.
3   Denn kein Tatarenpfeil im Busen ist so graulich
Als in dem Eingeweid die Nahrung unverdaulich.
4   Wenn eine Falte macht ein Bissen in dem Magen,
So hat sein Leben in den Wind der Thor geschlagen.« –
5   Der Zufall wollte, daß der Arzt starb in der Nacht,
Und jener hat es noch auf vierzig Jahr gebracht.

 
(143.)

    1   Es war ein Eselein gefallen einem Bauer,
Den Kopf steckt' er am Pfahl auf seine Gartenmauer.
2   Ein welterfahrner Mann des Wegs vorüberfuhr,
Und lächelnd sprach er zum Behüter jener Flur:
3   »Bei deines Vaters Haupt! denk nicht, daß dieser Held
Vorm bösen Auge dir beschützen wird das Feld.
4   Den Prügel konnt' er selbst sich nicht von Kopf und Ohren
Abwehren, bis er wund und kraftlos ging verloren;
5   Soll er des bösen Augs Bezaubrung deinem Garten
Abwehren nun? du kannst es nicht von ihm erwarten.« –
6   Wie kann ein Arzt dir Rat für deine Krankheit schaffen,
Den ratlos selber muß dahin die Krankheit raffen?

 
(144.)

    1   Ich hörte, daß der Hand des armen Manns entfiel
Ein Dinar, und danach er suchte lang und viel.[Dinar, Goldstück.]
2   Das hoffnungslose Haupt hat er zuletzt gewandt;
Da kam ein anderer, der sucht' ihn nicht, und fand. –
3   Der Griffel über uns schrieb gut und böses Loos,
Als noch bewußtlos uns umfing der Mutterschoß.
4   Die Nahrung wird nicht durch der Fäuste Kraft gegessen,
Sie wird der stärksten Faust am schmalsten zugemessen.
5   Manch Wohlberatener ist nicht der Not entflohn,
Und ein Ratloser trug der Rettung Ball davon.

 
(145.)

    1   Ein Mann empfinden ließ sein Kind des Stocks Gewicht;
Es rief: »Unschuldig bin ich, Vater, schlag mich nicht!
2   Wenn andre weh mir thun, dir kann ich's klagen nur;
Was aber soll ich thun, wenn ich's von dir erfuhr?« –
3   Zur Allmacht schreie du, wenn dir nicht Sinn gebricht,
Doch übern starken Arm der Allmacht schreie nicht.

 
(146.)

    1   Ein Mann hieß Bachtiar, besonnt von Glückes Strahl,
Der groß Vermögen hatt' und reiches Kapital. 184
2   Im Bettlerviertel war gelegen dessen Haus;
Wie Waizenkörner maß er Gold mit Scheffeln aus.
3   Nur ihm in dem Quartier war Geld und Gut verliehn;
Not war der Andern Teil und Mangel und Ruin.
4   Ein Bettler, wenn er sieht den Reichen in der Pracht,
Ist brennender in ihm der Mangel angefacht.
5   Mit ihrem Manne lag ein Weib in hartem Strauß,
Wenn er mit leerer Hand zu ihr kam Nachts nach Haus:
6   »Kein Bettler ist wie du so glück- und nahrungslos;
Der roten Hummel gleich hast du den Stachel blos.nur den Stachel, nicht, wie die Biene, auch Honig.
7   Von deinen Nachbarn geh und lerne Mannesmut;
Ich bin die Hure nicht, die unbezahlt es thut.
8   Manch anderer hat Gold und Silber, Gut und Sachen;
Kannst du wie er nicht auch zum Freund des Glücks dich machen?«
9   Der lautren Willen trug in seinem wüllnen Kleid,
Schrie wie die Trommel laut aus leerer Weiche schreit:
10   »Mir ist die Hand mit Kraft zu etwas nicht versehn;
Kannst du des Schicksals Hand mit deiner Faust aufdrehn?
11   In keines Händen liegt die freie Wahl fürwahr,
Daß ich mich wandeln könnt' in einen Bachtiar.«Bachtjar = Glücksfreund, daher der Name V. 1.

 
(147.)

    1   Es war im Lande Kisch ein alter Derwisch dort,
Der sprach zur häßlichen Genossin schön dies Wort:
2   »Da Häßlichkeit dir gab das ewige Gericht,
So wende keine Schmink' ans häßliche Gesicht.« –
3   Wer bringt je mit Gewalt das gute Glück zur Stelle?
Wer macht mit Augensalb' ein blindes Auge helle? 185
4   Nicht bei Bösartigen wird Gutesthun gefunden;
Thöricht ist, Menschenthum zu suchen bei den Hunden.
5   Die Philosophen all von Jonien und Rum
Verstehn nicht Honigseim zu machen vom Zakum.Zakum, Giftbaum.
6   Vom Roste magst du wol den Spiegel machen rein,
Doch machen kannst du nicht den Spiegel aus dem Stein.
7   Ein Vieh wird nicht durch Zucht zum Menschen umgeboren,
Und die Erziehungskunst geht am Versuch verloren.
8   Die Rose wächst durch Fleiß nicht an dem Weidenreis,
Und nicht der Zenge wird durch warme Bäder weiß.Zenge, aus Zangebar = Mohr.
9   Da nicht den Schicksalspfeil abwendet Widerstrebung,
So bleibt kein ander Schild dem Diener, als Ergebung.

 
(148.)

    1   Zum Weihen sprach einmal der Aar am Himmelszelt:
»Fernsichtiger als ich ist niemand auf der Welt.«
2   Der Weihe sprach: »Wolan, das wollen wir erproben:
Was in der Wüste dort ersiehst du von hier oben?«
3   Ich hörte, daß soweit als eine Tagereise
Von oben nieder er blickt' auf das Feld im Kreise.
4   Dann sprach er so: »Ich seh', wenn du mir glauben willt,
Ein einzeln Waizenkorn liegt dort im Blachgefild.«
5   Da hielt der Weihe nicht sich vor Verwunderung;
Sie nahmen aus der Höh' zur Niederung den Schwung.
6   Doch als der Aar hinan zum Körnlein wollte dringen,
Fühlt' er um seinen Fuß sich winden mächt'ge Schlingen.
7   Da sprach der Weih: »Was half's, das Körnlein zu erblicken,
Wenn dir die Sehkraft fehlt vor deines Feindes Stricken?« 186
8   Ich hörte, daß der Aar sprach mit dem Hals im Strick:
»Ach, keine Vorsicht hilft entgehen dem Geschick.« –
9   Ja, wenn der Todestag soll wessen Blut vergießen,
Wird das Verhängnis ihm den scharfen Blick verschließen.
10   Nicht jede Muschel ist von einer Perle trächtig,
Und nicht die Scheibe trifft jedweder Pfeil bedächtig.
11   In einem Wasser, wo du siehest nicht den Rand,
Führt nicht zu gutem Ziel des Schwimmers Unverstand.

 
(149.)

    1   Wie schön sprach der Gesell, der bunte Zeuge wob,
Als Elephant, Giraff' und Greif hervor er hob:
2   »Es geht hier kein Gebild aus meiner Hand hervor,
Das mir nicht obenher zeichnet der Meister vor.« –
3   Mag deines Glücks Gebild gut oder übel sein,
Entworfen hat es Er mit Schicksalshand allein.
4   Abgötterei ist noch darin versteckt, wer denkt:
»Geschlagen hat mich Seid, und Amru mich gekränkt.«Seid und Amru = der und jener, wie oben (103.).
5   Doch wenn ein Auge dir des Schicksals Herr verleiht,
So siehest du hinfort nicht Amru mehr noch Seid.
6   Ich glaube nicht, daß, wenn der Knecht bescheiden schweigt,
Von seinem Unterhalt etwas der Herr ihm streicht.
7   Er, der dein Leben schuf, verleih' ihm sein Erquicken!
Denn, was nicht Er beschafft, wer könnte dir's beschicken?

 
(150.)

    1   Zu der Kamelin sprach einst unterwegs ihr Fohlen:
»Willst du nach langem Marsch nicht einmal Atem holen?« 187
2   Sie sprach darauf: »Hätt' ich in meiner Hand den Zaum,
So sollte niemand hier mich sehen unterm Saum.« –
3   Der Schiffsherr lenkt das Schiff, wohin er's lenken wollte,
Und wenn der Nichtherr sich das Kleid zerreißen sollte.
4   O Saadi, richte nicht auf jemands Hand die Blicke;
Der Geber ist allein der Lenker der Geschicke.
5   Bist du ein Knecht des Herrn, laß andrer Herren Thüren;
Denn, wenn er ausstößt, wer vermag' dich einzuführen?
6   Setzt er dir Kronen auf, so heb' den Kopf empor;
Wo nicht, so kraue dir nur hoffnungslos das Ohr.

 
(151.)

    1   Andacht aus innerm Trieb ist angenehm dem Herrn;
Wo nicht, was kommt heraus bei Schalen ohne Kern?
2   Ob Feuranbetergurt, ob Kutt', ist einerlei,
Wenn du sie trägst, damit das Volk bestochen sei.
3   O prunk', ich sag' es dir, mit deiner Mannheit nicht;
Und hast du dich als Mann gezeigt, so sei kein Wicht.
4   Nach Maß des Seins gebührt zu legen an den Schein;
Beschämung trägt davon, wer Schein bringt ohne Sein.
5   Denn zieht man von dem Kopf ihm die geborgten Kappen,
So sieht man an der Brust die alten Kleiderlappen.
6   Wenn klein du bist, gib nicht Holzfüße deinen Beinen,
Um in der Kinder Aug' als Großer zu erscheinen.
7   Wie fein versilbert du dein Kupfer hast, es geht
Doch auszugeben nur an den, der's nicht versteht.
8   O liebe Seele, drum vergolde nicht den Heller;
Denn gelten wird er doch nichts auf des Wechslers Teller. 188

 
(152.)

    1   O weißt du nicht, was einst Baba vom Berge rief
Dem Manne, der die Nacht aus Heiligkeit nicht schlief?:
2   »Befleiß', o liebes Herz, dich inn'rer Eigenschaften;
Denn von den äußern wird an dir kein Vorteil haften.
3   Nur solche, welche sind vom Außenwerk erbaut,
Die haben das Gepräg bis jetzt an dir beschaut.
4   Was ist ein Diener wert, schön wie ein Himmelskind,
Dem unter dem Gewand aussätz'ge Glieder sind?
5   Ins Paradies kannst du mit Kunst dich stehlen nicht;
Den Schleier zieht man dir vom häßlichen Gesicht.«

 
(153.)

    1   Ein Unerwachsener wollt' eines Tages fasten;Der impubes braucht nicht zu fasten.
Schwer bis zur Frühmahlzeit trug er des Fastens Lasten.
2   Sein Führer brachte heut ihn nicht zur Schule hin;
So großes Wunder nahm des Kleinen Andacht ihn.
3   Der Vater küßt' aufs Aug', aufs Haupt die Mutter ihn,
Sie streuten auf das Haupt ihm Gold und Mandeln hin.
4   Doch als nun über ihn der Mittag hergekommen,
Da war in ihm ein Brand der Eingeweid' entglommen.
5   Er sprach bei sich: »Wenn ich nehm' einen Bissen Futter,
Nicht merken werden es der Vater und die Mutter.«
6   So richtete sein Blick nur auf die Menschen sich;
Er aß und trank geheim, und fastet' öffentlich.
7   Nun ist viel thörichter als dieses Kind ein Mann,
Der für die Welt den Schein der Frömmigkeit legt an. 189
8   Ein Schlüssel zu der Höll' ist das Gebetgepränge,
Das für der Menschen Blick du ziehest in die Länge.
9   Will du auf anderm Weg als dem der Wahrheit schreiten,
Wird man aufs Feuer dir den Beteteppich breiten.

 
(154.)

    1   Ein alter Sünder fiel, so hört' ich, von der Stiegen,
Und in dem Augenblick mußt' ihm die Seel' entfliegen.
2   Der Sohn begann um ihn zu weinen ein paar Tage,
Dann saß er wiederum mit Freunden beim Gelage.
3   Den Vater sah er Nachts in einem Traumgesicht,
Und fragt' ihn: »Sprich, wie kamst du durch bei dem Gericht?
4   Er sagte: »Sohn, davon wird füglicher geschwiegen;
Gefallen bin ich in die Hölle von der Stiegen.« –
5   Wer ohne Schaugepräng auf schlichtem Wege geht,
Ist besser als voll Wust im Innerm ein Asket.
6   Gefallen lass' ich selbst den nächtlichen Banditen
Mir lieber, als den Schelm im Kleid des Eremiten.
7   Wer an der Thür der Welt sich Mühe macht und Plage,
Was soll ihm geben Gott für Sold am jüngsten Tage?
8   Erwarten darfst du nicht von Amru deinen Lohn,
Wenn du im Haus des Seid thatst deinen Dienst, o Sohn.
9   Ich glaube nicht, daß je zum Freunde hin sich fand,
Wer nicht auf diesem Weg nach ihm blickt' unverwandt.
10   Geh graden Wegs, so kommst du ins Quartier mit Glück;
Du bist nicht auf dem Weg, drum bleibest du zurück:
11   Dem Rind der Kelter gleich, dem man die Augen bindet,
Das taglang geht und Nachts am selben Ort sich findet.
12   Den, der dem Hochaltar das Antlitz abgewandt,
Hat als Ungläubigen die Nachbarschaft erkannt; 190
13   Du aber betest auch zur Kibla mit dem Rücken,
Wenn auf den Herrn allein nicht deine Wünsche blicken.
14   Den Baum, von welchem fest im Grund die Wurzeln kleben,
Den pflege du, er wird dir künftig Schatten geben;
15   Wenn dir im Grunde nicht der Treue Wurzeln liegen,
Wird niemand als du selbst dich um die Frucht betrügen.
16   Wer seinen Samen streut auf steiniges Gelände,
Zur Zeit der Ernte kommt kein Korn ihm in die Hände.
17   O lege Wert nicht bei dem Schein der Heuchelei;
Denn diesem Wasser wohnt der Schlamm im Grunde bei.
18   Wenn im Verborgenen du unnütz bist und böse,
Was hilft dir's, daß du deckst mit gutem Schein die Blöße?
19   Leicht ist's, mit Heuchelei die Kutte wol zu flicken,
Wenn du nur Gott damit vermöchtest zu bestricken.
20   Was wissen Menschen, wer steckt in des Kleides Falten?
Der Schreibende nur weiß, was in dem Brief enthalten.
21   Was kann ein Sack voll Wind dort haben für Gewicht,
Wo die Gerechtigkeit die Wag' hält im Gericht?
22   Der Gleißner, der so voll von frommem Wesen stak,
Als man es recht besah, war nichts in seinem Sack.
23   Des Kleids Auswendig schmückt man mehr als sein Inwendig;
Denn dieses bleibt verdeckt, und das sieht man beständig.
24   Ein Edler aber ist ums Ansehn ohne Sorgen,
Und Seidenfutter trägt er im Gewand verborgen.
25   Doch wenn du auf der Welt willst machen ein Geschrei,
Leg' außen Seiden an, was drein gestopft auch sei.
26   Zum Scherz ist nicht dies Wort von Bajesid gekommen:
»Dem Leugner trau' ich ehr als dem geflißnen Frommen.« –
27   Sultane, Schahinschah' und aller Fürsten Chor
Sind miteinander nur die Bettler hier am Thor.
28   Vom Bettler suchet nichts, wer Sinn hat und Verstand;
Wer hält an dem sich, der gefallen, mit der Hand? 191
29   Hast du auf Gott im Dienst gerichtet dein Gesicht,
Ob auch dich Gabriel nicht sehn mag, schadet's nicht.
30   Sohn, nütz ist dir der Rat von Saadi früh und spat,
Wenn du ins Ohr ihn nimmst wie eines Vaters Rat.
31   Wenn du Gehör nicht jetzt wirst meinen Worten geben,
O mögest du es nicht bereun in jenem Leben!
32   Wenn einen besseren Berater du verlangst,
Ich weiß nicht, was du einst nach meinem Tod erlangst;
33   Schwer ist ein besserer Berater dir gesucht,
O Bruder, pflücke dir von diesem Baum die Frucht!

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