Saadi
Bostan
Saadi

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(4.)

Erste Pforte

Gerechtigkeit und gutes Regiment.

    1   Des Himmels Gnaden sind in Zahl nicht anzuschlagen;
Was kann für Dienste wol des Dankes Zung' abtragen?
2   O Gott, laß diesen Schah, der Armen Freundeshort,
In dessen Schatten ist des Volkes Friedensport,
3   Laß ihn beständig ob des Volkes Häupten schweben,
Und stets sein Herz die Kraft der Frömmigkeit beleben.
4   Dem Baum der Hoffnungen erhalt den Früchtekranz,
Die Scheitel grün, die Wang' erhellt von Himmelsglanz.
5   Den Weg des Wortgeprängs, o Saadi, wandle nicht;
Hast du Aufrichtigkeit, so bring sie treu und schlicht.
6   Ein Wegekund'ger du, ein Pilger ist der Schach,
Du bringst die Wahrheit gern, er strebt der Wahrheit nach.
7   Es thut fürwahr nicht noth, daß du den Himmelsplan
Neunthronig untern Fuß legst dem Kisil Arslan.
8   Sag nicht: Setz auf's Gestirn den Fuß der Selbsterhebung!
O sag: Leg in den Staub das Antlitz der Ergebung!
9   Die Stirne lege mit Gehorsam auf die Schwelle!
Das ist Rechtsinnigen die rechte Betestelle.
10   Bist du ein Knecht des Herrn, so leg an seinem Throne
Dein Haupt hin, und vom Haupt des Herrschertumes Krone.
11   Am Fuße seines Throns, des Herrn der Herrlichkeit,
Trag, wie dem reichen Mann ein Bettler, vor dein Leid. 11
12   Bringst du dein Opfer dar, so trag nicht das Gewand
Der Herrschaft, sondern fleh als Bettler leer von Hand:
13   »O du der Reiche, der Nahrunggewährende,
Du bist der Mächtige, der Bettlernährende.
14   Kein Volksgebieter, Reicheroberer bin ich;
Der Bettler einer deines Thors, o Herr, bin ich.
15   Was kann mein eignes Thun mit seiner Hand vollbringen,
Wenn deiner Gnade Hand nicht beisteht mit Gelingen?
16   Handreichung gibst du mir zum Guten und zum Frommen;
Wie könnte sonst von mir zu andern Gutes kommen?
17   O Gott, verleihe mir zum Guteswirken Stärke,
Unmächtig ohne dich bin ich zu jedem Werke.«
18   So bete du bei Nacht dem Bettler gleich und klage,
Und wenn du dieses thust, bist du der Fürst am Tage;
19   Die Helden hochgenackt zum Dienste dir geschürzt,
Du selbst zum Staub der Schwell' in Andacht hingestürzt.
20   O Heil den Dienern, die da dienen solchem Herrn,
Der dienend seine Pflicht dem Herren darbringt gern.

 
(5.)

    1   Die Überlieferung erzählt von frommen Männern,
Mit wahrer Einsicht Blick begabten Wahrheitskennern:
2   Daß einen Tiger einst ein Gottesmann beschritt,
Und so, mit einer Schlang' in seiner Hand, ihn ritt.
3   Zu ihm sprach einer nun: O Gottes Wegbereiser,
Im Wege den du gehst o sei mein Wegeweiser.
4   Wie fingst du's an, daß dir das Wilde ward zum Zahmen,
Des Glückes Siegelring geprägt mit deinem Namen?
5   Er sprach: »Wenn unterthan mir Tiger ist und Schlange,
Und Aar und Elephant, verwundre dich nicht lange. 12
6   Entzieh du göttlichem Gebot den Nacken nicht,
Und auf der Welt wird nichts entziehn sich deiner Pflicht.« –
7   Wo ein Befehlender dem Höchsten zu Befehle
Sich hält, den schützet er, daß seiner Macht nichts fehle.
8   Undenkbar ist's, daß er, wenn er zum Freunde dich
Genommen hat, geb' in die Hand der Feinde dich.
9   Es kommt der gute Rat zu Statten einem Mann,
Wenn seine Seele Lust an Saadi's Wort gewann.

 
(6.)

    1   Ich hörte, daß, als ihn der Todeskampf kam an,
Zu Hormus seinem Sohn sprach also Nuschirwan:
2   »Auf deiner Armen Glück und Ruh sei du beflissen,
Nicht auf Gemächlichkeit und eigne Ruh beflissen.
3   In deinem Lande wird niemand der Ruhe pflegen,
Wenn dir vor allem ist an deiner Ruh gelegen.« –
4   Gutheißen wird es nicht der Weise, daß im Schlafe
Der Hirte liegt, indeß der Wolf fällt in die Schafe.
5   Geh und nimm dich der Hut des armen Volkes an,
Denn seine Krone trägt der Fürst vom Unterthan.
6   Die Wurzel ist das Volk, der Sultan ist der Stamm;
Den Stamm, o Knabe, hält allein die Wurzel stramm.
7   Wo möglich, mache nie des Volkes Herzen wund,
Du unterwühlest sonst den eignen Wurzelgrund.
8   Dafern am Herzen dir der Richtweg liegt der grade,
Den Frommen, wisse, dient Hoffnung und Furcht zum Pfade.
9   Denn einem Manne wird die Weisheit zur Natur
Durch Furcht des Bösen und Hoffnung des Guten nur.
10   Wo bei dem Fürsten sind die zwei zugleich gefunden,
Da ist ein sichrer Hort in solchem Reich gefunden. 13
11   Denn einen Hoffenden wird er mit Huld bedenken
Aus Hoffnung jener Huld, die Gott ihm selbst wird schenken.
12   Und einen Schaden thut er gerne keinem an,
Er fürchtet, daß sein Reich auch Schaden mög' empfahn.
13   Doch wo die Sinnesart in seinem Wesen fehlt,
Da sei auf Friede nicht in seinem Reich gezählt.
14   Der mag des Reiches Flor hinfort im Träumen schauen,
Durch den verödet sind des Volkes Herzensauen.
15   Verödung ist die Frucht von Druck und übler Namen,
Das wissen alle, die zu tiefrer Einsicht kamen.
16   Man darf nicht ungerecht die Unterthanen drücken,
Weil für die Herrschaft sie der Schirm sind und der Rücken.
17   Nimm dich des Bauren doch um deinetwillen an,
Denn doppelt Werk thut ein vergnügter Arbeitsmann.

 
(7.)

    1   Ich hörte, daß Chosro so zu Scheruje sprach
Im Augenblick als ihm der Blick des Auges brach:
2   Auf eines richte dich, woran du immer denkest,
Daß du den Blick auf's Wohl der Unterthanen lenkest.
3   Den Nacken wend', o Sohn, nie von des Rechtes Spende,
Damit von deiner Hand das Volk den Fuß nicht wende.
4   Es wird der Unterthan vorm Ungerechten fliehn,
Und in der Welt macht er zum bösen Märchen ihn.
5   Nicht lange steht es an, und selber untergrub
Der seines Baues Grund, wer bösen Bau erhub.
6   Verwüsten kann sosehr kein Feindesschwert das Land
Als eines alten Weibs Gestöhn aus Herzensbrand.
7   Hast du nicht oft gesehn, daß eine Witwe hat
Ein Lämpchen angesteckt, davon verbrannt die Stadt? 14
8   Wer hat ein besser Teil erwählt in dieser Welt
Als wer die Herrschaft in gerechten Händen hält?
9   Wann ihn die Reihe trifft aus dieser Welt zu gehn,
Werden sie auf sein Grab Erbarmung niederflehn.
10   Da beides, Gut und Bös, der Sturm der Zeit vertreibt,
Ist's besser, daß nach dir ein guter Name bleibt.
11   Dem Gottesfürchtigen vertrau des Volkes Pflege,
Denn urbar macht das Reich, wer geht auf frommem Wege.
12   Der ist dein eigner Feind, wer trinkt des Volkes Blut
Und durch des Volkes Druck vermehren will dein Gut.
13   Wenn du die Guten pflegst, wirst du nichts Böses sehn;
Wenn du die Bösen hegst, wird übel dir geschehn.
14   Sünd' ist es, die Gewalt in dessen Hand zu geben,
Vor des Gewalthand sich zum Himmel Händ' erheben.
15   Solch einen Feind des Volks bestraf nicht um sein Gut,
Ihn mit der Wurzel auszurotten das ist gut.
16   Dem ungerechten Vogt des Landes gib nicht Frist,
Um ihn zu schinden, wann er fett geworden ist.
17   Im Anbeginn sollst du des Wolfes Kopf abschlagen,
Nicht erst wann er das Schaf der Leute hat im Magen.

 
(8.)

    1   Wie schön der Kaufmann sprach, der fiel in Räuberhand,
Als mit Geschossen ihn die freche Schaar umstand:
2   Wo Wegelagerer so mannhaft sind, fürwahr,
Da ist die Reichsmannschaft gleich einer Weiberschaar.
3   Der Fürst, in dessen Land der Kaufmann wird gekränkt,
Der hat für Stadt und Land des Heiles Thor verschränkt.
4   Wie soll ein andermal dahin ein Kluger kommen,
Wo er hat vom Gerücht so schlimmen Brauch vernommen? 15
5   Wenn angenehm im Land dein Name werden soll,
So halt den Reisenden und den Gesandten wol.
6   In kurzen Tagen wird das Reich zu Grunde gehn,
Aus welchem Reisende mit Herzenswunde gehn.
7   Sei du ein Fremdenfreund, ein Wandererverpfleger,
Ein Wandrer ist durchs Land des guten Namens Träger.
8   Den Pilger ehrenvoll, den Gast auch halte gut,
Vor ihrer Fährlichkeit sei gleichwol auf der Hut.
9   Vor Fremden sicher dich zu stellen mag dir frommen,
Weil Feinde leichtlich im Gewand der Freunde kommen.
10   Die alten Diener laß bei dir im Werte steigen,
Nie als Verräter wird sich solch ein Pflegling zeigen.
11   Wenn ein Dienstleistender bei dir gealtert ist,
Vergiß nicht, schuldig was du seinen Jahren bist.
12   Wenn der Dienstleistung Hand das Alter ihm zerbrach,
Zur Wohlthat blieb dir selbst die Hand wie vor so nach.

 
(9.)

    1   Ich las, daß Schapur's Stolz den Athem eingezogen,
Als seine Pfründe ward von Chosro eingezogen.
2   Als seinen Zustand er zu Grunde sah gerichtet,
Da hat er einen Brief so an den Schah gerichtet:
3   Schah, der in Ordnung hält die Lande weit und breit,
Wenn ich nicht bleibe, du verbleib in Herrlichkeit.
4   Nachdem die Jugend ich auf deinen Dienst verwandt,
O treibe mich nicht jetzt im Alter aus dem Land.
5   Den armen Flüchtling, dem das Haupt ist schwer von Wirren,
O quäl ihn nicht und laß ihn in der Fremd' umirren.
6   Mit deinem Zorne nicht brauchst du ihn erst zu zwacken,
Ihn, dem als ärgster Feind sein Unmut sitzt im Nacken. 16
7   Und war einst Persien das Vaterland des Braven,
Send' ihn zu Arabern, zu Griechen nicht, noch Slaven.
8   Denn sagen würden sie: Verwünscht sei jenes Land,
Aus welchem Leute sind von solcher Art verbannt.

 
(10.)

(Verwaltungsmaßregeln und Regierungsgrundsätze.)

    1   Wähl den Wohlhabenden, um ihm ein Amt zu geben;
Ein Habeloser wird nicht vor dem Sultan beben.
2   Der Habelose zieht den Kopf zur Schulter ein,
Und weiter kommt dann nichts von ihm heraus als Schrei'n.
——
3   Wenn ein Aufseher hat des Amtes Treu verletzt,
So werde selbem ein Aufpasser beigesetzt.
4   Wenn dann sich dieser auch mit ihm versteht zuletzt,
So werd' Aufseher und Aufpasser abgesetzt.
——
5   Gott fürchten soll, wem du vertrauest eine Pflicht;
Wenn dein Vertrauter dich nur fürchtet, trau ihm nicht.
6   Vor Gottes Rechenschaft sei dem Vertrauten bange,
Vor Rechenkammer nicht, Verweis und Untergange.
7   Schütt aus vor dir die Meng' und zähle fein mit Ruh,
Nicht unter hunderten solch einen findest du.
——
8   Zwei Kameraden und vertraute Schulgesellen
Mußt du zusammen nicht auf einen Posten stellen.
9   Wer weiß, sie machen dort gemeinschaftliche Sache,
Der eine macht den Dieb, der andre steht ihm Wache.
10   Wenn vor einander Furcht die Räuber selber haben,
Kann sicher mittendurch die Karawane traben. 17
11   Hast einen du gesetzt von seiner Würde nieder,
So schenk nach ein'ger Zeit ihm deine Gnade wieder.
12   Denn einem Hoffenden Gewährung zu verleihn,
Ist so verdienstlich, wie Gefangne zu befrein.
13   Dem Angestellten, wenn ihm der Bestallung Säul'
Entzogen worden, reißt nicht ab der Hoffnung Seil.
——
14   Dem Dienstbeflißnen soll ein Schah auf seinem Throne
So streng sich zeigen, wie ein Vater seinem Sohne.
15   Bald schlagen wird er ihn, damit er Schmerz empfinde,
Das Wasser bald vom Aug' ihm wischen ab gelinde.
16   Sei lind, alsbald gibt er dem Übermute Statt,
Und wenn du strenge bist, so wird er deiner satt.
17   Drum, Streng' und Lindigkeit verbunden, das ist gut,
Wie'n Bader schlägt die Wund' und drauf das Pflaster thut.
——
18   Freigebig, holden Sinns und liebreich sollst du sein;
Wie Gott es dir gestreut, sollst du dem Volk es streun.
19   Zur Welt kam niemand der dort frei von Grame bleibt,
Und der nur bleibt, von dem ein guter Name bleibt.
20   Gestorben ist der nicht, von welchem bleibt zur Stelle
Die Brücke, das Bassin, das Gasthaus, die Kapelle.
21   Wem ein Andenken nicht zu stiften ist verliehn,
Desselben Daseinsbaum ist nicht zur Frucht gediehn.
22   Und wer da ging und ließ nicht solche Spuren nach,
Nachsenden soll man ihm ins Grab kein frommes Ach.
——
23   Wenn vor der Welt dich soll ein guter Name schmücken,
Mußt du den Namen nicht der Guten unterdrücken.
24   Nach deines Herrschens Zeit o stell dasselbe Bild
Dir vor, das von der Zeit vormal'ger Herrscher gilt. 18
25   So hatten sie auch Lust und Freude zu genießen,
Und gingen endlich fort, indem sie alles ließen.
26   Der eine trug davon den guten Namen nur,
Der andre hinterließ des Bösen ew'ge Spur.
——
27   Nicht höre gern, was dir sagt der Verläumdung Mund;
Doch ist es dir gesagt, so geh ihm auf den Grund.
28   Von dem, der sich verging, nimm an des Unbedachtes
Entschuldigung, und Flehn um Schonung schonend acht' es.
29   Wenn sich ein Fehlender ergeben deiner Macht,
Nicht auf den ersten Fehl sei er gleich umgebracht.
30   Wenn man's ihm einmal sagt und er den Rat nicht hört,
Dann sei zur Witzigung ihm Haft und Band beschert.
31   Wenn aber dann an ihm nicht haftet Rat noch Haft,
So ist's ein schlechter Baum, laß umhaun seinen Schaft.
32   Doch, eh des Lebens, sei der Freiheit er beraubt,
Denn nicht zu heilen ist ein abgeschlagnes Haupt.
33   Bist du ob dem Vergehn von jemand ungehalten,
Laß über seine Straf' erst Überlegung walten.
34   Zerbrechen kannst du leicht den Bedachschan-Rubin,
Nicht wieder kannst du doch zusammensetzen ihn.

 
(11.)

    1   Von Omman's Küste kam einmal ein Mann daher,
Der Reisen viel gethan weit über Land und Meer,
2   Der Araber gesehn und Perser, Griechen, Türken,
Und Wissenschaft gesucht in allen Weltbezirken.
3   Er war an hohem Wuchs dem stämm'gen Baume gleich,
Allein vom Glück gebeugt, nicht an Belaubung reich.
4   Schriftrollen hatt' er aufgestapelt an zweihundert,
Doch selber abgebrannt war er bei soviel Zunder. 19
5   Er kam in eine Stadt herein vom Meeresstrande,
Da war ein Mächtiger der Oberherr im Lande,
6   Der guten Namen sich am Herzen liegen ließ,
Und unterwürfig gern sich Derwischen erwies.
7   Da wuschen ihm des Schahs dienstbare Leut' im Bade
Alsbald von Kopf und Leib den Staub der Wanderpfade.
8   Wie auf des Fürsten Schwell' er nun sein Haupt gesenkt,
Lobpreisend hielt die Händ' er vor der Brust verschränkt;
9   So schritt er in den Saal der Fürstenherrlichkeit:
»Dir bleibe jung das Glück, die Herrschaft dienstbereit!«
10   Da sprach der Schahinschah: Woher bist du gekommen,
Und wie geschah's, daß du den Weg zu uns genommen?
11   Was hast du hier im Land gesehn von Bös und Gut?
Davon gib uns Bericht, o Mann von edlem Mut.
12   Er sprach: »O waltender im weiten Erdenrunde,
Dein Helfer bleibe Gott, das Glück mit dir im Bunde.
13   In diesem Reiche bin ich nirgends eingekehrt,
Wo ich gefunden hätt' ein Herz von Not beschwert.
14   Auch fand ich nicht ein Haupt von Rausche schwer und wüst,
Die Schenkenhäuser selbst nur fand ich leer und wüst.
15   Des Königs edlem Sinn genügt wol dieser Schmuck:
Zufrieden ist er nicht, daß jemand leide Druck.«
16   So sprach er fein und goß Juwelen aus dem Schoß,
Daß bald von Huld dem Schah der Ärmel überfloß.
17   Des Manns Wohlredenheit erwarb sein Wohlgefallen,
Er rief ihn zu sich her und ehrt' ihn hoch vor allen.
18   Er gab Gold und Juwel zum Danke daß er kam,
Nach seiner Herkunft auch fragt' er und seinem Stamm.
19   Dem Fragenden erzählt' er sein Erlebtes dann,
Und näher stand er bald dem Schah als jedermann.
20   Der König sich beriet in seinem Herzen schon:
Die Stelle des Wesirs sei dieses Mannes Lohn. 20
21   In seinem Sinne stellt' er die Betrachtung an:
Zum Reichsverweser taugt gewiß mir solch ein Mann;
22   Jedoch nur Schritt für Schritt, daß nicht die Leute lachen,
Und wegen Unbedachts ob mir sich lustig machen.
23   Erst muß ich den Verstand des Mannes wohl erproben,
Nach des Verdienstes Maß sei dann sein Stand erhoben.
24   Denn aufgeladen hat dem Herzen Kummers Wucht
Jedweder der ein Werk begonnen unversucht.
25   Schreibt recht sein Protokoll der Kadhi mit Bedacht,
So wird er nicht von Rechtsdoctoren ausgelacht.
26   Es gilt zu zielen, wenn der Pfeil liegt auf dem Bogen,
Nicht dann, wann das Geschoß dir aus der Hand geflogen.
27   Wie Joseph braucht ein Mann voll Geist und Sittenzier
Der Jahre vierzig um zu steigen zum Wesir.
28   Ehr eine gute Frist von Tagen nicht verliefe,
Läßt jemands Sinn sich nicht ergründen in der Tiefe.
29   Nach jeder Eigenschaft genau prüft' er ihn dann;
Verständig, frommen Sinns und fehllos war der Mann,
30   Von gutem Wandel und von heller Urteilskraft,
Abwägend was er sprach, voll Menschenkennerschaft.
31   An Rate sah er ihn den Räten all voran,
Und übern obersten Wesir setzt' er ihn dann.
32   So übt' er Einsicht nun und Weisheit, daß in Not
Kein Herz kam über sein Gebot und sein Verbot.
33   Das Regiment bracht' er in seiner Feder Macht,
So daß dadurch in Leid kein Dasein ward gebracht.
34   Den Wortausklaubenden legt' er die Zung' in Band,
Weil nicht ein falsches Wort er schrieb mit seiner Hand.
35   Weil nicht ein Körnchen Falsch zu finden war am Manne,
Platzte des Neiders Grimm wie Körner in der Pfanne.
36   Durch den Erleuchteten das Reich zu Glanze kam,
Darob in neues Leid der alte Schranze kam. 21
37   An dem verständigen gewahrt' er keine Blöße,
Wo beizubringen er ihm wüßte seine Stöße.
38   Ein Günstling und der Neid ist Mußtopf und Ameise;
Nicht beizukommen ist gewaltsam, aber leise.
39   Nun standen dienstbereit in jedem Augenblick
Dem Schah zween Jünglinge von sonnenhaftem Blick,
40   Zwo Huldgestalten rein wie Huri und Peri,
Aus edlem Stoff wie Mond und Sonne waren sie;
41   Zwei Bilder, daß du meinst, nur eines sei's, nicht zwei,
Das sich genüber selbst gestellt im Spiegel sei.
42   Des weisen Manns Gespräch, des redezauberreichen,
Macht' Eindruck auf das Herz der zwei cypressengleichen.
43   Weil seine Sinnesart sie sahen rein wie Gold,
So wurden sie ihm bald von Herzen freund und hold.
44   Ein menschliches Gefühl der Neigung faßt' auch ihn,
Nicht Neigung wie sie zieht zur Sünde Thoren hin.
45   Von Ruh empfand er sich im Augenblick erquickt,
Wo in das Angesicht der beiden er geblickt.
46   Vom alten Schranzen ward die Wittrung aufgespürt
Und der Bericht dem Schah böswillig zugeführt:
47   »Der Mann, ich weiß nicht wer er ist, noch wie er heißt,
Der guten Wandels nicht sich hier am Hof befleißt;
48   Ich höre, daß sein Sinn sich jenen Sklaven neigt,
Er sich verräterisch und unenthaltsam zeigt.
49   Es pflegen Reisende zu leben rücksichtlos,
Die nicht erzogen sind im Fürstenherrschaftschoß.
50   Doch nicht geziemet sich so frecher böser Gast,
Der bringt in üblen Ruf den fürstlichen Palast.
51   Sollt' ich so undankbar der Huld des Schahs mich zeigen,
Daß einen Übelstand ich sollte sehn und schweigen?
52   Nach Meinungen soll man nicht sprechen auf der Stelle;
Ich sprach nicht ehr als bis mir ward die Wahrheit helle. 22
53   Durch meine Diener ist mir Kundschaft zugekommen,
Daß einen von den zwein er in den Arm genommen.
54   Ich hab's gesagt, dem Schah steht nun die Einsicht zu;
Ich selbst hab' ihn erprobt, erprob ihn auch nun du.«
55   Er deutete so schlimm als man nur deuten mag;
O hab' ein schlechter Mann nie einen guten Tag!
56   Wenn ein Mißwollender nur fand ein dürres Reis,
Macht er damit das Herz schon einem Fürsten heiß.
57   Mit einem Reise schürt man erst ein Feuer an,
Womit man einen Baum alsdann verbrennen kann.
58   Dem Schahe ward davon so heiß, daß übern Kopf
Ihm so die Wallung stieg wie auf dem Herd dem Topf.
59   Schon nach des Armen Blut hob Zorn die Hand empor,
Allein Besonnenheit schob eine Hand davor:
60   »Zu töten wen du hast gepflegt, bringt Ungewinn,
Und Unhuld auf den Fuß der Huld hat keinen Sinn.
61   Vergreife du dich nicht an deines Pfleglings Heil;
Wenn er den Pfeil dir hält, schieß ihn nicht mit dem Pfeil.
62   Du hättest lieber ihn nicht sollen auferziehn
In Freuden, wenn du nun in Schmach willst töten ihn.
63   Eh du dich überzeugt von dieses Mannes Wert,
Hast du den Zutritt ihm zum Hofe nicht gewährt.
64   Nun auch, ehr überzeugt von seiner Schuld du bist,
Laß ihn verderben nicht durch eines Feindes List.«
65   Der Schah verschlossen dies in seinem Sinne trug,
Weil er der Weisen Wort nicht aus dem Sinne schlug:
66   Das Herz, verständ'ger Mann, ist des Geheimen Schrein;
Wenn du es aussprachst, fängst du's nicht mit Ketten ein.
67   Verborgen achtet' er nun auf des Manns Verhalten;
In des verständ'gem Sinn bemerkt' er Brüch' und Falten.
68   Denn unversehens er hin nach dem einen blickte,
Der auf der Lippe dann ein Lächeln unterdrückte. 23
69   Zwei, deren Seel' und Sinn sich zu einander neigen,
Die unterreden sich indem die Lippen schweigen.
70   Freund, wünschest deinen Rang du zu verringern nicht,
So wende du dein Herz nicht auf ein glatt Gesicht.
71   Und wenn es selbst dich nicht verlockt vom rechten Pfade,
Doch hüte dich, daß es nicht deiner Würde schade.
72   Wenn sich dein Aug' einmal gewöhnt ans Blicken hat,
Wird's, Wassersücht'gen gleich, von Tigris Flut nicht satt.
73   Dem Schah ward sein Verdacht bestärkt von jenes Schwächen,
Und seine Eifersucht droht' aus in Grimm zu brechen.
74   Jedoch aus Wohlbedacht und echter Klugheit Samen
Sprach er mit Ruh zu ihm: »O du von gutem Namen!
75   Als einen weisen Mann hab' ich dich angeschaut,
Und die Geheimnisse des Staats dir anvertraut.
76   Gehalten hab' ich dich für klug und musterhaft,
Verblendung traut' ich dir nicht zu und Leidenschaft.
77   Solch eine hohe Stell' ist nicht der Ort für dich;
Der Fehler ist nicht dein, nur selbst gefehlt hab' ich.
78   Wenn einen schlechter Art ich nehm' in meine Hut,
So heiß' ich den Verrat im Harem selber gut.«
79   Darauf erhob sein Haupt der Mann an Wissen reich,
Und sprach: »O Chosro, dem an Kunde keiner gleich!
80   Da meines Kleides Saum ist rein von schlimmen Flecken,
So darf ich vor des Feinds Verläumdung nicht erschrecken.
81   Dergleichen hab' ich nie im Herzen hie gedacht;
Ich weiß nicht, wer das sprach, woran ich nie gedacht.«
82   Darauf der Schahinschah: »Das was mein Mund hier spricht,
Wird dein Ankläger selbst dir sagen ins Gesicht.
83   Der vorige Wesir hat mir's gesagt, und nun
Bedenke selbst dich, was du sagen willst und thun.«
84   Da lächelt' er und legt' an seinen Mund den Finger:
»Was du von dem mir sagst, verwundert mich geringer. 24
85   Wenn mich ein Neider sieht an seiner Stelle stehn,
Was sollte von der Zung' ihm außer Böses gehn?
86   Ich dacht' als meinen Feind von jener Stund' an ihn,
Da niedrern Sitz als mir der Chosro ihm verliehn.
87   Doch wenn du über mich ihn wolltest wieder setzen,
So sähest du, er würd' als Feind nicht mehr mich hetzen.
88   Nie bis zum jüngsten Tag wird er mir herzenstraut,
Solang in meiner Ehr' er seine Schande schaut.
89   Davon erzähl' ich dir die wahreste Geschichte,
Wenn erst ein günstig Ohr du leihn willst dem Berichte.

 
(Parabel.)

    90   Ich weiß nicht, wo die Schrift ich fand in einem Buch,
Daß Iblis kam im Traum zu einem zu Besuch,
91   An Wuchs cypressengleich, Huri von Angesicht,
Wie Sonne leuchtete von seiner Wang' ein Licht.
92   Hin trat der Mann und sprach: »O Wunder, bist du der?
Ein Engel selber kann nicht aussehn herrlicher.
93   Du mit dem Angesicht als ob's der Vollmond wäre,
Wie wardst du in der Welt durch Häßlichkeit zur Märe?
94   Was hat im Saal des Schahs so häßlich angefärbt
Der Maler dein Gesicht, so garstig und verderbt?
95   Ein gräuliches Gesicht hat man von dir erdacht,
Und in den Bädern dich so häßlich angebracht.«
96   Der unglücksel'ge Geist, als er das Wort vernahm,
Erhub er einen Ruf aus bitterm Seelengram:
97   O guter, nicht mein Bild ist jenes an der Wand,
Allein der Pinsel ist in meiner Feinde Hand.
98   Ich hab' einst ihren Stamm vom Paradies vertrieben,
Bei ihnen bin ich drum so häßlich angeschrieben. – 25
99   »Mein Nam' auch wäre gut, doch meinen Feinden fehlen
Die Gründe nicht, von mir nichts gutes zu erzählen.
100   Das Wasser des Wesirs versiegt durch meinen Bronnen;
O wär' ich meilenweit nun seinem Groll entronnen!
101   Jedoch ich fürchte mich nicht vor des Schahes Grimme,
Denn ein Unschuldiger erhebt mit Mut die Stimme.
102   Nur jenem geht es schlimm, wenn ihn der Vogt erreicht,
Dem, was zu Markt er bringt, ist an Gewicht zu leicht.
103   Da jeder Buchstab mir kommt aus der Feder sauber,
Warum bekümmert' ich mich um Buchstabenklauber?
104   Wenn der Verwalter bringt im Sacke keine Spreu,
Macht ihn die Sichtung nicht der Rentbeamten scheu.« –
105   Bei seiner Rede blieb voll Ernst des Königs Seele,
Er streckte gegen ihn die Hand aus mit Befehle:
106   »Es macht ein Schuldiger nicht durch Schönrednerei
Und Zungenfertigkeit von seiner Schuld sich frei.
107   Wär' auch die Klage nicht von deinem Feind geschehn,
Hab' ich es etwa selbst mit Augen nicht gesehn,
108   Daß von der Menge Volks in meinen Sälen hie
Dein Blick auf niemand ist gerichtet als auf sie?«
109   Da lächelte der Mann der Redekunst und sprach:
»Das ist die Wahrheit, und die Wahrheit kommt an Tag.
110   Ein Rätsel steckt hierin; wenn dir's beliebt, so höre!
(Daß nichts dein Leben kürz' und deine Herrschaft störe!)
111   Siehst du den Bettler nicht, verkürzet vom Geschick,
Wie auf den Reichen er kehrt sehnsuchtsvoll den Blick?
112   Um meine Jugend so seh' ich mich selbst verkürzt,
In Spaß und Spiel ist mir das Leben hingestürzt.
113   Des Schönen Anblick kann ich nicht entbehren itzt,
Weil er das Kapital, das ich verlor, besitzt.
114   Solch rosenfarbenes Gesicht war mein einmal,
Der Glieder Schönheit so krystallenrein einmal. 26
115   Jetzt aber spinnen darf ich mir des Grabes Windel,
Denn Baumwoll' ist mein Haar, mein Leib ist wie die Spindel.
116   Wie jene trug ich einst nachtfarbiges Gelock,
Und knapp schloß um die Brust die schwellende der Rock.
117   Zwei Perlenreihn den Platz in meinem Munde hatten,
Wie eine Mauer festgefügt aus Silberplatten.
118   Nun siehst du, wenn der Mund zum Reden offen stand,
Wie sie zerbröckelt sind gleich alter Lehmenwand.
119   Wie sollt' ich sehnsuchtsvoll den Blick nicht dorthin lenken,
So oft ich muß an mein verlornes Leben denken!
120   Die schöne Zeit ist mir vergangen wie ein Hauch,
Und dieses Stündchen wird zu Ende bald gehn auch.«
121   Als der Verständige so reihte Perlen an
Und Worte sprach wie man nicht bessre sprechen kann,
122   Blickt' unter seines Throns Vasallen um der Schah:
»Wer ist, der Schöneres an Sinn und Worten sah?
123   Auf unsre Schönen ist ein Blick wol dem zu gönnen,
Der mit so schönem Wort sich hat entschuld'gen können.
124   Hätte mich nicht Vernunft zur Mäßigung gelenkt,
Auf seines Feindes Red' hätt' ich den Mann gekränkt.
125   Wer vorschnell mit der Hand zum Schwert greift um zu schlagen,
Wird seine Nägel mit dem Zahn der Reue nagen.
126   Von der Verläumdung Mund sollst du nicht Red' annehmen,
Denn wenn du danach thust, so hast du dich zu schämen.« –
127   Dem Unbescholtenen vermehrt' er Ehr' und Preis
Und Gut, dem böslichen Verkläger ward Verweis.
128   Nach seines kundigen Ministers weisem Rat
Ward seines Namens Klang beliebt in seinem Staat.
129   Mild und gerecht führt' er die Herrschaft Jahre lang,
Und guter Name blieb nach seinem letzten Gang.
130   So haben Fürsten, die der Gottesfurcht oblagen,
Durch Gottesfurcht den Ball der Macht davongetragen. 27
131   Von solchen möchte jetzt zu finden keiner sein,
Und ist es einer, ist's Bubeker Saad allein.
132   Du bist, o Padischah, der Paradiesesbaum,
Der seinen Schatten wirft auf jahreslangen Raum.
133   Vom Glücke günstiger Gestirne bat einst ich,.
Der Fittig des Humai möcht' überschatten mich.
134   Da sprach Vernunft: Humai kommt niemals dir zu Statten;
Wenn du Befried'gung suchst, so geh in jenen Schatten.
135   Gott, deiner Gnade Blick hast du auf uns erstreckt,
Daß diesen Schatten du hast übers Volk gedeckt.
136   Seitdem bring' ich Gebet im Dienst der Herrschaft dar:
Den Schatten wolle Gott erhalten immerdar!

 
(12.)

(Fürstenlehren.)

    1   In Langmut und Geduld erweist sich der Verstand,
Solch ein Verstand, den nicht bezwingt des Zornes Hand.
2   Ich sage nicht: wenn Kampf du führest, halte Stand;
Ich sage: wanke nicht, wann dich der Zorn bestand.
3   Den Fürsten würdevoll besonnen ernst und huldig
Macht des gemeinen Manns Geschrei nicht ungeduldig.
4   Ein Kopf leer von Geduld, von Übereilung voll,
Ist nicht ein solcher, der die Krone tragen soll.
5   Führt aus dem Hinterhalt der Zorn sein Heer zum Raube,
Da bleibt nicht Billigkeit, nicht Gottesfurcht noch Glaube.
6   Nie unterm Himmel sah ich einen Teufel so,
Vor dem ein ganzes Heer von guten Geistern floh.
——
7   Zuwider dem Gesetz wird ein Trunk Wasser Sünde,
Vergoßnes Blut wird Recht durch des Gesetzes Gründe. 28
8   Wem des Gesetzes Spruch hat aberkannt das Leben,
Wolan, dem scheue du dich nicht den Tod zu geben.
9   Wenn Angehörige von ihm sich aber finden,
Dieselben laß in Ruh Barmherzigkeit empfinden.
10   Der Frevelthäter hat die Schuld verübt; was müssen
Ein hilfeloses Weib und arme Kinder büßen?
——
11   Mit Kraft gerüstet ist dein Leib, mit Mut dein Heer;
Doch trag in feindliches Gebiet nicht deine Wehr.
12   Denn in ein festes Schloß wird sich dein Gegner werfen,
Und das unschuld'ge Land erliegt des Schwertes Schärfen.
——
13   Sieh nach den armen Staatsgefangnen manchesmal;
Denn ein unschuldiger kann sein in ihrer Zahl.
——
14   Wenn fremd ein Handelsmann verstarb in deinem Land,
Verrat ist's, wenn du legst an dessen Gut die Hand.
15   Es werden, wenn sie nun um seinen Tod wehklagen,
Untereinander Freund' und Anverwandte sagen:
16   So ist im fremden Land der Arme umgekommen,
Und was er hinterließ, hat ein Tyrann genommen.
——
17   An jenes Kindelein, das vaterlose, denke,
Und hüte dich, daß nicht sein Schmerzensach dich kränke.
18   Manch guter Name, der hat funfzig Jahr erreicht,
Ein böser Name kann zertreten ihn wie leicht!
——
19   Gefällig waltende mit Namen von Bestand,
Sie legen nicht ans Gut des Volkes ihre Hand.
20   Ein Herrscher, der das Reich der ganzen Welt gewann,
Nimmt er von Habenden, ist er ein Bettelmann.
21   Ein Hochgesinnter starb an Händeleerheit wol,
Nie macht' er seinen Bauch aus Armer Lenden voll. 29

 
(13.)

    1   Ich hört' einmal, es hatt' ein edler Fürst vor Zeiten
Ein Wamms, aus Futtertuch gemacht auf beiden Seiten.
2   Zu diesem sprach ein Freund: O edelster Chosru,
Schneid aus Chineserstoff doch einen Rock dir zu.
3   Er aber sprach: Soviel genügt zu Deck' und Schutz,
Und was darüber geht, das ist nur Prunk und Putz.
4   Und dazu nehm ich nicht die Schatzung von dem Land,
Daß sie zu Prunke sei mir und dem Thron verwandt.
5   Wollt' ich mit Putz den Leib, den Weibern gleich, behängen,
Wie sollt' ich als ein Mann zurück die Feinde drängen?
6   Wünsch' und Begierden hab' ich selber mancherlei,
Doch glaub' ich nicht, daß mein allein der Staatsschatz sei.
7   Des Schatzes Kammern sind für meine Heeresmacht
Allein gefüllt, und nicht für überflüß'ge Pracht.
8   Wenn mißvergnügt sind mit dem Schah die Kriegerschaaren,
So werden sie ihm schlecht des Reiches Grenzen wahren,
9   Wenn fort den Esel treibt der Feind dem Bäuerlein,
Wozu denn nimmt der Schah des Dorfes Steuern ein?
10   Den Esel führt der Feind, das Geld der Schah davon;
Was siehst du für ein Glück bei derlei Thron und Kron'?
——
11   Gewalt an Schwachen ist nicht echte Mannesweise;
Ein schlechter Vogel raubt ihr Körnchen der Ameise.
12   Die werden ihres Glücks und ihrer Jugend froh,
Die nicht den Unterthan behandeln hart und roh.
13   Wenn seinen festen Fuß dein Unterthan verlor,
O fürchte, daß zu Gott sein Klagen steig' empor.
14   Kannst du mit Lindigkeit das Land dir dienstbar machen,
So presse nicht mit Kampf das Blut ihm aus dem Rachen.
15   Bei aller Mannlichkeit! das Reich der ganzen Erd'
Ist nicht den Tropfen drauf vergoßnen Blutes wert. 30

 
(14.)

    1   Ich hörte, daß Dschemschid, von dem der Ruhm geblieben,
An einer Quelle Rand auf einen Stein geschrieben:
2   Schon mancher hat den Mund hier auf wie du gethan,
Und ist gegangen wie das Aug' er zugethan.
3   Erfaßt hat er die Welt mit Mannheit und mit Macht,
Und hat am Ende nichts davon ins Grab gebracht.
——
4   Wenn über einen Feind du trugst den Sieg davon,
Quäl' ihn nicht mehr, gequält ist er von Kummer schon.
5   Ein Feind am Leben, der beschämt vor dir sich schmiegt,
Ist besser als daß auf dem Hals sein Blut dir liegt.

 
(15.)

    1   Ich hörte, daß Dara, der Fürst von hoher Art,
Einst auf der Jagd getrennt von dem Gefolge ward.
2   Da kam entgegen ihm der Hüter einer Herde;
Zu sich im Herzen sprach Dara, der Herr der Erde:
3   Das ist vielleicht ein Feind, der aus zum Kampf gezogen;
Von ferne treff' ihn gleich ein Pfeil von meinem Bogen.
4   Am Königsbogen zog er straff bereits die Senne,
Daß er mit einem Ruck vom Leben jenen trenne.
5   Doch jener rief: »O Herr von Iran und Turan,
(Ein böses Auge sei entfernt von deiner Bahn!)
6   Ich bins, der für den Schah die Schaar der Rosse zieht,
Im Dienste bin ich hier in diesem Waldgebiet.«
7   Dem König kam zurück das Herz, das ihm entronnen;
Er lacht' und rief ihm zu: »O Mann sehr unbesonnen!
8   Der heilige Serosch hat dich gerettet, Thor,
Wo nicht, gezogen hatt' ich schon die Senn' ans Ohr.« 31
9   Der Herde Hüter hob darauf mit Lachen an:
»Wol einen guten Rat gibt man dem reichen Mann.
10   Nicht Wohlberatenheit und Einsicht ist's zu nennen,
Daß einen Freund der Schah nicht mag vom Feinde kennen.
11   Als unerläßlich steht dies einem Obern bei,
Daß jeden Unterthan er kenne, wer er sei.
12   Gesehn hast du mich mehr als einmal im Palast,
Wo du mich auch befragt um Trift und Herden hast.
13   Und wieder komm' ich nun als Freund dir zu Gesicht
Du unterscheidest mich von deinem Feinde nicht.
14   Ich selber finde wol, berühmter Scherejar,
Ein einzig Roß heraus aus einer ganzen Schaar.
15   Der Herde Hut führ' ich mit Sinn und mit Verstand;
Du halte deine Herd', o Schah, nur auch in Stand.«
16   Als Dara von dem Mann gehört den guten Rat,
Gab er ihm gute Wort', und Gutes auch ihm that.
17   Er ging und sprach bei sich, und fühlte Scham dabei:
Der Rat ist wert, daß er ins Herz geschrieben sei.
18   Was Wunder, wenn das Reich zu Schaden kommen wird,
Wo weniger Verstand der Herr hat als der Hirt.

 
(16.)

    1   Wie kannst du hören, Fürst, des Hülferufers Klagen,
Wenn über Sternen du dein Bett hast aufgeschlagen?
2   Du schlaf an solchem Ort, daß, wenn zu dir empor
Will ein Bedrängter schrein, der Schrei erreicht dein Ohr.
——
3   Wer klagt den Frevler an, o Fürst, in deinem Staat?
Was übel er gethan, ist deine Übelthat.
4   Es ist der Hund nicht, der des Wandrers Rock zerreißt
Der Bauer thut's, weil er hält einen Hund, der beißt. 32
5   Kühn bist du mit dem Wort, o Saadi, vorgeschritten;
Das Schwert ist dir zur Hand, so sei der Sieg erstritten!
6   Sprich alles was du weißt, denn gut ist Wahrheit sprechen;
Bestich mit Schmeicheln nicht, und laß dich nicht bestechen.
7   Gib Raum dem Eigennutz, und streich dann aus dein Buch!
Leg Zaum ihm an, und sprich freimütig deinen Spruch!

 
(17.)

    1   Ein herrschaftsstolzer Mann in Irak ward vom Schalle
Betroffen, den erhob ein Bettler vor der Halle:
2   Vor eines Höhern Thür sitzt deine Hoffnung auch,
Darum beachte des Thürsitzers Hoffnungshauch.
3   Und wenn du nicht dein Herz beladen willst mit Schmerz,
So lös' aus seinem Band ein schmerzbeladnes Herz.
4   Verstörung des Gemüts des, der um Hülfe schreit,
Wirft einen Fürsten aus des Reiches Herrlichkeit.
5   Behaglich schlummerst du im Harem am Mittag,
Ob draußen in der Hitz' ein Fremder schmachten mag.
6   Gott selber ist es, der Recht schaffet einem Mann,
Der nicht vom Padischah sein Recht verlangen kann.

 
(18.)

    1   Aus der Gelehrten Chor berichtet einer dies,
Was sich begeben hat mit Ben Abdilasis,
2   Daß einen Stein im Ring er an dem Finger trug,
Des Preis die Hoffnungen der Käufer niederschlug.
3   Nachts sprächest du: ein Stern ist das im Strahlenkranze,
Und ein Juwel nur war's, dem Tage gleich an Glanze.
4   Da kam von ungefähr ein dürres Jahr ins Land,
Daß manches Angesichts Vollmond zum Neumond schwand. 33
5   Wie an den Menschen er sah Kraft und Wohlsein schwinden,
Schien's ihm nicht Menschlichkeit sich selber wohl zu finden.
6   Wenn jemand herbes Gift sieht an des andern Gaum,
So mundet ihm der Trunk des süßen Wassers kaum.
7   Da ließ er zum Verkauf den Stein zum Wechsler reisen,
Denn ihn erbarmete der Witwen und der Waisen.
8   In einer Woche gab er den Erlös zum Raube
Den armen dürftigen, bedeckt mit Kummerstaube.
9   Da fielen über ihn die Tadelredner her:
Nie kommt dir mehr zur Hand ein andrer Stein wie der.
10   Ich hörte, daß er sprach, indem der Thränen Guß
Ihm von der Wange rann, heiß wie der Kerze Fluß:
11   Dem Stadtbeschirmer will Schmucktragen übel ziemen,
Wenn er das Herz der Stadt muß sehn voll blut'ger Striemen.
12   Wohl steht ein Ring mir an auch sonder Edelstein,
Nicht aber steht mir an des Volkes Herz voll Pein.
13   Heil dem, der gibt dem Wohlbehagen Manns und Weibes
Den Vorzug vor dem Wohlbehagen seines Leibes.
14   Die Tugendpflegenden, sie trugen kein Verlangen,
Die eigne Lust aus Leid der andern zu erlangen.
15   Wenn angenehm der Fürst auf seinem Throne ruht,
Ich glaube nicht, daß dann der Bettler ruhe gut.
16   Doch wenn die lange Nacht in Sorgen er durchwacht,
Dann mögen wohlgemut die Menschen ruhn bei Nacht.
17   Gott sei gelobt, es geht auf diesem graden Pfad
Atabeg Abubekr, der edle Sohn des Saad.
18   Nun ist auf Persiens Flur zu sehen keine Spur
Von Herzverstörung als im Wuchs der Schönen nur.
19   Sechs Verse tönten jüngst anmutig mir im Ohr,
Als ich sie singen hört' in der Gesellschaft Chor:
20   Vom Glück des Lebens ward mir jüngst ein Lustertrag,
Als jenes Mondantlitz in meinen Armen lag. 34
21   Ich sprach, indem ich sah sein Haupt von Schlummer trunken:
O Wuchs, vor dem in Staub Cypressen hingesunken!
22   Vom Schlaf des Rausches mach des Augs Narzisse los,
Sing wie die Nachtigall, und lächle wie die Ros'.
23   O Herzensungemach der Zeit, was schlummerst du?
Wach auf, und trink mir süß des Weins Rubinen zu. –
24   Auf blickte da das schlafverwirrte Huldgesicht:
»Du nennst mich Ungemach, und sagest: schlafe nicht!
25   In Tagen unseres glorreichen Schahs soll wach
Kein Aug' in Persien mehr sehn das Ungemach.«

 
(19.)

    1   In vor'ger Könige Geschichten liest man, daß,
Als Takla auf dem Thron des Reichs nach Zengi saß,
2   Zu seinen Zeiten litt Niemand von Niemand Pein;
Den Preis trug er davon auch schon für dies allein.
3   Einst aber sprach er so zu einem Geistbegabten:
»Das Leben ging umsonst mir hin, dem ungelabten.
4   In einer Zelle will ich ruhn und Andacht üben,
Um der fünf Tage froh zu werden, die mir blieben.
5   Weil so vergänglich ist der Herrschaft Glanz und Zier,
Trägt aus der Welt das Glück davon nur ein Fakir.«
6   Als dies vernahm der Mann von hellem Atemzug,
Geriet er stracks in Zorn: »Genug, o Takla, gnug!
7   Dein Ordensweg ist nur, daß du Volksdienstes pflegst,
Nicht Kutt' und Rosenkranz und Beteteppich trägst.
8   Du sitz auf deinem Thron der Herrschaft immerhin,
Und trage vom Fakir das Kleid nicht, doch den Sinn.
9   Beflügle deinen Geist mit reiner Andacht Schwunge,
Und zügle vom Geschwätz der Schule deine Zunge. 35
10   Zum Wege mußt den Fuß du bringen, nicht den Gruß,
Denn ohne Nachdruck ist der Gruß dort ohne Fuß.
11   Hochedle waren's, die der Reinheit Münze schlugen,
Die unterm Fürstenkleid das Bettlerhemde trugen.«

 
(20.)

    1   Ich hört' erzählen, daß ein griech'scher Kaiser weinte
Vor einem weisen Mann, der gut mit ihm es meinte:
2   »Mir ist kein fester Fuß vor Feindeshand geblieben,
Nichts außer dieser Burg ist mir vom Land geblieben.
3   Ich habe viel mich angestrengt, daß meinem Sohne
Nach mir der Sitz verblieb' auf diesem Herrschaftsthrone.
4   Nun hat der arge Feind die Oberhand bekommen
Und der Anstrengung Preis mir aus der Hand genommen.
5   Wo schaff' ich Rat? wo geh ich holen Arzenei?
Denn mir im Busen brach das Herz der Gram entzwei.«
6   Der Weise kam in Zorn: »Was will dies Weinen sagen?
Zum Weinen wäre wol so thörichtes Verzagen.
7   Was geht das Reich dich an? bekümmre dich um dich;
Denn mehr und besser als das Leben ist das Ich.
8   Du hast, solange du noch lebst, genug zum Leben,
Und stirbst du, wird die Welt Gott einem andern geben.
9   Ob er verständig nun, ob er ein Thor mag sein,
Du sorge nicht für ihn, er sorgt für sich allein.
10   Der Mühe wert ist's nicht, zu halten und zu fassen
Mit einem Schwert die Welt, und wieder sie zu lassen.
11   Thu dir nicht viel zu gut auf die fünf Tage Rast,
Und denke weislich dran, daß du zu wandern hast.
12   Wer ist dir denn bekannt von persischen Chosru'n
Der alten Zeit, Dschemschid, Sohhak und Feridun, 36
13   Der nicht von Thron und Reich den Untergang erfuhr?
Und unvergänglich bleibt der Thron des Höchsten nur.
14   Wem blieb die Hoffnung, daß auf lange da verbleiben
Er werde, wo auf lang er keinen sah verbleiben?
15   Was einer hinterließ an Schatz und Prunkgeräten,
Das wird nach seinem Tod mit Füßen bald getreten.
16   Wer aber Gutes hat an anderen gethan,
Wird der Erbarmung Hauch in seiner Seel' empfahn.
17   Wolauf daß du den Baum der Hulden fleißig pflegest,
Wenn nach desselben Frucht du selbst Verlangen trägest!
18   Sei huldreich! denn wenn dort den Diwan sie bestellen,
Verteilen nach dem Maß des Wohlthuns sie die Stellen;
19   Derjenige, der mehr des Guten hat gethan,
Wird näher seine Stell' an Gottes Thron empfahn.
20   Verrechnet hat sich der, und trifft Beschämung an,
Wer Lohn begehrt, wo er nicht Arbeit hat gethan.
21   Benag' er mit dem Zahn sich nun die Fingerzacken!
Der Ofen war so warm, und er hat nicht gebacken.
22   Zur Zeit der Ernte wirst du einsehn nur zu spät,
Wie sich der Leichtsinn straft, daß du nichts ausgesät.«

 
(21.)

    1   Freund Gottes hieß ein Mann im Grenzgebiet von SchamScham = Syrien.,
Der von der Welt die Flucht zu einer Höhle nahm;
2   Und wie entsagend dort er weilt' am finstern Ort,
Fand er den lichten Hort des Selbstgenügens dort.
3   Des Landes Mächtige vor seiner Thür erschienen,
Denn niemals sah man selbst ihn an der Thür von ihnen.
4   Was von sich selbst ein Mann von heiliger Bestrebung
Heischt an Almosen Statt, ist der Begierd' Aufgebung. 37
5   Weil ihm auf jedem Schritt gib! die Begier gesagt,
Hat er mit Schmach von sich sie Schritt vor Schritt gejagt.
6   In jenen Marken, wo der edle Greise war,
Befand ein Markgraf sich, der sehr unweise war,
7   Der jedem Schwächeren, der ihm nicht konnt' entgehn,
Mit der Gewalt der Faust die Faust pflegt' aufzudrehn;
8   Ein blind dreinschlagender, ein Weltverwüstungsschauer,
Von dessen Herbigkeit der Welt Gesicht ward sauer.
9   Volkshaufen gingen da vor Druck und Schmach vom Lande,
Die trugen überall hin seines Namens Schande.
10   Ein Häuflein aber blieb zurück gedrückt und wund,
Das hinterm Spinnrad saß und Fluch nahm vor den Mund.
11   Denn da wo ihren Arm Gewaltthat lang darf machen,
Da siehst du Menschenmund nicht aufgethan zum Lachen.
12   Auch zum Besuch kam er zum Scheich von Zeit zu Zeit,
Doch vom Freund Gottes war kein Blick für ihn bereit.
13   Einst sprach der Fürst zu ihm: O Mann von hohem Glück,
Zieh nicht mit Scheue streng den Blick von mir zurück!
14   Du weißt, daß Freundessinn ich hege gegen dich,
Woher ist nun in dir die Feindschaft gegen mich?
15   Gesetzt auch, daß ich nicht der Fürst des Landes wäre,
Doch einem Derwisch stell' ich wol mich gleich an Ehre.
16   Nicht sag' ich: räume mir Vorzug vor andern ein;
Du sollst nur gegen mich wie gegen alle sein.
17   Als er dies Wort vernahm, geriet in heil'gen Grimm
Der fromme Mann, und sprach: Gebietender, vernimm!
18   Volksruh verstören ist dein Lebenszweck allein,
Nicht mit Verstörung kann mein Herz in Freundschaft sein.
19   Sollt' ich als meinen Freund dich halten vor der Welt,
Da ich doch weiß, daß Gott als seinen Feind dich hält?
20   O drück nicht auf die Hand den Kuß mir freundschaftlich;
Geh und erweis' als Freund von meinen Freunden dich. 38
21   Doch meinen Freunden bist du nur ein Feind allein;
Ich glaube nicht, daß du für mich ein Freund kannst sein.
22   Dem Freunde Gottes mag man selbst die Haut zerreißen,
Dem Feinde seines Freunds ein Freund wird er nie heißen.
23   Ich bin erstaunt, wie solch ein Steinherz schlafen kann,
Durch dessen Schuld schläft herzbekümmert Weib und Mann.
24   Wolauf, wenn Tugend und Vernunft dein Sinn erkor,
So nimm ein gutes Wort von Saadi gern ins Ohr:

 
(22.)

    1   O Großer, übe nicht Gewaltthat gegen Kleine,
Weil der Verlauf der Welt nicht immer ist der eine.
2   Nie sollst du einen Feind für zu gering ansehn;
Aus kleinen Steinen seh' ich einen Berg bestehn.
3   Sieh, wenn zusammen sich ein Heer Ameisen thut,
Vermag es grimme Leu'n zu plagen bis aufs Blut.
4   Ist schwach ein Härchen wie ein Seidenfädchen nicht?
Doch stark wie Ketten ist's, wenn man's zusammen flicht.
——
5   Bring nicht, ich sag' es dir, der Menschen Fuß zu Falle;
Du möchtest, wenn du stirbst, hülfloser sein als alle.
——
6   Geh, statt des Schatzes leg die Herzen an; die Kammer
Ist besser nicht gefüllt, als mit des Volkes Jammer.
——
7   Hab mit dem Starken nur Geduld, Ohnmächtiger;
Denn eines Tages wirst du stärker sein als er.
——
8   Sag dem Bedrückten: Laß die trockne Lippe lachen!
Zerbrochen wird der Zahn in des Bedrückers Rachen. 39
9   Mit Guter Segen schlag der Bösen Widerstand;
Der Arm des Segens thut mehr als der Waffen Hand.
——
10   Der Reisende sorgt nur, die Last mög' ihn nicht drücken,
Und kümmert sich nicht um des Esels wunden Rücken.
11   Bei Trommelschall ist früh der Herr vom Schlaf erwacht;
Was weiß er, wie die Nacht der Wächter zugebracht!

 
(23.)

    1   Solch eine Hungersnot war ein Jahr in Damask,
Daß der Verliebte selbst vergaß des Liebchens Mask'.
2   Der Himmel war so karg der Erde, daß kein Halm
Der Saat befeuchtete die Lipp' und keine Palm'.
3   Der nie versiegte Quell versiegte von der Glut;
Kein Wasser blieb, als nur der Waisen Augenflut.
4   Und anders war es nichts, als einer Wittib Ach,
Wenn irgend stieg ein Hauch aus einer Luk' im Dach.
5   Ich sah den Gartenbaum wie einen Bettler nackt,
Und jeden starken Arm geschwächt und abgezwackt.
6   Kein grüner Rain am Berg, kein grünes Blatt an Hecken;
Heuschrecke fraß das Laub, und Menschen die Heuschrecken.
7   In solchem Zustand kam ein Freund mir zugesprochen,
Dem nichts war als die Haut geblieben um die Knochen.
8   Das nahm mich Wunder, denn er war ein wackrer Held
Gewesen sonst, ein Mann von Ansehn, Gut und Geld.
9   Ich sprach zu ihm: O Freund voll edlen Sinnes, sprich,
Wie solch ein schmählicher Verfall betroffen dich?
10   Da schrie er gegen mich: Wohin ist dein Verstand?
Wer etwas weiß und fragt, dem macht die Frage Schand'.
11   Siehst du nicht, daß die Not den Gipfel hat erstiegen,
Der bittre Drang ums Brot den Wipfel hat erstiegen? 40
12   Kein Regen kommt zur Erd' herab vom Himmelsthor,
Und zu ihm, scheint es, steigt kein Hülferuf empor.
13   Ich sprach: Bei alle dem, was hast du zu besorgen?
Da tötet nicht das Gift, wo Theriak ist verborgen.
14   Wenn die Nichthabenden bedroht der Untergang,
So hast du, und der Ent' ist vor der Flut nicht bang.
15   Verdrießlich maß mich der gelehrte Mann mit Blicken,
Wie einen Thoren pflegt ein Weiser anzublicken:
16   »Wer, wenn er auch vom Meer zum Ufer selbst entflieht,
Kann ruhig sein, wenn er die Freund' ertrinken sieht?
17   Die Nahrungslosigkeit blaßt meine Wange nicht,
Um Nahrungslose bleicht der Kummer mein Gesicht.
18   Wol kein Verständiger hat Wunden gern geschaut,
Auch nicht an fremder wie an seiner eignen Haut.
19   Ob ich vor Wunden gleich mag wohlbehalten sein,
Seh ich ein wundes Fleck, so schaudert mein Gebein.
20   Trüb wird die lautre Lust des Lebens dem Gesunden,
Der an die Seite sich des Kranken sieht gebunden.
20   Seh ich den Armen, der die Nahrung jetzt muß missen,
So wird zu herbem Gift an meinem Gaum der Bissen.
20   Wer seine Freunde weiß in Kerkermauern schmachten,
Wie kann er wohlgemut das Rosenbeet betrachten?«

 
23b

    1   Vom Rauch des Volks entstand in einer Nacht ein Brand;
Mir ist gesagt, daß halb Bagdad in Flammen stand.Der Seufzerrauch der Armen, Unterdrückten, der figürlich Städte anzündet, wie Nr. 7, V. 6 und 7 gesagt ist; hier aber wirkliches Feuer. Es ist eben die Grundvorstellung, daß solche Unglücksfälle Folge der Unterdrückung seien.
2   In solchem Zustand dankt' ein Mann dem Himmel nur:
»Daß unserm Laden doch kein Schaden widerfuhr.« 41
3   Ein andrer sprach zu ihm: »Du in der Selbstsucht Strick
Gefangner, sorgest du allein für dein Geschick?
4   Gefällt dir's, daß in Glut die ganze Stadt aufgeht,
Wenn sicher nebenaus nur deine Wohnung steht?« –
5   Nur ein Steinherziger kann stopfen seinen Magen,
Und einen andern sehn den Stein am Bauche tragen.Stein am Bauch = Schmachtriemen.
6   Wie schmeckt der Bissen wol dem reichen Manne gut,
Wenn er den armen sieht vor Kummer essen Blut!Das Blutessen ist hier ganz zur Phrase geworden. Das Blut, in die Leber oder das Herz zurücktretend oder stockend vor Kummer oder Ärger, wird »gegessen« (eingeschluckt).
7   Sag nicht: Gesund ist, wer beim Kranken sich befindet;
Sieh, wie er selbst vor Weh dem Kranken gleich sich windet.
8   Der Leichtfuß kann, wenn ins Quartier die Leute kamen,
Nicht schlafen, weil zurück sind unterwegs die Lahmen.
9   Beladen mag sein Herz dem Sultan selber dünken,
Wenn er im Kote sieht Holzhackers Esel sinken.Vgl. unten Nr. 69.
10   Wenn dir im Lebensfeld geraten Heiles Saaten,
So gnügt von Saadi dir ein Wort dich zu beraten;
11   Soviel, dafern du hörst, kann dir zur Gnüge dienen,
Daß, wo du Dornen säst, nicht ernten wirst Jasminen.

 
(24.)

    1   Gelesen hast du wol von persischen Chosru'n,
Gewohnt, dem Unterthan Bedrückung anzuthun.
2   Nicht ist von ihnen nun der Herrschaft Schmuck geblieben,
Noch der am Bauersmann verübte Druck geblieben.
3   O sieh, wie fehl es ist dem Frevelsmann gegangen!
Die Welt blieb, er ist in des Frevels Bann gegangen.
4   Heil dem Gerechten, der am Auferstehungstag
Im Schatten jenes Throns sein Zelt aufschlagen mag. 42
5   Wenn Gott es meinet gut mit einem Volksgeschlecht,
Dem gibt er einen Herrn wohlwollend und gerecht.
6   Doch wenn des Himmels Lauf verderben will ein Land,
Legt er die Herrschaft nur in eines Frevlers Hand.
7   Zu hüten sucht vor ihm sich jeder gute Mann,
Denn ein Zorn Gottes ist auf Erden der Tyrann.
8   Erkenne du von Ihm und dank' ihm deine Macht,
Weil der Undankbare sein Glück zunichte macht.
9   Nicht zweifle, wenn du ihm für diese Güte dankst,
Daß du zu andern unvergänglichen gelangst.
10   Hast du nicht selber auch gelesen im Koran,
Daß Dankbarkeit allein das Glück verdoppeln kann?
11   Doch übst du Ungebühr in deiner Fürstenkraft,
So wird nach Fürstenschaft dir dort die Bettlerschaft.
12   Den Fürsten dürfe nie ein sanfter Schlaf erquicken,
Der von den Stärkeren die Schwächern läßt bedrücken.
13   Mach dem gemeinen Mann kein Senfkörnlein Beschwerde,
Weil du der Hirte bist, und jene sind die Herde.
14   Du bist, wenn man von dir Unbilde sieht und Leid,
Der Hirte nicht, der Wolf, ob dem man Zeter schreit.
15   Wenn du nicht willst, daß dir Verwünschung folg' und Schmach,
Sei gut, und niemand sagt dir etwas Böses nach.

 
(25.)

    1   Mir ist berichtet, daß sich einst in Morgenlanden
Zween Brüder fürstliche von Einem Vater fanden,
2   Heerführer, stolzen Leib und hohen Nacken tragend,
Von Antlitz schön und klug und mit dem Schwerte schlagend.
3   Der Vater, der sie fand von gleicher Stattlichkeit,
In Rossetummelung erfahren, kampfbereit, 43
4   Ging hin und sonderte gleich in zwei Hälften ab
Das Land, und einen Teil jedwedem Sohne gab,
5   Damit nicht ihren Trotz sie auseinander kehrten,
Einander mit dem Schwert des Krieges nicht verheerten.
6   Der Vater blieb hernach noch eine Zeit am Leben,
Um seinen Geist zuletzt dem Schöpfer aufzugeben,
7   Als die gesteckte Frist zerbrach der Hoffnung Band,
Und von dem Tod gelähmt ward seines Wirkens Hand.
8   Den beiden Schahen ward die Herrschaft dargebracht,
Da ohne Maß und Zahl war Schatz und Heeresmacht.
9   Wie jedem gut es schien nach eigenem Behagen,
Begann nun einen Weg ein jeder einzuschlagen.
10   Der eine den des Rechts, sich guten Ruf zu schaffen,
Der andre den des Drucks, Reichtümer einzuraffen.
11   Der eine kor als Pfad ein liebreiches Erbarmen,
Almosen spendet' er und sorgte für die Armen.
12   Er führte Bauwerk' und gab Brot, und Sold dem Heer,
Herbergen für die Nacht den Bettlern öffnet' er.
13   Schatzkammern macht' er leer, und voll der Truppen Zahl,
So daß von allem Volk in Wohlsein überall
14   Sich laut erhub ein Schrei der Freude, wie im Staat
Von Schiras in der Zeit des Abubeker Saad,
15   Des edelmütigen Hausherren weisen Sinnes,
Sei seiner Hoffnung Zweig voll reichen Fruchtgewinnes!
16   Hör' die Geschichte nun: das ruhmbeflißne Kind
War angenehmen Thuns und wonniglich gesinnt,
17   Auf Herzeroberung von Groß und Klein bedacht,
Und wach zu Gottes Lob am Morgen und bei Nacht.
18   In diesem Lande ging ein Karun ohne Fahr,
Worin der Schah gerecht und satt der Derwisch war.Karun, ein Reicher, besonders Handelsmann: ohne Furcht vor dem Schah und vor dem Volke, das nicht durch Not zu Räubereien getrieben ist. Karun ist der Korah der Bibel. 44
19   Er war's, zu dessen Zeit weh keinem Herzen that,
Ich sage nicht ein Dorn, auch nur ein Rosenblatt.
20   Und von den Großen ward, zum Schlußstein seiner Macht,
Ihm Unterwürfigkeit wetteifernd dargebracht.
21   Der andre wollte nur vermehren Reich und Habe,
Und mehrete dazu des Landmanns Steu'r und Gabe.
22   Gelüsten ließ er sich des reichen Kaufmanns Gut,
Und an Hülflosen ließ er aus den Übermut.
23   Mehr haben wollt' er nur, nicht geben noch genießen;
Ein Weiser sieht es ein: sein Thun war ungepriesen.
24   Denn während er mit Macht zusammen raffte Gold,
Ging auseinander ihm die Heermacht ohne Sold.
25   Die fremden Handelsherrn erfuhren es alsbald,
In des Tyrannen Land sei Plündrung und Gewalt,
26   Und brachen den Verkehr mit jener Gegend ab;
Die Saat ging dort nicht auf, der Sämann ging zu Grab.
27   Als seiner Freundschaft nun das Glück den Rücken wies,
Ward von des Feindes Hand ihm Schaden und Verdrieß,
28   Vom Groll des Himmels Stock und Stamm ihm umgehau'n,
Von Feindesrossehuf zertreten seine Gau'n.
29   Von wem sucht er nun Treu, der Untreu nur gepflogen?
Wo treibt er Steuern ein, da fort die Bauern zogen?
30   Was Gutes hoffen kann der ungetreue Mann,
Der auf den Nacken nur den bösen Fluch gewann?
31   Ihm war von Anbeginn Unseligkeit beschieden,
Deswegen that er nicht was ihm die Guten rieten.
32   Die Guten sprachen nun zu jenem guten Mann:
Gewinne du, was dort der Frevler nicht gewann!
33   Sein Wähnen war verkehrt, sein Streben ohne Frucht,
Denn bei dem Recht war, was beim Unrecht er gesucht. 45

 
(26.)

    1   Als jemand einem Sproß die obre Spitze brach,
Ward es gewahr der Herr des Gartens, und er sprach:
2   Der Mann that Böses, der den schwachen Zweig gebrochen,
Nicht gegen mich, er hat das an sich selbst verbrochen.
3   In deinem Leben gilt der Rat, willst du ihn hören?
Du sollst nicht Schwache mit des Armes Kraft zerstören.
4   Denn morgen beim Gericht wird als ein Fürst betrachtet
Der Bettler, den du nicht für einen Halm geachtet.
5   Dafern du morgen als ein Großer willst erscheinen,
So mache nicht zum Feind dir einen von den Kleinen.
6   Denn wann vorüber dir ging deiner Herrschaft Traum,
Faßt dort der Bettler mit Gewalt dein Kleid am Saum.
7   Thu's nicht, o lege nicht an Schwache deine Hand,
Denn schämen mußt du dich, wenn sie dich übermannt.
8   Ja eine Schand' ist es in Augen aller Freien,
Daß von Hinfälligen gefället Starke seien.
9   Von Edlen klaren Sinns, die hohes Glück erkürt,
Ward Thron und Krone mit Besonnenheit geführt.
10   Dem Gradewandelnden o geh du schief nicht nach,
Und wenn du Gradheit willst, so hör' was Saadi sprach.

 
(27.)

    1   O sage nicht: es gibt nichts über Fürstengröße!
Es ist erhabener kein Stand als Derwischblöße.
2   Die leichtbeladen sind, die werden leichter gehn;
Das ist die Wahrheit, die der Weise wird verstehn.
3   Der Mann mit leerer Hand sorgt um ein Stücklein Brot,
Der Herrscher einer Welt hat eine Welt voll Not. 46
4   Der Bettler, wenn sein Brot er Abends hat zur Hand,
Schläft minder gut nicht als der Herr vom Abendland.
5   So Leid als Freude muß einmal zu Ende gehn,
Beim Tod wird beides aus dem Haupt behende gehn,
6   So jenem, welcher auf dem Haupt die Krone trägt,
So jenem, welchem ist die Schatzung aufgelegt.
7   Ob ein Hochhauptiger bis an die Sterne rage,
Ob ein Leerhandiger des Kerkers Fessel trage,
8   Wenn über beide her des Tods Heerschaaren rennen,
Wird man den einen nicht vom andern mehr erkennen.
9   Herrschaft und Fürstenmacht befreien nicht vom Grame;
Der Bettler ist ein Fürst, und Bettler nur sein Name.

 
(28.)

    1   Ich hörte, daß einmal an einem Tigrisarm
Ein Totenschädel sprach zu einem Büßer arm:
2   Ich war einmal vom Glanz der Majestät umlaubt,
Und trug den Herrscherkranz der Hoheit auf dem Haupt.
3   Als mir der Glückstern lacht' und ich vor nichts erschrak,
Ergriff ich mit dem Arm die Herrschaft von Irak.
4   Ich hatte Lust bereits auch Kerman zu verschlingen,
Da hub im Grabe mich der Wurm an zu verschlingen.Im Original Wortspiel zwischen Kerman und kirman, »Würmer«.
5   Zieh der Verstocktheit Woll' aus deinem Ohr hervor,
Damit der Toten Rat sind' Eingang in dein Ohr.

 
(29.)

    1   Dem Gutes thuenden wird Böses nicht geschehn,
Wie keiner Böses wirkt, dem es wird gut ergehn. 47
2   Der Unheilstifter sieht sich selber Unheil drohn,
Wie sich verkriechen muß im Haus der Skorpion.
3   Wem von Natur kein Nutz für andre wohnet bei,
Ein solches Wesen und ein Stein ist einerlei.
4   Das Wort nehm' ich zurück, o Freund von hohem Herzen,
Denn doch ein Nutzen ist in Steinen und in Erzen.
5   In Schande besser ist ein solcher Mensch begraben,
Vor welchem das voraus die toten Steine haben.
6   Nicht besser als ein Thier ist jedes Menschenkind,
Da Thiere besser noch als böse Menschen sind.
7   Dem Thier ist vorzuziehn ein Wesen mit Vernunft,
Kein menschenfeindliches gleich wilder Thiere Zunft.
8   Wenn weiter nichts ein Mensch als essen kann und schlafen,
Welch einen Vorzug hat vor Rindern er und Schafen?
9   Dem Reiter ohne Schick, der auf dem Abweg reitet,
Gewinnt den Vorsprung ab, wer grad zu Fuß ausschreitet.
10   Ein Korn des Guten hat noch keiner ausgestreut,
Den eine Ernte nicht des Heiles hätt' erfreut.
11   Und nie hab' ich gehört, daß je in fernem Leben
Dem Böses Schaffenden sich Gutes hab' ergeben.

 
(30.)

    1   In eine Brunnengrub' ein Steureinnehmer fiel,
Vor dessen Furchtbarkeit dem Leu'n das Herz entfiel.
2   Der menschenfeindliche sah feindliches Geschick,
Er fiel, und Ohnmacht lag ihm schwer auf dem Genick.
3   Die ganze Nacht ließ er mit Hülfeschrei nicht nach;
Doch einer warf den Stein ihm auf den Kopf und sprach
4   »Hast eine Hülfe du wol einem je gethan,
Daß du heut in der Not rufst einen Helfer an? 48
5   Unmenschenfreundlichkeit hast du allein gesät,
Nun sieh, was dir daraus für Frucht zu Handen steht,
6   Wer dir ein Pflaster auf den wunden Busen legt,
Da jedes Herz von dir noch einen Stachel trägt!
7   Du grubest uns die Grub' am Weg mit Wohlgefallen,
Drum bist du in die Grub' itzt auf den Kopf gefallen.« –
8   Zwei haben einen Brunn für Groß und Klein gegraben,
Der eine gut von Art, der andre schlecht von Gaben;
9   Der ein', um Durstigen zu feuchten ihre Lippe,
Der andre, daß man fall' und brech' Hals oder Rippe.
10   Wenn Böses du gethan, erwarte Gutes nicht,
Weil von der Tamarind man nie Weintrauben bricht.
11   Ich glaube nicht, o der du Gerst' im Herbste säest,
Daß du, wann Erntezeit geworden, Waizen mähest.
12   Den Giftbaum, magst du ihn mit deinem Herzblut nähren,
Nicht hoffe, daß er dir wird gute Frucht gewähren.
13   Nicht Datteln lesen auch wirst du vom Dornenstrauch;
Was du gesäet hast, das wirst du ernten auch.

 
(31.)

    1   Die Sage meldet uns von einem Mann beherzt,
Der durch Freimütigkeit Hedschadschens Huld verscherzt.
2   So ließ er gegen ihn dem Eifer freien Lauf,
Daß zu erwidern ihm Hedschadsch nichts wußte drauf.
3   Wenn nicht mehr streiten kann mit Gründen ein Tyrann,
So kündigt blut'gen Kampf sein finstres Antlitz an.
4   Schnell gab er einen Wink dem Hauptmann seiner Schaar:
Bring auf den Richtplatz ihn, und bring sein Haupt mir dar.
5   Der Gottesmann hub an zu lachen und zu weinen,
Dem finstern Wüterich wollt' es ein Wunder scheinen. 49
6   Wie er ihn lachen und hinwider weinen sah,
Fragt' ihn der grimmige: was lachst und weinst du da?
7   Zur Antwort gab er ihm: Ich wein' ums Weltgeschick,
Denn Kindlein lass' ich vier unmündige zurück.
8   Hingegen lach' ich, daß ich Gottes Huld erworben,
Daß Unrecht leidend ich, nicht Unrecht thund, gestorben.
9   Zum Wütrich sprach ein Freund: »O Herrscher hoch zu preisen,
Thu's nicht! o lege nicht die Hand an diesen Greisen.
10   Auf ihn blickt alles Volk und lehnt an ihn den Rücken;
Du kannst ein ganzes Volk nicht auf den Richtplatz schicken.
11   Großmütig übe Huld und zeige dich gelinder;
In deinem Herzen denk' an seine kleinen Kinder.
12   Willst deiner eigenen Familie Feind du sein,
Daß du Familien willst dem Verderben weihn?
13   O hoffe nicht, wenn wund durch dich die Herzen sind,
Daß dir der letzte Tag erscheinen wird gelind.
14   Und macht es dir nicht bang, daß Nachts ein frommer Mann
In glühendem Gebet dich einst verwünschen kann?
15   Auch Iblis hat nicht bös gethan und Guts genossen;
Wie könnte Heiles Frucht aus Unheils Samen sprossen!
16   Zerreiße nicht im Grimm den Vorhang fremder Ehren!
Die Schande möcht' auch dir sich hinterm Vorhang mehren.
17   An Löwenmänner laß den Schlachtruf nicht ergehn!
Du kannst mit Kindern selbst den Faustkampf nicht bestehn.
18   Der Schah im Schachbrett trägt wol einen Namen hoch;
Wenn ins Gedräng' er kommt, schlägt ihn ein Bauer doch.
19   Ein Mann hat seinem Sohn einst diesen Rat vermacht
(O nähmest du den Rat der Weisen doch in Acht!):
20   ›O Sohn, versetze nicht den Kleinen Frevelstöße!
Denn eines Tages fällt vom Haupte dir die Größe.
21   Befürchtest du denn nicht, o Leu voll Unvernunft,
Daß einmal dich zerreiß' ein Tiger in der Brunft? 50
22   Am Stand der Kleinen hab' auch ich die Faust geübt,
Den Untergebnen ward von mir das Herz betrübt.
23   Doch als ich einst die Faust Gewaltiger geschmeckt,
Nicht gegen Schmächtige hab' ich mich mehr erkeckt.‹«
24   Ich hört', er hörte nicht und ließ das Blut versprützen.
Was Gott beschlossen hat, wer kann davor dich schützen?
25   Ein Edler in der Nacht hing dem Gedanken nach,
Im Traum sah er den Mann, befragt' ihn, und er sprach:
26   Nur einen Augenblick empfand ich seinen Schlag;
Doch die Vergeltung bleibt ihm bis zum jüngsten Tag.

 
(32.)

    1   Einst war ein König, die Geschicht' ist ungelogen,
Die Fadenkrankheit hatt' ihn spindelgleich gebogen.Die Fadenkrankheit ist wol eine Art von Gicht. Sie soll besonders in Bochara herrschen.
2   Von Schwäche war ihm so die Herrschermacht verleidet,
Daß er den Unterthan, den niedrigsten, beneidet.
3   Denn wenngleich auf dem Brett der Schah ragt hoch empor,
Doch wenn er matt wird, thut's ein Bauer ihm zuvor.
4   Den Boden küßte vor dem König ein Vertrauter:
»Die Herrschaft meines Herrn sei ewig freudenlauter!
5   Es lebt in dieser Stadt ein Mann voll Wundergaben,
Der nicht an Heiligkeit mag seines gleichen haben.
6   Den Weg der Ungebühr hat er niemals betreten,
Hell ist sein Geist, und voll Erhörung ist sein Beten.
7   Nie vorgetragen hat man ihm ein schwer Geschick,
Dagegen er nicht Rat gewußt im Augenblick.
8   Ruf ihn, damit er sprech' ein höheres Gebet,
Von dem zur Erde wird des Himmels Gnad' erfleht.« 51
9   Der König gab Befehl den höchsten von den Knechten,
Daß sie den wunderkraftbegabten Alten brächten.
10   Sie kamen mit Bericht: Genaht ist der Fakir,
Mit ehrfurchtwürd'gem Leib in Kleidern ohne Zier.
11   Der König sprach: Sprich ein Gebet, Mann ohne Tadel,
Weil ich vom Faden bin gebunden wie die Nadel.
12   Dies Wort vernahm der Scheich mit Alters Rückenkrümme,
Und rief mit Heftigkeit und lautem Ungestüme:
13   »Der Herr ist liebevoll für den gerechten Mann;
Sei gnädig, und von Gott erwarte Gnade dann.
14   Wie sollte mein Gebet dir nützen, da gefangen
Notleidende soviel in Kerkergruben bangen?
15   Gutmachen mußtest du die Sünden erst, und dann
Verlangen ein Gebet von einem frommen Mann.
16   Solang vom Hals dir nicht Bedrückter Fluch wird weichen,
Solange kann dir mein Gebet die Hand nicht reichen.«
17   Als dieses Wort der Schah von Persien vernahm,
Ward ihm der Sinn verwirrt von Unmut und von Gram.
18   Erst zürnt' er, aber sprach im Herzen gleich darnach:
Ich will nicht zürnen; wahr ist was der Derwisch sprach.
19   Sofort gab er Befehl, daß augenblicklich frei
Gegeben jeglicher in Haft gehaltne sei.
20   Zwei Andachtsbeugungen nahm nun der Weise vor
Und hob die Hand des Flehns zum Höchsten dann empor:
21   O du, in dessen Hand des Himmels Säulen ruhn,
Den du mit Kampf bedrängt, mit Frieden stärk' ihn nun!
22   Noch hielt der Heilige die Hand empor zum Beten,
Als der Krankliegende konnt' auf die Füße treten.
23   Alswie ein Pfau, wann ihm vom Fuß der Faden rollte,
War er zu sehn, als ob vor Lust er fliegen wollte.
24   Zum Danke ließ er ihm aus der Schatzkammer Schreinen
Das Haupt mit Gold bestreun, den Fuß mit Edelsteinen. 52
25   Das alles schüttelte der Derwisch aus dem Schoß,
Und sprach: Die Wahrheit muß man reden rücksichtlos.
26   Dem Faden gehe nach, dem vorigen, nicht wieder,
Der Faden käme sonst dir wieder an die Glieder.
27   Einmal erlagest du, nun lern' achtsamer schreiten,
Um mit dem Fuße nicht noch einmal auszugleiten.
28   Der Warnung treues Wort von Saadi nimm zu Handen:
Nicht immer ist, wer fiel, auch wieder aufgestanden.
29   Die Welt, mein Sohn, ist nicht der Herrschaft ew'ger Garten,
Und nicht vom Irdischen ist Treue zu erwarten.
30   Ist früh und abends nicht gegangen in den Wind
Der Thronsitz Salomo's, dem Gott sei hold gesinnt?
31   Sahst du zuletzt nicht, daß er in den Wind gegangen?
Heil jedem, der dahin klug und gelind gegangen.
32   Den Ball des Glückes hat von hier davongetragen
Der, dem am Herzen nur des Volkes Wünsche lagen.
33   Zu Statten kam nur das, was einer mit sich nahm,
Nicht was er sammelt' und verlassen mußt' in Gram.
34   Dem bleibt kein ander Glück als diese Tagefrist,
Des Herzenslust das Ungemach der Menschen ist.

 
(33.)

    1   Ich hörte, daß ein Fürst Ägyptens hoch und hehr
Sich überfallen sah vom grimmen Todesheer.
2   Die Schöne schwand ihm von den freudenhellen Wangen;
Wenn bleich die Sonne wird, dann ist der Tag vergangen.
3   Verlegen nagten die Doctoren sich die Hand,
Daß in der Heilkunst sich kein Kraut vorm Tode fand.
4   Jedweder Herrschaftsmacht steht Untergang bevor,
Außer dem ew'gen Herrn, der nie die Macht verlor. 53
5   Als nahe nun der Nacht war seines Lebens Tag,
Vernahm ich, daß er mit der Lippe murmelnd sprach:
6   Kein Herrschender wie ich saß auf Ägyptens Thron;
So groß war der Ertrag, und nichts verblieb davon.
7   Zusammen rafft' ich Welt, um nicht sie zu genießen,
Und lassen muß ich sie, wie ärmste sie verließen.
8   Nur der Wohlsinnige, der spendet' und genoß,
Erraffte diese Welt zu seinem Besten bloß.
9   Du trachte jenem nach, was bei dir bleiben mag;
Denn das was nach dir bleibt, ist Schade dir und Schlag.
10   Wenn übern Herrn ergeht des Sterbebettes Pein,
Streckt eine Hand er aus, und zieht die ander' ein.
11   Der Hände nun bedient er sich zu Fingerzeigen,
Da die Beklommenheit macht seine Zunge schweigen:
12   Streck' eine Hand zu Hülf' und milden Gaben aus,
Und eine Hand zieh' ein von ungerechtem Schmaus.
13   Nun freie Hand du hast, o rühre du die Hand;
Nicht heben kannst du einst sie aus dem Grabgewand.
14   Vorüber werden viel Mond, Sonn' und Sterne schweben,
Da von des Grabes Bett du nicht das Haupt wirst heben.

 
(34.)

    1   Fürst Kisil Arslan hatt' ein festes Felsenschloß,
Das übern Berg Elwend aufragte riesengroß;
2   Ohn' eines Dings Bedarf, ohn' eines Feinds Gefahr:
So kraus wand sich sein Weg wie Schöner Lockenhaar.
3   Es lag so einzig schön ob einem grünen Thale,
Alswie ein weißes Ei auf der lazurnen Schale.
4   Ich hört' erzählen, daß ein Mann, der um sich Segen
Verbreitete, zum Schah herkam von fernen Wegen; 54
5   Ein wahrheitspähender, der sich die Welt sah an,
Ein tüchtiger, der weit im Land sich umgethan.
6   Und Kisil sprach: Da du so weit umhergekommen,
Wo hast du einen Platz so fest schon wahrgenommen?
7   Er lächelte: Die Burg ist allerherrlichest,
Demungeachtet denk' ich nicht, daß sie ist fest.
8   Denn, hatten vor dir sie nicht tapfre Helden inne?
Ein Weilchen hielten sie, dann ließen sie die Zinne.
9   Und werden nicht nach dir sie andre Schahe haben,
Von deiner Hoffnung Baum sich an den Früchten laben?
10   Denk', daß dein Vater hier einst Herr gewesen sei,
Und mache deinen Geist von Weltgedanken frei.
11   Du siehst, wie ihn die Zeit zu einem Orte trieb,
Wo auch ein Heller nicht ihm zur Verfügung blieb.
12   Da wo die Hoffnung ihm auf jed's und jeden schwand,
Blieb ihm die Hoffnung nur auf Gottes Gnadenhand.
13   Für den Besonnenen ist Spreu nur diese Welt,
Die jeden Augenblick in andre Hände fällt.

 
(35.)

    1   Ein Närrischer sprach einst in Persiens Gebiet:
O Chosro, du der Erb' im Reiche des Dschemschid!
2   Wenn Reich und Herrschaft bei Dschemschid geblieben wäre,
Wie wäre denn an dich gelangt des Thrones Ehre?
3   Wär' in die Hände dir gefallen Karun's Hort,
Er bleibt dir nicht; nur was du schenkst, trägst du mit fort.Karun, s. oben zu 25, 18.

 
(36.)

    1   Als Alp Arslan die Seel' ihm, der sie ihm gegeben,
Heimgab, sah auf den Thron man seinen Sohn erheben. 55
2   Ihn brachten sie zum Grab vom Kronsaal; zu verweilen
Ist an der Scheibe nicht, wohin man zielt mit Pfeilen.
3   Und ein Wahnsinniger sprach klugen Sinnes, da
Er andern Tags zu Pferd den jungen Fürsten sah:
4   Ahi, der Lauf der Welt ist ein verkehrtes Spiel;
Der Sohn sitzt auf dem Roß, von dem der Vater fiel.
5   Sobald ein alter ist vom Thron ins Grab gestiegen,
Hebt sein gekröntes Haupt ein junger aus der Wiegen.
6   So ist der Tage Lauf beschaffen: unverständig,
Leichtsinnig, treulos, unbeständig, wetterwendig.
7   Trau nicht dem Glück, es ist ein Vagabund, beim Schmaus
Ein Spielmann, jeden Tag in einem andern Haus.
8   Behaglich leben läßt sich nicht mit einer Braut,
Die jeden Morgen um nach andern Buhlen schaut.
9   Thu Gutes dieses Jahr, dieweil das Gut ist dein;
Im nächsten Jahre wird ein Andrer Gutsherr sein.

 
(37.)

    1   Vor Keikobad that einst ein Weiser diesen Gruß:
O Schah, des Herrlichkeit sei endlos ohne Schluß!
2   Der Edlen einer hob ihn drum zu rügen an:
»Ei! Unvernünftiges sagt kein vernünft'ger Mann.
3   Wer ist dir denn bekannt von persischen Chosru'n
Der vor'gen Zeit, Dschemschid, Sohhak und Feridun,
4   Der nicht von Thron und Reich den Untergang erfuhr?
Für einen Weisen ziemt verständ'ge Rede nur.«
5   Darauf antwortete der Biedersinnige:
Gewiß, ein Thor nur sagt das Widersinnige.
6   Ich aber wünschte nicht ihm ew'ges Erdenleben,
Des Himmels Beistand wünscht' ich ihm zum Heil gegeben. 56
7   Denn wenn er tadellos und rein zu wandeln trachtet,
Den rechten Weg erkennt und guten Rat beachtet;
8   Dann, wann er losreißt einst das Herz vom Reich der Welt,
Schlägt er in anderm Reich auf seiner Herrschaft Zelt.
9   So wird für ihn nicht sein der Herrschaft Untergang,
Er macht allein von Reich zu Reich den Übergang.
10   Was schadet ihm der Tod, wenn fromm er ist und rein?
Er wird, in dieser Welt und jener, König sein.
11   Wem zu Gebote steht Schatzkammer, Heeresmacht,
Weltoberherrlichkeit, Wunschfülle, Glanz und Pracht;
12   Wenn er dabei im Weg des Guten, Schönen schreitet,
So ist ihm Lebenslust für alle Zeit bereitet.
13   Doch wenn Gewaltsamkeit er übt an dem Fakir,
Ist ihm die Tagefrist ein Drang und Kampf schon hier.
14   Als Pharao von sich nicht that den Unverstand,
Ging seine Herrschaft nur bis an des Grabes Rand.

 
(38.)

    1   Ein frevellust'ger Fürst im Lande Gur gesessen,
Ließ oft zu seinem Dienst der Bauern Esel pressen.
2   Die Esel unterm Pack, und ohne Futtersack,
Um fielen sie in ein paar Tagen von dem Plack.
3   Vertreibt der Reiche sich die Zeit mit niederm Scherz,
So fällt die Last davon auf armer Leute Herz.
4   Hebt seiner Hoheit Bau aus Eigensucht sich frecher,
So fällt Unrat und Mist davon auf niedre Dächer.
5   Nun hört' ich, daß einmal, bewehrt mit Pfeil und Bogen,
Der ungerechte Mann zur Jagd war ausgezogen.
6   Er rannte spornstreichs dort her hinter einem Wild;
Fern vom Gefolge traf die Nacht ihn im Gefild. 57
7   In finstrer Nacht allein, wußt' er nicht Weg noch Steg,
Und unbewußt geriet er in ein Dorfgeheg.
8   In diesem Dorfe saß ein Mann hoch in den Jahren,
Der Alten einer, die im Weltlauf sind erfahren.
9   Der sprach zu seinem Sohn: »Mein lust'ger Kamerad,
Mit deinem Esel reit mir morgen nicht zur Stadt.
10   Denn jener Unglücksmann, an jeder Tugend karg,
Des Stell' ich möchte sehn statt auf dem Thron im Sarg;
11   Der seinen Gurt anlegt dem Teufel zu Gebot,
Darob zum Himmel schlägt im Land ein Schrei der Not:
12   In diesem Lande hat von Freuden einen Schimmer
Gesehn kein Menschenaug' und wird ihn sehn auch nimmer,
13   Bis jener Unhold, der geschwärzt sein Lebensbuch,
Zur Hölle niederfährt, ihm auf dem Hals ein Fluch.«
14   Da sprach der Sohn: Der Weg dahin ist lang und schwer,
Zu Fuße kann ich ihn nicht gehn, Vortrefflichster!
15   Sinn' einen Ausweg aus, und einen Rat erfinde,
Denn heller ist dein Rat als der von deinem Kinde.
16   Der Vater sprach: »Wenn dir mein Vorschlag leuchtet ein,
So nimmst du dir zur Hand recht einen tücht'gen Stein,
17   Und triffst das edle Thier damit ein paarmal gut,
Daß Vor- und Hinterbein und Seit' ihm läuft von Blut;
18   Der Niederträchtige, mit Schändlichkeit im Bund,
Vielleicht steht ihm nicht an ein Esel lahm und wund.
19   Zerbrochenes Gerät in deiner Hand befand
Sich besser doch als ganz in deines Feindes Hand:
20   Wie Chider, der Prophet, als er das Schiff zerbrach,
Wodurch des frevelnden Tyrannen Hand er brach;
21   Im Jahr, als mit Gewalt er weg die Schiffe nahm,
Davon ihm übler Nam' auf viele Jahre kam.
22   Gespieen sei auf den, der so die Herrschaft treibt,
Daß bis zum jüngsten Tag auf ihm die Schande bleibt.« 58
23   Der Sohn, als er gehört vom Vater den Bericht,
Der Linie des Befehls entzog sein Haupt er nicht.
24   Den armen Esel traf er so mit einem Stein,
Daß er am Arme lahm und hinkend ward am Bein.
25   Der Vater sprach: »Nun thu', was du vorhast zu thun,
Und auf den Weg, den du willst machen, mach dich nun.«
26   Der Sohn stieß einem Trupp von Krämern auf, und mußte
Nachreiten; während dem flucht' er, was er nur wußte.
27   Der Vater seinerseits zum Himmel sah beklommen:
»O Herr, beim Teppich des Gebetes aller Frommen!
28   So lange gönne mir der Lebenstage Frist,
Bis dieses Ungetüm zu Grund gegangen ist.
29   Wenn ich nicht sehen soll, daß ihn erreicht die Strafe,
So kommt in Grabes Nacht mein Auge nicht zum Schlafe.
30   Ob eine Schlange selbst gebär' ein schwanger Weib,
Besser als solch ein Mensch mit Teufelei im Leib;
31   Ein Weib viel besser als ein Mann, der andre zwackt,
Ein Hund ist besser als ein Mensch, der Menschen plackt;
32   Ein Unmann, der die Schmach am eignen Leib verübt,
Ist besser als ein Mann, der andre nur betrübt.«
33   All das hört' an der Schah und sprach kein Wort dawider,
Band an sein Pferd und legt' aufs Sattelzeug sich nieder.
34   Die ganze Nacht durch zählt' er wach des Himmels Sterne,
Und im Gedankensturm blieb Schlaf dem Auge ferne.
35   Doch als er den Gesang des Morgenvogels hörte,
Vergaß er alles, was die Nacht durch ihn verstörte.
36   Die Reiter waren all die Nacht hindurch gerannt,
Am Morgen hatten sie des Rosses Spur erkannt.
37   Den König fanden sie bei seinem Rosse liegen,
Und waren männiglich alsbald vom Roß gestiegen.Die Übersetzung hat eine Anspielung aufs Schachspiel verwischt. Wörtlich. Auf jenem Feld (Schachbrett) sahen sie den König beim Rosse (Springer), und kamen männiglich als Fußgänger (als die Bauern) herbei. 59
38   Sie senkten dienstbereit die Häupter ihm zu Fuß;
Die Landschaft ward ein Meer von all des Heers Erguß.
39   Und einer sprach zu ihm, sein alter Freund vom Schlosse,
Der Nachts sein Kämm'rer war und Tags sein Trinkgenosse.
40   Sag, was für Ehren dir heut Nacht das Volk erwies,
Da weder Aug noch Ohr die Sorg' uns ruhen ließ?
41   Doch nicht getraute sich der Schahinschah zu sagen,
Was schmachvoll Schmähliches mit ihm sich zugetragen.
42   Er neigte nur den Kopf geheimnißvollerweise
Zu seinem Kopf und sprach zum Ohr ihm nieder leise:
43   Von keinem Huhn hat man den Schenkel mir gebracht,
Der Esel aber lief, wie ich es nie gedacht.
44   Die Edlen setzten sich und riefen nach den Tischen,
Darauf begannen sie beim Mahl sich zu erfrischen.
45   Vom Taumel des Gelags begann sein Sinn zu wanken,
Da kam von gestern ihm der Bau'r in die Gedanken.
46   Sie holten ihn sofort und banden ihm die Glieder,
Und warfen ihn mit Schmach zu Fuß des Thrones nieder.
47   Der Finsterherzige zuckt' eines Schwertes Wucht,
Und der Verlassene sah keinen Weg der Flucht.
48   Er hielt den Augenblick für seines Lebens letzten,
Und alles sagt' er, was vorschwebte dem Entsetzten.
49   Du siehst ja, wenn dem Kiel kommt übern Kopf das Messer,
Daß dann geläufiger die Zung' ihm geht und besser.
50   Er merkte, daß er nicht dem Zorngericht enteile,
Und ungescheut ergoß er seines Köchers Pfeile.
51   Mit der Verzweiflung Mut hob er sein Haupt und sprach:
»Der, den ins Grab man legt, der schläft nicht im Gemach.
52   Nicht ich allein hab' es gesagt, o Gnädiger,
Daß ein Unseliger du bist, ein Schädiger. 60
53   Warum willst du das Schwert des Zorns auf mich nur zücken?
Ich sagt' es ins Gesicht, die andern hinterm Rücken.
54   Ich bin es nicht, der Weh schreit über Druck und Not,
Das Volk ist's, und vom Volk was hilft dir einer tot?
55   Ein Wunder, was von mir so hart aufs Herz dir fällt:
Bring um doch, wenn du kannst umbringen alle Welt!
56   Und zieht mein Tadel dir so sehr die Stirne kraus,
Hau mit Gerechtigkeit des Tadels Wurzel aus!
57   Umkehren von der Schuld, das kann dir Hülfe bringen,
Nicht den Unschuldigen, Hülflosen umzubringen.
58   Erwarte nicht, wenn nur gefrevelt deine Hand,
In gutem werde gehn dein Name durch das Land.
59   Doch wenn so übel dir solch eine Rede frommt,
So thu' in Zukunft nicht, was übel dir bekommt.
60   Das ist mein guter Rat, wenn du ihn an willst nehmen;
Und nimmst du ihn nicht an, so wirst du einst dich schämen.«
61   So sprach er und es schwebt' ob seinem Haupt das Beil,
Sein Herz macht er zum Schild vor des Geschickes Pfeil.
62   Des Königs bessrer Sinn vom Rausch erwachend staunte,
Wie leiser ihm ins Ohr ein Himmelsbote raunte:
63   »Halt ab von diesem Greis das Schwert von Rache brausend;
Denk, einen tötest du von tausend abertausend.«
64   Ein Weilchen blieb das Haupt zum Kragen ihm gesenkt;
Den Ärmel des Verzeihns hat er darauf geschwenkt.
65   Mit seinen Händen macht er los das Band des Armen,
Er küßt' ihn auf die Stirn' und hielt ihn in den Armen.
66   Er gab ihm höchste Würd' und obersten Befehl,
Da trug der Hoffnung Baum ihm Früchte sonder Fehl.
67   Die Märe ward davon gesagt auf jeder Flur;
Beglückt ist, wer da geht auf schlichter Wahrheit Spur.
68   Wie kann der Padischah das halten für ein Lob,
Wenn lautes Lobgeschrei das Volk vorm Thron erhob? 61
69   Und ist dir öffentlich der Jubelruf erwünscht,
Wenn hinterm Spinnrad dich ein altes Weib verwünscht?
70   Von viel gebildeten Verständ'gen lernst du nicht
Soviel als wenn ein Thor einmal in Schmähn ausbricht.
70   Von deinen Feinden laß dein Leben dir beschreiben;
Denn schön wird, was du thust, stets deinen Freunden bleiben.
70   Nicht deine Freunde sind, die dir ein Loblied singen;
Die lieben dich vielmehr, die dir den Tadel bringen.
70   Des Kranken Tod ist es, ihm Zuckerwerk zu geben;
Mit bittrer Arzenei erhältst du ihm das Leben.
70   Ein Sauertöpfischer setzt besser dir den Kopf
Zurecht als jeder Freund, der Süßes hat im Topf.
70   Sieh, einen bessern Rat gibt niemand dir; wo klug
Du und verständig bist, ist dir ein Wink genug.

 
(39.)

    1   Als die Chalifenreih an Mamun war gekommen,
Hatt' er ein Mädchen schön wie Mond zu Kauf bekommen,
2   Von Antlitz eine Sonn', an Leib ein Rosenzweig,
Zu weiser Männer Herzberückung künstereich.
3   Sie hatte wol die Händ' in Edler Blut getaucht,
Daß jede Fingerkupp' ihr rot war angehaucht.
4   Man sah den Farbenstrich verführerischer Brauen,
Wie Regenbogen um die Sonn', ums Auge thauen.
5   Da wollt' in einer Nacht das Engelspüppchen eben
In des Gebieters Arm den zarten Leib nicht geben.
6   Da faßt' ihn großer Zorn, er wollt' ihr sonder Weilen
Das Haupt wie das Gestirn der Zwillinge zerteilen.
7   Sie sprach: Hier ist mein Kopf, hau' ab ihn meinetwegen,
Nur heiß' mich nicht mit dir aufstehn und niederlegen. 62
8   Er sprach: Was kann dein Herz mit solchem Weh behaften?
Sprich, welche dir mißfällt von meinen Eigenschaften?
9   Sie sprach: Und tötest du, haust du entzwei mich auch:
Ich fühle mich bedrängt von deines Mundes Hauch.
10   Es trifft des Todes Schwert und der Gewaltthat Stahl
Mich einmal, doch der Hauch des Mundes tausendmal.
11   Der glückerkorne Fürst, als er das Wort vernahm,
Macht' es ihm viel Verdruß und mannigfachen Gram.
12   Er hing die ganze Nacht wach dem Gedanken nach;
Am anderm Morgen er zu seinen Weisen sprach,
13   Den Kennern der Natur aus jeder Himmelsgegend;
Mit jedem redet' er, Rat über jedes pflegend.
14   Sein Herz war zwar betrübt, doch fand er Arzenei,
Die schuf, daß süß der Hauch wie Rosenknosp' ihm sei.
15   Die Periwangige besucht' er wie vorher;
Wer meinen Fehl mir sagt, sprach er, mein Freund ist der. –
16   Nach meiner Meinung ist als Gönner dir zu hegen,
Wer ruft: He, Mann, es liegt ein Dorn auf deinen Wegen.
17   Sag einem Irrenden: Du bist im rechten Pfade;
Und du versündigst dich im allerhöchsten Grade.
18   Wem niemand seine Fehl' andeuten will, der zähle
Dem Tölpel zum Verdienst die Rüge seiner Fehle.
19   Sag nicht, vortrefflich sei der frische Honigseim,
Zu einem, wenn ihm ist zuträglich Mannaschleim.
20   Hast du gehört, wie fein der Apotheker spricht?:
Wenn du geheilt willst sein, so scheue Bittres nicht.
21   Doch wenn du ein Sorbet willst haben, das dir frommt,
So geh zu Saadi, wo man bittern Rat bekommt
22   Als Heilsaft, mit dem Sieb der Weisheit durchgesiebt,
Und mit dem Honigseim des Beispiels eingestiebt. 63

 
(40.)

    1   Ich hört' erzählen, daß ob einem guten Alten
Ein großer Padischah einmal war ungehalten.
2   Warum? weil von der Zung' ihm eine Wahrheit kam,
Und die Halsstarrigkeit ihm jener übel nahm.
3   Zum Kerker ward der Weg ihm vom Palast gezeigt;
Denn zu Gewaltthat ist ein Fürstenarm geneigt.
4   Da sprach zu ihm ein Freund im finsteren Gemach:
Nicht rätlich war das Wort zu sprechen. Doch er sprach:
5   »Wahrheit zu bringen an den Mann, ziemt Botenmunde;
Gefängnis schreckt mich nicht, es ist nur eine Stunde.«
6   Im selben Augenblick, da insgeheim erging
Die Rede, war's daß sie des Schahes Ohr empfing.
7   Er lacht' und sprach: Ihm ist die Meinung fehlgegangen;
Er weiß nicht, daß er bleibt bis an den Tod gefangen.
8   Dem Derwisch bracht' ein Knab den Gruß ins Kerkergrab;
Da sprach er: »Bring von mir dem Chosru dies, o Knab:
9   Auf meinem Herzen ist des Kummers Last nicht groß,
Denn diese Zeitlichkeit ist eine Stunde bloß.
10   Du kannst, wenn du die Hand mir reichst, nicht Lust mir wecken,
Noch auch, wenn du den Kopf mir abhaust, mich erschrecken.
11   Ob dein sei Heeresmacht, Schatzhaus und Herrngebot,
Ob Nahrungssorge mein und Kummer sei und Not;
12   Wenn in des Todes Thor wir sind gegangen ein,
So werden wir uns gleich in einer Woche sein.[In einer Woche = in kurzer Zeit.]
13   O setze nicht dein Herz auf dies Fünftagereich,
Und o versetze dir nicht selbst den Todesstreich!
14   Hat mancher nicht vor dir noch mehr als du gehäuft,
Und ringsum eine Welt in Blut und Weh ersäuft? 64
15   Wann der Gewaltige zwang alles mit dem Schwerte,
Bringt ihn nicht unter sich zuletzt des Grabes Erde?«
16   Der Wüterich befahl in seinem finstern Groll,
Daß man ihm aus dem Hals die Zunge reißen soll.
17   So aber sprach darauf der mut'ge Wahrheitsschauer:
Vor dem auch, was du sagst, empfind' ich keinen Schauer.
18   Von Zungenlosigkeit wird nicht mein Sinn verstört,
Da Gott in meiner Brust das Ungesprochne hört.
19   Was ich ertragen mag von Druck und Frevelmut,
Wenn ein gut Ende nur mir bleibt, ist alles gut.
20   Die Totenklage wird für dich zum Hochzeitfest,
Wenn du mit gutem Schluß dein Werk besiegeltest.

 
(41.)

    1   Ein Klopffechtmeister hatt' am Unterhalte Not,
Zum Frühstück nichts bereit, und nichts zum Abendbrot.
2   Oft für den argen Bauch trug er auf Schultern Lehm;
Denn von Klopffechterei lebt es sich nicht bequem.
3   Beständig, weil so leer er Teller sah und Topf,
War voll Verdruß sein Herz, und sorgenvoll sein Kopf.
4   Der ungeschlachten Welt macht' er bald eine Faust,
Bald übers wirre Glück war sein Gesicht gekraust.
5   Bald, wenn er sah, wie süß den Leuten ward der Mund,
Rann bitter ihm hinab das Wasser in den Schlund.
6   Und bitter weinend rief er dann mit Jammerton:
»Sah jemand kläglicher als dies ein Leben schon?
7   Den andern ist's bei Meth, bei Fisch und Vogel wohl;
Bei mir sieht das Gesicht des Brotes nicht den Kohl.
8   Gewiß nicht recht ist's, wenn man nach dem Recht will fragen:
Nackt bin ich, und die Katz' hat einen Pelz zu tragen. 65
9   Ach wenn der Himmel einst ein freundlich Einsehn hätte,
Und lenkte meine Hand zu eines Schatzes Stätte!
10   Daß ich es treiben könnt' einmal nach Herzenslust,
Den Staub des Kummers mir wegschütteln von der Brust!« –
11   Ich hörte, daß die Erd' er eines Tages grub,
Und draus das morsche Bein von einer Kinnlad' hub.
12   Im Boden waren ihr die Fugen aufgelöst,
Der Zähne Perlenreih' in Moder hingeflößt.
13   Der Mund gab ohne Zung' ihm guten Rat und Lehre:
Vertrage dich, o Mann, mit deiner Hände Leere!
14   Da unterm Boden so ein Mund aussieht wie alle,
Frag, ob er Zucker hat gegessen oder Galle!
15   Nicht über den Verlauf des Tages führe Klage,
Denn ohn' uns werden noch verlaufen viele Tage.«
16   Sobald als dieser Sinn ihm aufgegangen war,
Da räumte seinen Sinn der Kummer ganz und gar:
17   O Seele sonder Rat und einsichtlos, trag' eben
Den Bündel deiner Sorg', und bring dich nicht ums Leben.
18   Ein Gottesknecht, mag auf dem Kopf die Last er tragen,
Mag er den Kopf empor zu Sternen lassen ragen,
19   Im selben Augenblick, wann um der Zustand schlägt,
Ist beides aus dem Kopf vom Tod hinausgefegt.
20   All miteinander geht so Lust als Leid davon,
Nur guter Name bleibt und guter Werke Lohn.
21   Mildthätigkeit hält Stand, nicht Diadem und Thron;
Gib! dieses bleibt dir nach, o du des Glückes Sohn.
22   Verlaß dich nicht auf Macht, Ansehn und Dienerreihn;
Denn vor dir waren sie, und werden nach dir sein.
23   Streu Gold aus, denn nicht lang bleibt dir des Ird'schen Beute;
Wie Saadi, weil er Gold nicht hatte, Perlen streute.[Perlen, Verse] 66

 
(42.)

    1   Von einem Frevelmachtvollstrecker wird berichtet,
Der seine Herrschaft hatt' in einem Land errichtet.
2   In seinen Tagen war der Tag der Menschen Abend,
Und in der Nacht aus Furcht vor ihm der Schlaf unlabend.
3   Der Guten ganzer Tag verging durch ihn in Nöten,
Und gegen ihn die Nacht der Frommen in Gebeten.
4   Da kam ein Haufe Volks zum Scheiche jener Tage,
Und führte ob der Hand des Wütrichs bittre Klage:
5   O weiser Vater, hoch erleuchtet von Gemüte,
Sag jenem Jüngling doch: vor Gottes Zorn dich hüte!
6   Er sprach: »Des Freundes Nam' ist mir zu hochgeehrt;
Denn nicht ein jeder ist von ihm des Grußes wert.«Der Freund, Gott.
7   Von Gott und Wahrheit wen du siehest ab sich wenden,
Mit Gott und Wahrheit sollst du nicht an den dich wenden.
8   Dir red' ich Wahrheit, Fürst von hoher Seelenklarheit;
Vorm Manne Gottes kann man reden Gottes Wahrheit.
9   Doch an den Thoren wend' ich nicht der Weisheit Odem;
Verlieren würd' ich nur mein Korn im schlechten Bodem.
10   Wenn es auf ihn nicht wirkt, vergilt er mir's mit Grimme,
Im Herzen plagt es ihn, und er plagt mich, der Schlimme.
11   Dein Wandel aber ist in Wahrheit allerwärts,
Von der Seit' ist getrost des Wahrheitsprechers Herz.
12   Der Siegelring, o Fürst, hat diesen Brauch, allein
Zu wirken auf das Wachs, nicht auf den harten Stein.
13   Kein Wunder, wenn mir gram im Herzen ist ein Schlechter;
Denn er ist in der Nacht der Dieb, und ich der Wächter.
14   Ein hoher Wächter bist du selbst von Recht und Güte;
O daß die Wächterschaft des Höchsten dich behüte! 67
15   Den Dank dafür mit Recht in Anspruch nimmst nicht du;
Dem Herren kommt der Dank und Preis und Ehre zu,
16   Der dich hat mit dem Dienst im guten Werk beglückt
Und nicht wie andere gelassen ungeschmückt.
17   Du hast das Paradies erlangt nicht durch Bestreben,
Ein paradiesisches Gemüt ward dir gegeben.
18   Dein Herz sei Heiterkeit, und deine Tage Frieden,
Erhabne Stelle dir und fester Stand beschieden,
19   Dein Leben süß, und dein Hingang des Lebens wert,
Dein Opfer angenehm und dein Gebet erhört!

 
(43.)

(Kriegslehren.)

    1   Solang bei klugem Rat noch Auskunft dir erschien,
Ist Schonung eines Feinds dem Kampfe vorzuziehn.
2   Wenn Gegner mit Gewalt sich nicht wegräumen ließen,
Frommt es, des Unheils Thor mit Güte zu verschließen.
3   Wirf deinem Feinde Gold anstatt Fußangeln hin;
Denn scharfe Zähne macht man stumpf mit sanftem Sinn.
4   Die Trommel rühre fein mit weislichem Bedacht;
Verschlagenheit allein hilft gegen Übermacht.
5   Dem Feinde magst du dich mit Freundlichkeit erweisen,
Um bei Gelegenheit das Fell ihm zu zerreißen.
6   Schlag dich mit keinem Heer, wenn deine Macht geringer;
Denn auf den Schnepper schlägt man nicht mit seinem Finger.
7   Ob Elephantenleib du hast und Löwentatz',
Ich räume vor dem Krieg dem Frieden ein den Platz.
8   Wenn in der Hand sich kein Hülfsmittel weiter fand,
Dann ist's erlaubt, das Schwert zu nehmen in die Hand. 68
9   Wend' ab dein Haupt nicht, wenn dein Gegner Frieden sucht;
Und sucht er Kampf, wend' auch den Zügel nicht zur Flucht.
10   Denn wenn er selber will das Thor des Krieges schließen,
Wird tausendfältig dir Ansehn und Ehre sprießen;
11   Und wenn der Kampflust Fuß er in dem Bügel strafft,
Zieht Gott am jüngsten Tag dich nicht zur Rechenschaft.
12   Zum Kampfe stelle dich, wo er den Kampf erwählt;
Denn gegen Hassende liebreich sein ist gefehlt.
13   Willst du den Niedrigen mit Mild' und Güte locken,
Nur wachsen wird sein Trotz, sein Hochmut sich verstocken.
14   Mit Mannschaft mannhafter und mit arab'schem Renner
Bezwing und leg in Staub den Sinn feindsel'ger Männer.
15   Doch was mit Lindheit und Besinnung ist zu schlichten,
Sollst du mit Heftigkeit und Zorn ins Werk nicht richten.
16   Wenn der erlegne Feind zu dir kommt in dein Haus,
So thu aus Kopf und Brust Feindschaft und Haß hinaus.
17   Wenn er um Schonung fleht, so zeig ihm Edelmut;
Sei freundlich, aber sei vor Arglist auf der Hut.
18   Weich ab vom Rate nicht der Männer hoch bei Jahren;
Denn wer viel Jahre zählt, der hat auch viel erfahren.
19   Wol stürzen eine Burg, die ehrne Mauern hat,
Die Jungen mit dem Schwert, die Alten mit dem Rat.
20   Ein Junger, der mit Leu'n und Elephanten ficht,
Die Schliche kennt er doch des alten Fuchses nicht.
21   Halt in der Mitte dich des Treffens, wo man ficht;
Denn wo sich hin der Sieg wird neigen, weißt du nicht.
22   Und siehst du, daß gesprengt des Heeres Rücken sind,
So schlage nicht allein dein Leben in den Wind.[22 = 44, 8.]
23   Wenn du bist außenher, so suche deine Bahn;
Und bist du mitteninn, zieh Feindeskleider an. – 69
24   Wenn du den Weg bei Nacht einschlagen willst, nun gut,
Doch sei vor Hinterhalt zuerst auf deiner Hut.
25   Fünf Mann, in finstrer Nacht vorbrechend aus Verstecken,
Versetzen wol das Land, fünfhundert gleich, in Schrecken.
26   Magst du eintausend sein, der Feind zweihundert nur,
Mach', wann die Nacht einbrach, nicht Halt auf Feindesflur.
27   Wo zwischen Feindesheer und deinem ist die Strecke
Von einem Tagesmarsch, daselbst dein Lager stecke!
28   Wenn er den Überfall versucht, laß dich's nicht kümmern;
Wär' er Afrasiab, du wirst sein Hirn zertrümmern.
29   Weißt du nicht, daß ein Heer, das eine Tagefahrt
Gemacht hat, keine Kraft in seiner Faust bewahrt?
30   Du schlag nur ausgeruht die wegemüde Schaar;
Ein Unverständiger bringt selbst sich in Gefahr. –
31   Wenn deinen Feind du schlugst, zerschmettr' ihm die Standarte,
Damit er nimmermehr auswetzen mag die Scharte.
32   Doch nicht den Flüchtigen sollst du zu sehr nachrennen;
Du möchtest dich zu weit von deinen Freunden trennen.
33   Seh'n würdest du die Luft vom Staub des Kampfs wie Nebel,
Umringen würden sie dich mit Geschoß und Säbel.
34   Nach Beute laß das Heer nicht auseinander stäuben,
Geruhig soll dem Schah es hinterm Rücken bleiben.
35   Dem Heere hilft die Hut von seinem Fürsten mehr,
Als in des Kampfes Feld ihm hilft die eigne Wehr. –
36   Ein Tapfrer, der einmal ein Wagestück bestand,
Gut ist es, wenn alsbald Beförderung er fand,
37   Damit ein andermal er mehr noch sich erkecke,
Und ihn auch nicht ein Kampf mit Gog und Magog schrecke. –
38   Gib deinen Mannen jetzt die Ehre, die gebührt,
Nicht dann erst, wenn der Feind die Trommel hat gerührt.
39   Verpflegen mußt du wohl dein Heer zur Zeit der Ruhe,
Daß seine Schuldigkeit zur Zeit der Not es thue. 70
40   Bewahr dein Reichsgebiet vor dem, der dir nicht hold,
Mit deinem Heere, doch dein Heer mit deinem Sold.
41   Der Fürst die Oberhand ob seinen Feinden hat,
Dem Truppen stehn zu Dienst, die fröhlich sind und satt.
42   Ist nicht der Lebensbaum dem Krieger frohbelaubt,
Wie gäb' er in der Schlacht dem Tode preis sein Haupt?
43   Da von des eignen Kopfs Kaufpreise sie sich nähren,
Unbillig wär' es, wenn in Lebensnot sie wären.
44   Wenn gegen sie das Gold du schonst mit Unverstand,
So werden sie im Krieg auch schonen Schwert und Hand. –
45   Zum Kriege mit dem Feind mußt du den Krieger senden,
Zum Kampfe mit dem Leun mußt du den Tiger senden.
46   Nur nach dem Rat der Weltversuchten sei verfahren,
Denn der betagte Wolf ist in der Jagd erfahren.
47   Verständig wird der Mann, der weltgeprüfte nur,
Der Hitze mannigfach und Kälte schon erfuhr.
48   Gib, wenn du zu des Reichs Erhaltung bist entschlossen,
Kein wichtiges Geschäft dem, der jung aufgeschossen.
49   Gib einen andern nicht zum Führer deinem Heer,
Als der in Schlachten schon gewesen ist vorher.
50   Ein schweres Werk mußt du Geringen nicht auftragen,
Denn nicht den Amboß kann man mit der Faust zerschlagen.
51   Der Unterthanen Pfleg' und Heeres Hauptmannschaft
Ist keine Spielerei und Posse thorenhaft.
52   Wenn du dein Zeitliches nicht schlagen willst in Wind,
So gib nicht das Geschäft dem unerfahrnen Kind.
53   Nicht jeder Stier besteht den Kampf mit einem Tiger,
Nur jener, der bereits am Löwen ward zum Sieger. –
54   Ein Jüngling, zu der Jagd erzogen und zum Ritt,
Erschrickt nicht, wenn die Schlacht ihm vor die Augen tritt.
55   Bei Waidwerk, Ringekampf, Ballwurf und Scheibenschuß
Ist, wo ein Mutiger das Kriegspiel lernen muß. 71
56   Doch wer im Warmbad und Wohlleben wuchs heran,
Erschrickt, wann er das Thor des Kriegs sieht aufgethan.
57   Zwei Männer setzten ihn zu Sattel auf dem Pferde,
Da wird's geschehn, daß ihn ein Kind wirft auf die Erde. –
58   Von wem den Rücken du gesehn hast in der Schlacht,
Den bring du um, wenn ihn der Feind nicht umgebracht.
59   Denn besser nicht, als wer läßt schänden seinen Leib,
Ist ein Schwerttragender, der ausreißt wie ein Weib.

 
(44.)

    1   Wie trefflich sprach dies Wort Gurgin zu seinem Sohn,
Als er das Kriegsbesteck des Köchers umband schon:
2   Wenn du nur wie ein Weib Flucht suchest flink und jach,
So geh und bringe nicht streitbaren Männern Schmach.
3   Ein Ritter, der im Kampf den Rücken zeigt, zu Falle
Bringt er nicht sich allein, zugleich die Tapfern alle. –
4   Des Mutes Überschwang erscheint an zwei Gesellen,
Die stürzen in Verein sich in des Kampfes Wellen;
5   Zwei engverbündete Stamm-, Tisch- und Sprachgenossen,
Arbeiten im Gedräng' der Wahlstatt unverdrossen.
6   Denn diesem ist es Schmach, zu weichen vorm Geschoß,
Wenn in des Feindes Klaun zurückblieb sein Genoß.
7   Doch wenn du siehest, daß die Freunde Freundesdienst
Versagen, achte Flucht vom Kampfplatz für Gewinst.
8   Und siehst du, daß gesprengt des Heeres Rücken sind,
So schlage nicht allein dein Leben in den Wind.[8 = 43, 22.]

 
(45.)

    1   Zwei Männer halte wohl, o Fürst, du Hort des Staates,
Den einen Mann des Kampfs, den andern Mann des Rates. 72
2   Im Kreis der Namhaften den Ball der Herrschaft trägt,
Wer wohl den weisen Mann und wohl den tapfern pflegt.
3   Wer nicht die Feder kann und nicht das Schwert handhaben,
Nicht sagen sollst du »Schad' um ihn!« wenn er begraben.
4   Wer Schwert und Feder weiß zu führen, halt in Ehren,
Nicht Sängervolk; wer kann Mannheit vom Weib begehren?
5   O Feigheit, wenn dein Feind im Schmuck der Waffen blank,
Und du von Leierklang berauscht und Schenkentrank!
6   Wie mancher Herrschende, der nur dem Spiel nachhing,
Bis aus den Händen ihm im Spiel die Herrschaft ging!
7   Ich sage nicht, du hast den Feind im Heer zu scheuen,
Im Frieden, sag' ich dir, hast du ihn mehr zu scheuen.
8   Schon mancher hat am Tag gesungen Friedenslieder,
Und wenn die Nacht kam, hieb er die Entschlafnen nieder.
9 10   Kriegsmänner schlafen mit dem Panzer auf dem Leib
In ihrem Zelt, nicht nackt wie im Gemach ein Weib.
11   Zum Kampf sei heimliche Bereitschaft überall,
Denn heimlich rufet auch der Feind den Überfall.
12   Vorsicht ist eines sachverständ'gen Mannes Sache;
Des Lagers Erzwall ist Vorhut und Heereswache.
13   In Mitte zweier Feind', ob kurz sei ihre Hand,
Sitzen in Sicherheit, ist sicher Unverstand.
14   Denn wenn sie sich verstehn in ihrem Unterfangen,
Wird ihre kurze Hand gar leicht zu einer langen. –
15   Wenn sich auflehnen will ein Feind in Übermut,
Vergieße mit dem Schwert der Klugheit dessen Blut:
16   Geh und mit seinem Feind den Bund der Freundschaft schreibe;
So wird zum Kerker ihm das Hemd an seinem Leibe.
17   Wenn du die Zwietracht kannst im Feindeslager wecken,
Darfst du dein eignes Schwert nur in die Scheide stecken.
18   Wenn Wölfen es gefällt, einander weh zu thun,
So mag der Schafe Herd' in ihrer Mitte ruhn. 73
19   Wenn mit dem Feinde selbst der Feind zu schaffen hat,
Ruh' du bei deinem Freund in Lust aus, ist mein Rat.
20   Hast du des Krieges Schwert gezogen nach Gebühr,
Halt offen insgeheim zum Frieden eine Thür.
21   Denn Welteroberer, Helmspalter sind bedacht
Auf Frieden in der Still', und sichtlich auf die Schlacht.
22   Wenn dir ein Feindeshaupt fällt in Gefangenschaft,
Es abzuhaun sei du nicht eilig, halt's in Haft.
23   Auch in Gefangenschaft gerät vielleicht ein Haupt
Von deiner Seite, dem auch dort wird Haft erlaubt.
24   Doch wenn du den von dir Gefangnen hiebest nieder,
So siehst du deinen dort Gefangnen niemals wieder.
25   Daß Glückeswechsel ihm Gefängniß bringen kann,
Bedenkt nicht, wer Gewalt thut dem gefangnen Mann.
26   Der beut Gefangenen die hülfbereite Hand,
Der von Gefangenschaft getragen selbst das Band.
27   Wenn sich dir unterwirft ein edler Gegenstreiter,
Nimm gut ihn auf, und bald thut es ihm nach ein zweiter.
28   Wenn du zehn Herzen dir geheim erobern kannst,
Ist's besser, als wenn zehn Blutnächte du gewannst.Blutnacht, nächtlicher Überfall und Gemetzel.
29   Wenn deines Feindes Freund mit dir ein Bündniß macht,
Vor Täuschung darfst du ja nicht sicher sein, gib Acht!
30   Denn unversehns wird ihm das Herz von Rache wund,
Wenn in den Sinn ihm kommt sein alter Freundschaftsbund.
31   Sieh vom Feindseligen das süße Wort nicht an,
Weil unterm Honig sich das Gift verbergen kann.
32   Den allerbesten Hort vor Feindesschaden wählt,
Wer unter seine Feind' auch seine Freunde zählt.
33   Den Söldner, der sich hat empöret seinem Herrn,
Den halte, wenn du kannst, von deinen Diensten fern. 74
34   Nicht seinem Führer hat er Dank gewußt, dir auch
Wird er ihn wissen nicht, du fürchte seinen Brauch.
35   Sein Schwur und Eid hat dir nicht Sicherheit verliehn;
Setz einen heimlichen Achthaber über ihn. –
36   Dem Wildfang mache du zuerst die Leine lang,
Nicht aber brich sie, sonst entgeht dir gar der Fang. –
37   Wenn du aus Feindeshand genommen hast ein Land,
Halt's besser, als es sich in seiner Hand befand.
38   Denn fällt ihm wieder bei, ans Kriegesthor zu pochen,
So wird vom Volke selbst der Schädel ihm zerbrochen.
39   Doch, störst du einer Stadt Bewohnern Glück und Ruh,
So schließe vor dem Feind nur nicht das Stadtthor zu!
40   Sag nicht: »in Waffen ist der Feind vorm Thor der Stadt«;
Da seinen Waffenplatz selbst in der Stadt er hat. –
41   Berate wohl, was auf des Feinds Bekämpfung zweckt;
Betrieben sei das Werk, die Absicht sei versteckt.
42   Nicht jedem mußt du dein Geheimnis sehen lassen;
Denn Späher sah ich wol, die mit zu Tische saßen.
43   Als Alexanders Krieg gerichtet war gen Osten,
Kehrt' er nach Westen, wie man sagt, des Zeltthors Pfosten.
44   Als nach Sabulistan Schah Behram des Gefechts
Begierig zog, ließ er links rufen und zog rechts.
45   Wenn jemand außer dir um deine Plane weiß,
Geweint ob solchem Rat und solcher Weisheit sei's. –
46   Auf Großmut sei dein Sinn und nicht auf Kampf gestellt,
Daß deinem Siegelring werd' unterthan die Welt.
47   Wenn du's mit Lindigkeit und Güte kannst vollbringen,
Was brauchst du es mit Trotz und Ungestüm zu zwingen?
48   Nicht durch des Armes Kraft, o Fürst, ist stark dein Heer;
Geh, mach die Segnungen der Schwachen dir zur Wehr.
49   Der Armen Heilgebet, der in dir hoffnungsreichen,
Kann dir mehr Beistand als der Arm der Krieger reichen. 75
50   Wer in den frommen Schutz der Derwische sich stellt,
Greif' er Feridun an, er schlägt ihn aus dem Feld.

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