Saadi
Bostan
Saadi

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Siebente Pforte.

Zucht und Lehre.

(172.)

    1   Es ist die Rede hier von Ordnung, Maß und Regel,
Und nicht von Roß und Schlacht, auch nicht von Ball und Schlägel.
2   Du wohnst mit deinem Feind, der Gier, in Einem Haus:
Was gehest du aus Kampf mit jenem fremden aus?
3   Der Mann, der vom Verbot zurück die Seele zügelt,
Der hat an Mannheit Sam und Rostem überflügelt.
4   Gib doch wie einem Kind dir selbst zur Zucht die Rute,
Eh du die Keule tränkst mit Feindes Stirneblute.
5   Von einem Feind wie du hat niemand viel Beschwerden,
Da mit dir selber ja du nicht kannst fertig werden.
6   Dein Ich ist eine Stadt, von Gut und Bösen voll,
Du bist der Fürst, Vernunft dein Rat, der raten soll.
7   Gewiß, die Niedrigen, die hoch den Rücken tragen,
Werden in dieser Stadt nach Leidenschaften jagen;
8   Furcht und Ergebung ist den edlen Guten lieb,
Und Losigkeit und Lust dem Strauch- und Taschendieb.
9   Wenn Nachsicht nun der Fürst hat mit der Bösen Treiben,
Wo wird die Sicherheit und Ruh' der Frommen bleiben?
10   Doch dir ist Gier und Lust und Rach' und Neides Hadern
Wie Seel' in deinem Leib, wie Blut in deinen Adern.
11   Wie diese Feinde du gezogen und gepflogen,
So haben sie ihr Haupt bald deiner Macht entzogen: 204
12  Und dann nur bleiben Lust und Gierden unterdrückt,
Wenn des Verstandes Faust sie sehen scharf gezückt.
13   Ein Hauptmann, wenn er nicht die Feinde bänd'gen kann,
Soll gar nicht sagen, daß er Hauptmannschaft gewann.
14   In diesem Hauptstück braucht's nicht Worte zu verschwenden;
Ein Wörtchen ist genug, wenn du es an willst wenden.

 
(173.)

    1   Wenn wie der Berg den Fuß du hältst zurück im Saume,Der Saum des Bergs, sein Fuß. Der Saum des Kleides, in den man den Fuß zurückzieht =continentia. Eines der spielenden, auf Wortspiel beruhenden Bilder, wie auch »Gurt« vom Berg, 140, 11.
So hebest du mit Stolz das Haupt im Himmelsraume.
2   Halt an dich deine Zung', o vielverständ'ger Mann;
Den zungenlosen schreibt der Griffel dort nicht an.
3   Die, denen das Juwel der Schweigsamkeit ist kund,
Thun wie die Muschel nur mit Perlen auf den Mund.
4   Wer viele Worte macht, verstopft sich selbst das Ohr;
Beim Schweigenden nur hat der Rat ein offnes Thor.
5   Vom Reden anderer schmeckt nicht die Süßigkeit,
Wer selbst zu jeder Frist zu reden ist bereit.
6   Man redet nicht das Wort, eh man's bedacht vollkommen;
Man schneidet nicht das Kleid, eh man das Maß genommen.
7   Wer Fehl und Richtigkeit im Sinn erwägt genauer,
Ist besser als ein stets spruchfert'ger Widerkauer.
8   Red' ists, die seinen Wert dem Menschengeiste gab;
Du setze durch das Wort nicht deinen Wert herab.
9   Den minder Sprechenden siehst du sich minder schämen;
Ein Körnchen Muskus gilt mehr als ein Haufen Lehmen.
10   Laß dich mit dem nicht ein, der für zehn Männer schwätzt;
Und sprich alswie ein Mann, der weis' ist und gesetzt. 205
11   Du schossest hundert Pfeil', und alle gingen schrägs;
Wenn du vernünftig bist, schieß einen gradenwegs.
12   Wie möchte heimlich wer ein Wörtchen fallen lassen,
Ob dem, wenn offenbar es würd', er müßt' erblassen?
13   Thu deine Heimlichkeit nicht kund vor einer Mauer;
Es ist ein Ohr vielleicht dahinter auf der Lauer.
14   Geheimnis liegt in Haft in deinem Herzverließe;
Gib Acht, daß es das Thor der Festung nicht erschließe.
15   Ein Weiser hemmt darum den Mund im Redeschwunge,
Weil er die Kerze sieht verbrennen an der Zunge.[Zunge, züngelnde Flamme.]

 
(174.)

Dieselbe Erzählung zur Probe im Versmaß des Originals
    (ᴗ – – | ᴗ – – | ᴗ – – | ᴗ –)
übersetzt:
 
(1) Takasch-Schah vertraut' ein Geheimnis den Knechten,
      Damit sie an Niemand es ausbringen möchten.
(2) Ich weiß nicht, von wem ausgeplaudert es ward;
      Der Schah sprach. »Ihr Unweisen boshafter Art.
(3) Ein Jahr, und mir kam's aus der Brust auf die Zung',
      Ein Nu, und ihr bringt durch die Welt es in Schwung.«
(4) Dem Scharfrichter er ohne Schonung befahl:
      »Du hau ihre Köpf' ab mit schneidendem Stahl.«
 5  Da sprach von der Schar einer, flehend um Huld:
      »O bring nicht die Knecht' um, denn dein ist die Schuld.
 6  Du hast, da's ein Quell war, gestopft nicht das Loch;
      Es ist nun ein Gießbach, wer stopft diesen noch?« –
 7  Du mach' dein Geheimnis nicht selbst Einem kund;
      So bist du gewiß, daß er's macht keinem kund.
 8  Du magst deinen Schatz deinen Schatzmeistern geben,
      Doch gib dein Geheimnis dir selbst aufzuheben.

    1   Fürst Takasch sagt' einst ein Geheimnis seinen Knechten,
Das andern Leuten sie nicht weiter sagen möchten.
2   Ich denke wol, daß es bald ausgeplaudert ward;
Da sprach der Sultan: »O ihr Thoren böser Art!
3   In einem Jahr kam mir's vom Herzen auf die Zunge;
In einem Augenblick geht's durch die Welt im Schwunge.« 206
4   Und dem Scharfrichter gab er ungesäumt Befehl:
»Hau allen diesen ab die Köpf' und hau nicht fehl!«
5   Doch ihrer einer sprach, indem er bat um Gnade:
»Bring nicht die Diener um! denn von dir ist der Schade.
6   Du hast nicht, als ein Quell es war, gestopft das Loch;
Nun es ein Gießbach ward, was hilft das Stopfen noch?« –
7   Dein Herzgeheimnis thu nur selber Keinem kund,
So bist du sicher, daß er halte reinen Mund.
8   Deinem Schatzmeister magst du Edelsteine geben,
Doch dein Geheimnis gib dir selbst nur aufzuheben.
––
9   In deinen Händen steht das ungesprochne Wort;
Du sprichst es aus und bist in seiner Hand sofort.
10   Gefangen liegt der Dew in Herzens Brunnengrund;
Laß ihn heraus nicht in den Gaumen, in den Mund.
11   Du weißt, daß wenn der Dew entsprungen ist der Haft,
Kein Run »Gott steh uns bei« dahin zurück ihn schafft.vgl. 1001 Nacht, der Geist der Flasche aus dem Meer gefischt.
12   Im Spiele mag ein Kind dem Rachsch die Fessel nehmen,Rachsch, Rostems unbändiges Roß.
Den hundert Rosteme nicht wieder können zähmen.

 
(175.)

    1   Ein Mann von schlichter Sitt' und schlechtem Ordenskleid
Lebt' einst in Misr und hielt Stillschweigen lange Zeit.[Misr, Cairo.]
2   Verständ'ge Männer sah man gleich den Schmetterlingen
Nach Licht begierig ihn von nah und fern umringen.
3   Einst in der Nacht hatt' er Gedanken gegen Morgen:
»Unter der Zunge bleibt der innre Mensch verborgen.von Göthe in seinen Diwan aufgenommen:
        [Wer schweigt hat wenig zu sorgen,
        Der Mensch bleibt unter der Zunge verborgen.]
207
4   Wenn ich den Atem so an mich halt' immerhin,
Wie merken Leute denn, daß ich ein Weiser bin?«
5   Er sprach, da leuchtet' es so Freund als Feinden ein:
Unwissender als er war nichts als er allein.
6   Sein Hof zerstreute sich, die Herrlichkeit verschwand;
Er ging auf Reisen und schrieb an eines Tempels Wand:
7   »Hätt' ich mein Angesicht im Spiegel recht geprüft,
Im Unverstand hätt' ich den Schleier nicht gelüft.
8   So häßlich wie ich bin, hob ich des Schleiers Falten,
Weil ich mich selbst so schön von Angesicht gehalten.« –
9   Wer minder redet, dem ist leichter Ruf verliehn;
Sprachst du und Beifall ward dir nicht, so magst du fliehn.
10   Wol mag die Schweigsamkeit, o Mann der Geistesfülle,
Dienen zur Würde dir, Unwürdigen zur Hülle.
11   Drum wenn du weise bist, gib nicht dein Ansehn preis;
Und wenn du bist ein Thor, nicht deinen Schlei'r zerreiß'.

 
(176.)

    1   Ein Mann begann im Streit Unziemliches zu sagen,
Darüber packte man ihn mit der Hand am Kragen.
2   Er kriegte Schläg' und nahm mit Weinen nackt die Flucht;
Ein Welterfahrner sprach: »O Mann der Eigensucht!
3   Hättest du deinen Mund geschlossen wie die Knospe,
Sähst du dein Hemde nicht zerrissen wie die Rose.« –[Knospe – Rose, sic!]
4   Ein Unbesonnener läßt hohle Worte tönen
Gleich der ruhmredigen hirnlosen Trommel Dröhnen.
5   Das Feuer, siehst du wohl, ist weiter nichts als Zunge;
Mit etwas Wasser dämpft man es im hohen Schwunge.
6   Wenn Tugend in der That ist einem Mann verliehn,
So spreche nicht der Mann, die Tugend spricht für ihn. 208
7   Wer reinen Muskus führt, braucht keinen Lobespruch;
Denn wenn dem so ist, macht es ruchbar der Geruch.
8   Zu schwören einen Eid: »mein Gold ist extrafein«,
Wozu das? selber thut mir's kund der Probestein.
9   Der tausend Neider Chor mag schelten: »Ungefällig
Ist Saadi, keineswegs umgänglich und gesellig.«
10   Ich muß es leiden, daß sie mir das Fell zerpflücken,
Doch lass' ich nicht das Hirn von ihnen mir zerstücken.

 
(177.)

    1   Dem Asaddaula lag ein Kind einst schwer erkrankt;
Darob dem Vater ganz die Fassung war entschwankt.
2   Da riet ein frommer Mann ihm statt der Arzenei:
»Laß ein'ge Vögel aus den Vogelbauren frei.«
3   Der Fürst, der immer weis' und edel sich bezeigt,
Erwies dem guten Rat des Alten sich geneigt.
4   Er brach die Käfige dem wilden Waldgeflügel;
Wem man die Freiheit schenkt, wie hielte den ein Zügel?
5   Von all den übrigen in seinem Gartensaal
Behielt er sangberühmt nur eine Nachtigall.
6   Das Kind (genesen war's) lief früh zum Garten nieder
Und fand im Gartensaal kein andres Vöglein wieder.
7   Es lacht': »O Nachtigall, begabt mit süßem Ton!
Des Lautes wegen bist du nicht dem Band entflohn.« –
8   Solang du schweigest, hat dir niemand etwas an;
Doch wenn du etwas sagst, »beweis' es, lieber Mann«!
9   Wie Saadi, der die Zung' ein Weilchen hielt gefangen;
Der Zungenhelden Schar war er solang entgangen.
10   Nur der mag Herzensruh in seinem Schoße sehn,
Der dem Verkehr der Welt mag aus dem Wege gehn. 209
11   Thu' nicht, Verständiger, das Hehl der Leute kund;
Zu Herzen nimm dir deins, nicht fremdes in den Mund.
12   Wo Thorensang du hörst, da neige nicht dein Ohr;
Und wo du Blöße siehst, nimm selbst den Schleier vor.

 
(178.)

    1   Ein Jünger, hört' ich, der zum Türkenschmaus ging hin,
Zerbrach des Sängers Laut' im Rausch und Tamburin.
2   Da riß man wie die Laut' alsbald ihn bei den Haaren,
Und ließ ihn Backenstreich' als Tamburin erfahren.
3   Der Schmerz der Püffe ließ ihn all die Nacht nicht schlafen;
Des andern Tages hub der Scheich ihn an zu strafen:
4   »Soll wie das Tamburin wund dein Gesicht nicht werden,
So senk den Kopf, o Freund, der Laute gleich zur Erden.«

 
(179.)

    1   Zwei Männer sahen Staub, Getös und Kampf erhoben,
Steine, die flogen, und Schuhsohlen, welche stoben.
2   Einer sah den Skandal, und ging aus dem Gehege;
Der andre mischte sich hinein und kriegte Schläge. –
3   Dem ist am wohlsten, der sich für sich selber hält,
Und nichts zu schaffen hat mit Gut und Bös der Welt.
4   Man hat dir Augen an das Haupt gesetzt und Ohren;
Zu Reden ist der Mund, zu Sinn das Herz erkoren.
5   Du unterscheidest doch Aufgang von Niedergang;
Und sagst du nicht auch: das ist kurz und das ist lang?

 
(180.)

    1   Wenn ein Verständiger hat Ohren, um zu hören;
Süß gehn den Ohren ein erfahrner Greise Lehren. 210
2   Zu Naßir's Zeit geschah's, daß von Beit Elharam
Ich eben unterwegs war nach Dar Esselam.Beit Elharam = Mekka; Dar Esselam = Bagdad.
3   Nach einer Herberg lenkt' ich Nachts zu meinen Gang;
Da kam mir zu Gesicht ein Schwarzer mächtig lang,
4   Ein Kobold, meintest du, der Königin Balkis,Balkis, nach dem Koran die Königin von Saba, die zu Salomon kam, um ihn zu berücken mit Zaubereien – also wol auch einen Kobold (ifrît) gehabt haben wird.
In seiner Häßlichkeit ein Muster des Iblis.
5   Und ihm in Armen war ein Mädchen wie der Schein
Des Monds, in deren Lipp' er seinen Zahn schlug ein.
6   In seinem Schoße hielt er sie mit solcher Macht,
Es war, als ob der Tag bedeckt sei von der Nacht.Anspielung auf eine Koranstelle [13, 3].
7   Erst hielt am Rocksaum mich der Artigkeit Geheiß;
Doch Vorwitz ward ein Feu'r und machte bald mir heiß.
8   Ich sah mich links und rechts nach Stein und Prügel um:
»Ei gottvergessner Wicht, dem Schande dient zum Ruhm!«
9   Mit Schelten und mit Schmähn, mit Lärmen und mit Schrein,
Schied ich da Schwarz und Weiß alswie der Morgenschein.
10   Die wüste Wolke hob vom Garten sich empor,
Und unterm Raben kam das Taubenei hervor.
11   Vor meinem Gotthilfruf entfloh der Dämon zwar,
Allein dafür geriet die Peri mir ins Haar.
12   »Scheinheil'ge Kutte mit Betteppichen behangen,
Aushängend Himmlisches, um Irdisches zu fangen!
13   Seit ew'ger Zeit war mir das Herz fort aus der Hand
Nach jenem Mann, und mein Gemüt um ihn in Brand.
14   Nun endlich war für mich das frische Brot gebacken,
Da reißest du mir warm den Bissen aus den Backen.«
15   Sie hob ein Notgeschrei und sang ein Klagelied:
»Das Mitleid ist dahin, und das Erbarmen schied. 211
16   Blieb von den Jünglingen nicht einer im Revier,
Der meine Rache nehm' an diesem Alten hier?
17   Der so hat alle Scham vom Alter abgestreift,
Daß er am Heiligtum von Fremden sich vergreift!«
18   So schrie sie Weh, und hielt fest mein Gewand am Saum,
Und übern Kragen hob mein Haupt vor Schimpf sich kaum.
19   Vernunft begann am Ohr des Geistes mich zu zupfen,
Ich sollte gleich dem Lauch aus dem Gewande schlupfen.
20   Und ich begann im Nu aus dem Gewand zu schlupfen;
Es möchte, fürchtet' ich, sonst Alt und Jung mich rupfen.
21   Halbnackt entriß ich so dem Weib mich und entschwand;
Mein Kleid blieb besser als ich selbst in ihrer Hand.
22   Drauf ein'ge Zeit hernach kam sie an mir vorbei;
»Kennst du mich?« fragte sie; ich rief: »Um Gott! verzeih!
23   In deine Hand legt' ich dort das Gelöbnis ab,
Daß ich auf künft'ge Zeit Vorwitzes mich begab.« –
24   Der ist vor solcherlei Begegnissen beschützt,
Wer unbekümmert hinter seiner Arbeit sitzt.
25   Von dieser Schande hab' ich diesen Rat erhalten:
Hinfort Gesehenes für ungesehn zu halten.
26   Halt' deine Zung' an dich, wenn du bist witzereich;
Wie Saadi sprich, und wenn du so nicht kannst, so schweig.

 
(181.)

    1   Zum Scheich Da'ud von Tai ein Schüler kam mit Kunden:[Da'ud von Tai, ein berühmter Mystiker.]
»Ein Ordensbruder ward von mir berauscht gefunden,
2   Sein Kopfbund und sein Hemd besudelt von Gespei,
Es drängte sich um ihn ein Rudel Hund' herbei.« 212
3   Wie den Bericht vernahm vom jungen Mann der Alte,
Zog über sein Gesicht er des Verdrusses Falte.
4   Er grollt' erst eine Weil', und sprach dann: »O Geselle,
In solcher Lag' ist recht ein guter Freund zur Stelle.
5   Geh hin und bring ihn aus dem garstigen Zustande,
Verpönet im Gesetz, im Orden eine Schande.
6   Nimm auf die Schultern ihn alswie ein Mann; dieweil
Ein Trunkner nicht vermag zu sorgen für sein Heil.«
7   Der Hörende, des Herz eng ward von dem Gebot,
Versank in Sinnen wie der Esel in dem Kot;
8   Nicht Mut, sein Ohr dem Wort des Meisters zu entrücken,
Noch Lust, den trunknen Mann zu nehmen auf den Rücken.
9   Ein Weilchen wand er sich und wußte keinen Rat,
Und sah, sich zu entziehn dem Auftrag, keinen Pfad.
10   Da schürzt' er sich und ging, und huckte willenlos
Ihn auf, und um ihn her war all die Stadt ein Tos.
11   Der eine schimpfte: »Seht, ein Derwisch kommt vom Schmause;
O diese frommen Leut' in ihrer strengen Klause!«
12   Ein andrer schrie: »Seht an die Sufi's, die der Butte
Zusprachen und beim Wirt versetzten ihre Kutte.«
13   Sie deuteten nach dem und jenem mit der Hand:
»Der da ist ganz bezecht, und der halb angebrannt.«
14   Ein Schwert von Feindes Grimm ob deinem Nacken sei
Dir lieber als Geschmäh der Leut' und Volksgeschrei.
15   Schlecht ging's ihm, einen Tag voll Qualen stand er aus,
Und notgedrungen trug er jenen in sein Haus.
16   Nicht schlafen ließ ihn Nachts der Ärger und die Schmach;
Der Meister aber lacht' ihn morgens an und sprach:
17   »Mach deines Bruders Schmach nicht ruchbar auf der Gasse,
Daß man dich in der Stadt nicht ruchbar werden lasse.« 213

 
(182.)

    1   Vom Guten sage du und auch vom Bösen nie
Was Böses, junger Mann, dem Gott Verstand verlieh.
2   Denn nur zum Feinde machst du dir den bösen Mann;
Und wenn er gut ist, hast du Böses selbst gethan.
3   Sagt jemand dir: das ist ein übeler Gesell;
So denke du: er steckt in seinem eignen Fell.
4   Das Thun des Bösen braucht von dir nicht Commentar,
Es macht die böse That von selber schon sich klar.
5   Wenn immer sich dein Mund zu böser Red' aufthut,
Sei auch die Rede wahr, doch bist du selbst nicht gut.

 
(183.)

    1   Zu Afterrede macht' ein Mann die Zunge lang;
Da hemmte dieses Wort des Meisters seinen Drang:
2   »Gewisse Leute mußt du mir nicht machen schlecht,
Mußt meine Meinung selbst von dir nicht machen schlecht.
3   Gesetzt, gemindert sind dadurch nicht ihre Ehren,
Doch dienen wird es nicht, die deinen zu vermehren.

 
(184.)

    1   »Ich denke,« sprach ein Freund, »daß es dein Kernwort sei:
›Besser als Afterred ist Straßenräuberei.‹«
2   Ich sprach zu ihm: »O Freund von sehr verwirrtem Sinn,
Was hört von dir mein Ohr, daß ganz erstaunt ich bin!
3   Was an Ruchlosigkeit hast Gutes du gesehn,
Daß sie dir höher sollt' als Afterrede stehn?« – 214
4   Antwort: Der Räuber macht von Tapferkeit Gebrauch,
Mit seines Armes Stärk' er füllet seinen Bauch.
5   Von der Verläumdung was hat der einfält'ge Mann,
Der schwarz sein Tagbuch macht und nichts dabei gewann?

 
(185.)

    1   In der Nisamie hatt' ich die Pension,
Tag und Nacht Lection und Repetition.Nisamie, eine vom berühmten Wesir Nisam elmulk gegründete Schule in Bagdad, in welcher Saadi erzogen ward.
2   Zum Meister sprach ich einst: »O hochgelehrter Mann,
Mit seinem Neid verfolgt mich jener mein Kumpan.
3   Treff' ich den rechten Sinn der Überlieferungen,
So kommt in Aufruhr das Gemüt dem bösen Jungen.«
4   Als dieses Wort vernahm der Führer unsrer Chöre,
Geriet er stracks in Zorn und rief: »Ei was ich höre!
5   Wenn dir von dem Kumpan der Neid nicht stehet an,
Wer sagt dir denn, es sei Verläumdung wohlgethan?
6   Ist er den Höllenweg durch Schlechtigkeit gegangen,
Willst du auf anderm Weg denn auch dahin gelangen?«

 
(186.)

    1   Ein Mann rief: »Hedschadsch ist ein Blutmensch voll von Tücke,
Sein Herz ist wie ein Fels aus einem einz'gen Stücke,
2   Vom Wehruf ungerührt und von des Volkes Ache;
O Gott im Himmel, nimm an ihm des Volkes Rache!« –
3   Ein Altgeborner, der die Welt gesehen hat,
Gab drauf dem jungen Mann den greisenhaften Rat: 215
4   »Laß du die Hand von ihm und seinem Schicksalsgange;
Das Schicksal streckt von selbst die Hand nach seinem Fange.
5   An ihm wird man einmal die Unterdrückten rächen,
An andern aber das, was sie aus Rachgier sprechen.
6   An seiner Übelthat empfind' ich kein Behagen,
Doch keines auch bei dir am heimlichen Verklagen.« –
7   Von seiner Sünde wird zur Höll' ein Mann gebracht,
Wenn er das Maß hat voll, das Tagbuch schwarz gemacht.
8   Ein andrer geht als sein Verkläger hinterdrein,
Damit zur Hölle doch nicht jener geh' allein.

 
(187.)

    1   Ich hörte, daß ein Mann von geistlich hohen Gaben
Im Scherze lacht' einmal auf einen schönen Knaben.
2   Die andern geistlichen Bewohnenden der Zell'
Ingrimmig fielen sie mit Scheltred' ihm ins Fell.
3   Verborgen bleiben konnt' am Ende nicht die Sach',
Ein frommer Herzensmann erfuhr davon und sprach:
4   »Zieh dem bedrängten Freund den Schleier nicht vom Haupt;
Ein Scherz ist unverpönt, und Nachred' unerlaubt.« –
5   Zu fremder Heimlichkeit mach' keinen Commentar;
Denn deine Heimlichkeit wird einst auch offenbar.

 
(188.)

    1   Ich war ein Kind annoch, das rechts von links nicht kannte,
Als in mir eine Lust zu fasten schon entbrannte.
2   Ein Frommer, welcher sich in unsrer Gasse fand,
Belehrte mich im Brauch, zu waschen Fuß und Hand: 216
3   »Erst nach der Satzung mußt du ein Bismillah sprechen,Bismillah »im Namen Allah's«.
Dich sammeln dann, und dann waschen der Hände Flächen.
4   Dann wäschest du den Mund, und dreimal Nas' und Ohren;
Ins Nasenloch mußt du den kleinen Finger bohren,
5   Die Vorderzähne mit dem Zeigefinger reiben;
Denn bei dem Fasten darf nichts in den Zähnen bleiben.
6   Drei Handvoll Wasser spritz alsdann aufs Antlitz hin
Von dem Haarboden an bis nieder an das Kinn.
7   Dann wäschest du den Arm bis an den Ellenbug,
Und bet'st dabei, so viel du weißt, in einem Zug.
8   Dann trocknest du den Kopf, und machst die Füße naß;
Und so vollendet ist in Gottes Namen das.
9   Kein andrer weiß wie ich Bescheid in diesem Fach;
Der Scheich des Dorfes, weißt du's nicht?, ward blöd und schwach.«
10   Dem Ältesten des Dorfs ward dieses hinterbracht,
Und einen Boten sandt' er heimlich ihm bei Nacht:
11   »O du von schöner Red' und häßlichem Betragen,
Thu' selber erst was du den andern weißt zu sagen!
12   Sagst du, Spankauen ist beim Fasten unerlaubt?[Spankauen, Gebrauch des Zahnstochers; die zweite Zeile bezieht sich auf Koran 49, 12.]
Ist toter Menschen Fleisch zu nagen nun erlaubt?« –
13   Wer von verbotner Speis' ausspült des Mundes Pforten,
O hielt' er sie erst rein von unerlaubten Worten!
14   Wo du den Namen hörst von jemand vorgebracht,
Sei auf ein ehrendes Beiwort für ihn bedacht;
15   Doch wenn du immer sagst, daß Menschen Esel seien,
Erwarte nicht, daß sie dir Menschentitel leihen.
16   Du solltest über mich so reden auf den Gassen,
Daß du mich selber auch es dürftest hören lassen.
17   Und schämst du so dich vor des Menschen Angesicht,
Kurzsichtiger, ist Gott dir gegenwärtig nicht? 217
18   O sprich, ob du nicht Scham empfindest selbst vor dir,
Daß du ihn übersiehst und schämest dich vor mir!

 
(189.)

    1   Die festauftretenden, des rechten Weges Kenner,
Gesellig saßen sie zusammen, ein'ge Männer.
2   Und einer von der Zahl fing an zu afterreden
Und einen Wehrlosen abwesend zu befehden.
3   Ein andrer sprach: »O Freund feindseliger Gedanken:
Hast du den Feldzug je gemacht ins Reich der Franken?«
4   Darauf antwortet' er: »Aus meinen Wänden vier
Setzt' ich mein Lebenlang nie einen Fuß herfür.«
5   Da sprach der Gottesmann, beseelt von Wahrheitshauch:
»Nie vorgekommen ist mir so verkehrter Gauch:
6   Vor seinem Kampfe sind Ungläubige geborgen,
Vor seinem Zungenschwert die Gläubigen in Sorgen!«

 
(190.)

    1   Wie trefflich hat gesagt von Murgesar der TolleDer Tolle = Gottbegeisterte.
Ein Wort, das jeder sich zu Herzen nehmen wolle:
2   »Wenn ich den Menschen wollt' an Ehr' und Namen nagen,
So würd' ich Böses nur von meiner Mutter sagen.
3   Doch alle, die Vernunft erzogen hat, die wissen,
Daß Ehrerbietung nicht die Mutter dürfe missen.«[Nach einer Überlieferung sollen beim jüngsten Gerichte die guten Thaten eines Verleumders der von ihm verleumdeten Person angerechnet werden; diese Wohlthat also, meint »der Tolle von Murgesar«, soll, wer überhaupt verleumden will, vor allen Andern der eigenen Mutter zugute kommen lassen. Denn (so sollte, statt mit
doch das dritte Verspaar eingeleitet sein, persisch ki) der Mutter ganz besonders gebührt jede rücksichtsvolle Aufmerksamkeit. – Statt Murgesar steht übrigens im Texte Margas.]
218
4   Von dem abwesenden Genossen, edler Mann,
Zwei Stücke sind es, die man nicht darf rühren an;
5   Eins: Greifen soll man nicht in seines Gutes Kasten,
Und ihm, zum andern, nicht des Namens Ehr' antasten.
6   Wer in dem Mund mit Schmach der Leute Namen trägt,
Von dem erwarte nicht, daß er dir Gutes hegt.
7   Denn hinterm Rücken dir wird er dasselbe sagen,
Was hinter andern er zu Ohren dir getragen.
8   In meinen Augen ist ein Weiser aus der Welt,
Wer sich bedenkt und läßt die Welt Gott heimgestellt.

 
(191.)

    1   Von dreien, hör' ich, hat Nachrede gute Gründe,
Doch über die hinaus beim vierten ist sie Sünde.
2   An erster Statt ein Fürst, der keinen Tadel scheut,
Von dem des Volkes Herz du siehst mit Weh bedräut:
3   Erlaubt ist es, von ihm die Kunden auszutragen,
Damit auf seiner Hut das Volk sei vor den Plagen.
4   Zum andern: ziehe nicht den Vorhang einem vor,
Der ohne Scham und Zucht sich selbst zerriß den Flor:
5   Halt nur, o lieber Freund, den vom Bassin nicht ferne,
Der selber übern Kopf sich stürzt in die Cisterne.
6   Zum dritten: wer die Welt betrügt mit falscher Wage,[Zum dritten; in Rückert's Manuscript steht durch einen Schreibfehler: Zum vierten.]
Von dessen bösem Thun was du nur weißt, das sage.

 
(192.)

    1   Ich hört', ein Räuber aus der Wüste kam hervor
Zu Sistan an die Stadt und trat daselbst ins Thor. 219
2   Er kaufte Proviant vom Händler jener Gassen,
In schlimmen Handel hatt' er da sich eingelassen.
3   Der Händler stahl dabei ihm einen halben Dang,[Dang, eine kleine Münze, das russische den'ga.]
Darob das Wehgeschrei des argen Diebs erklang:
4   »O Gott, verdamme nicht den nächt'gen Dieb zur Glut,
Weil Schlimmeres am Tag ein Sisetaner thut.
5   Ich bin bei solchem Werk in steter Furcht bei Nacht,
Und der hat's ohne Scheu am hellen Tag vollbracht.«

 
(193.)

    1   Zu einem Sufi sprach ein Freund mit Freundesblicken:
»O weißt du nicht, was der von dir sagt hinterm Rücken?«
2   Doch jener sagte: »Schweig, o Bruder, bis man fragt;
Am besten ungewußt bleibt was der Feind gesagt.« –
3   Die mir des Feindes Gruß dienstfertig tragen her,
Ich sehe wohl, sie sind mir feindlicher als er.
4   Zum Freunde wird das Wort des Feindes keiner tragen,
Der nicht in Feindlichkeit mit ihm sich hat vertragen.
5   Der Feind hat nicht gewagt das Kränkende zu sprechen,
So daß durchs Hören es das Herz mir könnte stechen;
6   Du aber wirst der Feind, der in den Mund es wagt
Zu nehmen: »Also hat heimlich dein Feind gesagt.«

 
(194.)

    1   Beim Schah Feridun stand in Ansehn ein Wesir,[Feridun, fabelhafter, durch Güte und Weisheit ausgezeichneter König Persiens, der siebente der ersten Dynastie.]
Begabt mit hellem Blick und reiner Sitte Zier. 220
2   Die Gnade Gottes nahm er vordersamst in Acht.
Und auf des Herrn Gebot war er sodann bedacht.
3   Das Volk bedrücken mag ein schlechter Hausverwalter;
Es ist des Staates Hort, der Reichsschätz' Unterhalter.[Der Dichter will sagen: ein schlechter Minister bedrückt das Volk unter dem Vorgeben, daß es das Wohl des Staates und die Füllung des Staatsschatzes so verlange.]
4   Wenn nicht zu Gott empor des Dieners Augen blicken,
Wird er vom eignen Herrn ihm das Verderben schicken. –
5   Zum König trat ein Mann am frühen Morgen ein:
»Neu möge jeder Tag dir Ruh' und Lust verleihn!
6   Hör arglos, und vernimm den guten Rat von mir:
Ein Feind dir insgeheim ist dieser Großwesir.
7   Nicht einer deines Heers ist vornehm noch gering,
Der Gold und Silber nicht von ihm zu Borg empfing,
8   Auf den Beding, daß, wenn des Schahes Hoheit nieder
Gestreckt der Tod, sie Gold und Silber gäben wieder.
9   Der Eigensüchtige wünscht drum dir nicht das Leben,
Es würd' ihm sonst sein Geld ja nicht zurückgegeben.«
10   Da richtete der Schah mit Strafeblick sofort
Sein Aug' auf den Wesir, des Reiches edlen Hort:
11   »O der du von Gestalt den Heuchlern dich vereinest,
Wiewol du äußerlich gefällig mir erscheinest;
12   Von außen zeigst du dich als ein so Liebevoller,
Warum im Innern bist du mir ein Übelwoller?«
13   Da küßte der Wesir den Boden vor dem Thron,
Und sprach: »Weil du gefragt, muß ich's nun sagen schon:
14   Ich hab', o Padischah von hoher Mannesehre,
Gewünscht, daß immerfort das Volk dein Heil begehre;
15   Weil meines Darlehns Frist ich setzt' auf deinen Tod,
Wünscht langes Leben dir, wen jene Frist bedroht.
16   Ist dir's nicht lieb, daß nun mit brünstigem Gebet
Das Volk ein blüh'ndes Haupt und Wohlsein dir erfleht? 221
17   Die Segenswünsche pflegt als Heil man anzuschlagen,
Um gegen Schicksalspfeil' als Panzer sie zu tragen.«
18   Froh rührte, was er sprach, des Schehriar's Gemüt,
Und seine Wange war der Rose gleich erblüht.
19   Von Rang und Würde, da der Treue stand zuvor,
Rückt' er zu höherm Rang und Würden ihn empor.
20   Den Neider aber ließ er den Verweis hinnehmen,
Daß er sich seiner Red' in Zukunft mußte schämen. –
21   Nie wirrer war der Kopf, der Glückstern düsterer,
Das Glück verkehrter als dem Ohrenflüsterer,
22   Der, unverständig und stumpfsinnig wie er ist,
Wirft mitten zwischen zwei Befreundete den Zwist;
23   Wann mit einander gut dann beide wieder sind,
Steht in der Mitten er verwirrt von Scham und blind.
24   Ein Feuer zwischen Zwein anschüren, ist zu nennen
Nur Unvernunft, um selbst dazwischen zu verbrennen.

 
(195.)

    1   Ein Weib, das fromm und schön und willig ist zugleich,
Macht einen armen Mann wie einen Sultan reich.
2   Geh, schlag vor deiner Hütt' alswie vorm Fürstenschloß
Die Pauken, wenn dir ward ein treuer Hausgenoß.
3   Wenn du den ganzen Tag mußt sorgen, sorge nicht,
Wenn Nachts im Schoß dir ruht, was alle Sorgen bricht.
4   Wer hat ein wohnlich Haus und wonn'gen Hausgenossen,
Dem ist ein Gnadenblick des Himmels zugeflossen.
5   Von Sittsamkeit verhüllt, ein schönes Angesicht,
Entschleiert es sich dir, umfängt dich Himmelslicht.
6   Der hat von dieser Welt des Herzens Wunsch erschaut,
Mit dem herzeinig ist ein liebes Herzenstraut. 222
7   Ist sie von Sitten rein, von Worten sanftgeschlacht,
So hab' auf Häßlichkeit und Schönheit minder Acht.
8   Ein Weib von sanfter Art, nicht schön von Antlitz wähle;
Denn Freundlichkeit verhüllt des Angesichtes Fehle.
9   Sie nimmt aus Gattenhand Essig für Zucker hin,
Und isset Zucker nicht mit essigsaurer Mien'.
10   Ein wohlgesinntes Weib ist eine Herzerquickung,
Doch vor dem bösen Weib bewahr' uns Gottes Schickung!
11   Ist mit der Elster eingesperrt der Papagei,
So rechn' er's für ein Glück, wird er vom Käfig frei.
12   Lauf in die weite Welt, und wiss' nicht aus noch ein,
Oder zu Haus ergib dich in Geduld darein.
13   Doch besser sitzen in des Kadi Schuldgefängnis,
Als in dem eignen Haus genüber der Bedrängnis.
14   Besser ist barfuß gehn, als ein zu enger Schuh,
Besser Reis'ungemach als Hauses Kriegsunruh.
15   Verreisen ist ein Fest für einen Ehemann,
Der ein unholdes Weib in seinem Haus gewann.
16   Dem Hause schließe du der Lust und Freude Hallen,
Aus dem du hörest laut des Weibes Stimme schallen.
17   Wenn auf des Mannes Wort nicht hört die Sittenlose,
Da möge nur der Mann anziehn die Frauenhose.
18   Das Weib, schlägt es den Weg zum Markt ein, sollst du schlagen;
Sonst wirst du selbst im Haus das Weib und darfst nicht klagen.
19   Ein thöricht Weib, das umgeht mit Unehrlichkeit,
Wer das hat, hat ein Leid und nicht ein Weib gefreit.
20   Wenn ein Maß Gersten es hat treulos unterschlagen,
So magst du nur Valet dem Waizenhaufen sagen.
21   Doch jenem Knecht hat Gott das Beste zugewandt,
Dem er ein Weib verliehn, ehrlich von Herz und Hand.
22   Wenn einem Fremden sie hat ins Gesicht gelacht,
Sei Anspruch nicht vom Mann auf Mannheit mehr gemacht. 223
23   Und wenn die Frech' einmal den Braten hat gerochen,
Mag sie nur mit der Faust dem Mann ins Antlitz pochen!
24   Des Weibes Auge soll vorm fremden Mann erblinden,
Sie soll sich außerm Haus alswie im Grab befinden.
25   Sobald du siehest, daß ein Weib nicht fest hält Stand,
Ist Nachsicht und Geduld nicht Weisheit und Verstand.
26   Entziehe sie dem Blick des fremden Augs, und wann
Sie nicht gehorchen will, was ist dann Weib und Mann?
27   Entflieh aus ihrem Schoß in Krokodiles Rachen,
Denn besser ist der Tod als leben mit dem Drachen.
28   Wie artig ist das Wort, das jene zwei gesagt,
Die beide waren gleich von einem Weib geplagt!
29   Der: »Wär' ein böses Weib in keines Mannes Zelt!«
Und der: »O wäre doch kein Weib in Gottes Welt!« –
30   Nimm dir ein neues Weib, Freund, jedes neue Jahr;
Es taugt ein ferdiger Kalender nichts fürwahr.[Ferdig, vorjährig.]
31   Siehst du bei einem Weib gefangen einen Wicht,
O Saadi, schelte nur zu sehr den armen nicht!
32   Du selbst hast deine Not, und kannst ihr nicht entfliehn,
Wenn du bei Nacht einmal sie an die Brust willst ziehn.

 
(196.)

    1   Einst einem Alten klagt' um die Unfreundlichkeit
Des ehlichen Gemahls ein junger Mann sein Leid:
2   »Ich trage schwere Last von diesem Widerpart,
So schwere wie zu Teil dem untern Mühlstein ward.«
3   Doch jener sprach: »Ergib dich in Geduld darein;
Denn keine Schande bringt dem Mann geduldig sein. 224
4   Hausstürmer, wenn du Nachts der obre bist, o sage,
Warum nicht solltest du der untre sein bei Tage?
5   Wenn du vom Rosenstrauch hast deine Lust gebrochen,
Ist's billig, daß du auch von Dornen seist gestochen.«

 
(197.)

    1   Es kam in dieser Stadt die Märe mir zu Ohren,
Daß einen Sklaven schön ein Handelsherr erkoren.
2   Dem griff er etwa Nachts ein wenig an das Kinn;
Ein Silberapfel war's und reizte seinen Sinn.
3   Der Holde kam in Zorn, und warf jedweden Topf,
Der in die Hand ihm fiel, dem Herren an den Kopf.
4   Zu Zeugen rief der Mann nun Gott und den Propheten:
»Hinfort soll man mich nicht auf Kinderein betreten.«
5   Nun kam ihm eine Reis' in eben dieser Wochen;
Er reiste sinnverstört, kopfwund und herzgebrochen.
6   Als vor der Karawan' er ein paar Meilen hatte
Zurückgelegt, erschien ihm eine Felsenplatte.
7   Er fragte: »Sagt mir, wie die grause Veste heißt?
Viel Wunderbars bekommt zu sehn, wer lebt und reist.«
8   Ihm aus der Karawan' antwortet' ein Genoß:
»Wie sollte nicht bekannt dir sein das Türkenschloß?«
9   Er zitterte, wie er den Namen Türke hörte,[Türke ist bei den persischen Lyrikern eine gewöhnliche Bezeichnung schöner Knaben.]
Als ob der Anblick ihn des grimmen Feinds verstörte.
10   Er sprach zum Obersten des Truppes: »Edler Mann,
Hier, wo wir eben sind, ich bitte dich, halt an!
11   Ich müßte keinen Gran Verstand im Haupte tragen,
Wollt' ich ans Türkenschloß den Kopf noch einmal wagen.« – 225
12   Schließ der Begierden Thor! doch, willst verliebt du sein,
Beut deinen Kopf der Keul', und wickl' ihn nicht erst ein![»und wickl' ihn nicht erst ein«; nach dem mir allein bekannten Wortlaut des Textes vielmehr: »und gib dich ruhig drein«.]
13   Wenn einen Sklaven du im Hause willst erziehn,
Erhalt ihn in Respekt, so magst du nutzen ihn.
14   Doch wenn des Herren Zahn die Lipp' ihm wird verletzen,
So wird er sich in Kopf Herrschaftsgedanken setzen.
15   Zum Sklaven taugt ein Lehmarbeiter, Wasserträger;
Ein Sklave zart und fein wird plötzlich ein Faustschläger.
16   Nicht überall, wo du siehst reizend einen Strich,[Strich; das im Texte stehende Wort chat bedeutet zugleich Strich und jung sprossender Bart.]
Bilde dir ein, daß er zum Schreiben sei für dich.

 
(198.)

    1   Beim schönen Liebchen freut sich mancher seines Sitzes,
Der hoher Liebe wol sich rühmen mag und Witzes.
2   Du aber frage mich gezwackten vom Geschick,
Wie sehnend nach dem Tisch schaut eines Fasters Blick.
3   Die Dattelschalen läßt das Schaf sich drum gefallen,
Weil unter Schloß und Band ihm ist der Dattelballen,
4   Und des Ölpressers Rind steckt in das Stroh sein Haupt,
Weil ihm der kurze Strick den Sesam nicht erlaubt.

 
(199.)

    1   Ein frommer Mann erblickt' einst eine Wohlgestalt
Und Liebe wandelt' ihm den Zustand mit Gewalt. 226
2   Darum vergoß der Tropf soviele Tropfen Schweiß,
Wie von Thauperlen trieft ein Paradiesesreis.
3   An diesem kam vorbei Hippokrates geritten,
Und fragt' Umstehende: »Was hat der Mann erlitten?«
4   Drauf einer ihm versetzt: »Es ist ein heil'ger Mann,
Dem etwas Sündliches kein Mensch nachsagen kann.
5   Er wandelt Tag und Nacht in Wald und Wüstenein,
Scheu meidend Weltverkehr und menschlichen Verein.
6   Doch eine Schönheit kam das Herz ihm einzunehmen,
Und mit des Schauens Fuß geriet er in den Lehmen.
7   Wenn von den Leuten nun ihn einer schelten will,
So meint er nur: ›Wozu mich schelten? schweiget still!
8   O sagt nicht, wenn ich klag', es sei dies eine Sünde;
Denn meine Schmerzen sind nicht ohne Krankheitsgründe.
9   Nicht dieses Bild ist's, das mich um mein Herz betrügt;
Ums Herz betrügt mich Er, der dieses Bild gefügt.‹«
10   Den Worten hörte zu der Mann, der was erfahren,
Erzogen und an Geist gereist in langen Jahren;
11   Er sprach darauf: »Ob auch der Ruf ein guter sei,
Es kommt nicht jedem zu, was du ihm legest bei.
12   Lag doch dem Bildner selbst dasselbe Bildnis vor,
An das sein Herz verlor der sinnverwirrte Thor.
13   Warum verliebt er sich nicht in ein tagalt Kind,
Da gleich des Schöpfers Künst' im Klein und Großen sind?
14   Der Wahrheitschauende schaut Gleiches am Kamele
Wie an dem schönsten Bild sinesischer Bildersäle.« –
15   Ein Schlei'r in diesem Buch von mir ist jeder Strich,
Ein Schleier, der verhüllt ein Antlitz minniglich.
16   In jedem schwarzen Strich Gedankenklarheit wohnt,
Wie Liebchen in der Hüll' und in der Wolk' ein Mond.
17   Auf Saadi's Blättern hat der Überdruß nicht Platz,
Von welchen ist umfaßt so mancher Schönheitsschatz. 227
18   Da ich ein solches Wort zu Festmahls Schmuck besitze,
Wie Feuer, das in sich vereinigt Licht und Hitze,
19   Bang' ich vorm Feinde nicht, wenn er vor Neide zuckt,
Weil in den Gliedern ihn mein Parsifeuer juckt.[Parsifeuer bedeutet doppelsinnig: 1) die Verse des Saadi; 2) eine Krankheit, etwa Flugfeuer oder Rothlauf.]

 
(200.)

    1   Wenn einer auf der Welt Ruh von der Welt genoß,
Der ist es, der sein Haus vor aller Welt verschloß.
2   Der Zungen Ungebühr ist keiner noch entgangen,
Mag er gottselig sein, mag er selbsüchtig prangen.
3   Ob du auffliegen magst wie Engel übern Raum,
Doch wird sich der Verdacht hängen an deinen Saum.
4   Mit Müh kannst du im Lauf wol einen Tigris dämmen,
Doch Übelsinnenden die Zunge niemals hemmen.
5   Ob du in Andacht magst hinschmelzen wie das Wachs,
Und magst du Meister sein der Künste jedes Fachs;
6   Die Frechen setzen sich zusammen: »Jene Zucht
Ist Spreu; dies Wissen ist ein Netz der Nahrungssucht.«
7   Du wende dein Gesicht von Gottes Dienst nicht ab,
Und laß es gut sein, wenn auf dich die Welt nichts gab.
8   Ist mit dem Diener nur zufrieden Gottes Gnade,
Wenn unzufrieden sind die andern, ist's kein Schade.
9   Wer streitet mit der Welt, der wird nicht Gott gewahr,
Im Weltgetös wird ihm der Weg zu Gott nicht klar.
10   Deswegen kamen sie zu keinem Ziel zuletzt,
Weil sie den ersten Schritt von Anfang fehl gesetzt.
11   Zwei hören einerlei Geschichtserzählung an
Und gleichen sich alswie Serosch und Ahriman: 228
12   Wenn gute Lehre draus der eine nimmt, wird frei
Der Sinn des andern nicht von Worteklauberei.
13   In einem dunkeln Ort hat er sich selbst verriegelt,
Was frommt der Becher ihm, darin die Welt sich spiegelt?
14   O glaub' nicht, wenn ein Löw' und wenn ein Fuchs du bist,
Daß ihnen du entgehst durch Heldenmut und List.
15   Wenn einer sich erwählt die Einsamkeit der Zelle,
Weil er nicht Lust hat, daß er vielen sich geselle,
16   So tadeln sie: »Es ist doch Heuchelei zumeist;
Die Menschen fliehet er alswie ein böser Geist.«
17   Läßt er gesellig sich und lächelmienig schaun,
So ist ihm Frömmigkeit und Zucht nicht zuzutraun.
18   Den Reichen zausen sie mit Afterrede so:
»Er ist, wenn irgendwer es ist, ein Pharao.«
19   Wenn Not den Derwisch drückt, so wissen sie Bescheid:
»Ein Zeichen ist es von des Manns Unseligkeit.«
20   Ein Darbender, der weint, von herbem Schmerz entbrannt,
Wird ein armseliger, glückloser Wicht genannt;
21   Stürzt aber, dem's nach Wunsch gegangen, plötzlich hin,
So rechnen Gottes Huld sie selbst sich zum Gewinn:
22   »Wie lange solche Würd' und solch ein stolzer Nacken!
Ei ja, dem Holden folgt Unholdes auf den Hacken.«
23   Doch hat wer enge Hand und schmales Kapital,
Und hebt das gute Glück ihn in die Höh' einmal,
24   So nagen sie voll Haß ihn an mit gift'gem Zahn:
»Das niederträcht'ge Glück nimmt sich der Niedern an.«
25   Wenn sie in deiner Hand sehn irgend welches Gut,
So rufen sie: »O seht, was Geiz und Habsucht thut.«
26   Und hältst du vom Erwerb zurück des Hochsinns Hände,
So heißt's: »Ein Bettelmann, der lebt von Gottes Spende.«
27   Wenn du beredsam bist, nennt man dich Trommelbraus,
Und wenn du schweigsam bist, ein Bild im Badehaus. 229
28   Geduldigem will man den Namen Mann nicht geben:
»Der Wicht getraut sich nicht vor Furcht den Kopf zu heben.«
29   Doch wenn er trägt ein Haupt von Mut und Mannheit voll,
So fliehen sie vor ihm, und schreien: »Ist er toll?«
30   Sie schmähen ihn, wenn er mit Mäßigkeit sich nährt:
»Sein Gut wird wol einmal von anderen verzehrt.«
31   Dagegen, wenn sein Tisch gewählt und fein erschien,
Bauchdiener schelten sie und Leibespfleger ihn.
32   Wenn ein Vermögender lebt einfach unverbrämt,
Weil der Verständige sich leeres Prunkes schämt,
33   So führen sie auf ihn der Zunge Schwert mit Wut:
»Der Hungerleider, der sich selbst nicht gönnt sein Gut.«
34   Doch wenn er höhern Schmuck an seine Wohnung legt,
Ein besseres Gewand an seinem Leibe trägt,
35   Verleiden es alsbald ihm die Schimpfredetreiber:
»Er hat sich selber aufgeputzt nach Art der Weiber.«
36   Wenn keine Pilgerreis' ein Frommer hat gethan,
Gereiste lassen ihn nicht gelten für 'nen Mann:
37   »Aus seines Weibes Arm hat er sich nie gerafft;
Wo käm' ihm Tugend her, Einsicht und Wissenschaft?«
38   Doch der die Welt gesehn, bleibt auch nicht ungeschoren:
»Er treibt sich taumelnd um, und hat den Kopf verloren.
39   Wenn ihm an eignem Heil ein Anteil wär' geblieben,
So hätt' ihn nicht das Glück von Stadt zu Stadt getrieben.«
40   Ein Eheloser wird vom Krittler angebellt:
»Von seinem Lagern und Aufbrechen bebt die Welt.«
41   Und wenn er sich beweibt, so heißt es: »Durch die Not
Des Herzens fiel er wie der Esel in den Kot.«
42   Der Menschen Bosheit kann kein Häßlicher entgehn,
Und auch den Schönen nicht verschont ihr häßlich Schmähn.
43   Wenn Unmut ihn einmal rückt von der festen Stelle,
Heißt er ein heftiger jähzorniger Geselle; 230
44   Und wenn im Gegenteil er läßt die Langmut walten,
So heißt es: »Ehrgefühl scheint er nicht zu enthalten.«
45   Freigebigen ruft man mit Mahnung zu: »Halt ein!
Die Hände werden dir einmal gebunden sein.«
46   Wenn er genügsam will und für sich selber leben,
Ist er dem Leutemund gefangen erst gegeben:
47   »Hinkommen wird der Tropf, wohin sein Vater kam,
Der hier der Welt Gut ließ und mit die Reue nahm.«

 
(201.)

    1   Einst in Ägypten war mein Sklav ein lieber Bub,
Der schamhaft seinen Blick nicht von der Brust erhub.
2   Da sprach zu mir ein Mann: »Geistlos und blöd wird bleiben
Der junge Mensch; du mußt das Ohr ihm etwas reiben.«
3   Nachts schalt ich ihn einmal; da hört' ich jenen sagen:
»Der Frevelhafte hat elendig ihn erschlagen.« –
4   Wer mag sich sicher in des Heiles Winkel sehn?
Selbst konnte der Prophet den Feinden nicht entgehn.
5   Und Gott, dem kein Genoß und Pärtner ward seit Tagen
Der Ewigkeit, hörst du, was Christen von ihm sagen?Die Lehre der Dreieinigkeit, der große Vorwurf des Korans gegen die Einheit Gottes.
6   Von keines Menschen Hand kann sich kein Mensch befrein,
Und dem Gefangnen hilft nichts als geduldig sein.

 
(202.)

    1   Es war ein feiner wohlbegabter junger Mann,
Der in der Predigt sich mannhaft hervorgethan, 231
2   Fromm, unbescholten und nicht minder schön: es stand
Nicht seiner Wange Schrift zurück vor der der Hand;[wieder Doppelsinn des Wortes chat, wie oben in 197, 16.]
3   Stark in der Wörterkund', in der Syntax' zu Haus:
Doch den Buchstaben Schin sprach er nicht richtig aus.
4   Des Mangels wollt' ich einst bei einem Freund erwähnen:
»Dem jungen Manne fehlt es an den vordern Zähnen.«
5   Da ward er rot vor Zorn im ganzen Angesicht,
Und rief: »Sprich du hinfort so Unverständ'ges nicht.
6   Was? einen Fehler, den er hat, bemerkest du
Und drückst das Auge vor so mancher Tugend zu?
7   Die Wahrheit sag' ich dir: daß in der Wahrheit Licht
Gutsehnde Menschen gar das Böse sehen nicht.« –
8   Wenn einer, der Verstand, Geist und Besinnung hat,
Mit des Betragens Fuß einst einen Fehltritt that,
9   Um eine Kleinigkeit bekrittl' ihn nicht mit Hohn.
Was sagen Edle?»Nimm was lauter ist, mein Sohn.«
10   Es wohnen Dorn und Ros', o Freund, in einem Haus;
Was haftest du am Dorn? pflück' einen Rosenstranß.
11   Wenn Fehlersucherei dir liegt in der Natur,
So siehest du am Pfau die garst'gen Füße nur.
12   Erwirb dir Helle, Mann von düsterm Geisteslicht!
Im trüben Spiegel sieht man nicht sein Angesicht.
13   Such einen Weg, aus dem du selbst der Straf' entgehest,
Nicht einen Gegenstand, an dem du Fehler spähest.
14   Unedler, halte dir nicht fremde Fehler vor,
Indes vor eigenen dein Aug' ist unter Flor.
15   Wie dürft' ich rügen den, der seinen Saum beschmitzt,
Da ich erkenne, daß mein eigner ist bespritzt?
16   Mit Strenge ziemt es dir nicht jemand anzuschrein,
Wo mit Auslegung du dir weißt zu helfen fein. 232
17   Wo Böses dir mißfällt, erst thu's nicht selber du,
Und rufe »Thu es nicht« dann deinem Nachbarn zu.
18   Ob mit dem Herzen, ob ich fromm sei mit dem Mund,
Mein Äußeres ist dir, mein Inn'res Gott nur kund.
19   Wenn ich mit seiner Zucht die Außenseite schmücke,
Zu forschen hast du nicht nach Wahrheit oder Tücke.
20   Du schweige, mag ich gut und mag ich böse sein;
Denn Schaden und Gewinn trag' ich davon allein.
21   Ob ächt mein Wandel sei, ob heuchlerisch mein Kleid;
Gott weiß mehr als du selbst von meiner Heimlichkeit.
22   Mit Straf' um böses Thun magst du solch einem drohn,
Der zu erwarten hat von dir des Guten Lohn.
––
23   Ein gutes Werk vollbracht vom gutgesinnten Mann,
Das eine schreibet Gott ihm zehenfältig an.ein Spruch der Überlieferung [vom Propheten].
24   Auch du, mein Sohn, an wem du siehest immerhin
Nur eine Tugend, laß ihm gehn zehn Fehler hin.
25   Und nicht bei einem Fehl bieg einen Finger ein,
Und laß für nichts ein Heer von Trefflichkeiten sein,
26   Dem Feinde gleich, der auf das Lied von Saadi sieht
Mit Widerwillen aus verdorbenem Gemüt.
27   Für hundert Sprüche fein und zart hat er kein Ohr;
Doch sieht er ein Versehn, so schreit er laut empor.
28   Was fehlt ihm denn, der so des Bösen ist beflissen?
Das Aug' fürs Gute hat der Neid ihm ausgerissen. 233

 
Achte Pforte.

Dank.

(203.)

    1   Dem Freund zu danken, wie kann ich's zu denken wagen![Dem Freunde, nämlich Gott.]
Ich habe keinen Dank, der wert wär' ihm zu sagen.
2   An meinem Leib ist sein Geschenk ein jedes Haar;
Für jedes Haar wie bring' ich einen Dank ihm dar?
3   Lob sei gesagt und Preis dem Herrn der Huld und Macht,
Der seinen Knecht vom Nichts ins Dasein hat gebracht.
4   Wem eignet Schilderung des höchsten Wesenhaften,
In dessen Wesen sind versenkt die Eigenschaften?
5   Ein Künstler, der auf Erd' ein Bild macht wie aus Erz,
Dem er Verstand und Sinn und Seele gibt ins Herz.
6   Von Vaterlenden an bis zu der Greisheit Schwelle,
Sieh wieviel Zuflüss' er dir gab aus heil'ger Quelle!
7   Rein wie er dich erschuf, gib Acht und fall' nicht ab
Von Reinheit; es ist Schmach, unrein zu gehn ins Grab.
8   Auf frischer Spur mußt du den Staub vom Spiegel wischen;
Wenn erst der Rost ihn fraß, kann nichts den Glanz erfrischen.
9   Warst du im Mutterleib ein Wassertröpfchen nicht?
O Tropf, räum' aus dem Haupt die stolze Zuversicht!
10   Wenn du den Unterhalt durch Arbeit dir geschafft,
Verlaß darum dich nicht auf deines Armes Kraft.
11   O Selbstbewunderer, was siehst du Gott nicht an?
Er hat den Arm gemacht, die Hand daran gethan. 234
12   Und kommt durch dein Bemühn dir Gutes, schreibe du
Es Gottes Wirkungen, nicht deinem Werke zu.
13   Mit der geballten Faust kannst du den Ball nicht fassen;
Du sollst den Dank und Preis dem Herrn der Schickung lassen.
––
14   Nicht einen Augenblick selbständig stehest du,
In jedem Nu fließt dir geheimer Beistand zu.
15   Warst du nicht erst ein Kind mit Lippen stumm verschlossen?
Die Nahrung kam dir durch den Nabel zugeflossen.
16   Als riß die Nabelschnur und ab die Nahrung brach,
Da strecktest du die Hand den Mutterbrüsten nach. –
17   Ein Fremdling kommt, in Not gedrängt von harter Schickung;
Man reicht ihm aus der Stadt ein Tröpflein zur Erquickung.
18   Dann hat er Unterhalt in einem Bauch gefunden,
Hat Speis' und Trank zugleich in einem Schlauch gefunden.
19   Zwei Warzen, welche nun sind seine Herzenswonnen,
Sind aus dem Ort, wo er erzogen ward, zwei Bronnen.
20   Der Schoß der Mutter ist das Paradies der Lust,
Der Strom darin von Milch und Honig ist die Brust.
21   Ein Paradiesbaum ist ihr Wuchs von Füll' umflossen,
Das Kindlein ist die Frucht von dem Gezweig umschlossen.
22   Stehn die Brustadern selbst nicht in der Hut des Herzens?
So ist, besiehst du's recht, die Milch das Blut des Herzens.
23   In dieses Blut hat es getaucht den ersten Zahn;
Die Liebe, die ihr Blut trinkt, ist ihm angethan.
24   Wird stärker nun sein Arm und seiner Zähne Kraft,
So streicht die Amm' ihm an die Brüste bittern Saft.
25   Die Bitterkeit macht bald sein Schrei'n nach Milch so still,
Daß es von Brust und Milch nichts weiter wissen will.
26   Auch du bist nun ein Kind aus der Entsagung Pfade,
Und durch die Bitterkeit wird dir zu Teil die Gnade. 235

 
(204.)

    1   Der Mutter wandte sich ein Jüngling trotzig ab;
Das Herz der armen ward voll Schmerz ein Flammengrab.
2   Sie wußte keinen Rat, die Wiege holte sie:
»O pflichtvergessener Liebloser, siehst du die?
3   O lagst du hier nicht klein und schwach und weinend so,
Daß Nächtelang durch dich der Schlaf mein Auge floh?
4   Nicht mächtig deiner selbst warst du in dieser Wiege,
Und hattest nicht die Kraft zu wehren dir die Fliege.
5   Bist du nun jener, den ein Flieglein plagen kann,
Der so geworden hier ist ein gewalt'ger Mann?
6   So wieder wirst du sein, tief in des Grabes Thurm,
Daß du nicht von dir selbst abwehren kannst den Wurm.« –
7   Wird hell die Lampe dann sein in des Auges Höhl',
Wenn hat des Grabes Wurm verzehrt des Hirnes Öl?
8   Wie du den Blinden siehst, der weder Weg noch Stunde
Ersehen kann zur Flucht aus finsterm Brunnengrunde;
9   O sei du dankbar, daß dir hell die Augen sind!
Und wenn du das nicht bist, so bist du selber blind.

 
(205.)

    1   Dein Lehrer lehrt dich nicht Weisheit und Wissenschaft;
In deine Anlag' ist von Gott gelegt die Kraft.
2   Gab, der die Wahrheit ist, dir nicht den Sinn der Wahrheit,
So wird die Wahrheit dir im Ohr Unsinnes Barheit.[Unsinnes Barheit, barer Unsinn.] 236

 
(206.)

    1   Sieh einen Finger an, aus wieviel Fugen setzt
Er durch die Gotteskunst zusammen sich zuletzt.
2   Drum laß Bethörung nicht und Wahnsinn dich verführen,
An Gottes Kunstwerk mit dem Finger nur zu rühren.
3   Betracht', auf daß ein Mann einhergeh' auf den Füßen,
Wieviele Knochen sich regen und fügen müssen.
4   Denn ohne daß zugleich Knie, Knöchel, Schenkel mit
Sich rühren, kannst du nicht vom Platz thun einen Schritt.
5   Dem Menschen fällt nicht schwer die Beugung zum Gebet,
Weil ihm das Rückgrat nicht aus einem Stück besteht.
6   Zweihundert Bällchen sind in ein Verband gebracht;
Wer hat je solchen Ball wie dich aus Thon gemacht?Bällchen oder Kügelchen wie an der Schnur; im Persischen Ein Wort für (Rücken-) Wirbel und Glaskügelchen.
7   Ein Quellenboden ist in deines Leibes Gründen,
Wo sich Flußäderchen dreihundert sechzig münden.
8   Im Haupt wohnt Sehkraft dir, Besinnung, Urteil, Denken;
Die Glieder hat das Herz, das Herz der Geist zu lenken.
9   Die Thiere sind auf ihr Gesicht geworfen nieder,
Du richtest wie zu Roß vom Fuß auf deine Glieder.
10   Des Futters halber ist ihr Kopf gesenkt zum Grunde,
Du aber hebest stolz die Nahrung dir zum Munde.
11   Er gab zum Besten dir das Korn, nicht das Gestreu,
Und bog dein Haupt nicht gleich den Bestien nach dem Heu.
12   Du sollst, als Oberhaupt dich würdig zu bezeugen,
Dein Haupt nicht anders als zur Gottanbetung beugen.
13   Doch laß die herrliche Gestalt dich nicht verführen;
Ihr angemessen mußt du guten Wandel führen. 237
14   Geh mit aufrechtem Gang auf rechtem Weg zugleich;
In Hinsicht der Gestalt sind uns Ungläub'ge gleich.
15   Dem, welcher Auge dir und Mund und Ohr gegeben,
Wirst du, wenn auch Verstand du hast, nicht widerstreben.
16   Mag sein, daß deinen Feind du treffest mit Steinwürfen,
Doch deinen Freund wirst du niemals befehden dürfen.Der Freund = Gott, wie oft. Vielleicht Anspielung auf die Steinigung Satans bei der Wallfahrt.
17   Wer Einsicht hat und Pflichtgefühl, macht ohne Wank
Wie mit dem Nagel fest die Wohlthat mit dem Dank.

 
(207.)

    1   Wie schätzte recht den Wert von einem Wonnetag,
Wer eines Tages nicht in Mühsal niederlag!
2   Des Bettlers Winter in dem Jahr der Hungersnot
Fällt leicht dem reichen Mann, dem es nicht fehlt an Brot.
3   Für die Gesundheit wird dem Herren Dank nicht sagen
Der Rüstige, der nie zu Bette lag mit Klagen.
4   Frag' nach des Wassers Wert nicht die am Oxusstrande,
Frag' die Erliegenden im Sand und Sonnenbrande.
5   Wie schiene wol dir lang die finstre Nacht, wenn du
Von einer Seite dich zur andern wendst in Ruh?
6   Denk an den Armen, der in Fieberunruh wacht;
Denn nur der Kranke kennt die Längen einer Nacht.
7   Bei Trommelschall erwacht der Herr vergnügt am Morgen;
Wie's seinem Wächter ging bei Nacht, macht ihm nicht Sorgen.

 
(208.)

    1   Von seinem Rappen fiel einmal ein Königssohn,
Verschoben war am Hals ein Wirbel ihm davon. 238
2   Schief war der Hals ihm wie ein Karst, und wollt' er drehn
Den Kopf, so konnt' es nur mitsamt dem Leib geschehn.
3   Die Ärzte waren ihm zu helfen nicht im Stande,
Das konnt' ein Philosoph allein aus Griechenlande.
4   Den Kopf rückt' er zurecht, das Rückgrat macht' er grad;
Half er ihm nicht, so war für ihn gebahnt der Pfad.
5   Doch hört' ich, er vergaß sich dankbar zu bezeugen,
Und von Erkenntlichkeit ließ er die Zunge schweigen.
6   Noch einmal näherte der Weise sich dem Schah,
Der niedersinnig ihn mit keinem Blick ansah.
7   Zu Boden hängen ließ den Kopf vor Scham der Weise;
Ich hörte, daß hinweg er ging und sagte leise:
8   »Wo gestern ich den Hals zurecht ihm drehte nicht,
So dreht' er heute mir nicht ab sein Angesicht.«
9   Ein Körnchen schickt' er drauf durch eines Sklaven Hand,
Es ihm zu legen auf der Kohlenpfanne Brand.
10   Der Bote kam damit zum Fürsten hingegangen,
Und that im Augenblick nach seines Herrn Verlangen.
11   Vom Rauche kam alsbald dem Fürsten an ein Niesen,
Und wieder stand ihm Kopf und Hals alswie vor diesem.
12   Mit Abbitt' eilte man nun hinterm Manne her,
Man sucht' ihn viel und fand ihn desto weniger. –
13   Auch du sollst nicht den Hals ab vom Wohlthäter drehn;
Es möcht' am Ende dir der Kopf verloren gehn.

 
(209.)

    1   Ich hörte, daß einmal mit seines Zorns Gewicht
Den Sohn ein Vater schalt: »Schamloses Angesicht!«
2   Er schüttelte mit Macht den Jungen an dem Ohr:
»Ei du unseliger, heillos verkehrter Thor! 239
3   Ich gab dir diese Axt, Brennholz damit zu haun;
Ich sagte nicht: Zerstör an der Moschee den Zaun.« –
4   Die Zunge gab man dir, o Mensch, zu Dank und Preise,
Zu Afterrede nicht verwendet sie der Weise.
5   Das Ohr, für Koransprüch' und Lehren eine Pforte,
O horche nicht mit ihm auf leere Lügenworte!
6   Auf Gottes Schöpferkunst dein Auge richte du;
Vor deines Bruders Fehl und Freundes mach es zu.

 
(210.)

    1   Er hat die Nacht zur Lust dir und den Tag gemacht,
Des Monds Erleuchtung und der Sonne Weltenpracht.
2   Der Wind, dir zum Behuf ein Kämmerer im Haus,
Er breitet auf der Flur des Lenzes Teppich aus.
3   Ob Sturm, ob Schnee es ist, ob Nebel oder Regen,
Mit Blitzes Schwerterzuck, mit Donners Paukenschlägen,
4   Geschäft'ge Diener sind sie all, bereit zum Lauf,
Die deine Saaten dir im Boden nähren auf.
5   Und wenn du durstig bist, so laß dich's nicht bedrücken,
Denn Wasser trägt dir zu die Wolk' auf ihrem Rücken.
6   Farbe, Geruch, Geschmack entlocket Er dem Raum,
Und beut sie zum Genuß für Auge, Hirn und Gaum.
7   Der Honig aus der Bien', aus Luft dir Manna schafft,
Aus Palme Dattel, aus dem Kern den Palmenschaft.
8   Die Palmenbinder all, sie stehn und kaun die Hand[Palmenbinder = Gärtner.]
Erstaunt, weil keiner noch dergleichen Palmen band.
9   Plejade, Sonn' und Mond um deinetwillen prangen,
Kronleuchter von dem Dach des Hauses aufgehangen. 240
10   Er bringt die Ros' aus Dorn, aus Blut des Muskus Korn,
Gold aus dem Schacht, und frisch das Laub aus trocknem Storrn.
11   Mit seiner eignen Hand formt' er dir Aug' und Brauen;
Verwandte kann man ja nicht Fremden anvertrauen.
12   Der Reiche, der sich ein geliebtes Kind erzieht,
Ein Lustpalast ist es, worin er's lind erzieht.
13   Zur Seele ziemt es sich von Zeit zu Zeit zu sagen,
Daß nicht die Zung' allein ihm kann den Dank abtragen.
14   O Gott, mein Herz wird Blut, mein Auge wund von Zähren,
Daß deine Gnaden weit gehn über alle Mären.
15   Ich sage nicht, daß Wild und Zahm, Fisch und Ameise,
Nein, daß der Engel Chör' im höchsten Himmelskreise
16   Nur wenig noch gesagt von deinem Preise haben,
Von Dank ein Tausendstel gebracht für deine Gaben.
17   Wasch', Saadi, deine Hand und deines Buches Blatt,[d. h. höre auf, laß ab, verzichte.]
Und laufe nicht den Weg, der keine Grenze hat.

 
(211.)

    1   Ich hörte, daß Togrul in einer Winternacht
Auf einen Hindu stieß, der dastand auf der Wacht,
2   Der so von Schneegeflock und kaltem Regenguß
Geriet in Zittern wie das Licht des Sirius.
3   In Regung kam sein Herz vom Mitleid über ihn,
Er sprach: »Hier diesen Pelz geb' ich dir anzuziehn:
4   Wart einen Augenblick an des Altanes Rand,
Ich send' ihn dir heraus durch eines Dieners Hand.«
5   So stand er, und es weht' ein Frühlingshauch ihn an;
Der Herrscher stieg gemach das Herrschaftschloß hinan. 241
6   Ein Bürschchen hatt' er dort in seiner Sklavenschar,
Ein reizendes, dem er geneigt ein wenig war.
7   Den schönen Türken sah er so mit Wohlgefallen,
Der arme Hindu war schnell seinem Sinn entfallen.
8   Dem war das Pelzgewand zu Ohren nur gekommen,
Doch seinen Schultern blieb's vom bösen Glück benommen.
9   Nachtfrost erschöpfte wol genug nicht seine Kräfte,
Daß ihn des Himmels Tück' auch mit Erwartung äffte. –
10   Gib Acht nun, als der Schah so unbekümmert schlief,
Wie ihn der Oberste der Wache früh anrief:
11   »Vergessen hast du wol, was du dem guten Loose
Verdankest, als du lagst in des Schoßkindes Schoße.
12   Da dir in Wonnerausch und Lust die Nacht verging,
Was weißt du, über uns was in der Nacht erging?« –
13   Die Karawane, die den Kopf steckt in den Topf,[d. h. die sich zum Mahle niedergelassen hat.]
Fragt nicht, ob stecken blieb im Sand ein armer Tropf.
14   Halt auf dem Wasser an, o Steuermann, den Nachen!
Denn übern Kopf weg geht das Wasser jenem Schwachen.
15   Ihr raschen Jünglinge, geht doch nicht so geschwind,
Weil unterm Reisetrupp erschöpfte Greise sind.
16   Du ruhest sanft im Tragebett der Karawan',
Und an der Hand führt dein Kamel der Sarawan;[Sarawan, s. oben zu 73, 3.]
17   Was thut dir Sand und Fels, was thut dir Berg und Thal?
O frag' nach den Zurückgebliebnen doch einmal!
18   Dich trägt ein Renner, der sich wie ein Berg bewegt;
Vom Gänger weißt du nichts, der Blut im Schuhe trägt.
19   Wer mit Behaglichkeit im Vorratshause lungert,
Was fragt er wol nach dem, der leeren Bauches hungert? 242

 
(212.)

    1   Die Scharwach' hatte wen gebunden an den Pfahl;
Die ganze Nacht durchwacht' er so in Herzensqual.
2   Da kam zu ihm ein Ton her von der Rückenwand
Von einem, welcher klagt' über gebundne Hand.
3   Das hört' in seiner Haft der Dieb und rief ihm zu:
»Wie lange willst du schrein um deine Not? gib Ruh'!
4   Geh hin und danke Gott für die gebundne Hand,
Daß nicht die Scharwach' sie dir auf den Rücken band.« –
5   Nicht über deine Not darfst du dich sehr beklagen,
Wenn du viel größere siehst einen andern tragen.

 
(213.)

    1   Für einen Dirhem, den ein kleidentblößter Mann[Dirhem, Silbermünze.]
Erborgte, schafft' er ein rauhwollnes Wamms sich an.
2   Dann klagt' er: »O Geschick, das übel mich beraten!
Im ungeschlachten Rock muß ich vor Hitze braten.«
3   Doch als in Wallung so geriet der Ungeschlachte,
Rief aus des Kerkers Grub' ihn einer an: »O sachte!
4   Du Roher, danke Gott in deinem rauhen Rock,
Daß du mit Hand und Fuß nicht steckst wie wir im Block.«

 
(214.)

    1   Ein Frecher ging vorbei vor einem frommen Mann,
Und sah ihn nach dem Kleid für einen Juden an.
2   Gleich auf den Rücken hieb er ihn mit einem Stock;
Der gute Derwisch gab dafür ihm seinen Rock. 243
3   Beschämt sprach jener drauf: »Ich habe dich gekränkt;
Vergib mir nur! Wozu hast du mich noch beschenkt?«
4   Er sprach: »Mit meinem Kopf muß ich zu Danke stehn,
Daß ich nicht bin, wofür du mich hast angesehn.«

 
(215.)

    1   Ein Wandrer auf dem Weg erliegend rief mit Weinen:
»Wer ist elend wie ich in diesem Feld von Steinen?«
2   Mit seiner Saumlast kam ein Esel her: »Du Gauch,«
Sprach er, »verklagest du des Schicksals Härten auch?
3   Dank Gott, wenn unter dir nun auch kein Esel ist,
Daß wenigstens du selbst ein Mensch, kein Esel bist.«

 
(216.)

    1   Ein Trunkner lag im Weg; an diesem ging vorbei
Ein Schriftgelehrter, stolz, daß er enthaltsam sei.
2   Aus Hochmut sah er kaum mit einem Blick ihn an;
Der Jüngling hob sein Haupt, und sprach: »Betagter Mann!
3   Sei übermütig nicht, wenn es dir gehet gut;
Denn die Demütigung kommt aus dem Übermut.
4   Lach' über keinen, den du siehst im Bande liegen;
Wer weiß, wie bald du selbst dich mußt in Bande schmiegen.
5   Hat etwa das Geschick die Macht nicht über dich,
Daß morgen du berauscht am Boden liegst wie ich?« –
6   Wenn dir der Himmel gab in der Moschee dein Teil,
So schilt nicht den, der in der Kirche sucht sein Heil.
7   Erheb', o Muselman, zum Danke deine Hand,
Daß Gott um deinen Leib den Magiergurt nicht band. 244
8   Sein Suchender kann nicht von selbst den Weg einschlagen,
Des Freundes Gnade zieht ihn mit Gewalt am Kragen.
9   O sieh, wie wunderbar der Schickung Wege sind;
Wer seine Zuversicht auf andres setzt, ist blind.

 
(217.)

    1   Gott hat der Heilung Kraft gemischt im Honigsaft,
Doch so nicht, daß den Tod bezwänge seine Kraft.
2   Der Honig macht nur süß den Gaumen der Lebendigen,
Des Todestags Geschick ist er zu schwach zu bändigen.
3   Desgleichen ist viel Heil ins Zuckerrohr gelegt,
Wo der Genießende noch Lebensdauer trägt;
4   Doch wo der letzte Hauch will ausgehn einem Schlucker,
Was nützet in dem Mund ihm Honig oder Zucker?
5   Wenn einen Keulenschlag hat wer aufs Haupt empfahn,
Was soll's, daß einer sagt: »Reibt ihn mit Sandel an!«
6   Dem Schwerte der Gefahr, solang du kannst, entweiche;
Doch mache keine Faust gegen des Schicksals Streiche.
7   Solang empfänglich ist der Leib für Speis' und Trank,
Solang ist die Gestalt ihm frisch, das Antlitz blank;
8   Doch dann fällt dieses Haus in Trümmer gar geschwind,
Wenn Nahrung und Natur nicht mehr verträglich sind.
9   Du bist aus Trockenem, aus Feuchtem, Warmen, Kalten
Gemischt, ein Mensch besteht aus diesen vier Gewalten.
10   Sobald von diesen eins am andern Sieg erficht,
Verliert die innere Natur ihr Gleichgewicht.
11   Wenn nicht der kühle Hauch des Atems drüber geht,
Bald durch des Magens Glut die Seel' in Not gerät.
12   Und wenn des Magens Topf nicht kocht die Speise gar,
Des Leibes Haushalt ist verkümmert ganz und gar. 245
13   Ein weiser Mann hängt nicht sein Herz an die entzweiten,
Die sich zusammen nicht vertragen ohne Streiten.
14   Nicht nach dem Essen miß die Kraft des Leibes ab;
Des Herren Gnad' ist es, die dir die Nahrung gab.
15   Beim Recht des Herrn! wenn Schwert und Dolch dein Aug erlitt',
Du machtest gegen ihn dich nicht der Dankschuld quitt.
16   Legst auf den Boden du dein Antlitz dienstbarlich,
So bringe Gott den Preis, und denke nicht an dich;
17   Ich gebe zu, du hast ihm einen Dienst gethan,
Hast du beständig nicht von ihm den Lohn empfahn?
18   Ein Betteln nur ist dein anhaltendes Gebet;
O wie dem Bettler doch so schlecht der Hochmut steht!

 
(218.)

    1   Gott ist es, der zuerst ins Herz legt will'gen Sinn,
Dann legt auf seine Schwell' ihr Haupt die Andacht hin.
2   Wenn Gott die Leitung nicht zum Guten dir verliehen,
Wie wäre denn von dir ein Gutes mir verliehen?
3   Wenn von der Zungen ist des Herren Preis erklungen,
O sieh doch, wer das Wort gegeben hat der Zungen!
4   Des Menschen Auge, traun, ist der Erkenntnis Thor,
Dem Himmel aufgethan und rings der Erde Flor;
5   Wie unterschiedest du das Unten von dem Oben,
Hätt' Er von diesem Thor die Riegel nicht gehoben?
6   Er brachte Haupt und Hand vom Nichtsein in das Sein,[In Rückert's Manuscript steht »Hand und Hand« statt »Haupt und Hand«.]
Und wollte Spendung ihr, ihm Niederfall verleihn.[ihr, der Hand; ihm, dem Haupte,] Niederfall zur Anbetung.
7   Sonst, und könnt' auch die Hand der Spendung Werk betreiben,
Doch würde Niederfall dem Haupt unmöglich bleiben. 246
8   Er setzte Zung' und Ohr voll Weisheit an den Platz,
Wo sie die Schlüssel sind für deines Herzens Schatz.
9   Wo das Dolmetscheramt die Zunge nicht bekommen,
Wer hätte denn vom Hehl der Brust Bericht bekommen?
10   Und wäre nicht das Ohr mit Späherdienst bemüht,
Wie käme Kundschaft denn dem Könige Gemüt?
11   Die beiden sind bestellt zu Kämmerern, und eilen
Von einem König Gruß dem andern zu erteilen.
12   Mir hat er süßes Wort verliehn zur Redegabe,
Und dir Empfänglichkeit des Sinns zur Geisteshabe.
13   Was denkst du von dir selbst: »mein eignes Werk ist gut«?
Sieh auf den Beistand doch, den er dabei dir thut!
14   Die Früchte, welche bringt der Gärtner aufzuwarten
Dem Sultan, pflückt er doch nur in des Sultans Garten.

 
(219.)

    1   Ein Bild von Elfenbein sah ich in Somenat,
Geschmückt wie in der Zeit des Heidentums Menat.[Somenat, skr. Sômanâtha, prachtvoller Tempel in Gudscherat mit berühmtem Linga-Bild, von Mahmud von Ghazua im Jahre 1624 zerstört, später aber wieder hergestellt. – Menat, ein altarabisches Götzenbild.]
2   Der Künstler hatte so das Bild mit Kunst bedacht,
Daß ein kunstreicheres wird schwerlich ausgedacht.
3   Viel tausend Seelen nahn aus jeglichem Gefild,
Um staunend anzusehn ein seelenloses Bild;
4   Sich rühren Könige von Tschin und von Tschigil,
Wie Saadi, der ein Bild von Steine rühren will;
5   Und Sprachbegabte ziehn herbei aus Land und Stadt,
Um anzuflehen den, der keine Sprache hat.
6   Ich war ob dieses Falls Erklärung höchst betreten,
Warum Lebendige den toten Stein anbeten; 247
7   Und einen Magier, der mir verbunden war,Magier (Geber) erscheint hier mit Brahmane eins. [Gerade die in dieser ganzen Erzählung durchgeführte Gleichsetzung von Brahmanen und Gebern dürfte ein Beweis dafür sein, daß Saadi nicht wirklich in Indien gewesen ist.]
Als trauter Wohngenoß und Freund erfunden war,
8   Wollt' ich in guter Art befragen: »O Brahman,
Ob diesen Dingen hier kommt mich Bewundrung an,
9   Wie dies unmächtige Gebild thört alle Welt
Und sie gefangen in des Irrtums Brunnen hält.
10   Nicht regen kann's die Hand und nicht den Fuß bewegen,
Und wenn man's umwirft, wird's nicht aufzustehn vermögen.
11   O siehst du nicht, daß ihm die Augen gläsern sind?
Wer von Schelaugigen Erhörung sucht, ist blind.«
12   Auf diese Rede sah der Freund mich feindlich an,
Wie Feuer lodert' er und griff mit Grimm mich an.
13   Er gab den Magiern und Ältesten Bericht,
Und Gutes von dem Volk erwarten durft' ich nicht.
14   Die Gebern fielen mit pazend'schen Litanein
Mich gleich den Hunden an um jenes Totenbein.
15   In ihren Augen war ihr krummer Weg der grade,
Drum ärgerten sie sich an meinem graden Pfade;
16   Denn wie erleuchtet sei und hochgeherzt ein Mann,
Unweise sehen ihn für einen Thoren an.
17   Wie ein Ertrinkender verzagt' ich an der Rettung,
Nur von Nachgiebigkeit versprach ich mir Entkettung.
18   Wenn du den Thoren siehst in seines Zornes Blindheit,
So findest du dein Heil in Mäßigung und Lindheit.
19   Ich sang des obersten Brahmanen Lob behend:
»O der Auslegung Hort, Altmeister von dem Zend,
20   Auch über mein Gemüt hat dieses Bild Gewalt,
Denn lieblich ist die Form und reizend die Gestalt. 248
21   Ganz außerordentlich kommt's meinen Augen vor,
Doch seinen Sinn verbirgt bis jetzo mir ein Flor,
22   Da ich seit kurzem erst allhier als Pilger weile;
Gutes vom Bösen kennt ein Fremder nicht in Eile.
23   Du kennst es, denn der Roch auf diesem Feld bist du,Roch, Thurm im Schachfeld; im Text: Königin, aber persisch männlich ferzîn = Minister, Rat, Wesir.
Dem Herrscher dieses Orts als Rat gesellt bist du.
24   Erkläre mir, was ist von diesem Bild der Sinn,
Von dem der erste der Anbeter selbst ich bin!
25   Andacht gedankenlos ist nur Irrseligkeit;
Dem Waller Heil, der weiß von seinem Weg Bescheid!«
26   Da strahlte dem Brahman vor Freude das Gesicht;
Gefällig sprach er: »O du, der gefällig spricht,
27   Du fragst als edler Mann und handelst als ein weiser;
Zur Station gelangt, wer folgt dem Wegeweiser.
28   Ich selber kam wie du weit in der Welt umher,
Und sah manch Götzenbild von Selbstbewußtsein leer,
29   Als nur allein dies Bild, das hier auf seinem Stand
An jedem Morgen hebt zu Gott dem Herrn die Hand.
30   Wenn dir's beliebt, verweil' die Nacht an diesem Ort,
Und das Geheimnis wird dir morgen klar sofort.«
31   Ich weilte dort die Nacht auf das Gebot des Alten,
Wie Bischen in der Haft des Brunnens ward gehalten.[Anspielung auf eine (auch vom Grafen v. Schack übersetzte) Erzählung im Schahnamah des Firdosi.]
32   O eine Nacht, lang wie der Auferstehungstag;
Wo ungewaschnes Volk um mich Gebetes pflag:
33   Mönchpriester, welche nie das Wasser angerührt,
Mit Üchsen, wie man Aas im Schein der Sonne spürt.Üchse, Achselgrube, Sitz des riechenden hircus in alis.
34   Ich mußte mich an Gott versündigt haben schwer,
Daß ich in jener Nacht gepeinigt ward so sehr; 249
35   Die ganze Nacht geplagt, die eine Hand gedrückt
Aufs Herz, die andre zum Gebet emporgezückt:
36   Als plötzlich Trommelschlag ertönt', und ferne FahnenTrommelschlag, Reveille, nach der Sitte der persischen Hof(Heer-)lager.
Mit Krähn sich thaten kund im Rücken der Brahmanen,
37   Und stracks der Prediger der Nacht im schwarzen Kleide
Zog zweifellos das Schwert des Tages aus der Scheide.
38   Es fiel der Feuerstrahl des Frührots in den Zunder,
Im Nu erleuchtet war die Welt umher ein Wunder.
39   Es war als ob mit eins im Feld von ZengebarZengebar, das Land der schwarzen Zengen. Schwarz = Gebiet der Nacht; der weiße Tatar = der anbrechende Tag.
Siegreich von einer Seit' einbräche der Tatar.
40   Unsinn'ge Magier, nicht im Gesicht gereinigt,
Kamen herbei zur Kirch', aus Berg und Thal vereinigt.
41   Kein Mann blieb und kein Weib zurück in Land und Stadt,
Sodaß kein Hirsenkorn im Tempel Platz mehr hat.
42   Ich war von Unlust krank, trunken von Schlaf dazu;
Als seine Hand der Götz erhob in einem Nu.
43   Da kam von all dem Volk auf einmal ein Geschrei,
Du meintest, daß ein Meer in Wogenaufruhr sei.
44   Als drauf das Götzenhaus vom Volke war geleert,
Hat mir sich der Brahman mit Lächeln zugekehrt:
45   »Kein Zweifelsknoten wird dir nun geblieben sein;
Die Wahrheit kam zu Tag, verschwunden ist der Schein.«
46   Als ich nun sah, wie tief er in der Thorheit steckt,
Von der unsinnigen Einbildung zugedeckt;
47   Macht' ich nicht den Versuch, die Wahrheit mehr zu sagen;
Denn nicht dem Thörichten ist Wahrheit vorzutragen.
48   Wo Oberhand mit Macht den Sieg von dannen trägt,
Ist es nicht Mannheit, daß man seine Faust zerschlägt. 250
49   Schon war ich heuchlerisch in Thränen ausgebrochen,
Und rief: »Wie fühl' ich Reu ob dem, was ich gesprochen!«
50   Das Herz der Heiden ward vom Thränenstrom gelenkt;
Kein Wunder, wenn vom Bach ein Mühlstein wird geschwenkt.Koran [34, 10].
51   Mit Dienstbeflissenheit lief gegen mich der Schwarm,
Und ehrerbietungsvoll faßten sie mich beim Arm.
52   Ich trat, Abbitte thu'nd, zum beinernen Gesellen
Im goldgetriebnen Stuhl auf Platanusgestellen.
53   Dem Götzlein einen Kuß gab ich auf seine Rechte:
»Der Götze sei verwünscht, verwünscht die Götzenknechte!«
54   Mitmacht' ich ein paar Tag' ihr heidnisches Gepränge,
Und sang als ein Brahman die zendischen Gesänge.
55   Als ich im Kloster sie zu mir Vertraun sah fassen,
Wußt' ich mich auf der Welt vor Freude nicht zu lassen.
56   Ich hatt' in einer Nacht die Thür geschlossen schon,
Und rief nun rechts und links alswie ein Skorpion.
57   Als ich nun unterm Stuhl und über ihn geblickt,
Fiel in die Augen mir ein Vorhang goldgestickt.
58   Ein feu'ranbetender Metropolit im Gaden
Saß unverwandt und hielt in Händen einen Faden.
59   Im selben Augenblick ward mir die Sache klar,
Wie einst dem David, als das Erz geschmolzen war:
60   Notwendig, daß, sobald den Faden er bewegt,
Das Götzenbild die Hand empor zum Himmel regt.
61   Beschämt ward der Brahman vor meinem Angesicht;
Denn eine Schand' ist's, wenn die Naht kommt an das Licht.Die Naht ist zum Vorschein gekommen, Sprichwort; einigermaßen verwandt ist: Es ist nichts so fein gesponnen &c. Die Naht ist auf der Kehrseite, das Verdeckte, was man nicht zeigen will.
62   Er lief davon, und ich ihm nach mit aller Macht,
Und stürzt' ihn übern Kopf in einen Brunnenschacht. 451
63   Denn das war mir bewußt, wenn der Brahman am Leben
Verbliebe, würd' er nur nach meinem Blute streben,
64   Daß er von Herzen gern hinweg mich räumen möchte,
Damit die Heimlichkeit ich an den Tag nicht brächte.
65   Wenn des Verderbers Plan dir kund geworden ist,
So wirf zu Boden ihn, wo du's im Stande bist;
66   Denn wenn am Leben du lässest den Bösewicht,
So läßt er selber dir das Leben fürder nicht.
67   Und leg' er dienstbarlich sein Haupt auf deine Schwellen,
Sobald die Hand er hat, wird er das Haupt dir fällen.
68   Setz' lieber nicht den Fuß auf des Betrügers Spur;
Doch gehst und findst du ihn, so triff ihn schonlos nur. –
69   Mit einem Steine schlug ich vollens tot den Schuft;
Denn keine Stimme kommt aus eines Toten Gruft.
70   Doch da ich merkte, daß ich Lärmen angerichtet,
So räumt' ich jenes Land und habe mich geflüchtet.
71   Wo in ein Schilfrohrfeld du warfest einen Brand,
Da nimm dich vor dem Leu'n in Acht, hast du Verstand.
72   Ihr Junges töte nicht der Schlange, welche sticht;
Hast du's getötet, bleib im selben Hause nicht.
73   Da wo du hast das Nest verstört dem Wespenschwarm,
Da räume schnell den Ort, sonst machen sie dir warm.
74   Auf einen Rüstigern schieß lieber nicht den Pfeil;
Doch ist's geschehn, so mach dich aus dem Staub in Eil'.Das persische Sprichwort sagt: faß den Saum mit den Zähnen.
75   Von Saadi wird an dich nie dieser Rat ergehn,
Da wo du untergrubst die Mauer, still zu stehn. –
76   Ich kam nach Hindustan nach jenem üblen Spaß,
Von dannen auf dem Weg von Jemen nach Hidschas.
77   Nach all der Bitterkeit, die über mich ergieng,
Ist es erst heute, daß ich süßen Mund empfieng 252
78   In den Auspicien des Abubeker Saad,
Desgleichen nie gebiert die Mutter früh noch spat.
79   Vor Schicksalsgrimm mit Schrei um Rache kamen wir,
Zum schattenbreitenden Schutzdache kamen wir.
80   Heilwünscher dieses Throns bin ich in Knechtsgestalt:
O diesen Schatten, Gott, unwandelbar erhalt'!
81   Denn Pflaster gab er mir, nicht wie es meinem Schaden,
Nein, wie es seiner Huld zukam und seinen Gnaden.
82   Wie hätt' ich solcher Huld den schuld'gen Dank gebracht,
Hätt' ich auch dienstbereit den Kopf zum Fuß gemacht?
83   Erlösung fand mein Herz von jenen Kummerbanden,
Doch kamen meinem Sinn die Lehren nicht abhanden:
84   Zum ersten, daß, so oft ich des Bedürfens Hand
Empor zum thronenden Allwissenden gewandt,
85   Mir die Erinnerung sich jenes Götzen beut,
Und Staub der Demut in der Selbsucht Auge streut,
86   Da ich erkenne, daß die Hand, die ich nach oben
Gestreckt, durch meine Kraft hab' ich sie nicht erhoben.
87   Es können Sinnige von selbst die Hand nicht rühren,
Da sie an ihrer Hand den Leitungsfaden führen.
88   Wol offen ist das Thor des Guten und der Pflicht,
Doch weiß den Weg dazu zu finden jeder nicht.
89   Im Weg ist dieses, daß in den erwählten Kreis
Des Schahes niemand kommt, als auf des Schahs Geheiß.
90   Den Schlüssel des Geschicks hat in den Händen keiner,
Und unumschränkte Macht hat nur im Himmel Einer.
91   Drum, der du gehst, o Fürst, im rechten Wege gern,
Nicht dein ist das Verdienst davon, es ist des Herrn.
92   Da gut geschaffen hat dein Herz sein ew'ger Rat,
So kann nicht deinem Sinn entsprossen böse That.
93   Doch solche Süßigkeit von Bienen bringt hervor
Derselbige, der Gift zu Schlangenart erkor. 253
94   Wenn er beschlossen, daß dein Reich verödet werde,
Wird er zuerst durch dich bedrücken deine Herde.
95   Soll aber Gnad' und Huld von ihm dir kommen zu,
Wird er durch dich dem Volk bereiten Glück und Ruh'.
96   Drum überhebe dich nicht auf des Guten Bahn,
Man reichte dir die Hand, und du erhobst dich dran.
97   Dir nützt das Wort, wenn du zu hören es verstehst;
Du kommst zur Pilgerschar, wenn du des Weges gehst.
98   Du findest einen Platz, wenn Zutritt wehret nicht
Wer auf der Gnade Tisch dir setzet dein Gericht.
99   Dann aber ziemet dir alleine nicht zu essen,
Den Bettler, der der Not erlag, nicht zu vergessen.
100   Vielleicht o sendest du mir ein Erbarmen nach!
Denn auf mein eignes Werk ist mein Vertrauen schwach.

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