Joseph Roth
Hotel Savoy
Joseph Roth

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XX

Die Branche der Drillinge waren Juxgegenstände – das erfuhr ich am nächsten Tage vom Zimmerkellner. Es waren keine Drillingsbrüder. Die gemeinsamen Interessen hatten sie so verbrüdert.

Viele Menschen kamen aus Berlin, dem letzten Aufenthalt Bloomfields. Sie reisten ihm nach.

Nach zwei Tagen kam Christoph Kolumbus.

Christoph Kolumbus war Bloomfields Friseur. Er gehörte zum Gepäck Bloomfields und kam immer als Nachsendung.

Er ist ein gesprächiger Mensch, der Abkunft nach ein Deutscher. Sein Vater war ein Verehrer des großen Kolumbus gewesen und hatte seinen Sohn Christoph Kolumbus getauft. Aber der Sohn mit dem großen Namen ward ein Friseur.

Er ist ein Mann mit Geschäftssinn und guten Manieren. Er stellt sich jedem vor: Christoph Kolumbus, Friseur des Mister Bloomfield. Er spricht ein gutes Deutsch mit rheinländischem Akzent.

Christoph Kolumbus ist schlank und groß und hat gekräuseltes Haar, blondes, und gutmütige Augen, wie aus blauem Glas.

Er ist der einzige bessere Friseur in dieser Stadt und im Hotel Savoy, und weil er kein Geld verschmäht und es ihm sonst langweilig würde, beschließt er, sich im Hotel einen Laden zu eröffnen, und er bewirbt sich um die Erlaubnis bei Bloomfield.

Es gab gerade einen freien kleinen Raum neben der Loge des Portiers. Dort lagerten immer Gepäckstücke der Gäste, die im Begriff waren abzureisen oder sich für ein paar Tage entfernt hatten, um wiederzukommen.

Ignatz erzählte mir, daß Christoph Kolumbus sich in diesem Raum festsetzen wollte.

Es gelang ihm, Kolumbus war ein gescheiter Kerl. Dünn und schlank, wie er war, schien er in jeden Winkel zu passen. Es war überhaupt sein Schicksal, Lücken im Leben zu erspähen und sie auszufüllen. Wahrscheinlich war er so Bloomfields Friseur geworden.

Die Leute wußten hier kaum, daß der Friseur einen berühmten Namen lächerlich machte. Nur Ignatz wußte es und der Militärarzt und Alexanderl.

Zwonimir fragte mich: »Gabriel, du bist ein gebildeter Mann, hat Kolumbus Amerika entdeckt oder nicht?«

»Ja.«

»Und wer war Alexander?« fragte Zwonimir weiter.

»Alexander war ein mazedonischer König und ein großer Welteroberer.«

»So, so«, sagte Zwonimir.

Am Abend kamen wir mit Alexanderl im Fünf-Uhr-Saal zusammen.

»Was sagen Sie zu diesem Friseur Kolumbus?« lachte Alexander. »Ausgerechnet Kolumbus heißt er.«

Zwonimir schickt mir einen schnellen Blick zu und sagt:

»Wenn ein Friseur Christoph Kolumbus heißt, ist es noch lange nicht so schlimm. Aber Sie heißen Alexander! ...«

Das war ein gutes Wort, und Alexander schwieg.

Manchmal sage ich: »Zwonimir, laß uns abreisen.«

Aber jetzt will Zwonimir erst recht nicht. Bloomfield ist da, und das Leben wird von Tag zu Tag interessanter. Es kommen mit jedem Zug Fremde aus Berlin. Kaufleute und Agenten und Nichtstuer. Alle Menschen zieht Bloomfield herbei. Der Friseur Kolumbus rasiert heftig. Der Gepäckraum sieht freundlich aus, mit zwei großen Wandspiegeln und einer Marmorplatte. Kolumbus ist der geschickteste Barbier, den ich in meinem Leben je gesehn habe. In fünf Minuten ist man fertig. Das Haarschneiden besorgt er nach neuester Methode mit dem Rasiermesser. Nie hört man in seinem Laden eine Schere klappern.

Weiß der Teufel, woher Zwonimir das Geld für uns beide nahm. Unsere Zimmerrechnung war schon sehr hoch. Zwonimir dachte nicht daran, sie zu bezahlen. Sein Geld legte er jeden Abend vor dem Schlafengehn unters Kopfkissen. Er hatte Angst, daß ich es ihm stehlen könnte.

Wir lebten fast so gut wie Bloomfield und gingen in die Armenküche, wenn es uns gefiel. Und wenn es uns nicht gefiel, aßen wir im Hotel. Und nie ging uns das Geld aus.

Einmal sage ich zu Zwonimir: »Ich packe und gehe zu Fuß weiter! Wenn du nicht willst, bleib hier!«

Da weinte Zwonimir. Es waren ehrliche Tränen.

»Zwonimir«, sage ich, »dies ist mein letztes Wort: Sieh im Kalender nach, heute ist Dienstag, heute in zwei Wochen reisen wir.«

»Ganz bestimmt«, sagt Zwonimir und schwört es laut und feierlich, obwohl ich es gar nicht verlange.


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