Joseph Roth
Hotel Savoy
Joseph Roth

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XVI

An diesem Tage wurde Kaleguropulos erwartet. Zwonimir warf die Stühle um, brachte Unordnung in unser Zimmer. Er beschloß, Kaleguropulos aufzulauern, er wollte ihn im Zimmer erwarten. Ich erwartete Kaleguropulos unten, im Fünf-Uhr-Saal, und Zwonimir blieb oben.

Ich sah diesmal keine Aufregung. Alle hatten das Hotel verlassen, die drei höchsten Stockwerke standen leer, man konnte elende Häuslichkeiten sehen.

Unten war es still. Ignatz fuhr hinauf und hinunter. Nach einer Stunde kam Zwonimir und erzählte, daß der Direktor über den Korridor gegangen sei, Zwonimir war an der Tür gestanden, der Direktor hatte gegrüßt, aber nirgends war ein Kaleguropulos zu sehn gewesen.

Zwonimir vergaß diese Dinge leicht, mich aber ließ das Geheimnis des Kaleguropulos nicht ruhen.

Zwonimir macht selbständige Ausflüge im Hotel, er geht in leere Zimmer, läßt Zettel mit Grüßen zurück und kennt alle Menschen nach drei Tagen.

Er kennt Taddeus Montag, den Karikaturisten, der Schilder malt und nicht viel Arbeit bekommt, weil er die bestellten Arbeiten verpatzt.

Er kennt den Buchhalter Katz, den Schauspieler Nawarski, die nackten Mädchen, zwei Schwestern Mongol, Helene und Irene Mongol, zwei ältliche Jungfern. Zwonimir begrüßt alle laut und herzlich.

Auch Stasia kennt er und berichtet mir:

»Die Kanaille ist in dich verliebt!«

Ich bin verlegen, es ist ja nicht böse gemeint, aber der Ausdruck ärgert mich.

Ich sage: »Stasia ist ein gutes Mädchen.«

Zwonimir glaubt nicht an gute Mädchen und sagt, er würde schon mit Stasia schlafen, um mir zu beweisen, wie schlecht sie sei.

Zwonimir ist schon in den Kellern des Hotels gewesen, im Souterrain, wo sich die Küche befindet. Er kennt den Koch, einen Schweizer, der nur Meyer heißt, aber gute Mehlspeisen macht. Zwonimir erhält Gratisproben.

Zwonimir schlägt Ignatz. Es sind freundliche Schläge, und Ignatz kann nichts dagegen tun. Ich beobachte Ignatz, wie er zusammenzuckt, wenn sich ihm Zwonimir nähert. Es ist eine Reflexbewegung, keine Angst. Zwonimir ist der größte und stärkste Mann im Hotel Savoy, er kann Ignatz bequem unter den Arm nehmen. Er scheint furchtbar und gewalttätig, er poltert gern, und in seiner Nähe ist alles still und scheu. Dem alten Militärarzt ist Zwonimir sympathisch. Der Doktor zahlt ihm gerne ein paar Schnäpse am Nachmittag.

»Solche Doktoren wie Sie kenne ich vom Militär«, sagt Zwonimir. »Sie können Lebendige totmachen, dafür bekommen Sie eine hohe Gage. Sie können die Menschen vom Boden wegamputieren. Sie sind ein großer Chirurg. Ich möchte Ihnen nicht einmal einen Tripper anvertrauen.«

Aber der Doktor lacht. Er ist nicht beleidigt.

»Ich möchte Sie aufhängen!« sagt Zwonimir einmal freundschaftlich und klopft dem Doktor auf die Schulter.

Nie hat dem Doktor jemand auf die Schulter geklopft.

»Ein herrliches Hotel«, sagt Zwonimir und fühlt nicht das Geheimnisvolle dieses Hauses, in dem fremde Menschen, nur durch papierdünne Wände und Decken geschieden, nebeneinander leben, essen, hungern. Er findet es selbstverständlich, daß die Mädchen ihre Koffer verpfänden, bis sie nackt der Frau Jetti Kupfer anheimfallen.

Er ist ein gesunder Mensch. Ich beneide ihn. Bei uns in der Leopoldstadt gab es keine so gesunden Kerle. Er freut sich an den Gemeinheiten. Er hat keine Achtung vor den Frauen. Er kennt keine Bücher. Er liest keine Zeitung. Er weiß nicht, was in der Welt vorgeht. Aber er ist mein treuer Freund. Er teilt sein Geld mit mir, und er würde auch sein Leben mit mir teilen.

Und ich täte es genauso.

Er hat ein gutes Gedächtnis und weiß nicht nur die Namen der Menschen, sondern auch die Nummern ihrer Zimmer. Und wenn der Zimmerkellner sagt: 403 ist bei 41 gewesen, so weiß er, daß der Schauspieler Nowakowski bei Frau Goldenberg geschlafen hat. Er weiß auch vieles über Frau Goldenberg; es ist jene Dame, die ich am ersten Tage getroffen habe.

»Hast du Geld genug?« frage ich.

Aber Zwonimir zahlt nicht. Er ist dem Hotel Savoy verfallen.

Ich erinnere mich an ein Wort des toten Santschin. Der hatte mir gesagt – es war ein Tag vor seinem Tode –, daß alle, die hier wohnten, dem Hotel Savoy verfallen waren. Niemand entging dem Hotel Savoy. Ich warnte Zwonimir, aber er glaubte nicht. Er war gesund bis zur Gottlosigkeit, und er kannte keine Macht außer seiner eigenen.

»Das Hotel Savoy ist mir verfallen, Bruder«, sagte er.

Nun war schon der fünfte Tag seit seiner Ankunft vergangen. Am sechsten faßte er den Entschluß zu arbeiten. »Man darf nicht so leben«, sagte er.

»Es gibt keine Arbeit hier, laß uns weitergehn!« bat ich. Aber Zwonimir wollte just hier Arbeit finden für uns beide.

Er fand wirklich Arbeit.

Bei der Bahn, am Güterbahnhof, waren schwere Hopfenballen da. Sie mußten umgeladen werden, und es gab keine Bahnarbeiter. Es waren einige besoffene, faule Kerle da, und der Vorsteher sah wohl ein, daß er monatelang mit diesen Beamten arbeiten müßte. Von den streikenden Arbeitern Neuners meldeten sich kaum zehn, zwei jüdische Flüchtlinge aus der Ukraine kamen, und dann Zwonimir und ich. Wir bekamen Essen in der Bahnküche und mußten um sieben Uhr früh zur Stelle sein. Ignatz wunderte sich, als er sah, wie ich in meiner alten Militärbluse mit meinem Eßgerät ausrückte und schmutzig vom Kohlendunst und von der Arbeit heimkam.

Zwonimir übernahm das Kommando über uns Arbeiter.

Wir arbeiten fleißig. Wir bekommen scharfe Packhaken, die stoßen wir in die Hopfensäcke und rollen sie auf kleine Handwagen. Wenn wir die Haken eingeschlagen haben, kommandiert Zwonimir: Hopp! dann ziehen wir an – Hopp! wir rasten eine Weile – Hopp! nun lagen die fetten, grauen Säcke unten. Sie sahen wie große Walfische aus, und wir sind wie Harpuniere. Rings um uns pfeifen Lokomotiven, leuchten grüne und rote Signale auf, aber wir kümmern uns um gar nichts – wir arbeiten. Hopp! Hopp! dröhnt die Stimme Zwonimirs. Die Menschen schwitzen, die zwei ukrainischen Juden können es nicht aushalten, sie sind schwächliche und magere Handelsmänner.

Ich fühle Schmerz in den Muskeln, und meine Oberschenkel zittern. Wenn ich meinen Haken auswerfen soll, spüre ich einen schweren Druck in der rechten Schulter. Der Haken muß tief sitzen, sonst zerreißt der Sack, und Zwonimir flucht.

Einmal kamen wir um zwölf in die Küche, es war ein heißer Tag, wir waren müde, und auf unserer Bank saßen schwätzende Schaffner. Sie redeten von Politik und vom Minister und von Gehaltszulagen. Zwonimir bat sie, Platz zu machen, die Beamten fühlten sich wichtig und standen nicht auf. Zwonimir wirft den langen, hölzernen Tisch um, an dem sie sitzen. Die Schaffner schreien und wollen Zwonimir schlagen, aber er fegt ihre Kappen zur offenen Tür hinaus. Es sieht aus, als hätte er sie geköpft. Mit einer Bewegung seiner langen Arme hatte er ein halbes Dutzend Mützen hinausgefegt. Die Schaffner folgten ihren Mützen, nun standen sie da, ohne Adler kamen sie sich jämmerlich vor, sie drohten und zogen ab.

Wir arbeiten schwer und schwitzen. Wir riechen unsern Schweiß, stoßen mit unseren Körpern zusammen, haben schwielige Hände und fühlen unsere Kräfte und Schmerzen gleich.

Vierzehn Männer sind wir, kämpfen gegen schwere Hopfenballen, die nach Deutschland gehen sollen, Absender und Empfänger verdienen an diesen Hopfenballen mehr als wir vierzehn zusammen.

Das sagt uns Zwonimir jeden Abend, wenn wir nach Hause gehn.

Wir kennen den Absender nicht, ich lese nur seinen Namen auf den Waggons: Ch. Lustig heißt er, ein reizender Name. Ch. Lustig wohnt in einem schönen Hause, wie Phöbus Böhlaug, sein Sohn studiert in Paris und trägt geschliffene Schuhe. »Lustig, reg dich nicht auf!« sagt seine Frau.

Wie der Empfänger heißt, weiß ich nicht, er hat Grund genug, Fröhlich zu heißen.

Wir waren alle vierzehn wie ein einziger Mann.

Alle waren wir gleichzeitig da, alle gingen wir gleichzeitig essen, alle hatten wir dieselben Bewegungen, und die Hopfenballen waren unser gemeinsamer Feind. Ch. Lustig hat uns zusammengeschweißt, Lustig und Fröhlich, wir sehen mit Angst, wie die Hopfenballen aufhören, bald ist unsere Arbeit zu Ende, und unsere Trennung scheint uns schmerzvoll, als würde man uns auseinanderschneiden müssen.

Und ich bin kein Egoist mehr.

Nach drei Tagen waren wir mit der Arbeit fertig. Wir waren schon um vier Uhr nachmittags frei, aber wir blieben auf dem Güterbahnhof und sahen zu, wie unsere Hopfenballen langsam nach Deutschland hinausrollten ...


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