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29

Monna Treßler fuhr aus dem Schlaf empor und starrte erschrocken um sich. Mit erwachenden Augen gewahrte sie Harry, der in wilder Hast Koffer und Taschen durcheinanderwarf und hier und da etwas herausriß, was ihm wichtig scheinen mochte, um es in eine Handtasche zu stopfen, die offen neben ihm auf dem Boden stand.

»Harry?«

»Sei ruhig!« flüsterte er heiser zurück, »siehst net, sie sind jetzt hinter uns her – Bande verdammte!«

Sie verstand nicht sofort und ordnete in törichter Eitelkeit ihr Haar. Mitten darin brach sie ab und sah zu dem Mann hinüber. Ihr Blick wurde immer ungläubiger, immer starrer, erst allmählich schien sie überhaupt zu begreifen, was er gesagt hatte. Sie sprang aus dem Bett und lief mit bloßen Füßen durchs Zimmer. Sie wollte die Arme um ihn schlingen, aber er stieß sie brutal zurück: »Geh – laß mich jetzt!« Sie taumelte zurück und fiel gegen einen Sessel, hielt sich an der Lehne fest und sah zu, wie er die Tasche wahllos vollpackte, bis er sie endlich verschloß. Er stand schnell auf und wollte an ihr vorübergehen, aber sie hielt ihn fest: »Harry, du willst fort?«

»Muß doch!« sagte er irgendwie und sah an ihr vorüber. Vor den Fenstern schimmerte ein heller Streif, der ihn mit angstvoller Unruhe erfüllte, der Morgen war sein Feind. Er machte sich von ihr los.

»Geh jetzt, Monna – und wenn du gefragt wirst, ich war nicht mehr hier, du weißt nix, alsdann, ich muß jetzt fort!«

»Harry!« schrie sie auf und begann haltlos zu schluchzen. Sie hatte den Abend in angenehmer Gesellschaft verbracht, das plötzliche Erwachen, die Erscheinung Harrys, seine Flucht zerrten wie ein bedrückender Schreckenstraum an ihr, sie war noch immer nicht wach genug, um ganz zu begreifen.

»Ich zieh mich schnell an, ich komme ja mit!« beharrte sie kindisch und riß ihm in einem unbewachten Augenblick die Handtasche fort. Mit fliegenden Händen begann sie sich anzukleiden, während er sich resigniert in einen Sessel fallen ließ und vor sich hinstarrte. Was hatte es noch alles für einen Zweck, sie faßten sie ja doch, es war diesmal nur eine Frage der Zeit – es konnte nur Stunden dauern, vielleicht einen Tag – vielleicht zwei! Länger nicht, er glaubte nicht daran.

Die Tür wurde hastig geöffnet. Mason kam herein und schloß hinter sich ab, mit einem einzigen schnellen Blick übersah er alles.

»Die Monna bleibt hier!«

Sie war jetzt vollständig angekleidet, als ob sie eben, in dieser Minute, nach Hause gekommen wäre. Sie trat, die Arme in den Hüften, auf Mason zu und starrte ihn haßerfüllt an: »Ha, du – verrechne dich nur nicht! Harry und ich gehören zusammen und wir bleiben zusammen! Ich laß mich nicht abschieben!«

Mason biß sich auf die Lippen, er hatte keine Lust, wegen dieser hysterischen Frau die Freiheit zu riskieren. Es war ausgeschlossen, daß sie zu dritt entkommen konnten, er war froh, wenn ihm und dem anderen die Flucht gelang.

»Du bleibst hier!« fuhr er sie herrisch an und winkte Harry. Harry erhob sich und ging zur Tür.

Monna ballte die Fäuste und sah wie eine sprungbereite Katze von einem zum andern. »Ihr kommt nicht weit!« keuchte sie außer sich, »ich hetz euch alles hinterher, was ich erreichen kann – ihr kommt nicht weit, ich warne dich, Harry!«

Der sah Mason an. Vielleicht war es falsch, die Frau, die zuviel von ihnen wußte, in dieser Verfassung allein zurückzulassen, er selbst konnte sie nicht mitnehmen, Mason mußte entscheiden, er hatte das Geld und die Pässe. Aber Mason verlor jetzt keine Zeit mehr, auch ihn hetzte der immer heller werdende Streif, der durch die Lücken der Jalousie blinzelte, auch er floh vor dem Licht, dem Verräter des Verbrechens. Es ging jetzt um die Freiheit, was galten da Weiber und Drohungen, vergessen war alles, was war und kam, nur die Flucht galt und das Entkommen!

Er packte den andern am Arm und schob ihn zur Tür hinaus, sie wollte hinterher, aber seine Faust schlug die Tür vor ihr zu.

Während die Männer wortlos hinunterflohen, schleppte sie sich mühsam ans Fenster zurück und hob die Jalousie empor. Sie wollte Harry noch einmal sehen – sie, die Frau, die kaltblütig einen Menschen zu Tode gehetzt hatte – sie starrte dem Manne nach, der sie schnöde verließ, um sich selbst zu retten. Es war der einzige Mensch, mit dem sie auch jetzt noch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit verband.

Die beiden traten auf die Straße und spähten vorsichtig um sich. Als sie sich vergewissert hatten, daß keine Gefahr drohte, gingen sie schnell über den Damm und verschwanden in einer Nebenstraße. Sie waren fort!

Monna Treßler lehnte immer noch mit einem wehen, bitteren Lächeln am Fenster und sah auf die leere Straße hinunter, sie konnte nicht denken, nicht einmal mehr weinen.

Er war ja fort.


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