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9

Der Verkehr eines frühen Vormittags erfüllte den Potsdamer Platz mit lärmendem, pulsendem Leben. In regelmäßigen Stößen pumpten die Zufahrtstraßen die Rudel der Busse, Bahnen und Kraftwagen in die City hinein, die sie dann in den Nachmittagsstunden wieder ausströmte.

Mason ließ seinen Blick nachdenklich über eine Kaffeehausterrasse gleiten, während er wie jemand, der viel, sehr viel Zeit hat, seine Zigarre sog.

Harry hatte ein kleines Notizbuch vor sich und suchte die Seiten nach einer Adresse ab, die er vergessen hatte.

»Halt, da ist er: Klahr, Paul. Ist doch gut, daß man sich so was notiert.« Statt einer Antwort zündete sich Mason eine Zigarette an.

»Soll ich den Mann aufsuchen?« wollte sein Komplice eifrig wissen.

Der andere schüttelte den Kopf. »Immer der alte, Harry, du wirst dich in diesem Leben nicht mehr ändern. So wie du dir das denkst, ist die Sache natürlich nicht zu machen.«

Harry Speidler klappte gereizt das Notizbuch zu. »Dann nicht.« Ich bin nicht mehr derselbe wie früher, fühlte Mason mit Unbehagen, vor zwei Jahren hätte sich dieser Bursche den Ton nicht erlaubt, es ist alles anders geworden. Aber er bezwang sich.

»Die Situation ist die, Harry«, begann er so freundlich wie möglich, »daß uns dieses Fräulein Hedenus, ohne es selbst zu ahnen, auf einen Coup aufmerksam gemacht hat, wie er vielleicht alle hundert Jahre einmal geboten wird. Das ist es, und aus diesem Grunde muß alles bis ins kleinste vorbereitet werden, wir dürfen uns die Chance nicht entgehen lassen.«

Harry fühlte die Autorität und beugte sich. Außerdem blieb ihm nichts anderes übrig; er war wohl ein gutes, zuverlässiges Werkzeug, aber eine Sache allein zu arrangieren und durchzuführen, war ihm nicht gegeben.

»Von irgendwas muß der Mensch halt leben!« sagte er immer in einem Anflug von Galgenhumor.

»Was ist übrigens mit dieser Hedenus?« fragte er ablenkend.

Mason zuckte gleichgültig die Achseln.

»Ich habe sie zu Proscher geschickt, du weißt ja, er wird sehen, ob was mit ihr zu machen ist. Aber jetzt zu uns! Die Spencer interessiert sich für mich, die Bekanntschaft dieser Frau muß ich zunächst erhalten, man muß mit ihr im Konnex bleiben. Später wird man sehen. Wieviel Geld hast du zur Verfügung?«

Harry lächelte über den guten Witz. Er besaß eigentlich nur Schulden und uneingelöste Pfandscheine. Wie er es fertig brachte, die teure Miete der ›Pension Atlantik‹ aufzubringen, blieb sein Geheimnis. Er brachte es eben fertig.

»Irgendwo muß der Mensch halt wohnen, nicht?«

»Man müßte Fühlung mit den anderen nehmen«, meinte er vorsichtig. ›Die anderen‹ waren Angehörige der Verbrecherzünfte, die früher für den ›King‹ gearbeitet hatten.

Mason schüttelte abwehrend den Kopf. »Du vergißt, daß ich inzwischen im Poto Poto – – 's muß doch irgendwie möglich sein, auch ohne derartige Hilfe aus diesem Leben rauszukommen, es muß doch mal anders werden mit uns – – oder soll es bis ans Ende so bleiben, Harry?«

Er ist ein Narr geworden, dachte der andere. »Natürlich«, meinte er ironisch, »man kann sich irgendwo um eine Stellung bewerben. Wenn man Glück hat, bekommt man was für 150 Mark im Monat, wenn das reicht; ich will mich gern umsehen!«

Oliver Mason tat einen tiefen Atemzug, ballte die Fäuste. Und öffnete sie wieder kraftlos. Es hatte wohl keinen Sinn.

Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund.

»Kellner, einen Kognak!«

Nachdem er ihn hinuntergestürzt hatte, das Brennen noch in der Kehle, begann er schnell, mit ganz veränderter heiserer Stimme, auf den anderen einzusprechen. »Wir brauchen zunächst eine Frau, die uns den Drucker, diesen Klahr oder wie der Kerl heißt, gefügig macht, er muß Wachs in unseren Händen sein, verstehst du?«

Harry nickte.

»Die Hedenus?«

In Masons Augen war ein gefährliches Glänzen: »Zu schade dafür, eine andere!«

Harry begann zu überlegen, zusehends hellte sich sein Gesicht auf. »Da ist's in der Näh' und man denkt net dran!« erinnerte er sich in seiner lebhaften Art, die immer noch den alten Wiener verriet, »die Treßler, die Monna Treßler! Sie wohnt in derselben Pension wie wir, ein hübsches Mädel!«

»Kennst du sie?« fragte sein Chef ohne viel Vertrauen.

Harry lächelte. Der andere hatte ihn bei der Eitelkeit genommen. »Aber geh! Sie ist doch meine Freundin, ich kenn' sie lang' genug, die ist richtig für uns!«

Mason nickte düster. Jetzt war wieder alles wie damals. Harrys Wiener Dialekt machte wieder aus den dunkelsten Dingen harmlose leichte Kleinigkeiten, der Stein kam ins Rollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, im Urwald neben Hérussiers zu liegen, erschlagen, erschossen, ausgelöscht. Es war ganz seltsam, wie bei Mason die Stimmungen wechselten, tiefste Niedergeschlagenheit konnte ohne sichtbaren äußeren Anlaß verwegenster Abenteuerlust Raum geben, aus einem wohlerzogenen Gentleman konnte ein Desperado werden. Oliver Mason hatte viele Feinde, ungezählte Verfolger waren zu jeder Zeit hinter ihm her. Aber sein ärgster und erbittertster Feind war seine eigene unberechenbare Natur.

Eines Tages mußte sie ihn zu Tode gehetzt haben.

»Wen brauchen wir denn noch zu der Geschichte?« fragte er aus seinen bedrückenden Gedanken heraus den Komplizen.

Harry machte eine abwehrende Handbewegung. »Mach ich doch alles. Der Paul –« er war in der Phantasie bereits gut Freund mit dem Mann – »macht das schon, der ist geschickter als die Polizei erlaubt, der kann mehr als drucken, verlaß dich auf mich – 's muß erst wieder was da sein, dann wird dir's Leben schon gefallen!«

»Du bist ein guter Junge«, sagte Mason und fühlte sich erleichtert, weil es wenigstens einen Menschen gab, der so etwas wie Mitgefühl für ihn zu haben schien; wenn es auch nur Harry Speidler war, der schuftige, durchtriebene Harry – es war doch ein Freund. Man kann nicht ohne Freund leben, niemand kann es oder er hat sich selbst aufgegeben.

»Wir sehen uns abends in der Grill, wo wir gestern waren.«

»Bestimmt!« rief Harry zurück und verließ eilig die Terrasse. Er hatte jetzt viel zu tun. Es ist merkwürdig – das Verbrechen macht fast mehr Arbeit als der anständige Beruf.


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