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11

Albert Proscher, Herr des Palast-Theaters, Herrscher über eine kleine Armee von Girls, legendenumwobene Gestalt der Statistenbörsen, saß behaglich in seinem Sessel und betrachtete Fräulein Anna Hedenus. »Nehmen Se ruhig das Röckchen 'n bißchen höher – aber das ist doch gar nichts, wovon soll ich mir denn ein Urteil machen? Von den blauen Augen? Höher, sagte ich, höher!« Sie wurde noch etwas blasser und zog den Rock über die Knie; hätte sie nicht gefürchtet, Mason zu enttäuschen, wenn sie mit einem ablehnenden Bescheid zurückkehrte, sie hätte dieser aufgeblasenen Kugel Bescheid gesagt. Aber sie mußte tun, was er wollte, denn glaubte nicht Mason an sie? Sie klammerte sich an diesen Mann, den sie kaum kannte und dem sie gehorsam sein mußte, ohne sich darüber Rechenschaft geben zu können.

»Lassen Se – so weit sind Se richtig!« unterbrach sie Proscher in ihren Gedankengängen. »Nun kommen Se mal her zu mir – hier in das Sesselchen, haben Se doch keine Bange, ich beiße nicht, so – setzen Se sich, nehmen Se Platz, platzen Se, Fräulein – Fräulein?«

»Hedenus«, erinnerte sie und schämte sich, ihren Namen hier zu nennen.

»Richtig, Hedenus!« Er besah die Karte mit der Empfehlung, »Anna Hedenus, richtig!« Er paffte ein paar gewaltige Züge und glotzte sie an. »Können Se singen, Anny?«

Sie antwortete nicht gleich; die Art, wie man sie behandelte, brachte sie aus dem Gleichgewicht, es war alles zu ungewohnt, über Nacht war ihr Leben so von Grund auf verändert, sie mußte sich erst gewöhnen; hatte denn niemand Verständnis für sie? Mußte das alles so ungeschminkt an sie herantreten?

Es war nicht leicht, ›modern‹ zu sein!

»Ein bißchen wohl«, sagte sie endlich und bemühte sich krampfhaft, ihrem Ton einen leichten Klang zu geben.

»'n bißchen is besser als jar nischt, kommen Se!« Proscher erhob sich schnaufend und stampfte ihr voraus; sie kamen durch das von Wartenden erfüllte Vorzimmer; neidische, haßerfüllte Blicke streiften sie, Worte zischelten, die sie zu überhören suchte und dennoch verstand.

Proscher führte sie in den riesigen halbdunklen Theaterraum. Nur die vordersten Reihen bekamen von der Bühne her etwas Licht, man konnte verschiedene Gestalten undeutlich wahrnehmen, die dort saßen und warteten bis die Reihe an ihnen war. Auf der Bühne bearbeitete ein Mann mit wilden Gesten einen Flügel; die Füße, die in schwarzglänzenden Pumps steckten, schlugen unaufhörlich den Takt. Mehrere Leute in weißen Mänteln über den Anzügen standen herum und sahen dem Tänzerpaar zu, das probte. Als Proscher erschien, entwand sich die dunkelhaarige Tänzerin ihrem Partner und stürzte auf ihn zu: » Monsieur le directeur, ich kann nicht tanzen auf diese schreckliche Bühne, impossible

»Dann lassen Se's bleiben!« brummelte er und versuchte etwas Distanz zwischen sich und sie zu legen. Laut sagte er mit der liebenswürdigsten Miene der Welt: »Meine Gnädigste, ich bitte jeden Wunsch als von Ihren Augen abgelesen zu betrachten«, dazu küßte er ihre ringglitzernde Hand.

Er wandte sich zu Anna Hedenus um, die bedrückt an der Rampe stehengeblieben war: »Kommen Se, kommen Se, worauf warten Se denn um Gottes willen, kommen Se, singen Se – – ich bitte um einen Moment Pause, meine Gnädigste, ich muß hier ein Stimmtalent prüfen. Los, Herr Musikdirektor!«

»Was soll ich spielen?« wollte der Kapellmeister mürrisch wissen.

»Was fragen Se mich, spielen Se – – los, Fräulein, wo bleiben Se, singen Se, wollen Se nich?«

»Rrruhee!« brüllte jemand in den dunklen Saal hinein, in dem augenblicklich jedes Flüstern verstummte. Die Reinemachefrauen stellten ihre Eimer neben die Türen und gafften.

Der Mann am Flügel begann einen Schlager herunterzuhämmern, er schoß einen mißmutigen Blick auf das blasse blonde Fräulein, das neben ihm stand und nicht sang. Proscher schien nicht mehr da zu sein, er sah in den Bühnenhimmel und wartete.

Anna Hedenus riß sich verzweifelt zusammen, was blieb ihr denn übrig, sollte sie denn zurückkehren und sagen, daß sie sich blamiert hatte? Ihr Stolz war stärker als die lähmende Scham, als das Ungewohnte des Milieus. Donnerwetter, sie hatte doch diese blödsinnige Melodie schon mal gehört, ach gestern abend bei Reischs. Sie dachte an Ferenczys wundersame Geige und sang.

*

»Schluß!« rief jemand brüsk, es war Proschers belegte Stimme, »danke, Herr Kapellmeister, kommen Se wieder mit, Fräulein Anny!«

Sie erwachte wie aus einem mildtätigen Traum und folgte ihm den Weg zurück, den sie vor ein paar Minuten gekommen war; sie wagte nicht, sich umzusehen, sie fürchtete die Gesichter der Leute auf der Bühne. Der Saal begann wieder zum Leben zu erwachen.

Proscher schloß die gepolsterte Tür des Direktionszimmers hinter ihnen, sie saß wieder in demselben Sessel wie vorhin, ihr Herz klopfte vor Angst – – was würde er sagen?

Er sagte zunächst gar nichts. Als er endlich zu sprechen begann, fiel ihr sofort die Veränderung auf. Es war ein anderer Ton jetzt. Väterlich fast. »Mein liebes Fräulein Hedenus – – so kann ich Se also nich gebrauchen, leider nich! Wissen Se, Ihre Stimme is veranlagt, sicher is se das – hübsch sind Se auch – also was wollen Se eigentlich bei der Revue? Muß das sein?«

Er griff nach seiner Zigarre und sah sie freundlich an.

Die Enttäuschung war zu groß, die Kehle war zugeschnürt, man konnte nicht antworten. Was sollte man antworten?

»Lassen Se sich 'nen Rat geben«, fuhr er fort und griff nach ihrer kleinen bestürzten Hand, »lassen Se andere selig werden mit dem Schwindel – 's ist nicht das Richtige für Sie!«

»Herr Direktor«, stieß sie hervor, »ich muß aber – – ich muß aber – –«

»Was müssen Se? Gar nichts müssen Se – – aber wenn Se glauben, will ich Ihnen 'nen Vorschlag zur Güte machen!«

Er sah sie nachdenklich an.

»Se lassen Ihre Stimme ausbilden – se wird ausreichen – – und dann kommen Se wieder und dann wollen wir sehen!«

Er griff nach dem nächsten Meldezettel.

»Herr Direktor«, begann sie noch einmal, »kann man nicht inzwischen irgend etwas anderes anfangen – – tanzen oder im Chor oder dergleichen? Ich muß Geld verdienen«, brachte sie noch mühsam heraus und glaubte jetzt versinken zu müssen. Aber das Leben war hart und wirklich, sie versank nicht, sondern Proschers feistes Gesicht wendete sich ihr unwillig zu:

»Lassen Se sich's doch gesagt sein, natürlich können Se hier arbeiten, aber was haben Se von den paar Mark? Und rauskommen tut doch nix Gescheites, wenn Se unters Gezumpel gehen. Lassen Se's lieber bleiben – – aber wenn Se durchaus wollen, bitte, überlegen Se sich's.«

Er begleitete sie sehr höflich zur Tür und verabschiedete sie, »lassen Se sich wiedersehen, gnädiges Fräulein!« Sie kam nicht dazu, irgendetwas Höfliches zu sagen, denn Proscher verschwand bereits vor dem nächsten Besucher in der Tür seines Zimmers.

Als sie die Straße wieder betrat, konnte sie gar nicht begreifen, daß hier draußen die Sonne schien, die Menschen in sinnloser Hast vorübereilten, daß sich nichts geändert haben sollte während dieses langen bangen Tages.


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