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3

Mrs. Glaid Spencer betrachtete sich aufmerksam in dem ovalen Spiegel ihres Ankleidezimmers. Sie sah ein sehr weißes, schmales Gesicht, das von tiefschwarzem Haar im Herrenschnitt gerahmt wurde. Die Hände ihres Friseurs tauchten jetzt behutsam auf, ein mächtiger vernickelter Helm, einer Taucherhaube vergleichbar, wurde hochgehoben und über ihren Kopf gestülpt.

Während die Trockenmaschine monoton surrte, ruhte Mrs. Spencer wenige Minuten genießerisch aus. Eine seltsame Unrast bestimmte das Lebenstempo dieser Frau seit jeher. So konnte sie sich nicht erinnern, wann es jemals anders gewesen war. Schon als Mädchen hatte sie im Maklerbüro ihres Vaters gearbeitet, dann kam eine kurze Pause, als sie Spencers Frau geworden war; eines Tages hatte sie ihrem verblüfften Manne kurzerhand erklärt, daß sie sich langweile und sich in seiner Automobilfabrik zu betätigen wünsche. J. C. Spencer hatte beschwörend die Hände gefaltet, ein Schloß bei Paris kaufen wollen, einen prachtvollen Bungalow in Miami – sie war bei ihrem Entschluß geblieben. Was sollte sie auch sonst mit diesem Leben anfangen? Wenn sich Mrs. Spencer jemals diese Frage vorgelegt hätte, sie wäre unfähig gewesen, sie zu beantworten; Leben hieß für sie Giant Motors, wurde erschöpft mit Passagen über den Atlantik und so annehmbar wie möglich durch einen Luxus gestaltet, der zur Selbstverständlichkeit geworden war; also nichts mehr bieten konnte.

Das Surren verstummte, Glaid Spencer tauchte erfrischt und verschönt unter dem Nickelhelm auf, die Zofe stand schon mit dem Teekleid bereit. Mrs. Spencer vervollständigte ihre Toilette und betrat völlig erfrischt und in liebenswürdigster Stimmung den hallenartigen Wintergarten, den sie allen anderen Räumen der palastartigen Grunewaldvilla vorzog.

Fred Kolowrat begrüßte sie in seiner überströmenden Art, ein Wiener vom alten Schliff, der die bezauberndsten Komplimente wie ein Variétékünstler unter die Leute warf.

Kolowrat hatte das ungeheure Glück gehabt – seine weniger glücklichen Berliner Kollegen meinten »Schwein« – von der Giant Company engagiert zu werden, um die Karosserien künstlerisch auszugestalten; er arbeitete ganz selbständig und verdiente ausgezeichnet. In dem freien Korbsessel lag eine große graue Skizzenmappe mit neuen Entwürfen. Mrs. Spencer konnte Nachmittage lang neue Karosserien besprechen, alte verwerfen; wie ein Kind an kostbaren Spielzeugen erfreute sie sich an Farbtönen, originell zusammengestellten Lackierungen, gut geformten Kühlern. Und die Phantasie dieses Kolowrat schien unerschöpflich, auf der berüchtigten Abbauliste Fräulein Gundlachers stand er jedenfalls vorerst nicht.

Etwas später traf ein zweiter Gast ein, Fräulein Hedenus, die Tochter des früher einmal sehr bekannt gewesenen Asienforschers Hedenus; Mrs. Spencer hatte sie auf einer Gesellschaft kennengelernt, sie verkehrten seitdem miteinander – man sah sich hin und wieder.

»Wie geht's?« fragte Mrs. Glaid sehr herzlich und bediente die junge Dame, »was macht der Herr Professor – was macht Asien?«

»Asien lebt – der Professor lebt – alles beim alten«, antwortete Anna Hedenus mit einem etwas starren Lächeln, das irgendwie gezwungen schien.

Kolowrat trank in hastigen Schlucken und schielte nach seiner Skizzenmappe, er konnte die Zeit kaum erwarten, bis er seine neuen Entwürfe vorlegen durfte.

Die mächtigen Glasfenster des Wintergartens waren halb emporgeschoben, draußen lag in schwerem feuchten Grün der Park. Das junge Mädchen atmete gepreßt.

»Ich sah heute Ihr neues Kabriolett in dem Ausstellungssalon am Kurfürstendamm«, sagte sie zu Mrs. Spencer, um etwas zu sagen.

Kolowrats Hände machten eine verdächtige Bewegung nach der Skizzenmappe, dann besann er sich. Diese Dame – er hatte den Namen nicht behalten, würde nicht ewig bleiben.

»Unser neues Kabriolett ist herrlich!« ging Mrs. Glaid auf die Bemerkung ihres Gastes ein, »es gibt nichts Schöneres und Vollkommeneres!«

Anna Hedenus nickte. Sie konnte die Augen nicht von diesem Park losreißen, von einer wundervoll geschorenen Wiese, die mit ganz zarten Frühlingsblumen bestreut war – hier wohnte jemand und dachte an Kabrioletts, die vollkommen und dabei preiswert waren.

»Sie bedienen sich gar nicht!« unterbrach Mrs. Glaid ihre Gedanken, »haben Sie Ärger – – man soll Ärger aus dem Wege gehen, ich mache es auch so!«

»Ich habe keinen Ärger«, antwortete das junge Mädchen ergeben und hatte wieder dieses unnatürliche Lächeln um die Lippen, »es tut mir leid, wenn ich Ihnen die Stimmung verderbe, Mrs. Spencer.«

»Aber, mein liebes Fräulein Hedenus, wie können Sie so etwas sagen!« verwahrte sich die Dame des Hauses vorwurfsvoll. »Geht der Führer durch die altjapanischen Kunstwerke vorwärts?« versuchte sie abzulenken.

Die Gefragte nickte.

»Danke. Vater hofft, noch in diesem Jahr damit fertig zu werden.«

»Ah! Und Sie helfen ihm wohl ein bißchen bei dieser Arbeit?«

Das blasse Fräulein sah in ihre Tasse.

»Nein, Mrs. Spencer – – ich suche zur Zeit eine andere Tätigkeit für mich!«

»Sehen Sie! Ganz meine Ansicht, die Frau von heute gehört ins Leben, in den Beruf, genau wie der Mann – ich könnte mir gar nicht vorstellen, was ich ohne meine Giant-Motoren anfangen sollte. Was, Kolowrat?«

»Haha!« lachte Kolowrat dumpf.

Anna Hedenus mußte wieder in den Park hinausblicken, irgendwo in den Büschen, über die erste Dämmerung in feinen, fliehenden Schleiern sank, rief ein Vogel. Es mußte wundervoll sein, hier sich von Motoren und dergleichen Dingen, die scheinbar unentbehrlich waren, zu unterhalten.

Es war sehr schwer, aus diesem Park wieder in den Alltag zurückzukehren.


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