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26

Harry Speidler vergaß über Odette Fleurry Zeit und Gefahr, es gab für ihn keinen ›King‹, der befahl, keine Monna, die drohte und jammerte, keine Kriminalpolizei, die immer nach ihm fahndete – nur Odette Fleurry war, ihr Lachen, ihre Augen, ihr voller sinnlicher Mund und ihre herrlichen Glieder, die sich beim Tanzen lockend an ihn schmiegten.

Odette war früher Star einer Revue gewesen, heute die bestverdienende Eintänzerin des ›Palais Métropole‹; sie tanzte mit Harry, solange kein lohnender Kunde da war, sie ließ ihn bitten und betteln – sie behandelte ihn schlechter als einen Hund und warf seine Geschenke vor aller Augen unter die Kolleginnen. So wiederholte sich alles im Leben, Harry und Monna, Monna und der unglückliche Drucker Klahr, die schöne eiskalte Odette und Harry.

»Du kannst gehen!« meinte sie ruhig und lächelte ihn an, als habe sie das Selbstverständlichste und Liebenswürdigste von der Welt gesagt.

Sie standen unter den anderen Tanzpaaren, deren Beifallsklatschen das Orchester zur Wiederholung anfeuerte.

»Bitte, noch einen Tanz!« bat er demütiger als jemals Klahr.

»Und meinen Bankier drüben soll ich deinetwegen warten lassen? Du bist närrisch, mein Lieber!«

Er zuckte nervös zusammen und blickte nach dem Sekttisch, an dem der englische Bankier gleichmütig saß und mit der flachen Hand den Takt schlug. Er wußte, Odette war ihm sicher. Der Laffe, der mit ihr tanzte, war nur Attrappe, so hatte sie ihm in einer verliebten Stunde gestanden.

»Warum gibst du dich mit dem Menschen ab!« flüsterte Harry in ohnmächtiger Eifersucht, während er sie an ihren Tisch geleitete – »ich kenne viele Frauen, die glücklich wären, wenn ich sie bäte, mit mir zusammen zu sein!«

Sie sah ihn kaum an.

»Geh doch zu den anderen, geh doch zu deinen Frauen – halte ich dich etwa?!«

Er stand unschlüssig. Der Abend war sinnlos für ihn, wenn er ihn ohne sie verbringen mußte. Odette bedeutete für ihn nie gekannte Leidenschaft. Und gerade diese Frau blieb für ihn unerreichbar, mehr noch, schlimmer, sie quälte ihn, sie verachtete ihn.

»Adieu, mein Lieber!«

»Odette – – bitt' dich – laß uns heute abend zusammen sein!«

»Aber was bildest du dir ein? Denkst du, ich habe keine Verpflichtungen – was bist du denn? Man lebt nicht von der Liebe!«

»Das wagst du mir zu sagen?!« knirschte er wütend. »Alles, was du dir wünschst, kauf' ich dir, alles – und das sagst du mir!«

»Ich habe dich niemals um etwas gebeten – die Sachen liegen für dich bereit, laß doch den Plunder abholen – außerdem, ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr für dich!« Sie ließ ihn fassungslos neben ihrem Tisch stehen und ging zu dem Bankier hinüber. Der Engländer erhob sich und küßte ohne Überschwang ihre weiße gepflegte Hand – der kostbare Ring, der daran glänzte, stammte von ihm. Er wußte, was er küßte.

Sie ließ sich plaudernd bei ihm nieder, voller zärtlicher Heiterkeit. Irgendwo stand Harry und starrte verzweifelt zu ihnen hinüber. Wie oft hatte er gedroht, an den Tisch des anderen heranzutreten und einen Skandal heraufzubeschwören – er wagte es nicht, das wußte er, Odette wußte es und lachte darüber – auch dem Bankier hatte sie es erzählt, um ihn zu erheitern und Harry noch lächerlicher in seinen Augen zu machen – – er hatte kaum die Achseln gezuckt. Was interessierten ihn Talmiexistenzen!

Das Orchester setzte zu einem klingenden Tango ein.

Der Bankier machte keine Miene zu tanzen, er liebte es nicht, sich selbst anzustrengen, er überließ das anderen. Wollte Odette tanzen, so gab es Kavaliere. Aber sie zog es vor, bei ihm sitzen zu bleiben und mit ihm zu plaudern.

Man müßte sie auffordern, dachte Harry und wagte einen letzten Versuch. Sie kann einem doch keinen Korb geben! Er verbeugte sich mit einem geläufigen Lächeln zu dem Rivalen, dann zu ihr und bat um den Tanz. Das Blut stieg ihm in das weiße, schmale Gesicht.

Der Bankier sah über ihn fort und sprach über irgendetwas Gleichgültiges weiter und sie schüttelte nur den Kopf; nicht einmal eines Wortes hielt sie ihn für würdig, er war ihr lästig.

Irgend jemand machte eine Bemerkung, am Nebentisch lachte man.

Harry stand noch immer vor ihnen, es war, als halte ihn der Boden fest, als könne er nicht die Füße bewegen. Es passiert was! dachte er und krampfte die Fäuste – aber die Frau sah nur einmal auf, ihre Augen blickten jetzt zornig, Drohung lag darin. Und Harry Speidler schlich gedemütigt wie ein geprügelter Hund hinaus, man gab ihm Mantel und Hut in der Garderobe, ein kleiner Boy mußte ihn ankleiden, er war wie vor den Kopf geschlagen, alles tat er mechanisch, ohne zu denken, ohne zu fühlen.

Er hüllte sich fester in seinen Mantel und trottete die Straße hinunter. Ein feiner Regen ging nieder, welkes Laub schwirrte raschelnd vorüber.

Ein früher Herbst begann.

Nach einiger Zeit blieb er stehen und sah um sich. Er erinnerte sich, daß es so weit war, nach der Garage hinauszufahren, in der sie die Druckmaschinen untergestellt hatten.

Es mußten Noten gedruckt werden, Geld brauchte er, immer neues Geld, um die Frau, die mit Füßen nach ihm stieß, zu erkaufen, um ein Lächeln zu erkaufen, das unecht war, – so weit war es nun mit ihm!

Er hielt eine Taxe an und fuhr nach dem nördlichen Vorort, wo sie in einem abgelegenen Hinterhause die unbenutzte Garage entdeckt und ihren Zwecken nutzbar gemacht hatten. Niemand kam hierher, niemand spürte ihnen nach, niemals würden sie hier entdeckt werden.

Es fröstelte ihn, er war voller hilfloser Wut gegen den überlegenen Rivalen, voller Sehnsucht nach einem gewährenden Lächeln von Odette.

Das Auto hielt.

Er stieg aus und entlohnte den Fahrer. Ehe er das Haus betrat und die Garage aufschloß, hielt er vorsichtig Umschau, ob ihn niemand beobachtete, ob keine Verfolger sich in der Nähe verbargen. Die Straße lag totenstill. Harry schlich sich in das Dunkel der Hauswand und ging mit gedämpften Schritten über die glänzenden Steine des Hofes. Das Garagenschloß war in Ordnung, keine Gefahr drohte.

Am Morgen konnten die Mittelsmänner kommen und das frischgedruckte Geld in Empfang nehmen.

Und doch war einer in der Nähe!

In dieser Nacht war es Michael endlich gelungen, den anderen trotz aller Haken und Manöver, die dazu dienten, etwaige Späher abzuschütteln, bis in diese stille, menschenleere Vorortstraße zu verfolgen, bis zu dem Haus, in dem er mit leisen Schritten verschwand.

Michael atmete hoch auf und drückte sich fester in die Mauernische. Es konnten Komplizen in der Nähe sein. Aufpasser, die ihn sofort unschädlich machen würden. Regen tröpfelte ihm ins Gesicht, kühler, frostiger Wind wehte von den weiten, unbebauten Flächen heran, er fühlte es nicht und fror nicht. Der Zweck, dem er diente, beseelte ihn und stählte seine Energie. Oft hatte er in den Nächten ergebnisloser Verfolgung das dunkle Bewußtsein, daß er irgend etwas an seinem Vater, an dem alten Mann, den sie zu unrecht verdächtigt hatten, gutmachen müsse, damit er nicht zu der Bitterkeit, die ihm die Welt zufügte, auch noch den Glauben an den eigenen Sohn verlieren müßte. Es wäre jetzt Zeit gewesen, in den Gebäuden der Giant-Werke nach den geeigneten Stellen zu suchen, an denen der Sprengstoff ausgelegt werden sollte – Michael betrat seit zwei Wochen die Fabrik nicht mehr, er hatte einen Sonderurlaub durchgesetzt, um der Aufgabe, die er sich gestellt, dienen zu können.

Er lehnte sich müde gegen die feuchte Hausmauer und schrak zusammen: Schritte hallten, es kam jemand. Ein Mann, den Mantelkragen hochgeschlagen, näherte sich langsam seinem Versteck, ein Lied pfeifend, ging er an dem Haus vorüber, das er beobachtete – war er entdeckt worden? Die in der Kälte ungelenk gewordene Hand entsicherte hastig den Revolver, leicht würde es keiner mit ihm haben! Aber der Mann schien ihn nicht zu sehen, er kehrte wieder zu dem Haus zurück, in dem Speidler verschwunden war, stärker tönte das Lied, man mußte es in der Stille auf dem Hof hören können.

Plötzlich brach es ab, der stille Wanderer behielt das Haustor scharf im Auge. Ein Schlüssel klirrte leise im Schloß, die Tür wurde um eine Handbreit geöffnet – Speidler stand in Hemdsärmeln im Eingang und ließ den Ankömmling ein.

Wieder lag die Straße still und verlassen, nur der Regen ging monoton auf den schillernden Asphalt nieder.

Acht solcher Männer zählte der Beobachter in der Mauernische, achtmal öffnete Speidler das Haus und ließ die Mitglieder der Bande ein, die gegen Morgen, ebenso vorsichtig wie sie gekommen, wieder gingen.

Als es schon hellgrau über den öden Baugruben schimmerte, verließ Michael seinen Posten.

Der Endkampf begann!

*

Mason stand vor dem Ankleideschrank und überprüfte noch einmal seine Erscheinung: sie war in Ordnung, von der weißen Binde bis zu den glänzenden Lackpumps – ein Gentleman.

Harry kam herein und setzte sich mit mißmutigem Gesicht zu ihm. »Wieder Streit gegeben mit der Monna?« fragte der andere nebenhin und polierte noch einmal seine tadellosen Nägel.

»Weißt, es ist nicht das mit der Monna allein, es kommt noch so vieles andere dazu, 's kann einem grausen!« Er zündete sich nervös eine Zigarette an und rauchte in unruhigen Zügen.

Mason lachte. Er amüsierte sich darüber, daß sein Komplize auf die alten Tage verliebt war wie ein Primaner, und daß die Frau seiner Liebe ihn danach behandelte – – wie man verliebte Primaner zu behandeln pflegt.

»Was lachst?« brummelte Harry gereizt, »ich wollt dir schon lange sagen – 's wär besser, wir machten uns aus dem Staube, ich ahn' nix Gutes hier!«

»Nonsens!«

»Sagst du!« widersprach der Komplize und ging mit langen Schritten im Zimmer auf und ab, »ich hab' aber das Gefühl, daß irgendwer uns belauert – ich weiß nur nicht wer! Ob die Polizei herausgefunden hat?«

»Nonsens! Unsinn, Harry!«

»Die Monna wird auch immer zudringlicher – Ol, ich bitte dich, wir wollen wo anders hin, nach Paris – oder nach London – 's ist Zeit, glaub mir, ich habe das Gefühl für so was!«

»Ist das alles, was du mir mitzuteilen hast – bitte, betrachte dich nicht als gebunden, ich werde mich allein behelfen.«

»Du weißt doch, daß ich nicht allein fort kann!« gab Harry wütend zurück und verfolgte haßvoll die gleichmütigen Bewegungen des ›King‹. Er dachte an Odette, die er dem anderen überlassen müßte, weil er mehr Geld hatte als jener und nicht von der Polizei gesucht wurde – er konnte sie nicht verlassen, so nicht.

»Warum kannst du nicht?« fragte Mason kalt.

»Gib mir Geld – echtes!« stieß er hervor, »'s war so ausgemacht, du hast es doch nicht vergessen?«

Mason betrachtete nachdenklich seine Nagelspitzen, nun war wirklich nichts mehr daran auszusetzen, es war sehr wichtig, daß er heute abend allright war – er hatte eine Verabredung mit Mrs. Glaid, von der er sehr viel erhoffte.

Er legte das Futteral mit den kleinen blitzenden Werkzeugen fort, setzte den Hut auf, schlug den Mantel um und zog den linken Handschuh über – ah, da war ja noch immer Harry!

»Kommst du mit?« fragte er liebenswürdig.

»Mein Geld will ich! Hast mich lange genug warten lassen, hab' keine Lust, mich hier in Gefahr zu bringen – ich mach' heut, daß ich fortkomm', daß du's weißt!«

»Gute Reise!« wünschte Mason und war wieder ganz der ›King‹, der die berüchtigtste Band des Kontinents geführt hatte.

»Ich wart' nur noch eine Nacht!« drohte Harry machtlos, geschlagen von der Gleichgültigkeit, mit der der andere das Spiel wagte.

»Das ist recht – auf morgen also!«

Vor dem Hause wartete das mächtige Automobil, das Mason in letzter Zeit gekauft hatte, neben dem Schlag stand der Chauffeur in Livree und zog die Mütze.

»Villa Spencer!« befahl Mason und grüßte mit einem Finger an der Hutkrempe.

Der Wagen sprang lautlos an und glitt davon. Mason ließ sich in die tiefen, weichen Polster fallen und überlegte noch einmal den Gang der Ereignisse, die er dem heutigen Abend aufzwingen wollte. Er würde Mrs. Glaid den Vorschlag machen, nach dem Souper ein bißchen zu bummeln – sie würde sicherlich zuerst ablehnen, denn sie war in den vergangenen Wochen auffällig still geworden. Nun, er würde sie überzeugen, daß eine Ablenkung gut wäre. Man könnte in den West-Klub gehen, in dem er gut bekannt war; die Hauptsache, es gab dort etwas zu sehen. Spieler aller Kategorien versammelten sich an bestimmten Tagen, die erst kurz zuvor bekanntgegeben wurden, in den abgelegenen, raffiniert ausgestatteten Räumen, Mrs. Glaid würde sich nicht langweilen, und damit war der Boden für ihn gut vorbereitet. Alles andere mußte sich finden, gute Musik, guter Wein – Mason fühlte heute die Macht in sich, Mrs. Glaid zu gewinnen. Der Einsatz war hoch, vielleicht zu hoch, er wußte es, jeder Tag, den er länger hier blieb, konnte Gefahr bringen. Aber war erst das große Spiel gewonnen, dann war kein Wagnis zu groß gewesen, und er gewann diesmal, niemand konnte ihm den Glauben an sich und sein Glück rauben, man mußte nur die Nerven bewahren, es galt Hasard.

Also Hasard!

Der Wagen rollte über die Halenseer Brücke in die stillen Alleen der Villenkolonie ein, bald darauf hielten sie vor der Villa.

Der Chauffeur gab das Signal.

Eine unsichtbare Hand öffnete die mächtigen Bronzegitter, das Auto fuhr über den knirschenden Kies der Anfahrt auf die Rampe hinauf. Ein Diener öffnete die Tür und war Mason beim Aussteigen behilflich. »Warten!« sagte er kurz zu seinem Chauffeur, der grüßend salutierte.

Oliver Mason schritt langsam die breiten Marmorstufen des Treppenhauses empor. Jeden Schritt kostete er aus, es schien ihm, als träte er hier in ein neues Stadium seines Lebens ein. Mrs. Glaid ließ ihn nur wenige Minuten im Empfangssalon warten, sie erschien strahlend und schöner, als er sie jemals gesehen hatte, nicht eine Spur der resignierten Niedergeschlagenheit der letzten Zeit schien geblieben. Sie reichte ihm ungezwungen die Hand zum Kuß und sagte lebhaft in aufrichtiger Erwartung: »Ich freue mich, Mister Mason, daß Sie sich einer armen weltentwöhnten Landsmännin widmen wollen – Sie müssen mich heute abend unbedingt in Stimmung bringen!«

»Ich hoffe, es wird mir gelingen, gnädige Frau!« erwiderte er und beglückwünschte sich zu dem guten Beginn. Sie unterhielten sich noch einige Zeit angeregt, bis in kurzen Abständen noch einige Herren und Damen erschienen, die Mrs. Glaid für diesen Abend eingeladen hatte. Kolowrat fiel wie immer aus der Rolle und überreichte die unvermeidlichen Orchideen – – es gab zwei Dinge, die Mrs. Glaid unerträglich fand, auswärts zu speisen und sich Blumen schenken zu lassen.

Mason war sehr zufrieden mit sich, er hatte den kostbaren Strauß, der für die Herrin des Hauses bestimmt war, über den vielen anderen Dingen vergessen: er lag, sorgfältig verwahrt, zwischen den Doppelfenstern seines Zimmers in der Pension.

Kurz bevor die Gesellschaft aus der Villa Spencer eintraf, betrat Michael die Räume des West-Klubs; er war seiner Sache sicher, der Chauffeur Masons hatte sich bestechen lassen und ihm den Tip gegeben.

Der West-Klub war eine ziemlich zweifelhafte Angelegenheit, halb Spiel-, halb Barbetrieb; sicherlich lockten Mrs. Glaid nur Neugierde und exzentrischer Erlebnishunger hierher, der nun einmal in jeder Amerikanerin steckt. Sie lieben immer das Außergewöhnliche, in welcher Form es sich auch bieten mag.

Der Klub selbst befand sich in einer Gartenhauswohnung, die äußerlich still und unscheinbar die Maske der guten Bürgerlichkeit trug – die Leitung wechselte übrigens wöchentlich das Klublokal, um vor den Nachforschungen der Polizei sicher zu sein, die jeweilige Adresse wurde erst an den Abenden selbst an die Schlepper und Mitglieder bekanntgegeben.

Die Zimmer der Wohnung, deren Fenster mit dicken schwarzen Ledervorhängen verschlossen waren, füllte bereits eine eifrig spielende und tanzende Gesellschaft, in einer Ecke war eine fliegende Bar errichtet, die einigen hübschen Bardamen Gelegenheit gab, der männlichen Lebewelt das Geld aus den Taschen zu locken.

Michael setzte sich zunächst auf einen der hochbeinigen Hocker, man konnte von hier aus am besten alles übersehen. Wenn Mrs. Glaid und Mason erschien, würden sie ihm nicht verborgen bleiben.

»'n Abend, Herr Baron«, begrüßte ihn eine der reichlich geschminkten Sirenen, »was darf ich bestellen – wir haben unerhörte Cocktails, das gibt Mut!« Sie lachte automatisch. »Na?« Michael gab gehorsam eine Bestellung und sah dem Mixer zu, der, geschickt wie ein Varietéjongleur, mit Shaker und geheimnisvollen Flüssigkeiten hantierte.

Die Dame, die ihn so liebenswürdig bediente, vergaß nicht, ihm mitzuteilen, daß sie Mimi hieß – »Oh – Mimi!« flötete sie und verdrehte die unwahrscheinlich getuschten Puppenaugen. Zu ihrem Leidwesen hatte der junge Mann, der auf den ersten Blick ein gutes Ausbeutungsobjekt schien, kein Interesse für sie, sondern hockte gedankenversunken an der Bar; ab und zu lächelte er in höflicher Anerkennung ihrer Fähigkeiten. Enttäuscht wandte sich Mimi nach links und schnappte der schwarzen Pola – die sicherlich früher einmal eine entfernte Ähnlichkeit mit ihrer berühmten Namensschwester aufgewiesen haben mochte – einen dicken Onkel fort: »Zuerst einen Cobbler, Mischung West-Klub, ja, Herr Graf?« »Aber nur für uns beide!« ging er prustend zum Angriff vor. »Also zwei Cobblers, Jimmy!« befahl sie kaltblütig dem Mixer. Mochte Pola platzen – hier saß der Mann, dessen Abend sie verschönern würde. »Prost, Schatz – ex? Noch zwei, Jimmy – und den Ananas für mich – ich darf doch, ja?«

*

Michael drehte sich unruhig fort, was gingen ihn diese guten Leutchen hier an? Eigentlich hätte Mason längst hier sein müssen – ob Mrs. Glaid etwa das Programm geändert hatte? Möglich war es. Höchste Zeit für ihn, daß seine Detektivlaufbahn ein Ende nahm, sein Geld ging zur Neige. – Wo Mason nur blieb?

Man mußte hier an Anna Hedenus denken, die sich jetzt so tapfer durchschlug – man sehnte sich nach ihr, es war eine andere Welt, in der sie lebte, eine Welt, an der man teilzuhaben wünschte. Er lächelte in Gedanken.

Wie gut, daß er damals zu ihr hinuntergefahren war und ihr offen seine Lage geschildert, die Not seines Vaters, seine eigene Verpflichtung, für den alten, solchen Intrigen gegenüber wehrlosen Mann einzutreten – wie gut, daß es so gekommen war.

Sie hatte das Verständnis gezeigt, das er von ihr erwartet hatte, er brauchte ihr kein Geheimnis mehr zu entreißen, mit einer bei ihr selbstverständlichen Kameradschaftlichkeit hatte sie ihm alles gesagt, was sie über Mason und Speidler wußte, hatte sich selbst nicht geschont – sie hatte sich sogar so weit überwunden, ihm ihre eigene Geschichte preiszugeben. Sicherlich war es ihr nicht leicht gefallen, aber sie glaubte, ihm nichts vorenthalten zu dürfen, was ihn zum Ziel führen konnte. Eigentlich hatte er das Gefühl, sie erst seit diesem Tage richtig zu kennen – war es die Frau, die er suchte, die jeder Mensch sucht, mancher sein Leben lang? Vielleicht!

»Herr Forster?« sprach ihn eine maßlos erstaunte Stimme an. Er mußte sich erst zurückfinden in diesen Klub, in das Schwirren der Geräusche und Klänge, das wie eine Welle über den Erwachenden hereinbrach.

Vor ihm stand Mrs. Glaid und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Und hinter ihr ein breitschultriger Herr im Frack – Mason, Oliver Mason! »Also hier treiben Sie sich herum!« fuhr sie vorwurfsvoll fort. »Die Herren kennen sich nicht – Herr Forster, unser Regattasieger, – Herr Mason.«

»Mason, freue mich!« murmelte der andere und deutete eine Verbeugung an. Michael sah sofort, daß der Amerikaner nicht mehr ganz nüchtern war; die Situation war ihm günstig!

»Wollen Sie ein Spiel machen, Mrs. Glaid?« forderte Mason auf. Er hatte wenig Lust, diesen jungen Mann, den er irgendwo schon gesehen haben mußte, mit herumzuschleppen. Mrs. Spencer hatte ihm erlaubt, sie einen Abend lange einfach »Mrs. Glaid« zu nennen, sie fand das alles äußerst romantisch und durchaus zu dem Milieu des Klubs passend. Ihre schönen Augen strahlten Abenteuerlust und weibliche Neugierde. – Mason war sehr siegesgewiß und klopfte Michael verabschiedend auf die Schulter: »Nicht alles verspielen, junger Freund!« Dann bot er Mrs. Glaid zuvorkommend den Arm. Aber sie dachte gar nicht daran, sich von Michael zu trennen, im Augenblick, wo sie ihn entdeckt hatte, war ihr der ganze Klub gleichgültig geworden, noch kämpfte Befremden in ihr mit Zuneigung zu ihm – was trieb ihn hierher, gerade ihn, der so weltentrückt arbeiten konnte? Sie mußte es wissen. Er sollte sich nicht herumtreiben. Sie wollte es nicht!

»Später, Mason; ich denke, wir sehen uns erst ein bißchen hin und sehen uns alles in Ruhe an – beobachten macht oft mehr Spaß als selbst beteiligt sein – kommen Sie, Herr Forster!«

Sie nahmen in einer der kleinen behaglichen Nischen Platz, von denen man die Vorgänge am Spieltisch verfolgen konnte. Mason bestellte Sekt und trank auf Mrs. Glaids Wohl. Michael bemerkte, wie er gierig ein zweites Glas hinunterstürzte.

»Wie geht es Ihnen, Herr Forster?« fragte Mrs. Glaid in warmer Anteilnahme. »Sie sehen nicht gut aus, wissen Sie das auch?«

Er zwang sich unbekümmert zu scheinen.

»Man muß sehen, wie man mit allem fertig wird, gnädige Frau.«

Sie schob ihr Glas fort. »Geben Sie mir eine Zigarette, Mason!«

*

»Haben Sie Sorgen, Herr Forster, Kummer? Gestehen Sie, Sie haben Liebeskummer, Sie Don Juan?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, gnädige Frau, nein – das nicht.«

Das nie gekannte Gefühl der Eifersucht erfaßte sie, Eifersucht auf eine Unbekannte, die sie instinktiv ahnte. »Mason!« rief sie aus und schlug ein künstliches Lachen an, das irgendwie nicht zu ihr paßte, das sie entstellte. »Mason – er hat eine Geliebte, glauben Sie ihm kein Wort, Mason, auch ich glaube ihm nicht!«

Wie anders ist Anna, fühlte Michael in grenzenlosem Erstaunen. Und doch, je länger er mit Mrs. Glaid zusammensaß, je länger er die verführerisch schöne Frau ansah – je blasser wurde das Bild der anderen, eine Vorstellung nur noch, ein ferner, sehnsüchtig erträumter Traum, dessen Wirklichkeit unvorstellbar erschien. Mrs. Glaid entging seine Veränderung nicht, sie fühlte, daß sie Eindruck auf ihn machte, und dies Gefühl tat ihr wohl. Dieser junge Mensch, der eine Welt, eine ganze unbekannte Welt in ihr zu erwecken verstanden hatte, sollte ihr gehören, nur ihr ganz allein und keiner anderen Frau. »Sie trinken nicht, Forster, – – Mason, kümmern Sie sich um ihn, wir müssen ihn in unseren Schutz nehmen!« Mason füllte ihm wohlwollend das Glas und trank ihm zu. War Mrs. Glaid nicht bezaubernd an diesem Abend?

Doch während er trank, hatte er plötzlich die Empfindung, daß der Sekt seinen Geschmack veränderte, daß er bitter geworden sei. Forster? grübelte er mit leeren Augen nach, Forster? Wer hatte nur den Namen immer genannt? – Forster? Er glaubte sich zu erinnern, daß Harry immer von einem Kommissar Forster gesprochen hatte, den man unschädlich machen müßte – Harry – Harry wollte doch Geld von ihm, echtes Geld, seinen Beuteanteil. Plötzliche Unruhe stieg in ihm auf. Wenn der andere etwas ausheckte, während er hier ahnunglos saß, wenn er die Maschinen fortschaffen ließ – Mason preßte den dünnen Stiel des Glases zwischen den Fingern – sicherlich heckten sie etwas gegen ihn aus, aber sie hatten die Rechnung ohne ihn gemacht! Mit der eigentümlichen Beharrlichkeit des Trunkenen verfolgte er den einmal gefaßten Gedanken, er mußte in die Garage hinunter und sehen, was los war.

»Mrs. Glaid!« sprach er wie zu sich selbst. »Mrs. Glaid – ich bin besorgt um Sie – um diese Zeit stellen sich hier oft Elemente ein – Elemente ein, die Ihnen unerwünscht sein könnten – ich möchte Sie um die Erlaubnis bitten, Sie nach Hause fahren zu dürfen!« Seine Hand löste sich langsam von dem Glas und tastete zärtlich nach der ihren. Sie bemerkte sein sonderbares Benehmen gar nicht, sie blickte Michael an, der stumm bei ihnen saß.

Oh – wie sie diesen Boy mit den ernsten Augen liebte!

»Gehen wir, Mason!« rief sie in bester Stimmung aus, »ich will Sie hier nicht wiedersehen, Forster, morgen früh erscheinen Sie in meinem Büro, – verstanden? Man muß Ihnen den Kopf waschen, wissen Sie das?« Er nickte zustimmend und verabschiedete sich von ihr. Mason zahlte und gab ihm noch einmal den guten Rat, nicht alles Geld zu verspielen.

Wenige Minuten darauf verließen Mason und Mrs. Glaid den Klub. Mason selbst steuerte jetzt den Wagen und fuhr im scharfen Tempo nach der Grunewaldvilla zurück. Eine einsame Taxe folgte ihnen in respektvoller Entfernung.


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