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15

Ein glutender weißer Ball, stand die Sonne über dem blauen Wasser der Adria. Petka und Sergio glitten langsam zurück, die Mauern Ragusas waren flimmernd weiße Striche in der Ferne, das Segelschiff fuhr langsam am grünen waldigen Ufer Lokrums vorüber.

Ragusavecchia kam auf, die dunklen Vorberge der Bucht von Cattaro drohten am Horizont.

Mrs. Glaid sah melancholisch vor sich hin – ein braunrotes Fischersegel kreuzte, eine uralte verfallene Terrasse, überwuchert von grellfarbenen Glyzinien und Oleandern, lockte in der heißen Pracht des Südens, sie sah es nicht.

Fürst Vlaho Petkovic unterhielt sich leise mit Mister Oliver Mason. Mrs. Spencer hatte ihren Landsmann gestern zufällig getroffen, als er in einem nagelneuen Giant-Roadster die Hochstraße entlang sauste. Jedes Jahr pflegte Mrs. Glaid ein paar Tage lang in die verträumte Stille des Schlosses Petkovic zu flüchten, in den riesigen Park mit seinen Palmen, Zypressen, den Wegen zwischen Agaven und mächtigen Opuntien.

Wenn die Gesellschaft der großen Welt sich das übliche Stelldichein in Deauville oder San Sebastian gab, wenn in Baden-Baden ungezählte Meisterschaften ausgetragen wurden, dann saß sie im kühlen Dunkel der alten Bibliothek und hörte der gedämpften, behutsamen Stimme des alten weißhaarigen Mannes zu, der Vergangenheit und Gegenwart ohne Groll miteinander zu verknüpfen wußte.

Fürst Petkovic war ein Philosoph, auch an ihm waren die umwälzenden Zeiten nicht spurlos vorübergegangen, auch er hatte ein Vermögen, ein sagenhaftes Riesenvermögen, eingebüßt. Unverändert aber war er selbst geblieben, ein wirklicher Gentleman – mochte er morgens im Leinenanzug die Gärtner inspizieren, im Sattel eines seiner Vollblüter durch die Einsamkeit der Parkwege traben, am Steuer einer kleinen Jacht sitzen oder abends in der Halle des Hotels Lapad weilen – er war immer Vlaho Petkovic.

Es gab sicherlich nicht mehr viel Menschen dieser Art, sie wurden rar, je lärmender und aufdringlicher die Zeiten wurden.

»Bei uns ist man vom Segelboot vollkommen abgekommen«, bemerkte Mason im Gespräch; er fühlte sich diesem weltfernen Einsiedler, wie er den Fürsten bei sich einschätzte, unendlich überlegen; nun, der Zweck seiner Reise war bereits erreicht, er hatte sich unauffällig Mrs. Glaid anschließen können. Allright!

»Ich finde es herrlich – dieses ruhige Gleiten im Segelboot«, meinte Petkovic, »wozu rasen, wer hat es hier unten eilig?«

Er lächelte fein, immer sprach er leise, als fürchte er, Mrs. Glaid in ihren Gedanken zu stören. Er verehrte diese Frau, solange er sie kannte, er bewunderte in ihr eine Zeit, in der er nicht lebte und niemals leben würde. Er wollte es auch gar nicht, diese einzigartige Frau stellte für ihn die Verbindung dar über die Kluft der Jahre. Nach ihrer Abreise, die immer verfrüht erschien, pflegte er sich gewöhnlich in seine Bücherschätze zu vergraben und wochenlang der Hall im Lapad fernzubleiben.

Die Jacht fuhr in den kleinen Privathafen der Besitzung Petkovic ein, der alte Sveti ruderte mit dem Beiboot längsseits und nahm die Herrschaften an Bord. Auch dieser alte Diener war so, wie man sich den Kammerdiener eines Vlaho Petkovic vorzustellen hatte, es gab hier nichts, was in irgendeiner Weise aus dem Rahmen fiel. Es wäre verständlich gewesen, wenn irgendein Bootswart an seiner Stelle die Ruder geführt hätte – aber es mußte wohl eine stillschweigende Vereinbarung zwischen ihm und seinem Herrn geben, daß er der erste war, der ihn empfing, wenn er von einem Ritt oder einer Fahrt zurückkehrte. Denn dieser Sveti war kein Diener schlechthin, er war mehr, er war ein Mensch und keine livrierte Puppe. Auch diese Erscheinung mochte man zu den Wundern des Schlosses Petkovic rechnen.

Vlaho Petkovic fand seinen schönen Gast allein, Mister Mason ließ sich entschuldigen, er hatte eine dringende Angelegenheit in der Stadt zu erledigen.

Der alte Herr setzte sich in einen Sessel neben den von einer buntgestreiften Markise überschatteten Stuhl, in dem Mrs. Glaid ruhte. Er schloß blinzelnd die Augen und lauschte auf das leise melodische Glucksen der Wellen – er wußte, was diese Stunden mit der klugen Amerikanerin für ihn bedeuten und genoß sie als ein köstliches Geschenk.

»Es wird jedes Jahr schöner bei Ihnen, Vlaho«, sagte Mrs. Glaid leise.

Er nickte stolz. Es war beglückend, sie so sprechen zu hören, viele Menschen kamen und bewunderten, aber ihre Worte allein waren echt. Manchmal erging er sich in phantastischen Vorstellungen – ob es möglich wäre, immer mit ihr die Tage zu verplaudern, immer seinen Namen Vlaho weich und fremdartig aus ihrem Munde zu hören – war es denn unmöglich? Er erinnerte sich, wie er sie vor ein paar Jahren kennenlernte, wie er ihr zum erstenmal seinen Park zeigen durfte – wie er, beschämt und stockend, die Bitte aussprach, ihn bei seinem Namen zu nennen, es tat so wohl; er erinnerte sich immer wieder an alle diese kleinen verträumten Dinge und fühlte in dumpfem Erschrecken, wie die Zeit dahinraste und ihn alten Mann weit hinter sich ließ.

»Mein lieber Vlaho«, begann Mrs. Glaid wieder und hatte ein eigentümliches Lächeln, »ich möchte mit Ihnen über etwas sprechen, etwas ganz Merkwürdiges, das mir passiert ist.«

Er beugte sich zu ihr und lauschte gehorsam und voller Aufmerksamkeit; war nicht jedes Ereignis im Leben Mrs. Glaids auch das seine?

»Sie werden gelesen haben, daß kürzlich in Berlin eine Motorbootregatta ausgetragen wurde – der neue Giant-Motor siegreich über Sensbrides ›Miß England‹, erinnern Sie sich?«

»Der Führer Ihres Bootes wurde ohnmächtig, ein ganz junger Hilfsmechaniker errettete ihn und fuhr in grandioser Manier!« fiel er ein und war vollkommen im Bilde. Sveti mußte ja alles sammeln, was die Welt über Mrs. Glaid zu berichten wußte.

Die Frau nickte und sah ihn gedankenvoll an.

»Sie kennen mich, Vlaho, wie kein Mensch mich kennt, glaube ich – nun möchte ich einen Rat von Ihnen!« Sie winkte bittend ab, nicht sprechen jetzt, nicht widersprechen! Denn er hatte wie erschrocken den Mund geöffnet, erschrocken, daß sie einen Rat von ihm wollte – drehte sich die Zeitmaschine zurück, kam die neue Generation zur alten?

»Ich kannte diesen jungen Mechaniker gewiß nicht, Vlaho, ich erinnere mich nicht, ihn jemals zuvor gesehen zu haben«, – in der Tat erinnerte sie sich nicht – »ich gestattete ihm am Abend auf dem Ball des Klubs mit mir zu tanzen, ich konnte es ihm nicht gut abschlagen, verstehen Sie – und er hatte auch eine ganz merkwürdige Art, um etwas zu bitten, ich weiß es selbst nicht, was es war – vielleicht ist das alles Unsinn, was ich Ihnen hier erzähle – ja, es ist Unsinn, Vlaho, nicht, sagen Sie doch, daß es so ist!«

Der alte Mann schüttelte den Kopf, er konnte sogar wieder lächeln, er hatte seine eigenen Gedanken vergessen – er lächelte.

»Erzählen Sie, Mrs. Glaid, erzählen Sie, was Sie mir sagen wollen, verschweigen Sie, was ich nicht wissen soll – denn es ist kein Unsinn!«

Sie sah ihn dankbar an. So hatte sie sich diese Unterhaltung mit dem alten Freunde vorgestellt, Vlaho enttäuschte niemals.

»Es ist nichts zu verschweigen, Vlaho. Nach dem Tanz wünschte er mich zu sprechen – ich dachte erst, es handelte sich um eine geschäftliche Angelegenheit – ich ging mit ihm auf die Terrasse hinaus – und –« sie brach verwirrt ab und lachte gezwungen auf.

»Was geschah nun?« fragte Vlaho gespannt und kam aus einem großen Staunen nicht mehr heraus, »darf ich es nicht wissen, Mrs. Glaid, dann lassen Sie uns von anderen Dingen sprechen.«

»Doch, Sie sollen es wissen!« rief sie und richtete sich entschlossen auf, »es geschah nichts, gar nichts! Wir saßen uns gegenüber genau wie wir hier nebeneinander sitzen – er wollte mir wohl etwas sagen – aber er fand dann nicht den Mut! Auch ich wußte schließlich nicht mehr, was ich mit ihm anfangen sollte, und ich glaube, daß ich irgend etwas sehr Törichtes gesagt habe – es kam mir später sehr banal vor!«

Vlaho machte eine kleine enttäuschte Handbewegung. »Aber das alles ist doch kein Grund, Mrs. Glaid, sich zu erregen – erholen Sie sich hier oder reisen Sie, Sie sind überarbeitet. Sie müssen neue Kräfte sammeln – Sie werden dann alles sehr bald vergessen haben!«

Sveti kam und brachte eine Erfrischung. Auf einem Tablett lag die Post, die um diese Zeit einzutreffen pflegte. Briefe, Telegramme, Drucksachen für Mrs. Glaid Spencer; sie sah sie nervös und gleichgültig durch, dann warf sie sie auf das Tablett zurück.

»Erwarten Sie eine Nachricht?« fragte ihr Gastgeber, der ein guter Beobachter war.

Sie ballte die schmale energische Hand zu einer kleinen empörten Faust: »Vlaho – ich fühle mich in letzter Zeit oft so klein und hilflos – stellen Sie sich vor, Vlaho, ich habe vor meiner Abreise diesem Jungen meine Adresse gegeben – er dürfe mir ruhig einmal schreiben, sagte ich ihm – und nun warte ich darauf, auf eine Zeile nur, eine einzige dumme Zeile – und er schreibt nicht! Ich bin ein kleines dummes Mädchen, nicht wahr, mein Freund?«

Er schüttelte langsam den Kopf, nein, nein! »Ich glaube, Mrs. Glaid«, sagte er vorsichtig, »man kann ein Leben doch nicht mit Motoren und Bankkonten allein ausfüllen – den wirklichen Inhalt muß wohl doch ein Mensch ausmachen – und ich glaube, Sie hatten bisher diesen Menschen, der Ihnen fehlen mußte, noch nicht gefunden!«

Sie wollte widersprechen, sich selbst verlachen und fand nicht den Mut dazu.

»Was sind wir allein?« fragte Vlaho, »was sind wir zeit unseres Lebens, wenn wir diesen einen Menschen, der zu uns gehört und zu dem wir gehören – den wir kennen, bevor wir ihn gesehen haben – wenn wir ihn nicht finden – oder nicht zu finden verstehen?«

Sie zuckte unbehaglich die Schultern.

Die Wahrheit war hart und erbarmungslos.

»Wir sind ärmer und elender als die letzten Bettler, Mrs. Glaid!«

Sie sprachen nicht weiter, jeder hing seinen Gedanken nach, Vlaho fühlte melancholisch, daß Mrs. Glaid ihn bald verlassen würde – – und was war der Park und das Schloß ohne sie, ohne ihre belebende Stimme, ohne ihr Lachen, ohne ihren leichten Schritt über den Kieswegen?

An den waldigen Hängen Lokrums zogen die rostfarbenen Segel einer Fischerbootflottille vorüber, weit und blau dehnte sich die Adria, weit und blau und unergründlich, wie das Geheimnis des Lebens.


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