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19

Das Automobil jagte über das weiße Band der Landstraßen. Durch die Dämmerung dunkler Wälder hinaus in die sonnige Ebene, über schwindelnde Viadukte mit siegreicher Kraft hinunter in die kleinen verträumten Flecken der Täler.

Mrs. Spencer atmete auf. Die rasende Fahrt tat ihr wohl; sie war Mason innerlich dankbar, daß er so geschickt den Wagen führte und sie Kilometer um Kilometer, Stunde für Stunde der Stadt näher brachte, in der ihre Gedanken längst rasteten.

Sie dachte an Berlin, an den jungen Menschen dort, der in ihrer Fabrik als einfacher Hilfsmonteur arbeitete – und an Vlahos Worte, die sie nicht vergessen konnte.

Wäre es möglich, sie in die Tat umzusetzen?

Sie sah sich wieder in dem Park des Schlosses Petkovic, dessen schwermütige Schönheit sie diesmal nicht glücklich gemacht hatte, sondern bedrückend gewesen war, – hatte Vlaho recht, mit dem, was er über das Leben und seine Werte gesagt, hatte sie wirklich so viel nachzuholen?

Bäume schwirrten vorüber, Telegraphenstangen, weiße, leuchtende Meilensteine; ein ärmlicher Bauernwagen blieb zurück. In ungezähmter Gier fraß der triumphierende Motor Zeit und Raum. Auch mich hat er verschlungen, dachte sie melancholisch und fühlte beklommen, daß diese seltsame Vorstellung irgendwie Berechtigung hatte. Sie war immer der Sklave ihres Geldes gewesen!

Mason saß schweigend neben ihr und sah geradeaus. Er fühlte instinktiv, daß er vorsichtig sein mußte, daß viel, sehr viel Geduld dazu gehörte, um bei Mrs. Spencer ans Ziel zu kommen; sie war von Natur aus keine Frau wie die vielen anderen, die ihm den Sieg so leicht machten, daß sie zu seinem Verhängnis wurden. Er täuschte sich nicht darüber, daß das, was sie bis jetzt miteinander vage verband, nichts weiter war als eine Art Kameradschaft, die ein glücklicher Zufall zustande gebracht hatte. Woran mochte sie so intensiv denken?

Warum diese überstürzte Abreise?

Ob sie einen Geliebten hatte? Lächerliche Vorstellung, fühlte er richtig, eine Mrs. Spencer hatte keinen Geliebten, dafür fehlten ihr Zeit und Sinn. Also was war es, was stand zwischen ihnen wie eine trennende Mauer, warum sollte gerade diese Frau für ihn unerreichbar sein?

»Sie sind ein ausgezeichneter Fahrer!« unterbrach sie seine Gedankengänge und raffte sich auf. Sie wollte nicht mehr grübeln. Er verzog das straffe, braune Gesicht kaum zu einem Lächeln. »Allright! Warum sollten Sie es bereuen, sich mir anvertraut zu haben, Mrs. Spencer?!«

»Ich bereue ganz und gar nicht!« rief sie in erzwungener Fröhlichkeit und fühlte mit Erstaunen, wie schwer es ihr wurde, die Leichtigkeit von früher vorzutäuschen – die Erkenntnis war wie ein Fieber über sie gekommen und ließ sie nicht mehr los.

Man konnte nicht mit Lachen und hohlen Worten darüber hinweg.

»Wünschen Sie die Nacht durchzufahren oder wollen wir uns etwas ausruhen, Mrs. Spencer?«

Sie fürchtete innerlich die Nacht ohne Schlaf, die drückende Schwüle des Zimmers, die Geräusche eines fremden, gleichgültigen Hotels, die sie quälten; alles war jetzt unerträglich und feindlich, wie kam es, daß sie früher von allen diesen Dingen nichts bemerkt hatte?

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mister Mason, möchte ich Sie bitten, die Nacht durchzufahren!«

»Selbstverständlich, Mrs. Spencer, mir macht es nichts aus. Ich fragte nur Ihretwegen.« Er lachte ungezwungen und zeigte seine sehr weißen schönen Zähne, »ich bin absolut Sportmann!«

Sie nickte dankbar.

Man konnte morgen früh den nächsten Platz erreichen, den eine Fluglinie berührte. Warum saß sie überhaupt in diesem Wagen statt im Flugzeug, warum so viel vergeudete Zeit!

Vielleicht war es auch besser so, vielleicht war gerade die Eile sinnlos. Warum diese Hast? konnte man ebenso fragen.

Von neuem begann sie aus lauter Verzweiflung über so viel niegekannte Ratlosigkeit ein karges Gespräch mit ihrem Begleiter.

»Wie lange gedenken Sie noch in Deutschland zu bleiben?«

»Bis ich meine Geschäfte erledigt habe.« Er hätte gern etwas gesagt, was ihn ihr einen Schritt näherbrachte, aber er fand nicht das rechte Wort; der alte siegreiche Elan fehlte, die unsichtbare Faust des Poto Poto hatte den Mann berührt – er war Oliver Mason, der ›King‹, und war es doch nicht mehr – und er fühlte es. Diese Frau strebte einem Ziel zu, das nicht das seinige war, und er vermochte nicht, sie daran zu hindern.

»Hoffentlich geht alles nach Wunsch«, meinte sie in gleichgültiger Höflichkeit.

»Ich hoffe!«

Wieder brach die Unterhaltung ab; weshalb die Menschen die Verpflichtung in sich fühlen, immer miteinander zu sprechen; je fremder sie sind, desto mehr bemühen sie sich, diesem ungeschriebenen Gebot nachzukommen – warum? Mrs. Spencer stand augenblicklich dem Mann neben ihr innerlich noch sehr fern, es war gewiß nicht ausgeschlossen, daß sich dieses Verhältnis mit der Zeit ändern konnte, aber noch war diese Zeit nicht gekommen. Ein einziges unvorsichtiges, verfrühtes Wort Masons konnte den Zeitpunkt, an dem ihn Mrs. Glaid vielleicht Ol nannte, auf immer fraglich machen.

Die Unsicherheit, die er seit seiner Rückkehr nach Europa mit sich herumtrug, die sein Denken beeinflußte, seine Handlungen diktierte, bewahrte ihn vor einer übereilten Torheit.

Früher hätte er eine Panne vorgetäuscht oder etwas dergleichen. Er hätte versucht, die Frau, auf die er seinen Einfluß ausüben wollte, zu überrumpeln, ein Desperado, der seine Beute überfällt. Nichts geschah während dieser nächtlichen Fahrt.

Er fühlte eine leichte Berührung an seiner Schulter und wandte den Kopf; Mrs. Glaid lehnte von Müdigkeit überwältigt in unruhigem Schlummer an seiner Seite.

Er ließ den Motor langsamer laufen und gab sich hoffnungsvollen Gedanken hin. Immer hatte er Glück gehabt. Glück und – Unglück, ein letztesmal, jetzt galt es, Glück zu haben, dann war das Spiel gewonnen. Der Kegel des Scheinwerfers schoß voraus, weit über Straße und nächtlichen Wald – auf der Flucht aus dem Urwald war er eine Straße entlanggerast, die dieser hier seltsam ähnlich wurde in den Konturen der Nacht.

Er dachte zum erstenmal ohne Grauen zurück – er vergaß.


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