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Fahrwohl, Amerika!

Neuorleans ist eine außergewöhnlich interessante Stadt, und es scheint mir eine beschämende Erinnerung, daß ich all' das Interessante – die Mississippi-Levée, den sonderbaren Mischmasch von französischer Grazie und amerikanischer Grellheit, die wundersamen berühmten Bauten der alten Stadtviertel – so ziemlich verträumte, verschlief, übersah. In einem Mischmasch von Lachen und Mürrischsein ...

»O – du! – du! –« (so sprach ich zu meinem Spiegelbild, und das Sprechen ermangelte keineswegs der allergrößten Deutlichkeit) – »Du! Geh' doch wieder auf eine Farm und pflücke Baumwolle mit schwarzen Negern um die Wette! Dazu taugst du! Da hast du ja dein großes Ereignis gehabt – nettes Ereignis – vier Stunden und fünfzig Minuten hat es gedauert – reizend, reizend – o du ...«

»Den Mund mußt du auch noch halten – o, o!«

»Niedlich – diese Einfalt, mit der du hinter Haveland hergelaufen bist – o, o, o,...!«

Aber auf einmal meldete sich ein inneres Stimmchen kichernd:

»Lieber Junge – es war ja – jawohl, es war doch wunderschön...« Und da lachte ich laut und verspürte heißglühende Luft und sah knallgelben Sandstrand und schüttelte den Kopf und wunderte mich, was Haveland jetzt wohl trieb, und ich, der Quecksilberige, ich spielte solitaire im einsamen Hotelzimmer, was auf gut Deutsch patience heißt – eine wundervoll beruhigende Beschäftigung – der Kuckuck mag wissen, wie sie aus den Boudoirs Ludwigs des Vierzehnten nach dem modernen Amerika gekommen ist, wo jedermann patience legt – und grübelte und war ein bißchen krank.

Meine Post kam.

Ich hatte sie mir aus Neuyork, St. Louis, Galveston herbeitelegraphiert. Und es begab sich, daß unter den Briefen zwei deutsche waren, von meiner Mutter, mit trüben Nachrichten von Sorgen und veränderten Verhältnissen, und einmal hieß es – »hätten wir dich nur hier!« Aber es war hingeschrieben, wie man von etwas Unmöglichem schreibt.

Da sann ich und sann verstimmt.

Und urplötzlich packte mich ein Gedanke, der mir so ungeheuerlich schien, so furchtbar, daß ich entsetzt aufsprang und jäh im Zimmer auf und ab rannte. Der Gedanke fraß sich tiefer ein – Bilder kamen, Vorstellungen, Sehnen, Wünschen – wunderliche Pläne huschten durchs Hirn – ich sah ein altes liebes Gesicht – ich wandelte in alten Straßen – und der Gedanke war zum Entschluß geworden ...

»Der Wanderweg führt heimwärts!« flüsterte ein zittriges Stimmchen.

»Heiho – heidi – etwas Neues!« jubelte der gute, alte, liebe Leichtsinnsteufel. »Hurra – etwas ganz Neues! Etwas wundervoll Neues!! Rasch nur, rasch, rasch, rasch ...«

Ich bestellte telegraphisch in Neuyork eine Kabine auf dem nächsten Europadampfer.

Ich reiste binnen zwei Stunden von Neuorleans ab.

Und schwamm binnen drei Tagen auf dem großen Wasser.

In mir war keine Wehmut, kein Zögern, kein Grübeln. Vorwärts, Neuem entgegen!

Fahrwohl, Amerika!

*

Ein Mann, der wirklich kein Lausbub mehr genannt werden könnte, wenn er auch jung bleiben möchte und fröhlich in die Welt gucken trotz erschrecklich starken Haarschwunds, und, liebe gute Götter, ein wenig leichtsinnig auch, sitzt im Schreibstuhl und schreibt und starrt dann wieder in die Ecke, wo die Bilder huschen, von den alten amerikanischen Zeiten träumend, in denen er ein Lausbub war.

Wie rasend schnell sie sich abrollten, die Jahre! Wie es sich jagte und überpurzelte, das Erleben, das Verändern, das Schauen, das Lernenmüssen! O, wie sie huschten, die bunten, tollen, wirren, grellen Bilder – gleich – gleich den lebendigen und doch so märchenhaften Schatten, die uns weißes Licht aus einem Film an eine Wand wirft ...

Nein! Häßlicher Gedanke – Sie sind ja da, die kleinen hübschen Bildchen, und sie sind möglichst nett gezeichnet worden nach bestem Können, und die dummen Streiche wurden ja allerdings nicht klug und taktvoll verschwiegen, und schließlich könnte man wohl auch sagen, daß all das Zeug ein kleines amerikanisches Kulturbildchen ist – aber hinter den Bilderchen und den dummen Streichen und all dem Abenteuerlichen steckt ein Gedanke. Ein heißes Wünschen. Stümperhaftigkeit nur war es, die uns das Wollen so viel leichter macht als das Können – strange, how desire does outrun performance! sagt Shakespeare! – wenn die Buchstabenbilder den Gedanken nicht scharf ausprägten.

Ich singe keine hohen Lieder des Leichtsinns.

Leichtsinn –

Es kommt in dieser sehr schönen Welt im letzten Ende darauf an, auf eigenen Füßen zu stehen und seines eigenen Glückes Schmied zu sein, so altmodisch das auch klingen mag. Laßt sie doch schmieden, die Männer und die Frauen! Laßt sie hämmern! Mann, Mensch, du mußt ja für das alles bar bezahlen an jeder Wegkreuzung des Lebens – du mußt bezahlen mit harter Münze, mit nagendem Jammer, mit Lebensjahren – du mußt ganz unweigerlich bezahlen – und wenn du nur ein ganzer Mann, ein ganzer Mensch bist, der das frißt, was er gekocht hat, das erleidet, was er verschuldete, so magst du den Kopf hochhalten und den Pharisäer verlachen, sei er großer Herr oder kleiner Knecht, der dich schief anblickt.

Deine Kraft ist in dir und nur in dir. Niemand kann dir wirklich schaden; niemand dir wirklich nützen. Du allein bist der Herr deiner Welt. Und es ist etwas Großes, Herr zu sein –

Laßt sie doch in die Sonne lachen, die Menschen!

Seid frohsinnig!

Vertraut auf euch selber!

Seid stark! Tragt doch grinsend eure Bürden und arbeitet, arbeitet – dann nur und nur dann dürft ihr leichtsinnig gewesen sein ...

So sind frohe Lebensbejahung und starker Glaube an die Kraft des einzelnen Menschen Paten gestanden bei dem Geborenwerden dieser vielen Tausende von Zeilen.

*

Und war ich einmal und war ich oft verzweifelt und schwach, so habe ich, mit glänzendem Erfolg, gesucht, das schleunigst und für immer zu vergessen. Wie bitterhart es war und wie sonnenlustig, das neue Leben, wie wirr, wie bunt, wie verrückt, und doch wie wunderschön folgerichtig – wie endlos oft und wie steinig der Weg – das ist jetzt eine fröhliche Erinnerung!


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