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Signalfort bei Washington

Orville Wright in Fort Myer. – Eine Erinnerung. – Der amerikanische Nationalfriedhof. – Unser Einzug ins Fort. – Hastings und der Kavalleriewachtmeister. – Major Stevens und sein Oho! – Die erste Paroleausgabe. – Im Materialdepot zu Washington. Amerikanische Wirtschaft aus dem Vollen. – Wie der Major zauberte. – Hastings will verdammt sein ...

Nie wieder im späteren Leben standen die Wiesen, die Wälder, die kleinen Holzhäuser, der sonnige Hügel mit dem weiten Blick auf Washington, die den Militärposten von Fort Myer in Virginien bilden, so deutlich vor meinem geistigen Auge als an jenem Abend vor einigen Jahren, da ich in meinem Hamburger Heim die Zeitungsmeldung las, die damals ein Weltereignis bedeutete: Orville Wright, der eine der beiden geheimnisvollen Brüder Wright, von denen immer wieder behauptet wurde, sie seien auf dem unzugänglichen Gebiet ihrer einsamen Farm zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit wirklich geflogen, hatte sein Wunder von einer Maschine, das erste Flugzeug der Welt, in Fort Myer einer Kommission von Signaloffizieren der amerikanischen Armee vorgeführt und war geflogen! Die Luft war erobert. Aber das wahrgewordene Traumbild von fliegenden Menschen machte kaum stärkeren Eindruck auf mich als die Beschreibungen meines alten Signalforts, die nun die großen Blätter brachten, denn auf den Namen Fort Myer horchte damals die Welt. Die drei Ballonhallen wurden geschildert, die unten am Wiesengrund erbaut worden waren, – die Einrichtungen für drahtlose Telegraphie, die einen gewaltigen Komplex umfaßte; die Laboratorien, in denen technische Offiziere Tag und Nacht daran arbeiteten, die neuen Entdeckungen auf dem Gebiete des Verkehrswesen für das amerikanische Signalkorps nutzbar zu machen.

Und es mutete mich sonderbar und unheimlich fast an, daß mir der liebe alte Ort da drüben, seine Menschen, seine Dinge, seine Art nun so fremd waren, als hätte ich nie die schwarzsilbernen Streifen und die bunten Flaggen auf den Aermeln getragen – niemals im Funkendonnern des drahtlosen Sendeapparats gesessen – nie mitgearbeitet am Taster, bei den Flaggen, in den photographischen Dunkelkammern, in den Ballonwerkstätten...

So verschwommen, so weit entfernt war all das, als sei es ein unwirkliches Märchen. Ich stellte mir vor, ich trüge noch Sergeantenuniform, und lachte, und widmete eine lange Nacht alten Erinnerungen. Jetzt wurden dort Flugzeugschuppen gebaut, – Wissenschaftler arbeiteten in Laboratorien – – – Den Grund aber zu diesem Bau hatten ein simpler Major, ein simpler Leutnant, und noch simplere neun Sergeanten gelegt, und wir hatten gearbeitet wie Verrückte, und der Major wäre beinahe vor ein Kriegsgericht gekommen, weil ihm jeder Weg gerecht gewesen war, dem Widerspenstigen Kriegsministerium das nötige Geld abzulocken...

Die alten Bilder schwebten mir vor in jener Nacht. Wie köstlich war die Arbeitswut gewesen, die uns alle damals gepackt hatte – wie hatten sie geklappert und spektakelt überall, die Instrumente! Wie pilzartig schnell war die Ballonhülle unten im Wiesental in die Höhe geschossen; wie rasend eilig hatten wir sie zurechtgeknetet, die Signalrekruten; wie wundersam verändert waren wir neun Sergeanten über Nacht fast aus einem untätigen Häuflein von geruhsamen Zeltbewohnern zu machtbesitzenden Führern des neuen Signalnachwuchses geworden, zu Organisatoren, zu fieberhetzenden Arbeitern voller Verantwortlichkeit!

Dort am Waldrand hatten einst die drahtlosen Funken gesprüht, über jenen Hügel hatte ich den Draht nach Washington legen lassen, in diesem Bürozimmer die geldheischenden Berichte an das Kriegsministerium verfaßt... Ach, was waren das für schöne Zeiten gewesen! Ein deutscher Hauptmann und Kompagniechef besitzt nicht die Machtvollkommenheit, die damals in unseren Händen war! Und ich dachte an die Aberhunderte von Befehlen, die ich signiert hatte: » Ca Sgt« Carlé – Sergeant. Sergeant Carlé! Wie sonderbar das heute klingt...

Im Erinnern ist es wirklich ein Märchen!

*

An einem Spätherbstnachmittag des Jahres 1898 marschierten wir durch die stille Ringstraße der Bundesstadt Washington; still im Vergleich zu dem lärmenden Hasten und Dröhnen des Arbeitstages in anderen amerikanischen Großstädten. Dort im Hintergrunde wölbte sich die gewaltige Kuppel des Repräsentantenhauses; hier, hervorleuchtend zwischen herbstfarbenem Gebüsch stand in einer weiten Rasenfläche das Weiße Haus. Durch kleinere Straßen ging es dann, alle still und friedlich, in eine Vorstadt und dem Potomac zu, dessen schlammige gelbe Fluten träge dahinflossen. Drüben über der Brücke begann schon das Gebiet des Staates Virginien. Denn der Distrikt von Columbien umfaßt nur die Stadt Washington selbst, wurde er doch einst herausgeschnitten aus zwei Staaten, Virginia und Maryland, als die begeisterten Freiheitsmänner der jungen amerikanischen Republik beschlossen, daß die Bundeshauptstadt allen gehören müsse und keinem, auf daß kein einzelner Staat sich des Vorzugs rühmen könne, der Sitz der Regierung zu sein.

Vor uns lag buschiges Hügelland, und bald besagte eine Tafel in der einfachen amerikanischen Art U. S. military territory – Militärland der Vereinigten Staaten. Es mußten Männer weiser Voraussicht gewesen sein, die einst diesen wundervollen Flecken Landes, stundenbreit und stundenlang, für die Regierung angekauft hatten. In bunter Reihenfolge wechselten weite Wiesenflächen, tiefe Wälder, und hügeliger Busch. Die Straße selbst stieg in leichter Krümmung stetig aufwärts, dem Fort entgegen. Als wir an einem Wiesengrund vorbeikamen, blieb Major Stevens plötzlich stehen und rief, wie im Impuls des Augenblicks:

»Dorthin bauen wir die Ballonhalle!«

Und nach vier Monaten stand auch die Halle genau auf dem bezeichneten Fleck.

Häuschen in langer Reihe tauchten auf, die Offizierslinien, und im Rechteck schloß sich ein langer niedriger Holzbau mit breiten Veranden an, das Mannschaftsquartier. Dann kamen auf der anderen Seite des Paradegrunds die Adjutantur und Quartiermeistergebäude und weit drüben über einer großen Wiese Backsteinbauten; kleine Häuser und Ställe. Die Gebäude, die wir zuerst gesehen hatten, waren das alte Fort Myer, das nun vorläufiges Hauptquartier des Signalkorps werden sollte, bis die neuen Quartiere unten im Wald gebaut waren. Die 6. Kavallerie, die hier mit drei Schwadronen garnisonierte, hatte die alten Holzbauten schon vor Jahren verlassen und war in das neue Fort beim Arlington-Friedhof hinübergezogen. »Forts« im üblichen Sinne des Worts waren freilich weder das alte Fort Myer noch das neue. Denn heutzutage und damals schon besaß Onkel Sam wirkliche Befestigungen nur an wenigen Küstenorten, und den Namen Fort für einen militärischen Garnisonsort hatte nur alte Tradition aus den Zeiten gerettet, wo die militärischen Punkte im Indianergebiet tatsächlich kleine wohlgeschützte Festungen waren und sein mußten.

Die drei Kavallerieschwadronen waren die ständige Ehrenwache von Arlington Höhe, dem großartigen Nationalfriedhof der Vereinigten Staaten. Drüben zwischen den beiden Forts schlummerten in langen Reihen unter Zypressen, Trauerweiden, Rosengesträuch die amerikanischen Präsidenten, die großen Generale des Bürgerkriegs, und Tausende und Abertausende von Soldaten, gefallen auf dem Felde der Ehre. Wenige Wochen später reihte sich an die Toten aus dem Bürgerkrieg und den Indianerscharmützeln ein neues weites Totenfeld, denn die in Kuba gefallenen und begrabenen Offiziere und Soldaten wurden in Zinksärgen nach der Heimat gebracht und feierlich im Nationalfriedhof von Arlington bestattet.

»Halt! Wer da?« rief schallend die Kavalleriewache an.

»Bewaffnetes Militär der Vereinigten Staaten,« antwortete der Major zurück.

Nach den ein wenig altmodischen und ganz unamerikanisch steifen Vorschriften mußte nun die Wache den Korporal herbeirufen, der wiederum den Offizier du jour herbeiholte, und endlich wurde uns nach dem üblichen feierlichen Säbelpräsentieren vor der Flagge der Zutritt gestattet und die Quartiere uns übergeben.

»Signalkorps – abtreten!«

Kavallerieoffiziere legten Beschlag auf Major Stevens und Leutnant Burnell, während die Wachtmeister, Sergeanten und Korporale uns umringten. Der alte schnauzbärtige first sergeant von F-Schwadron stellte sich breitspurig vor uns hin, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah uns von oben bis unten an.

»Reizende Gesellschaft!« rief er.

»Imponierend, nich'?« erwiderte Hastings trocken und todernst.

»Famose Kerle seid ihr ja!«

»Daran hat noch nie jemand gezweifelt.« knurrte Sergeant Hastings. »Mir scheint, Mc. Gafferty, daß du bescheidener gewesen bist, als du noch in Fort Lexington als kleiner Lancekorporal bei den Dreiern standest. Vergiß nicht, mein Sohn, daß mein Rang höher ist als der deine und ich dich in vorläufigen Stubenarrest schicken kann.« Schallendes Gelächter bei den Kavalleristen. »Was, zum Teufel, willst du denn eigentlich?«

»Ich will nur wissen, was dabei herausspringt!«

»Wobei?«

»Dabei, daß die ganze gesegnete F-Schwadron geschlagene acht Tage für euch Flaggenwedelgesellschaft sauer gearbeitet hat. Könnt ihr eure verdammte Arbeit nicht selber besorgen?«

»Nich', wenn wir Kavalleristen kriegen können!« grinste Hastings.

»Fünfzigmal zum Quartiermeister gerannt und fünfzigmal zurück – die alte Bude gefegt, geputzt, gespült, gestrichen – die Betten geholt, aufgeschlagen, bezogen – Küche eingerichtet – weiß der Teufel, was sonst alles noch – alles für die Herren Signalisten, die uns den Kuckuck 'was angehen – nette Arbeit für 'n alten Kavalleristen; niedliche Arbeit; muß ich sagen. Lieber will ich noch einmal zwei Zentner Kubaspeck futtern un' mein altes Fell von kleinen Espagnoles noch mehr vollschießen lassen. Hast du was abgekriegt da drunten im Santiagotal, old boy

» No – nix,« brummte Hastings.

»Kann ich mir denken! Habt euch in' Boden eingekratzt, ihr alten Signalmaulwürfe, eh? Ich hab' 'n Schuh in den rechten Arm und 'ne Kugel in den Bauch gehabt. Klettern wir da den Hügel 'rauf – ich vorne – ein Spanier legt links auf mich an, einer rechts, ein langer Kerl sticht mit dem Bajonett auf mich los – un' ...«

»Das genügt. Mc. Gafferty!« sagte der alte Signalsergeant entsetzt. »Ich geb's auf. Ich bin derjenige, welcher! Bier sollst du trinken, bis die alte Kantine leergepumpt ist, und wenn's mich zehn Dollars kostet, aber deine verdammten Geschichten erzähl' deiner verstorbenen Großmutter! 's ist doch gut, daß anständige Leute nach Fort Myer kommen, die euch Lügenpack von Kavalleristen – – –«

Mc. Gafferty hielt seine gewaltige braune Tatze wie einen Schallbecher vors Ohr und tat mächtig erstaunt.

»Anständige Leute?« wiederholte er grinsend. »Wer könnte das sein?«

Und diesmal hatte der alte Kavallerist die Lacher auf seiner Seite. Wir begannen schon enorme Wetten abzuschließen – Signalkorps gegen Kavallerie, in Flaschenbier und Zigarren – welcher der beiden zungenfertigen alten Kampfhähne Sieger bleiben würde in diesem Wortgeplänkel echter, zeitgeheiligter, regulärer Bosheit, als Major Stevens auf uns zukam und so dem edlen Wettstreit ein plötzliches Ende bereitet wurde. Es stand in den Sternen geschrieben, daß der gute alte Mc. Gafferty an diesem Abend kein Signalkorpsbier trinken sollte!

Die Kavalleristen trollten sich. Der Major betrachtete uns lange und nachdenklich, als erwäge er, was mit jedem einzelnen von uns im besonderen anzufangen sei, kaute nervös auf seinem Schnurrbart wie immer, und erklärte dann schlicht und gemütlich:

» I am going to work you like the devil

»Arbeiten sollt ihr mir, daß ihr glaubt, der Teufel sei hinter euch!«

Und dabei schmunzelte er vergnügt und selbstgefällig vor sich hin, als sei es etwas Wunderschönes, uns teufelsmäßig arbeiten zu lassen! Aus dem Schmunzeln wurde ein Lachen.

»Dja ...« fuhr er fort, immer noch lachend; »wir befinden uns alle miteinander in der traurigen Lage, arbeiten zu müssen! Mir fällt da ein kleiner Irländer ein, der auf Governor's Island in meiner Batterie diente. Giftiges kleines Kerlchen. Prügelte sich fortwährend. Sah ihn einer nur schief an, so krempelte er sich die Aermel auf und sagte: »Willst du was? Meinst wohl, ich sei nur 'n Kleiner, heh? Komm her, du! Ich bin zwar klein, aber oho!« Na, nehmen Sie sich 'n Beispiel an Mr. Klein-Aber-Oho! Sagen Sie sich: Wir sind zwar neun, aber – oho! Meinetwegen dürfen Sie auch ruhig sagen: Der Major ist verrückt, aber wir wollen's ihm schon zeigen – oho! Es kommt mir nur auf das Oho an – ich bitte mir massenhaftes Oho aus!«

Der Witz schien uns gut, und wir grinsten.

» Well – was ich sagen wollte: Morgen treffen achtzig Mann Signalkorpsrekruten hier ein, die im Staat Neuyork angeworben worden sind.«

»Jetzt – will – ich aber – verdammt sein!« fuhr es dem alten Hastings überlaut heraus. Gleich darauf stellte er sich, wie entschuldigend, stramm in Positur.

» Allright – allright, – Sergeant Hastings! Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß Sie überrascht sind. Hilft aber nichts. Ist eiskalte Tatsache, daß wir morgen achtzig Mann Rekruten haben. Müssen 'n bißchen Oho spielen!« Und als wollte er gleich einen guten Anfang machen, war es auf einmal mit Lachen und Gemütlichkeit vorbei. Kurz, klar, und scharf kamen die Befehle:

»Hastings ist first sergeant.

Souder – Telegraphen-Instrukteur und Quartiermeister-Sergeant.

Ogilvy – Flaggenarbeit und optischen Dienst. Baldwin und Ryan – Ballonabteilung.

Carlé – Büro.

Smithers – Magazin und Reparaturwerkstatt.

Mears und Ellis – Linienbau und Konstruktion.

Sämtliche Sergeanten reichen mir bis morgen früh ihre Vorschläge für den Arbeitsplan der ersten Woche schriftlich ein. Der Instruktionsdienst beginnt übermorgen: die Einrichtung muß daher bis dahin erledigt sein. Das Quartieramt der 6. Kavallerie hat Uniformen und militärische Ausrüstung für uns auf Lager: technische Ausrüstungsgegenstände liegen im Hauptdepot des Korps bereit. Die müssen wir sofort haben. Gehen Sie zum Adjutanten der Kavallerie hinüber, Souder. Meine Komplimente, und ich ließe ihn ersuchen, mir drei bespannte Leiterwagen zur Verfügung zu stellen. Für mich ein Offizierspferd. In einer halben Stunde. Das wäre alles.«

Wir hatten gerade noch Zeit, unser neues Quartier zu beschauen, in dem es nichts zu beschauen gab als lange Reihen von Feldbetten mit neuen Bezügen und grauen Armeewolldecken, Tische, Stühle – und eine hastige Mahlzeit von Brot und gebratenem Speck und Kaffee hinunterzuschlingen. Es war jämmerlich kahl in den frisch geweißten Räumen. Sergeant Hastings sah sich kopfschüttelnd um.

»Fragt mich nur nicht, was wir alles brauchen!« sagte er.

»Fragt dich ja auch niemand,« grinste Souder.

»Wird schon noch kommen. Mann, wir haben nichts, gar nichts, überhaupt nichts, als die Uniform, die wir auf dem Leibe tragen und 'n Hemd oder zwei, und wie da die Einrichtung binnen vierundzwanzig Stunden erledigt sein soll, weiß ich nicht. Verdammt will ich sein, wenn ich's weiß. Achtzig Rekruten einkleiden – Telegraphensaal herrichten – Kompagnie formieren – Büro in Gang setzen – mit Rekruten arbeiten, die von nichts 'ne Ahnung haben... well, well! Ich hätte gesagt, wir brauchten einen ganzen Tag allein dazu, die Bedarfslisten aufzustellen. Ich weiß überhaupt nicht, was wir alles brauchen. Lieber Gott, lass' uns wenigstens drunten im Depot 'was Anständiges kriegen!«

»Amen!« sagte Souder. »Im übrigen mach' ich's einfach wie der Major: Meine Rekruten sollen arbeiten, daß sie glauben, der Teufel sei hinter ihnen!«

Da fuhren auch schon die Leiterwagen vor.

In flottem Trab ging es hinunter nach Washington und in einer Viertelstunde hielten die Wagen in einem muffigen Seitengäßchen beim Kriegsministerium vor einem alten dunklen Lagerhaus mit vergitterten Fenstern und breiten Rolltüren. Arbeiter schoben die Türen auf, und ein hagerer, bebrillter Herr, der Materialverwalter, begrüßte den Major mit knappen Worten, um sich dann mit Bleistift und Notizblock kontrollbereit hinzustellen. Das aufflammende elektrische Licht zeigte einen riesigen Raum, mit gitterigen Holzfächern vom Boden bis zur Decke an den Wänden entlang. In der Mitte standen Wagen, elektrische Automobile, schwere Drahtrollenkarren, Fahrräder, Telegraphenlanzen aus leichten dünnen Stahlrohren, Schreibtische, in wirrem Durcheinander. Aus den Holzfächern glitzerten gelbmetallisch neue Telegrapheninstrumente, leuchteten seidenumsponnener Draht, rote und weiße Flaggen, funkelnde Werkzeuge, Signallaternen, Akkumulatorengläser. Wir standen täppisch da und gafften und trauten uns nicht recht, uns zu rühren, und warteten fast atemlos auf Befehle. Ich dachte an das armselige Häuflein verrosteter Telegrapheninstrumente und beschmutzter Flaggen, die wir in Montauk Point aus Kuba eingeliefert hatten...

Major Stevens winkte den Materialverwalter herbei.

»Notieren Sie, bitte. Vier Rollschreibtische –«

»Jawohl.«

»Zwei Schreibmaschinen fürs Büro; eine für Sie. Hastings, und eine für Carlé; das genügt doch vorläufig? Dann: Sechs Uebungsmaschinen!«

» Y–es, Sir,« stotterte Hastings.

Dem alten Sergeanten traten die Augen beinahe aus dem Kopf. Er kniff mich in den Arm, daß ich zusammenfuhr. »Hol' mich der Teufel,« flüsterte er, »der – der Major hat Blankovollmacht! Er nimmt, was ihm paßt! Sch–schreibmaschinen! Vier – verdammt noch mal, vier Rollschreibtische – well, I'll be damned! So 'was ist mir noch nicht vorgekommen! 's ist auch gar nicht wahr!« Er war an ein Regime gewöhnt, bei dem für jedes neue Flaggentuch besondere Anträge durch alle möglichen Instanzen hindurch gestellt werden mußten, und dann bekam man es gewöhnlich erst recht nicht und dann falsch.

»Das Lastautomobil und das Sechssitzige!«

»Beide Wagen lassen Sie noch heute durch einen Mechaniker der Firma ins Fort fahren. –«

»Jawohl!«

Hastings trat mir den linken Fuß fast weg.

»Automobile!« zischte er.

»Die Sergeanten können sich übrigens umsehen,« fuhr Major Stevens fort, »und mir ihre Wünsche mitteilen. Wir nehmen alles, was wir gebrauchen können.«

»So 'was gibt's nicht,« stöhnte Hastings und blieb wie angenagelt stehen. »Ich will dir 'mal 'was sagen: Er hat den Kriegsminister besoffen gemacht und den General Greeley hat er hypnotisiert. Nee – er hat die Vollmacht direkt gefälscht. Nee – er hat 'n bißchen zu viel Whisky erwischt und tut nur so. Pass' mal auf – gleich kommt jemand und schmeißt uns alle 'raus – – –«

»9 Fahrräder!«

»12 Telephone, die neue Konstruktion.«

»50 Telegrapheninstrumente, komplett.«

»15 Feldstecher mit Entfernungssuchern.«

»100 Flaggen, halb rot, halb weiß.«

»10 photographische Apparate.«

»Dunkelkammereinrichtung, komplett –«

Hastings packte mich und deutete auf die Gitterfächer an der Wand. »Ich – ich weiß nicht, wie er's gemacht hat.« sagte er. »Ich weiß nur, daß der Kerl zaubern kann – richtig, reelle Wunder zaubern – un' meine Frau soll mich mit 'm Besen totschlagen, wenn ich die Fächer da nich' krank aussehen mache vor lauter Leerigkeit! Alles nehm' ich!«

Und wir stürzten uns auf die Reichtümer. Der alte Sergeant erschnüffelte vor allem die Ecke, in der Bürobedarf, Papier und Formulare aufbewahrt waren, denn ein gut Teil vom Bürokraten steckte in ihm, und sein Büro lag ihm arg am Herzen. Er suchte und wählte.

»1000 Briefbogen?« fragte er endlich den Major fast zaghaft. »Und da sind famose Befehlsformulare und –«

»Nehmen Sie alles!« war die gleichgültige Antwort. »Alles, was wir nur irgendwie brauchen können!«

Da begriffen wir endlich. Der Himmel mochte wissen, wie der Major es angestellt hatte, den bürokratischen Herren im Kriegsministerium diese unerhörten Vollmachten abzuringen – aber uns ging das jedenfalls nichts an. Es war jetzt an der Zeit, nicht nachzudenken, sondern zuzupacken, und wir packten zu! Hastings und ich räuberten eine Büroeinrichtung zusammen, wie sie ganz gewiß in keinem einzigen Fort der regulären Armee zu finden war: Schreibtische und Schreibmaschinen, Regale, Schränke, ledergebundene Befehlsbücher, elegantes Schreibzeug, das für das Ministerium bestimmt gewesen sein mochte, Briefkörbchen, Bleistiftpakete, Großes und Kleines – alles, was uns nur in die Hände kam. Es war beinahe ein Leiterwagen voll. Dann, als wir unser spezielles Schäflein im Trockenen hatten, wandten wir uns helfend den anderen zu, die in Telegrapheninstrumenten wühlten und über kostbaren neumodischen Trockenbatterien wie Kinder krähten vor Vergnügen. Der Materialverwalter machte große Augen, sagte aber nichts. Lange Nachmittagsstunden krochen wir zwischen den Regalen umher und ließen uns Extrakammern aufsperren und prüften und betasteten – und nahmen!

Werte von Hunderttausenden waren hier aufgespeichert. Man sah, wie guter Wille und reichgefüllter Beutel verschwenderisch und fast planlos gewirtschaftet hatten, um neues Handwerkszeug für neue Arbeit zu schaffen, und so bunt der Wirrwarr schien, so ließ er doch ahnen, wie mannigfaltig und wie interessant die Arbeit der Männer vom neuen Signalfort sein sollte. Hier war alles Signalhandwerkszeug. Vom riesigen elektrischen Automobil, das damals eine vielbestaunte Neuigkeit war und den Unternehmungsgeist des Signalkorps bewies, bis zum winzigen Taschentelephon stellte alles in diesen Räumen modernstes Handwerkszeug zur raschen Uebermittlung von Nachrichten dar. Der Telegraph, die Flagge, die Laterne genügten nicht mehr; man hatte gelernt in den Tagen des Santiagotals. Jetzt sollten unten in Kuba oder drüben auf den Philippinen nicht mehr einzelne Männer mühselig schwere Drahtrollen schleppen, sondern rasche Automobile mußten das Material zur Feuerlinie befördern; die langsam schreibende Hand erhielt ein schnelles Hilfsmittel in Gestalt der Schreibmaschine; tragbare elektrische Akkumulatoren und Azetylenapparate verdrängten die simple Signallaterne. So deutlich, als sprächen sie lebendige Sprache, erzählten die Dinge aus Eisen und Stahl und Messing, daß das Elend in Kuba ein neues Signalkorps gezeitigt hatte. Das verschwenderische Material hier bedeutete den ersten Anfang; das Fort droben auf dem Arlington-Hügel sollte die Kinderstube werden. Noch tappte man freilich unsicher und suchend in der modernen Technik.

Es war, als seien Hals über Kopf die Preislisten der großen technischen Firmen bestellt worden und als habe man blindlings gewählt und gekauft, nur um zu haben. In Hetze und Eile. Oft paßten die Teile der Telegrapheninstrummte nicht zusammen, weil verschiedene Firmen sie geliefert hatten, und der kostbare Kupferdraht war nicht von einheitlichem Durchmesser, und bei den Automobilen sollte es sich herausstellen, daß die Akkumulatoren explodierten, wenn man über holperigen Boden fuhr. Doch das waren Kleinigkeiten. Dem Signalkorps, das in Kuba zusammen nur eine einzige, rechtswidrig angeeignete Zange besaß und sich eine Transportkarre von seinem Major hatte stehlen lassen müssen, schien das Washingtoner Depot eine unerschöpfliche Wunderhöhle Aladdins.

Den Männern, die im philantropischen Gesundheitslager von Montauk Point viele Wochen lang nach allen Regeln der Kunst gefaulenzt hatten, kam auf einmal wieder der Appetit zur Arbeit. Noch begriffen sie es zwar nicht ganz, daß sie auf einmal Elektriker, Photographen, Techniker, Chauffeure, Installateure sein sollten, aber schon gleißten und lockten all die neuen Dinge. Der Geist der Arbeit steckte in ihnen.

Wir verbrannten uns die Hände im Säurengemisch von Akkumulatoren und zankten uns über die Einrichtung des Azetylengenerators und ellbogten ungeniert und unmilitärisch den Major, der genau so herumkroch und genau so aufgeregt und genau so neugierig war wie wir, und zählten und notierten und verpackten und hetzten die Zivilarbeiter vom einen Ende des Depots zum anderen. Gegen Abend waren nicht nur unsere drei Leiterwagen vollbepackt, sondern das Depot mußte uns auch noch einen riesigen Blockwagen leihen.

»Na, was sagen Sie, Hastings?« meinte der Major vergnügt, während er sich die Hände wusch.

»M–m–mm,« murmelte der alte Sergeant.

»'raus damit!«

»Wenn der Herr Major gestatten – aber ich gäb' einen Monat Löhnung darum, wenn ich müßte –«

»Na?«

»– wie der Herr Major das gemacht haben!«

Der Offizier brach in ein schallendes Gelächter aus: »Frag' mich nichts, und ich lüg' dir auch nichts vor!« zitierte er. »Sie verstehen doch, Sergeant Hastings?«

» Yes, Sir. Aber 's ist wunderbar, 's fehlt nur noch eine Dampfmaschine und ein Piano!«

»Die kriegen wir das nächstemal!« lachte der Major. »Na, Hastings, nun schaffen Sie die Sachen ins Fort. Sie sind verantwortlich. Ich muß zu Mrs. Stevens. Sollte heute abend noch etwas vorliegen, so können Sie mich im Kongreßhotel telephonisch erreichen.«

Hastings sah dem Major mit verdutztem Gesicht nach. »Mrs. Stevens?« brummte er höchlichst erstaunt. »Hol' mich der Teufel, wann hat sich der Major eigentlich verheiratet? Sollte die Frau ebenfalls neu sein?«

Wir bestiegen die Leiterwagen, unseren Raub nach Hause zu fahren. Der Materialverwalter sah betrübt zu. Die Pferde zogen an. Der Major ging mit raschen Schritten citywärts. Hastings umfaßte die Wagen und die aufgestapelten Schätze mit einem langen, liebevollen Blick. Und sagte:

»'s ist nur ein kleiner Major, – aber oho! Er – kann – wirklich – zaubern! Jetzt will ich aber verdammt sein!«


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