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Vor dem letzten Lausbubenstreich

Im St. Louis'er Palasthotel. – Der einstige Geschirrputzer und seine vergnügte Stimmung. – Weshalb ich nach St. Louis gekommen war. – Sergeant O'Bryan der Polizeizentrale. – Was der betrunkene Mann verriet. – Die Leichenräuber. – Ihr Geständnis und meine » copy«. – Frederick Haveland, der Mann mit den vielen Namen. – Der Gentleman mit der dunklen Existenz. – Dynamite-Johnny, der Dynamit-Kapitän. – Von Flibustiern und Gesetzlosigkeit. – Haveland macht mir einen Vorschlag. – Mein großes Ereignis. – Eine nebelhaft unklare Expedition nach Venezuela: Der letzte Lausbubenstreich ...

Folgendermaßen spielten sich die Dinge ab:

Ich saß im Palasthotel in St. Louis, so um zehn Uhr morgens herum, und aß vergnügten Sinnes ein gewaltiges Frühstück. Kleine Pfannkuchen zum Beginn, und eine Tasse schweren schwarzen Kaffees, und einen Manhattan Cocktail, und ein kleines Steak vom Grill – und als schönste Delikatesse ein großes Lachen, das zwei ganz verschiedene Gründe hatte.

Grund Nummer eins:

Der chief waiter da, der Oberkellner, der mir so besorgt und diensteifrig ein weiches Kissen zwischen Rohrstuhllehne und Rücken schob, so respektvoll das schlanke Kristallglas auf schwerem Silberbrett präsentierte, war ein alter Bekannter! Und zwar aus Zeiten, wo er jede Bekanntschaft mit mir entrüstet abgelehnt hätte! Armseliger Kupferputzer war ich gewesen da droben in der Höllenküche im dritten Stock dieses Kaufes vor wenigen Jährchen – Luft war ich damals für Mr. Oberkellner, unangenehme Atmosphäre – und was das kleine Frühstück heute kostete, bedeutete in jenen Zeiten zehn Tage der Qual und des Schweißes. Und ich lachte leise vor mich hin und genoß reine Freuden einer besonderen Art von Eitelkeit, einer grotesken Abart von Humor, wie wohl nur der Emporkömmling sie genießen mag, und empfand ungemessenen Respekt vor mir selbst. Feinfühlig mögen die Empfindungen gerade nicht gewesen sein, aber sie waren von grundehrlicher Menschlichkeit. Man dejeuniere, bitte, einmal in einem Hotel, in dem man einst Kupferputzer gewesen ist, und man wird blitzartig schnell gewisse an und für sich unsympathische Regungen des Protzentums mit großem und liebevollem Verständnis betrachten lernen. So frühstückte also der Küchenjunge von anno dazumal en grandseigneur und schwelgte in protzigen Freuden.

Grund Nummer zwei:

Ich war nach St. Louis von Chicago aus gekommen – dort hatte ich den Weizenspekulanten Leitner interviewt, aber mit miserablem Resultat – um über die skandalösen Verhältnisse in den niederen Varietés zu schreiben, die nach Zeitungsmeldungen damals großes Aufsehen erregten. Der Outsider macht derartiges besser als der Kenner der Verhältnisse, der dazu neigt, manches als gegeben und bekannt vorauszusetzen. Darunter leidet die Schilderung. Das erste aber, was ich hörte, als ich auf dem St. Louis'er Bahnhof aus dem Chicago Flyer stieg, war die schneidend grelle Kinderstimme eines Zeitungsboys:

» Extra! Extra special. The variety scandal! All about the variety scandal!«

Schleunigst kaufte ich mir mit gemischten Gefühlen das Zeitungsblatt, der St. Louis Globe Democrat war es, und stellte nach einem kurzen Blick auf die Überschriften unter noch weit gemischteren Gefühlen sofort fest, daß der Mann vom Democrat genau das getan hatte, was zu tun meine Absicht gewesen war. Er hatte Varieté auf Varieté unter die Lupe genommen, die Grellheiten herausgepackt, und geschildert, geschildert, geschildert. Ausgerutscht, Hänschen! Die copy hatte die Associated Press, das große amerikanische Telegraphenbüro, sicherlich schon längst über ganz Amerika weitertelegraphiert, und die Reise nach St. Louis, der Pullmanwagen, die Hotelkosten waren im Handumdrehen zu einer persönlichen Luxusausgabe ohne Zweck und Verstand geworden.

Mißmutig schlenderte ich umher und kam in eine Polizeiwache, die police central, die Hauptstation, in der ich aus alten Zeiten bekannt war. Ein betrunkener Irländer wurde hereingeführt, der gewaltig lärmte und nach der üblichen Polizeimethode nicht gerade sanft behandelt wurde. Das reizte den Betrunkenen noch mehr. Er verfluchte mit kräftigsten Flüchen den Wachsergeanten und den Polizisten, der ihn verhaftet hatte, und den Kneipwirt, in dessen Kneipe er verhaftet worden war. Abermals regnete es Püffe und Stöße, und der sinnlos Betrunkene beruhigte sich plötzlich. Er murmelte nur verworrene Worte vor sich hin. Von einer verdammten Kirchhofgeschichte, und einem Pat, der ihn betrügen wolle, und ihm solle man nur ja nicht weißmachen, daß die Doktors nicht schon längst bezahlt hätten. Niemand beachtete ihn.

»Sperrt den Mann in eine Zelle!« befahl der wachhabende Sergeant. »Die Anklage wird auf Betrunkensein und Ruhestörung erhoben werden.«

Ich hatte gedankenlos zugehört, aber plötzlich hatte sich in meinem Kopf eine Ideenverbindung hergestellt. Von einer Kirchhofsgeschichte hatte der Betrunkene etwas gelallt ...

»Kann ich Sie fünf Minuten lang allein sprechen, Sergeant?« fragte ich.

»Jawohl, gewiß,« sagte der. »Watson, verlassen Sie das Büro. Was gibt's?«

»Wer war der Mann?«

»Der Betrunkene? Bummler, Levéebummler, uns wohlbekannt, hat schon allerlei Strafen. Bestiehlt betrunkene Matrosen, raubt Güter von den Stapelplätzen, hat uns aber in letzter Zeit verschiedene Informationen gegeben. Augenblicklich liegt nichts gegen ihn vor. Er wird morgen früh ins Gebet genommen und unter Umständen laufen gelassen. Das ist nichts für Sie.«

»Das weiß ich noch nicht, Mr. O'Bryan. Vielleicht ist das, was ich mir denke, barer Unsinn. Aber hören Sie zu: Ich komme von Chicago, und man hat dort von nichts anderem geredet als von den berüchtigten Leichenräubern, die auf Kirchhöfen Leichen für Sezierzwecke stehlen. Es waren –«

»Weiß ich, weiß ich!« unterbrach mich der Sergeant.

»Natürlich. Ich erwähne den Fall nur, damit Sie verstehen, wie ich auf meine Vermutungen komme. Während Sie vorhin mit dem Polizisten sprachen, hat der Verhaftete allerlei konfuses Zeug geschwätzt. Darunter wörtlich folgendes:

›Verdammte Kirchhofgeschichte – der Hund von einem Pat will mich betrügen – soll mir nur nicht weißmachen wollen, die Doktors hätten nicht sofort bezahlt.‹

»Wenn man nun, Sergeant, vierundzwanzig Stunden vorher viele Spalten über einen großen Prozeß gegen Leichenräuber gelesen hat wie ich, so macht es einen stutzig, einen Angehörigen der kriminellen Klasse über Betrogenwerden in einer Kirchhofssache sprechen zu hören. Das wäre alles. Was sagen Sie dazu?«

»Daß ich Ihnen Dank schulde,« sagte der Detektivsergeant. »Es mag nichts sein, es kann aber auch sehr viel dahinter stecken.«

Und sofort fing der polizeiliche Apparat zu arbeiten an. Der erwähnte Pat, der Inhaber einer berüchtigten Kneipe an der Mississippi-Levée wurde mitsamt seinen Gästen scharf überwacht. Beamte stellten schon in den ersten Morgenstunden fest, daß auf dem großen Zentralfriedhof am Südende der Stadt, wo fast nur Arme begraben wurden, frische Gräber, offenbare Spuren von neu umgeschaufelter Erde zeigten, die verdächtig waren. Um die Verbrecher nicht zu verscheuchen, wurden nicht einmal die Friedhofsbeamten ins Vertrauen gezogen, sondern eine geheime nächtliche Ueberwachung des Friedhofs organisiert.

Diese Detektivarbeit machte ich mit. Zwischen mir und O'Bryan war ohne viele Worte ein echt amerikanischer Handel abgeschlossen worden; die Neuigkeit sollte mir und nur mir allein gehören, während dem Detektivsergeanten alle Glorie der Entdeckung zufallen mußte.

Drei Nächte des Frierens und der Aufregung verbrachte ich Seite an Seite mit O'Bryan auf dem Kirchhof in einem Oleandergebüsch, auf dem Bauche liegend, und nichts rührte und regte sich in all den qualvoll langen Stunden, in denen ich oft schaudernd daran dachte, daß diese Ueberwachung wochenlang dauern und dann völlig erfolglos sein konnte ...

In der vierten Nacht regnete es in Strömen. Wir lagen wiederum in dem verwilderten Oleandergebüsch, inmitten der Hunderte von Gräberreihen, in einer Wasserlache, die ständig größer und kälter wurde, und ich fluchte auf St. Louis und die Polizei und die Verbrecher. Es war schwarzfinstere Nacht. Da blitzte sekundenlang Lichtschein auf, hundert Schritte vielleicht vor uns. Das Klirren eines Spatens auf einen Stein hallte schrill und grell durch das Regengeplätscher. Dann wurde es wieder still und dunkel. Durch meine erstarrten Glieder brauste die Erregung wie ein glühender Feuerstrom, und den Sergeanten neben mir hörte ich schwer keuchen in kurzen heiseren Atemstößen. Einmal glaubte ich, da vorn Gestalten unterscheiden zu können. Nach Minuten, die qualvoll lang erschienen, packte er mich am Arm, zog, schob mich vorwärts, und Zoll für Zoll krochen wir auf die Stelle zu, wo der Lichtschein aufgeflammt war. Und plötzlich schrillte seine Signalpfeife mit fürchterlichem Gellen und im gleichen Augenblick krachte sein Revolver und andere Pfeifen antworteten jäh, und blendendweißer Lichtschein flammte auf. Schüsse krachten. Ich war entsetzt aufgesprungen. Die Lichter der Blendlaternen huschten, suchten, zitterten blitzschnell, vereinigten sich zu einem hellen Lichtkreis.

Da war ein offenes Grab. Verstreute Erde. Ein schwarzer Sarg daneben, erdumkrustet. Drei Männer standen da, geduckt wie Katzen, mit verzerrten Gesichtern um sich starrend, die angstvollen Züge hell beleuchtet von dem erbarmungslosen weißen Licht. Einer der Männer hielt einen Revolver in der ausgestreckten Hand.

»Fallen lassen!« befahl eine Stimme.

Der Revolver fiel. Und rasch sich bewegende Schatten schoben sich in den Lichtkreis, und Handfesseln klickten, und von der Straße her dröhnte der Gong des heransausenden Polizeiwagens. O'Bryan gab seinen Unterbeamten rasch kurze Befehle. Wachen wurden aufgestellt, Verhaftungen angeordnet. Dann stießen harte Fauste die drei Männer in den Wagen, und im Galopp ging es nach der Zentralstation. Die schmutzstarrenden, nässetriefenden Verbrecher wurden sofort in das Büro geführt, der Polizeistenograph herbeigeholt und das Verhör begonnen.

O'Bryan hatte die Männer kaum eine Viertelstunde lang mit Drohungen und Versprechungen bearbeitet, als sie das Geständnis ablegten, sie hätten in den letzten drei Monaten siebzehn Leichen gestohlen. Eine ganze Reihe von Mittelspersonen hatten dabei die Hände im Spiel gehabt.

Es handelte sich offenbar, wenn es sich auch schwer nachweisen ließ, um einen der in Amerika nicht seltenen Falle von Leichenraub zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Gesetze verbieten die Auslieferung von Leichen an Universitäten oder private Mediziner unter allen Umständen, wenn nicht eine entsprechende testamentarische Verfügung des Gestorbenen vorliegt. Das reiche Material der europäischen Seziersäle, die Leichen von Verbrechern, die Leichen der mittellos in den öffentlichen Krankenhäusern Gestorbenen, steht also dem amerikanischen Mediziner niemals zur Verfügung, sondern er muh Verträge mit lebenden Personen abschließen, ihm ihren Körper nach ihrem Tode zu überlassen. So herrscht ein steter Mangel an Sezierobjekten. Es kommt immer wieder in dieser und jener amerikanischen Stadt vor, daß Leichname gestohlen und an Mediziner verlauft werden. Die Seziersäle zahlen gutes Geld, und es werden beileibe keine unbequemen Fragen gestellt, wenn nur ein testamentarischer Kaufvertrag gezeigt werden kann. Und der läßt sich leicht genug fälschen. So war es auch hier gewesen.

Muß ich erwähnen, daß ich die ganze Nacht hindurch fieberhaft schrieb im Polizeibüro?

Muß ich betonen, daß ich die Kraßheit der Dinge noch krasser färbte? Daß meine Geschichte von den Leichenräubern fürchterliche, knallgelbe, ekelhafte Sensation war?

Muß ich erzählen, daß sie mir viel Geld brachte? Muß ich hervorheben, wie wundervoll ich sie fand und wie ehrlich ich überzeugt war, ein hervorragendes Stück schildernder Zeitungsarbeit geschaffen zu haben? Und mit einem kleinen Herrgöttlein nicht getauscht hätte! Nein; das ist sonnenklar selbstverständlich: Ging doch meine sensationelle Geschichte durch alle Blätter und erregte gewaltiges Aufsehen!

*

So saß ich im Palasthotel von St. Louis, in dessen Küche ich vor kaum drei Jahren Töpfe geputzt hatte, und war stolz.

Da legte sich eine Hand auf meine Schulter und eine sonore Stimme sagte gemütlich:

»Na, lieber Junge, haben sie dich immer noch nicht gehenkt?«

Und neben mir stand vergnügt grinsend Frederick Haveland, der Mann, der immer lachte und stets alle Menschen fragte, weshalb in aller Welt sie noch nicht gehenkt worden seien.

Heute noch kann ich keine Nebelkrähe sehen, ohne an Frederick Haveland denken zu müssen. Sein Gang hatte etwas krähenhaft Wackelndes, Schweres, Possierliches; seine fast schwarzen Augen glitzerten rund und spitzbübisch; über dem dicken Schädel sträubte sich ein grauschwarzer Krähenschopf. Ein Wandervogel war er auch. Wenn er einmal geruhte, Neuyork auf eine ebenso kurze wie tolle Periode aufzusuchen, so haben wir ihn niemals Haveland genannt noch Frederick noch Fred, sondern immer bei einem seiner zahlreichen periodischen sobriquets. Den Pokerteufel – er plünderte einen mit absoluter Sicherheit gräßlich aus, nur um die Dollars sofort auf Nimmerwiedersehen an irgend einen bedrückten Zeitungsmenschen zu verleihen – den Mäusemann – da hatte er die Schrecken des delirium tremens, die krabbelnden weißen Mäuschen und die züngelnden Schlangen, so wundervoll geschildert, daß wir alle wie auf Kommando drei Tage lang nur Sodawasser tranken und zwar ohne Whisky – den Lokomotiventöter – da hatte er in Texas zwei Lokomotiven mit Volldampf aufeinander losfahren lassen, mit einem Explosionsresultat eisten Ranges, das der verrückten Eisenbahn viel Geld des lieben, zuschauenden, schwer zahlenden Publikums und ihm großen Ruhm einbrachte – vor allem aber den Generalfresser, denn Frederick Haveland hatte es fertig gebracht, als Kriegskorrespondent in Kuba den kommandierenden General Shafter in seinem eigenen Hauptquartier so anzubrüllen, so gröblich zu beleidigen, daß er um ein Haar standrechtlich erschossen worden wäre. Man wußte von ihm, daß er eigentlich Zivilingenieur war, immer in allen möglichen Unternehmungen steckte, sich in den unwahrscheinlichsten Weltwinkeln herumtrieb, und Manuskripte extraspezialen ersten Ranges lieferte, wenn es ihm an der Zeit dünkte, wieder einmal etwas zu schreiben. So mancher zerbrach sich über ihn den Kopf. Wahrscheinlich aber war er nur einer von den wenigen Hunderten von Menschen der Welt, die es verstehen, ihren natürlichen Vagabundeninstinkt zu nähren – und dabei Gentlemen zu bleiben und Geld zu verdienen.

Dieser Frederick Haveland setzte sich umständlich zurecht, streckte die langen Beine aus, und grinste.

»Weshalb haben sie dich eigentlich in Neuyork 'rausgeschmissen?« fragte er.

»Was!« sagte ich entrüstet. »Mit Tränen in den Augen haben sie mich gebeten, ich möchte doch um Gotteswillen dableiben! Mann, sie wollten mir das Honorar verdreifachen! Aber ich hatte meine großen Talente entdeckt und Neuyork war mir zu klein geworden.«

»Richtig! Unangenehmes kleines Dorf!« grinste er.

»Zu klein! Und so wandere ich durch dieses große und schöne Land –«

»Und kriechst auf nassen Kirchhöfen herum, wenn du Glück hast!« ergänzte Frederick Haveland. »Schöne gelbe Sache. Brüllt zum Himmel. Es ist übrigens weiter nicht wunderbar, daß niemand so übertreibt wie die ganz Jungen. Merkwürdig ist nur, daß wir Aelteren trotz unserer Weisheit gern wieder ganz jung sein möchten. Und wie geht dir's? In Neuyork – ich hatte dort mit einem Mann zu reden – haben sie mir gesagt, du seist entweder vor einem Mädel davongelaufen oder plötzlich verrückt geworden – –«

»Das würden sie naturgemäß sagen!« meinte ich und lachte.

»Naturgemäß! Oho! Sind wir schon so gescheit geworden?«

Er grinste sein Grinsen, aus dem man nicht recht klug wurde, und urplötzlich kam, ganz gegen meine Art eigentlich, ein sonderbares Gefühl über mich, als müßte ich so etwas wahren wie Selbstbewußtsein und Würde.

»Ich mag ein Narr sein,« sagte ich, mich in den Stuhl zurücklehnend, »lieber Haveland. Ich mag doppelt ein Narr sein in den Augen eines Mannes von Erfahrung. Aber diese närrische Arbeit, bei der ich mich entschieden mehr plagen muß, macht mir närrische Freude, und ich verspüre keine Lust mehr, darüber zu scherzen. Confound it, wenn ich's verstehe, doch –«

Da warf Haveland die Hände hoch, wie einer, dem eine Pistole vor den Kopf gehalten wird.

» Forgie' us all,« lächelte er, Schottisch quotierend. »Vergib' uns unsere Sünden. Sie ist auch wahrlich nicht schön, diese Gewohnheit von uns Zeitungsmenschen, unsere eigenen Affären stets in die Parabel des schlechten Witzes zu verkleiden. Vergiß aber nicht, daß wir mit wirklichen Narren nicht scherzen würden, weder ich noch du. Und nun wollen wir ernsthaft reden, wenn es dir gefällig ist. Kennst du – nein – weißt du etwas über Dynamite-Johnny

»Den Dynamit-Kapitän? Natürlich!«

Kapitän John O'Brian war wohlbestallter Lotse des Neuyorker Hafens gewesen, so um das Jahr 1896, als ihn der Zufall, der die rechten Männer auf den rechten Fleck stellt, in Verbindung mit den amerikanischen Vertretern der kubanischen Insurgenten brachte, vor allem mit Mr. Palma, dem Haupt der kubanischen Junta in Neuyork. Die kubanischen Revolutionäre brauchten damals nichts so nötig als Waffen und abermals Waffen und wiederum Waffen. Nur von Amerika konnte ihr Kriegsbedarf kommen. Da sie aber nicht als kriegführende Partei anerkannt wurden, so war für ihre Waffenfrachten nach der Insel der Wasserweg nicht nur durch die Kriegsschiffe Spaniens versperrt, sondern auch durch die Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten, die nach internationalem Gebrauch den Waffenschmuggel verhüten mußten. Ein Kapitän, der den Insurgenten Waffen zuführte, lief also doppelte Gefahr: Mit Mann und Maus von einem spanischen Kreuzer in Grund und Boden geschossen zu werden, oder aber von einem amerikanischen Kreuzer beschlagnahmt, was für den Kapitän lange Zuchthausjahre bedeuten konnte. Der abenteuerliche Neuyorker Lotse nun war der rechte Mann für die abenteuerliche Aufgabe. Mit unerhörter Schlauheit verstand er es, bald in dem Hafen von Neuyork, bald in dem Hafen von Jacksonville in Florida, die Kriminalbeamten – die spanische Regierung hatte die Pinkertons, die berühmte amerikanische Detektivagentur zur Verhütung des Waffenschmuggels engagiert – und die Hafenpolizei immer wieder hinters Licht zu führen, in dunkler Nacht heimlich zu laden, und in sausender Fahrt mit seinem schnellen Hochseeschlepper nach irgend einem Rendezvousort an der kubanischen Küste zu jagen. Dort warteten Revolutionäre, und die gefährliche Ladung wurde in rasender Eile gelandet, konnte doch jeden Augenblick ein spanisches Kriegsschiff der Küstenpatrouille auftauchen. Ueber die Fahrten des abenteuerlichen Kapitäns wurde stets in der amerikanischen Presse berichtet, aber es gelang den Behörden der Vereinigten Staaten niemals, ihn vor den Gerichten zu überführen, oder gar sein Schiff und ihn in flagranti zu fangen, obgleich Hunderttausende für seine Überwachung ausgegeben wurden. Nichts schreckte den Dynamit-Kapitän ab. Dutzendemal feuerten spanische Kriegsschiffe auf sein Schiff, und immer wieder entrann er mit knapper Not. Seinen Beinamen erhielt er durch ein charakteristisches Vorkommnis. Der » Dauntless«, sein Hochseeschlepper, hatte Dynamit für Kuba geladen. Die gefährlichen gelben Stangen waren in dickwandige Holzkisten verpackt, die Patronenlisten sehr ähnlich sahen. Niemand auf dem Schiff war das bekannt. Als bei der Landung an der kubanischen Küste die Insurgenten an Bord kamen, um zu löschen, hatten sie es begreiflicherweise sehr eilig, sich mit Patronen zu versehen, und schickten sich schleunigst an, eine große Kiste zu erbrechen. Emsig schlug ein Kubano mit einem schweren Beil auf den Deckel los. O'Brian oben auf der Kommandobrücke regte sich nicht im mindesten auf.

»Señor!« sagte er nur, »wenn Sie noch lange auf die alte Kiste loshämmern, fliegen Sie auf direktem Wege zu Ihrer Jungfrau Maria in den Himmel! Es ist nämlich Dynamit drin!!«

Unten aber auf Deck ertönte ein gellender Schrei, ein zweiter, und im nächsten Augenblick waren die Insurgenten samt drei amerikanischen Matrosen über Bord in das flache Wasser gehopst und strampelten wie wahnsinnig küstenwärts. Der tollkühne Kapitän mußte viel über die angebliche Harmlosigkeit von Dynamit zusammenlügen, bis er sie endlich zum Löschen der Ladung überredete.

Das war Dynamite-Johnny.

»Also.« sagte Frederick Haveland, »– Dynamite-Johnny kennst du. Ich bin zweimal mit Kapitän O'Brian in geschäftlicher und persönlicher Verbindung gestanden. Im Jahre 1897 machte ich eine ziemlich kitzliche Fahrt nach Aguadores mit und später einen kleinen Abstecher mit Waffen nach der Haitischen Küste. Er ist übrigens jetzt Hafenkapitän von Havana, und der friedlichste kleine Irländer geworden, den man sich nur denken kann. Well – der Dynamit-Kapitän ist also eine hübsche Brücke zu gewissen allgemeinen Begriffen. Er soll dir als Parallele dienen, und deshalb erwähnte ich ihn. Da du ihn und seine kleine Abenteuer kennst, so brauche ich über Allgemeines nicht so viel zu reden. – Bilde dir mal ein, ich wäre Dynamite-Johnny!«

Ich warf meine Zigarre weg und setzte mich aufrecht hin.

»Was ist das, Haveland?«

Diesmal grinste Frederick Haveland nicht. »Es ist ein einfacher Geschäftsvorschlag,« sagte er leise. »Von Mann zu Mann. Las gestern deine Kirchhofssache in der Dispatch. Erinnerte mich an dich. Jung und enthusiastisch. Erfuhr auf der Zentrale, daß du im Palace stopptest. Sagte mir: den schluck' ich über. Schlage dir vor, gemeinsam mit mir eine kleine Reise nach, sagen wir im allgemeinen, nach Venezuela zu machen. Dauer unbestimmt, aber länger als fünf Wochen unwahrscheinlich. Sache nicht gerade gefährlich, aber auch nicht ungefährlich. Sämtliche Kosten trage ich. Du würdest unter meinen Orders stehen. Veröffentlicht darf ohne meine Zustimmung nichts werden. Was für dich dabei herausspringt, ist Risikosache. Wie denkst du darüber?«

»Abgemacht!« keuchte ich.

Mir war, als stünde mir das Herz still.

Dröhnend hämmerte der Blutschlag gegen meine Schläfen. Ich fühlte, wie sich die Luft in meinen Lungen staute. Mein Atem kam und ging in kurzen leise pfeifenden Stößen. Großer Gott, hatte mir da der Zufall endlich, ach endlich, die Wirklichkeit der Sehnsuchtsträume in den Schoß geworfen: das große Ereignis! Nicht eine Sekunde der Ueberlegung bedurfte ich. Nur der einzige Gedanke war in mir: Zugreifen! Zupacken! Nur nicht tüfteln und deuteln, nur nicht klug sein wollen. Denn in der Ferne schimmerte das große Ereignis, das Abenteuer.

»Das dachte ich mir!« sagte Haveland, und etwas eigentümlich Warmes war in seiner Stimme und in seinen Augen. »Aber – weshalb hast du augenblicklich ja gesagt?«

»Weil ich, nun, weil ich einmal so bin, und weil der mir bekannte Mr. Haveland den Vorschlag macht und nicht ein x-beliebiger Mr. Smith oder Mr. Meyer. Das ist klar.«

»Auch das hoffte ich.«

»Weshalb aber hast du gerade mir den Vorschlag gemacht?«

»Zufall, wie ich sagte. Zerbrach mir seit drei Tagen den Kopf, wo ich einen geeigneten Partner hernehmen sollte. Einen Partner aber mußte ich aus bestimmten Gründen haben. Hm ja.« Er sah auf seine Uhr. »10 Uhr 53. Ich darf den 12 Uhr Expreß nach Chicago nicht versäumen – muß dort mit einem Mann sprechen. Ich treffe dich am Montag in Galveston, Texas, im Planter Hotel. Ich werde dir einen Scheck über fünfhundert Dollars für Auslagen ausstellen – einen Augenblick!«

Er holte ein Scheckbuch hervor und schrieb. Diese absolute Wortkargheit, diese eiserne Ruhe war mir zuviel, denn am liebsten hätte ich ja gebrüllt vor Aufregung.

»Ich muß doch etwas wissen, Haveland!« stieß ich hervor.

»Hm, fünfzehn Minuten habe ich noch. Was weißt du über Venezuela?«

»Das Uebliche. Aktuelle.«

»Natürlich. Ich darf noch nicht viel reden, mein Junge. Kannst du dir denken. Wir wollen aber von der Voraussetzung ausgehen, daß in einem Staat wie Venezuela, dessen politische und wirtschaftliche Verhältnisse augenblicklich unstabil sind und den Amerikanern, die seinen Handel betreiben, ein unerhörtes Risiko aufnötigen, der wirtschaftliche Kampf des Kaufmannes sich dann und wann in primitiven und brutalen Formen abspielen muß. Wir wollen auch nicht vergessen, daß der Amerikaner durch den anstrengenden Aufenthalt in den Tropen nicht gerade energischer wird. Angenommen nun, daß sich gewaltige amerikanische Geldinteressen auf Asphaltgewinnung in Venezuela konzentrieren – angenommen, daß zwischen der betreffenden Gesellschaft und der bestehenden Regierung Differenzen entstanden sind, die eine Regelung mit Hilfe der offiziellen Diplomatie nicht vertragen, peccatur intra muros et extra – angenommen des weiteren, daß einerseits eine im Gang befindliche revolutionäre Bewegung der Gesellschaft Vorteile verspricht, und andererseits die bestehende Regierung den kranken Leiter der betreffenden Interessen durch Gewaltmaßregeln eingeschüchtert hat – all dies angenommen, so ist es sehr begreiflich, wenn die erwähnten Interessen eine unauffällige Persönlichkeit an Ort und Stelle senden, um Abmachungen zu treffen und den Gang der Dinge zu beschleunigen. Vielleicht muß dabei auch ein bißchen geschossen werden. Nicht viel. Nur gerad, was nötig ... Hm ja. Wir sprechen noch über Einzelheiten. Meine Zeit ist um. Da ist der Scheck. Auf Wiedersehen im Planters Hotel in Galveston, lieber Junge!«

Und in wackelndem, schwerem Krähengang schritt Frederick Haveland der Drehtüre zu. Er sah ungemein solide und höchst wohlhabend aus, wie einer, der sich bürgerlichen Erfolges und geregelter Verhältnisse erfreut.

Ich sah ihm starr nach.


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