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Landsknecht der Feder

Meine allerersten Nerven! – Die Morgenarbeit. – Wie Jagd nach der Anregung. – Wo sie zu finden ist! – »Nur nichts Naheliegendes!« – Die Schwitzmädel-Idee. – Wie sie im Zeitungshirn arbeitet. – Wer Sensationsprozeß. – Mittagessen á la New York. – Der Mann, mit dem ich einst Codfische pökelte – Vom Stockfischarbeiter zum Hochfinanzier. – In der Bank. – Das Warenhaus. – Die Amazonenschlacht um den Frühlingshut. – der Oster-Hut-Trust! – Bei Delmonico. – Träume. – »Einmal ein Zeitungsgaul, immer ein Zeitungsgaul,« – Der Zeitung verfallen mit Haut und Haaren. –

Ich glaube, ich habe mir in jenen Neuyorker Zeiten meine allerersten Nerven geholt!

Was war das nur für ein Leben!

Da klingelte man des Morgens, knipste das elektrische Licht an und stürzte sich noch im Bett auf die Zeitungen, die Morgenausgaben des Journal, der World, der Sun, des Herald, des American, der Times. Gierig. Fieberhaft. Was war los? Was gab es? Wo konnte man den Hebel ansetzen? Man nahm die Zeitungen mit in die Badewanne und man schleppte sie hinunter zum Frühstück: amerikanerhaft futternd, ohne rechten Sinn für das, was man aß, wie eine Maschine, in die zu bestimmter Zeit Brennstoff hineingeschaufelt wird. Um 9.30 Uhr morgens war man glücklich im nötigen Stadium der Arbeitserregung, verschiedene Grade über normal. Wer in Neuyork lebt, muß mit den Neuyorkern heulen, und ein Neuyorker kann nun einmal nur unter anormalem Hochdruck arbeiten, sei er nun Käsehändler oder Trustmilliardär oder Zeitungsmensch.

Lesen, lesen, lesen!

Ach, schon wieder zehn Minuten vergangen! Kusche, husche, die Riesenspalten hinab – ruck, auf die andere Seite hinüber. Alles in Sekunden. Man hat es ja längst gelernt, so zu lesen, wie der Zeitungsmensch lesen muß: In photographischem Erfassen eines Zeilenbildes von zehn, zwanzig Zeilen auf einmal mit Hirn und Auge.

Rasch, nur rasch.

Wie macht sich die Arbeit von gestern? Wie ist sie plaziert? Welche Buchstabengröße hat der editor ihrer Ueberschrift gegeben? Ah, man atmet auf. Korpus 3: die Ueberschriftgröße, die Sachen von Bedeutung gegeben wird.

Weiter geht die Jagd. Denn irgendwo in diesen vielen Zeitungsspalten sind neue Arbeitsaufgaben zu finden, wenn man nur zu suchen weiß. Der Landsknecht lebt meist von dem, was von den regulären Soldaten der Zeitung unbeachtet gelassen worden ist. Krampfhaft sucht man nach einer Anregung. Der große Sensationsprozeß da – eine Dame der Neuyorker Gesellschaft ist durch Seltzerpulver, die ihr anonym zugesandt worden waren, vergiftet worden, und ein Herr der Gesellschaft steht nun auf Indizienbeweise hin als wahrscheinlicher Täter vor den Geschworenen – der interessiert uns nicht. Was da zu tun ist, ist getan. Jede Neuyorker Zeitung hat ihre besten Schilderer im Gerichtssaal, ihre Detektive an der Arbeit. Ueber die politischen Ereignisse des Tages muß man sich zwar informieren: aus ihnen Arbeit zu schöpfen jedoch ist Sache der Spezialisten –

» Working? An der Arbeit?« fragt eine helle Stimme.

»Guten Morgen, guten Morgen,« antwortete ich hastig. »Geh weg, Flossy. Awfull busy. Bin fürchterlich beschäftigt!«

» Well – t – ta – ta, my boy...«

Weiter, weiter, im Hasten. Man wird nervös und ärgerlich. Ist denn gar nichts los heute? Steht wirklich nichts geschrieben zwischen den Zeilen? Nun gilt es, sorgsam zu lesen. Was man da überflogen hat, die Kunde von den bedeutenden Ereignissen des Tages, das ist vom Zeitungsstandpunkt schon ausgeschöpft bis ins Tiefste. Was offenbar wichtig ist und in die Augen fällt, haben die Männer der Redaktionen ohne Zweifel schon in Arbeit.

Für uns ist das Naheliegende nichts.

Man hat sich schon zu oft die Finger verbrannt und ist klug geworden. Man hat umsonst gearbeitet, und ist ausgelacht worden obendrein damals, als die Bohrungen für die Untergrundbahn begannen und man in den kaum errichteten Caisson stieg und ein höchst interessantes Arbeitsbild schrieb. –

»Haben wir längst!« hatte Holloway gegrinst; »glaubst du vielleicht, daß wir schlafen?« Oder damals, als man die Felsensprengungen für das Fundament des neuen Wolkenkratzers schilderte – und die Szenen beim Ausstand der Tramwayangestellten – und – ach, wie war man da ausgelacht worden! Nein, nur nichts Naheliegendes! Unsereiner verdiente viel mehr Geld als der reguläre Zeitungsmann, der allwöchentlich oder allmonatlich seine festen Dollars einheimste, aber dafür mußte man auch sein bißchen Phantasie haben und verdammt scharfe Augen. Neues brauchte die Zeitung. Neues! Oder zum mindesten neu, eigenartig Gesehenes.

Weiterlesen! Wir müssen aus irgend einem winzigen Ereignis, das da in fünf Zeilen erwähnt wird, etwas Typisches, Allgemeines, Wichtiges machen; wir müssen in einem gleichgültigen kleinen Bildchen die Möglichkeit einer großen Schilderung sehen; wir müssen das ergänzen, was die Flüchtigkeit des überhasteten Zeitungsmannes vernachlässigte. Wir müssen im ganz Kleinen den großen Zug entdecken. Dafür werden wir glänzend bezahlt ...

Man sucht und sucht. Man liest aufmerksam die Gerichtsverhandlungen durch, ob sie allgemein nicht bekannte soziale Zustände berühren, man prüft die Unglücksfälle, die Brandnachrichten, die Gesellschaftsnotizen, das Winzigste. Alles.

Holla – hier ist etwas –

Schnell wie ein Blitz kommt über einen die Erleuchtung. Unter den politischen Neuyorker Angelegenheiten steht da eine winzige Notiz, daß die Frage der sweat shops durch einen Ausschuß des Stadtrats geprüft werden soll. Wahrscheinlich ist sie mit einem zynischen Grinsen in den Satz gegeben worden. Die Zeitungsleute kennen diese Untersuchungskommissionen Neuyorks. Sie sind hauptsächlich dazu da, damit die Mitglieder der Kommission Diäten verrechnen können, amtliche Ausgaben, Taggelder. sweat shops auch noch! Wenn schon – man kennt das. Man kennt das Elend der »Schwitzläden«, in denen arme Arbeiterinnen in fürchterlich überfüllten Räumen für Hungerstücklohn zwölf Stunden lang im Tag Weißzeug nähen, und Arbeiter sich beim Fabrizieren der billigen Konfektion die üblichen Berufskrankheiten holen, die Schwindsucht vor allem. In Neuyork ist gar nichts Lustiges mehr am kleinen Schneiderlein. Man kennt das längst. Ganz Neuyork kennt diese Dinge. Der Arbeitsmarkt ist unerbittlich und richtet sich nach Nachfrage und Angebot. Da ist nichts zu wollen. Aber ein Bild steigt da auf, in phantastischem Ahnen geschaut. Man sieht sich im Geist in einer niedrigen Arbeitshölle, in der viele Menschen hocken, tiefgebeugt über ihre Arbeit, nadelziehend ohne Unterlaß, nähmaschinentretend. Giftiger Brodem ihrer Ausdünstung hüllt sie ein. Sie fädeln und treten, und die Ereignisse ihres Lebens sind die Glockenzeichen, die Arbeitsanfang und Arbeitsende bedeuten. Man sieht sich Seite an Seite mit einem dieser Mädchengeschöpfe gehen und verspürt, daß neben einem das nackte Elend schreitet. Ob es wohl lächelt, dieses Elend, und ganz zufrieden ist in seiner fürchterlichen Hoffnungslosigkeit? Ob es schreit in bitterer Anklage? Oder gar stolz ist und befriedigt, weil es dreißig Hemden nähte im Tag und der andere Sklave an der Nähmaschine daneben nur neunundzwanzig? Wie lebt dieses arme Geschöpf? Was ißt es, was trinkt es, wie wohnt es, wie kleidet es sich, wie sehen seine Freuden aus, welche Leiden muß es erdulden, von welchen Hoffnungen ist es beseelt?

Und man atmet tief auf und weiß, daß man im Schauenstraum ein Stück Leben gepackt hat, und man verspürt wie rieselnden Glücksschauer die Freude, die die Zeitung ihren Landsknechten dann und wann beschert, wenn sie jung und begeisterungsfähig und durch den Zynismus allzugroßer Erfahrung noch nicht verdorben sind. Nicht nur für Geld und Ehrgeiz arbeitest du, so jubelt es in diesen Sekunden des Glücks, sondern du sprichst zu vielen Menschen, und vielleicht vermagst du es, Hirne nachdenklich zu stimmen und Herzen zu erschüttern, auf daß es diesen Armen, die da hoffnungslos fädeln und treten, ein ganz klein wenig besser ergehe. Vielleicht verschaffst du ihnen den Dollar mehr in der Woche, diesen lächerlichen Dollar dieses reichen Landes, der den Unterschied bedeutet zwischen Leben und Vegetieren ...

Doch man wandelt nicht ungestraft im gewitzten Zeitungslande und atmet nicht unverseucht die dollarschwüle Luft des brutalen Geschäftsgiganten Neuyork. Sofort meldet sich der Praktikus:

Gute Sache!

Famose Idee. Richtig erfaßt! Die Zeitung würde verärgert lachen, brächte man ihr eine volkswirtschaftliche Abhandlung über diese Schwitzläden, denn längst schon ist dieses Problem von allen Seiten beleuchtet worden. Sie wird sich freuen dagegen über das lebendige Schildern eines Schwitzladenmädels und ihres Arbeitstags. Man muß das nur richtig sehen. Auf die Augen kommt es an. Und man überlegt sich in raschem, geordneten, zierlichen Nachdenken, wie das gemacht werden muß. Unter welchem Vorwand man den Schwitzladen aufsucht. Wie man mit dem Mädel spricht. Wie man sie behandelt. Scharf umrissen wie ein Programm liegt die Arbeitsaufgabe da. Da ist auch schon der Titel: »Ein Tag im Leben eines Schwitzladenmädels.« Und aus dem nervösen Suchen und Tasten wird helle Arbeitsfreude. So, nun rasch in den Klub. Hören und sehen, was vorgeht. Das Schwitzladenmädel hat keine Eile.

In wenigen Minuten ist man im Klubrauchzimmer, in dem man sich noch etwas mehr zu Hause fühlt, als selbst in der gemütlichen kleinen Wohnung im Montgomery. Der riesige Tisch in der Mitte des Zimmers, hoch bepackt mit den neuesten Zeitungsausgaben, mit Zeitschriften und Reviews, ist wie ein lieber alter Freund. Die weiten Korbsessel, schwellend mit vielen Kissen ein jeder, laden zur Beschaulichkeit. Der weißbejackte Diener macht eine knappe Verbeugung, die mehr ein halb vertrauliches und halb ehrfürchtiges Kopfnicken ist, und bringt ohne besondere Order den winterlichen Morgentrunk. Die Whiskykaraffe, ein Kännchen mit heißem Wasser, ein Tellerchen mit einigen Zitronenscheiben. Man schlürft schwachen toddy, raucht die erste Zigarre – Es ist ein stetes Kommen und Gehen in dem Raum von hastenden Menschen mit nervösen Gesichtern, die sich im jagenden Tagewerk fünf Minuten der Gemütlichkeit im weichen Sessel erhaschen wollen. Langweilige steife Formen gibt es hier nicht. Man nickt sich zu, spricht in kurzen knappen Worten, redet nur vom shop, von der Arbeit. Holloway kommt und setzt sich einen Augenblick zu mir.

»'was Neues?«

»Nein. Bei euch?«

»Wie üblich. Hast du Burtons Prozeßbericht gelesen? Glänzend! Gut für Dick!«

Und er beschäftigte sich angelegentlich mit seinem heißen Whisky. Ich greife nach der World, um Dicks Arbeit, die ich vorhin nur überflogen hatte, genau zu lesen. Sie ist ein Meisterwerk schildernder Kunst, von Leben sprühend. Man hört die Menschen sprechen, sieht sie sich bewegen, atmet die Atmosphäre der Tragik. Und man weiß, daß Dick Burton spät heute nacht, wenn die Zeitungen zur Presse gegangen sind und ihre Männer sich noch auf ein Stündchen im Klub versammeln, umjubelt werden wird wie ein Sieger. Amerikanische Journalisten kämpfen zwar heiß und bitter um den Tageserfolg, aber sie beneiden sich nicht gegenseitig in Scheelsucht. Sondern sie geben dem Mann der großen Leistung ein Bankett...

»Das Journal muß sich heute 'ranhalten!« grinst Holloway. Sein Lächeln ist ein wenig bittersüß. »Wir kommen sonst ins Hintertreffen. Hm, die Verhandlung beginnt um Elf. Da hab' ich gerade noch vierzig Minuten.«

»Machst du die Sache heute selber?«

»Ja. Jefferson und ich.«

»Kannst du mir eine Einlaßkarte für den Zuschauerraum geben oder verschaffen?«

»Für den Pressetisch, meinst du doch? Nein. Du brauchst aber nur den Gerichtsvorsitzenden um sein Visum auf deiner Visitenkarte zu ersuchen, das er dir gern geben wird. Wäre ja noch schöner! Gehst du aus Neugierde hin? Für dich ist dort nichts zu holen, old man

»Nicht am Pressetisch! Daß jede Zeitung dort doppelt und dreifach vertreten ist, weiß ich selber. Aber vielleicht im Zuschauerraum. Es ist mir beim Lesen von Dicks Arbeit und den anderen Stimmungsbildern aufgefallen, daß alles beschrieben worden ist, der Angeklagte, die Geschworenen, die Richter, die Menschenmenge im Zuschauerraum, nur nicht, was die Leute im Zuschauerraum sagen, was sie sich zuflüstern, welche Gesichter sie machen, was sie reden nachher draußen auf den Korridoren, wie sie sich gleichgültig gebärden, vielleicht oder tief erschüttert sind. Bei dieser Geschichte interessiert doch einfach alles, und wenn man schon –«

» Allright,« sagte Holloway kurz. »Können wir gebrauchen. Du machst das für uns. Hier, gib dem Gerichtsbeamten meine Karte und einen Fünfdollarschein. Deine copy muß spätestens um zwei Uhr fertig sein. Addio. Höchste Zeit!«

Und man stürmt hastend zum Gerichtsgebäude, denn in wenigen Minuten beginnen die Verhandlungen des dritten Tages dieses sensationellen Mordprozesses, der ganz Neuyork in Atem hält. Der Zuschauerraum ist schon vor einer Viertelstunde geöffnet worden und bis auf das letzte Plätzchen besetzt. Doch der türhütende Gerichtsbeamte hat großen Respekt vor der Visitenkarte des leitenden Redakteurs des Journal und inniges Verständnis für den grünen Fünfdollarschein. Die Türe öffnet sich ein wenig und man drängt sich, gepufft, geflohen, verwünscht, durch die eng aneinandergepreßten Menschen, bis ein Plätzchen in einer Ecke erobert ist. So – oh! Nun heißt es, ganz Auge sein und ganz Ohr. Sich schärfstens auf Beobachtung konzentrieren. Es ist elegantestes Neuyork, das sich da drängt, denn die Einlaßkarten sind schwer erhältlich. Auf einen Mann kommen mindestens fünf Frauen. Auf den Stühlen da sitzen Damen, die offenbar der guten Gesellschaft angehören, Damen in kostbaren Pelzen, wertvollen Straßenkleidern. Nur hören jetzt und schauen. Ein scharfes Glockenzeichen. Der Angeklagte wird hereingeführt, die Richter erscheinen, die Verhandlung beginnt. Sie ist im Grunde langweilig. Es handelt sich um Beweisaufnahme darüber, ob die vergifteten Seltzerpulver von dem Angeklagten gekauft worden sind, ob einer der vorgeladenen Apotheker den Angeklagten wiedererkennt, ob das Papier und der Bindfaden, in denen das Giftpaketchen eingehüllt war, über alle Zweifel identisch sind mit dem gleichen Papier und demselben Bindfaden, die im Hause des Angeklagten gefunden wurden. Doch von dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme hängt Leben und Tod ab. Dem Mann dort im eleganten Prinz-Albert-Rock mit dem energischen, sehr sympathischen Gesicht droht der elektrische Stuhl. Es ist totenstill geworden im Zuschauerraum. Diese verwöhnten Frauen haben nichts Weiches, nichts Weibliches mehr. Ihre Gesichtszüge sind straff angespannt. In ihren Augen ist die Gier nach der Sensation und irgend etwas, das fast an ein wildes Tier erinnert. Wie ein Keuchen geht es durch die stillen Reihen, wenn eine Aussage, das Wort eines Zeugen, die Frage eines Richters wichtig erscheint. Alle diese Menschen im Zuschauerraum spannen ihre Nerven an zum Zerreißen ... Und man schaut und schaut und prägt sich Gesichtszüge ein, und Äußerlichkeiten von Toiletten, und versucht zu erraten, was in diesen Gehirnen vorgeht. Da – der Drogist Soundso beschwört, dem Angeklagten häufig Seltzerpulver verkauft zu haben! Und seine Seltzerpulver nur sind in rosa Umschläge gehüllt!! Es sieht bös aus für den Angeklagten! Die Gesichter werden noch härter, die Augen noch gieriger, Frauenkörper beugen sich noch weiter vor, die Dünste der Parfüms vermischen sich mit scharfem Schweißgeruch, das Keuchen wird zu leisem aber messerscharfem Flüstern ... Plötzlich erhebt sich der Vorsitzende. Die Verhandlung wird aus irgend einem Grunde für ewige Stunden unterbrochen. Sekundenlang noch ist es still, denn die Hälse recken sich nach dem Angeklagten, der abgeführt wird, und starre Augen folgen ihm. Dann aber bricht ein Babel von Getöse los. Rücksichtslos drängen, schieben, stoßen die Damen zur Ausgangstüre, schwatzend, redend, zeternd. Die Gesichter sind knallrot vor Aufregung –

»Er hat's getan!«

»Ob heute noch das Todesurteil ausgesprochen wird?«

»Großer Gott – nie wieder nehme ich ein Seltzerpulver...«

»Darf man dem armen Mann Blumen in die Zelle schicken?«

»Er hat's doch nicht getan! Man braucht ihm ja nur ins Gesicht zu sehen, um das zu wissen. Maud!«

So schwirrt und flüstert und schreit es in grellen Stimmen und man läßt sich schieben und stoßen und strengt nocheinmal Auge und Hirn zum völligen Erfassen an. Jawohl, der Eindruck ist gepackt. Die Idee war der Mühe wert ...

Rasch ins Zeitungsgebäude, eine kurze Meldung bei Holloway, dann schreiben. Die Arbeit ist kinderleicht unter dem frischen Eindruck des Gehörten und Gesehenen, und kurz vor drei Uhr, gerade noch zur richtigen Zeit saust die fertige » copy« durch die pneumatische Tube von Holloways Schreibtisch hinauf in die Setzerei –

» Bye – bye, Holloway! Sei gut zu dir selber! Ueberarbeite dich ja nicht!«

» get out« ist die Antwort, »'raus mit dir!«

Und man besteigt die schwindelerregende Bestie von Expresslift in dem angenehmen Bewußtsein, einen interessanten Arbeitstag hinter sich zu haben. Worin man sich gründlich irrt. Zwar weiß man das noch nicht, aber schon vermischt sich im Unterbewußtsein mit dem frohen Gefühl getaner Arbeit das rastlose Weiterhetzen, die Sorge um neues Schaffen. Während das Lift abwärts stürzt, denkt man an das einem vorläufig unbekannte Mädel in dem vorläufig unbekannten Schwitzladen. Wie mag es aussehen, dieses arme Mädel? Wo ist der Laden, dessen geringste Kleinigkeit mit den Augen des Verstehens erfaßt werden soll?

Ruck, hält das Lift. Hm. Ja. Zweifellos würde der oder jener im Klub auch über diese Seite Neuyorker Lebens Bescheid wissen, aber man wird darauf verzichten, sich aus Kollegenkreisen Informationen zu holen. Das wäre nicht sportsmäßig. Bleibt das Adreßbuch, persönliches Suchen – hm, es ist im Grunde sehr einfach. War doch eine famose Idee! Große Sache, dieses Schwitzladenmädel ...

*

Der innere Mensch meldet sich verstimmt und hungrig, denn es ist drei Uhr nachmittags, und reichlich spät zum Lunchen. Rasch erst zum Barbier dort an der Ecke. Seine dampfend heißen Tücher, die er auf die empfindliche rasierte Haut auflegt, sein kribbelndes Shampoonieren mit behenden Fingerspitzen machen frisch und lebendig. Dann in die nahe Wallstreet, die Straße der Großbanken, der Börse, des Geldes, die jetzt schon tot, einsam, verlassen daliegt, während sich vor einer halben Stunde noch auf ihren Randsteinen spekulationswahnsinnige Menschen stießen und drängten, um von der flutenden Dollarluft ein Atemschnappen zu erhaschen. Dort in der Nebenstraße liegen enggedrängt die teuren kleinen Lunchrestaurants, in denen ich häufig speise, weil ich noch lange nicht genügend Amerikaner bin, um zur Mittagszeit meinen Magen mit eiskalter Milch und schwerverdaulichem Kuchen zu malträtieren, wie das der richtige Dollarmann tut. Freilich ist mein Essen amerikanerhaft genug. Es ist den aufgepeitschten Nerven ganz unmöglich, in Stille und beschaulicher Ruhe sich mit den Aufgaben des Augenblicks zu beschäftigen, dem Genießen von Speisen. Sondern ich stürze hastig den appetitanregenden Manhattan Cocktail hinunter, schon vertieft in die Seiten eines neuen Magazins – und ich kann auch nicht etwa geruhsam lesen! Weil der Zeitungsteufel einen nie verläßt und sogar beim Essen rumort. Ist der Artikel da gut gemacht? Ist er wirkungsvoll? Wie hättest du das geschrieben? Ich löffle die Suppe, ohne auf den Suppenteller zu gucken, eilig, denn es wird rasch serviert, greife nach den neuen Zeitungen, überfliege die Spalten, empfinde das Gebrachtwerden des Koteletts als Störung, lasse den Inhalt der winzigen Gemüseschälchen gedankenlos kalt werden, vermenge mechanisch das Glas Claret mit sprudelndem Sauerbrunnen.

Aus der Zeitung guckt ein eingebildetes Gesicht hervor, das blasse Gesicht des Schwitzladenmädels. Und da ist der eingebildete Laden. Mit dem Mann dort werde ich kurz, scharf, energisch sein, mich als Polizeimenschen ausgeben nötigenfalls; dem Mädel werde ich wunderschöne Blumen schenken und ...

Mein Auge gleitet mechanisch über den Finanzteil der Zeitung, für den mir das Verständnis mangelt und der mich eigentlich kaum interessiert. Es bleibt haften an einer krassen Ueberschrift in fetten Blockbuchstaben, und die paar Worte treffen mich wie ein Schlag:

»Cyrus F. Reddington verschluckt wiederum eine Eisenbahn!«

Es ist mir zwar unendlich gleichgültig, daß der Finanzmagnat eine Eisenbahn gekauft, ihre Aktien an sich gebracht, sie »verschluckt« hat, wie die Zeitung sich echt amerikanisch ausdrückt, aber ich bin entsetzt darüber, daß ich monatelang in Neuyork leben konnte, ohne auch nur ein einzigesmal an Frank Reddington zu denken und ärgerlich obendrein (der neuigkeitjagende Zeitungsteufel ist immer gegenwärtig!), daß ich eine so wertvolle Verbindung so völlig vergessen konnte. Das Schwitzladenmädel ist jetzt wie weggeblasen! Lustige Bilder steigen vor mir auf aus den lustigen Zeiten in San Franzisko, als Frank Reddington, der Milliardärssohn, und ich mit blutigen Händen verdammt salzige cods in das wertvollere Dasein eines Stockfisches hinüberhäuteten und schnitten. Und wie wir uns vorgekommen waren wie Fürsten damals, als wir die hart verdienten Dollars einstrichen, der Milliardärssohn und ich. Ob Franky wohl in Neuyork war? Heidi, was würde der für Augen machen! Zur Feier rasch ein Glas Sekt aus einer der winzigen Viertelflaschen, die für den amerikanischen Gebrauch besonders hergestellt werden in Frankreich, und dann zur First National Bank

Der Gang zu den Privatkontoren ist nicht etwa von einem einzigen Cerberus bewacht, sondern von dreien, die ich nacheinander zu passieren habe. Der erste versucht natürlich, mich zu bestimmen, mich mit meinen »Geschäften« an den » manager« zu wenden, und ist höflich und milde ungläubig, als ich erkläre, daß ich Mr. Reddington persönlich zu sprechen wünsche und ihm persönlich bekannt sei; der zweite macht ein bedenkliches Gesicht, nimmt mir aber wenigstens Hut und Ueberzieher ab; der dritte, offenbar ein Sekretär, haust in einem Vorzimmer und unterwirft mich der peinlichen Frage.

»Sie wünschen also Mr. Reddington persönlich zu sprechen?« sagte er.

»Jawohl.«

»Darf ich um Ihre Karte bitten?«

Er studiert die Karte, aber sie sagt ihm offenbar nichts Wissenswertes. Es ist ihm augenscheinlich unangenehm, aber er wird deutlich:

»Eh – es tut mir sehr leid, – aber Mr. Reddington senior ist verreist und Mr. Reddington junior nur in ganz dringenden Fällen zu sprechen. Ich muß Sie also schon bitten –«

»Mein Fall ist außerordentlich dringend!« sage ich. Und möchte am liebsten bis an die Decke springen vor Vergnügen. Kaum kann ich mir das Lachen verbeißen. Franky ist also wirklich in Neuyork, halleluja! Franky ist Bankmensch geworden! Franky ist in leitender Stellung und eine verfluchte Respektsperson!! – es ist einfach zum Schießen! Aber ich nehme gravitätisch meine Karte und schreibe darauf:

» On important business regarding the salted codfish trust of San Francisco – in wichtigen Geschäften betreffend den Stockfisch-Trust von San Franzisko!«

»Hm,« murmelt der Sekretär.

»Aber bitte!« sage ich pikiert.

Endlich verschwindet er mit der Karte, wahrscheinlich, um der Respektsperson zu berichten, da draußen stehe ein gemeingefährlicher Verrückter und Mr. Reddington solle doch lieber beim Fortgehen die Hintertüre benützen. Im nächsten Augenblick wird die Türe aufgerissen –

Und da steht Franky, der leibhaftige Franky, nicht um eine Spur verändert, packt mich am Aermel mit dem alten harten eisernen Griff, sieht mich einen Augenblick an aus den alten lustigen Augen, und sagt ernst zu dem Sekretär:

»Mr. Higgins, ich habe wichtige Dinge mit diesem Herrn zu besprechen und darf unter keinen Umständen gestört werden!«

Und da sitzen wir schon in dem vornehmen Privatkontor der Großbank hinter dick gepolsterten Türen und sprechen, wie hier wohl selten gesprochen wird –

»Jetzt will ich aber verdammt sein!« schreit Franky. »Bist du's wirklich, du verrückter alter Narr? Ist es auch wahr? Weshalb hast du nie etwas von dir hören lassen? Mann, wie geht's, wie geht's?«

»Einen Augenblick!« sage ich. »Ich muß erst nach Luft schnappen. Schämst du dich eigentlich nicht, so zu tun, als hättest du furchtbar viel Arbeit? Was treibst du? Bist du glücklich auch Milliardär? Solltest du auch einer von den Schurken geworden sein, die der armen Witwe ihren sauren Dollar vom Munde wegschnappen? Ich verkörpere die Macht der Presse, Franky dear, und ich rate dir, mir gegenüber recht vorsichtig zu sein. Alles, was du sagst, wird gegen dich verwendet!«

Frank grinste. Das alte lustige Grinsen.

»Was ich tue? Ich tue das, was der Alte mir sagt, und zwar möglichst plötzlich. Jawohl, das wäre so ungefähr meine Stellung in der alten Bank! So! Erst erzähle du! Ogottogott – wenn ich an die alten Stockfische in Frisco denke ...«

Und er hält mir lachend zwei weiße, wohlgepflegte, schlanke Hände entgegen, und ich lache auch und strecke zwei weiße, wohlgepflegte Hände aus. Und dann tanzen wir im Zimmer herum, gebärden uns wie Verrückte, und versichern uns gegenseitig, ein über das andere Mal, daß die Stockfischzeiten in San Franzisko doch etwas Schönes waren und etwas Unvergeßliches sind. Franky, ist – ihr Götter! – Schatzmeister der Bank und bezieht einen Gehalt, über den ein europäischer Minister vor Neid erblassen würde und über den ich die Augen weit aufreiße. Dagegen ist der kleine Reporter freilich noch der reine Stockfischarbeiter! Eine geschlagene Stunde lang reden wir und schreien und lachen, bis schließlich keiner von beiden mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Franky beneidet mich, weil ich den Krieg mitgemacht habe, ist baff über den Signalkorpssergeanten, ist begeistert über das freie Zeitungsleben – ich beneide ihn um die Macht seiner Stellung und seines Geldes, bin baff über das Vermögen, das er sich durch eigene Operationen (bei Gott, Operationen sagte er!) schon verdient hat, bin begeistert über das Arbeiten in der Hochfinanz, von dem er erzählt – und offenbar findet der eine immer gerade das schöner, was der andere erlebt hat! Sintemalen der Zeitungsteufel immer gegenwärtig ist, vergesse ich nicht, mit Franky zu verabreden, daß ich die unterirdischen Stahlkammern der Bank besichtigen darf. Denn so 'was lesen die Dollarneuyorker furchtbar gern. Und dann kommt ein vornehmer alter Herr, sehr gemessen, sehr würdevoll, und bringt in einer roten Maroquinmappe Briefe zur Unterschrift. Der Respektsperson! Dem Stockfischarbeiter von ehemals! Rasch verabreden wir uns noch, heute abend zusammen bei Delmonico zu dinieren –

Eine verrückte Welt!

Ich freue mich auf den Abend wie ein Kind und schlendere seelenvergnügt den Broadway hinunter. Das Schwitzladenproblem ist vergessen für den Augenblick. Ich lache nur immer vor mich hin und habe gar keine Lust, an ernsthafte Dinge zu denken.

Aber das Tagewerk ist doch noch nicht vollbracht, so will es der Zufall. Eine Krawatte in einem der Schaufenster des großen Warenhauses da lockt mich, und ich gehe gedankenlos mit den anderen Menschen hinein, die sich um den Eingang drängen, um sie mir zu kaufen. Fast gewohnheitsmäßig bleibe ich unten in der Halle einen Augenblick lang stehen, mir das Gewühl zu betrachten, denn ich habe immer etwas übrig gehabt für diese Riesenwarenhäuser. Das ist fast vollendete Organisation. Es klingt und schwirrt und saust über die Drähte, die wie ein Telephonnetz die Räume überspannen. Körbchen fliegen fortwährend an ihnen hin und her. Jedes Körbchen enthält das Geld eines Kunden, die Ware, die er gekauft hat, und seine Rechnung. Es saust in den Kassenraum da oben im ersten Stock und kommt in einer Minute wieder zurück über den Draht, mit eingewickeltem Paket, quittierter Rechnung, und herausgegebenem Kleingeld. Sie haben mir immer imponiert, die Warenhäuser und ihre Art. Da sehe ich oben bei der Galerie des zweiten Stockwerks eine dichtgedrängte Menschenmasse und höre, daß es da oben sehr laut und lärmend zugeht. Sofort wird der neugierige Zeitungsmensch lebendig. Was ist da los?

Ich springe die Treppe hinauf – es ist nicht der Mühe wert, das Lift zu benutzen – und sehe von der Decke herab Riesenplakate in grellen blauen Buchstaben hängen:

» Easter hats

Osterhüte!

Unter diesen Plakaten stehen Tische neben Tischen, bergehoch mit Damenhüten bedeckt, Osterhüte genannt, weil auch die ärmste Amerikanerin zum österlichen Frühlingsfest einen neuen Hut haben muß – und zwischen diesen Tischen spielt sich eine Schlacht ab! Eine Amazonenschlacht!

Sie sind aneinandergedrängt wie Sardinen in einer Büchse, diese bunten Flecke, die Mäntel, Blusen, Kostüme, Winterhüte bedeuten, und hinter denen vermutlich Frauengesichter und Frauengestalten stecken. Aber das wogt und wirrt so hin und her, daß man wirklich nichts sehen kann als bunte Flecke, rasch sich bewegende Farbenkleckse. Einen Augenblick lang kämpfe ich mit aufsteigender Feigheit, dann aber stürze auch ich mich in das Gewühl.

Teufel, die bunten Flecke sind lebendig. Mehr als lebendig!

Bums – habe ich einen Rippenstoß weg, der mich rachsüchtig auffahren läßt. Ihm folgt, wie der Donnerschlag dem Blitz, ein zweiter, ein dritter, ein vierter – ich werde gepufft, gestoßen, geknufft, wie mir das schon lange nicht mehr passiert ist. O – ho! Ich bin gar nicht mehr rachsüchtig. Aus Verstandesgründen. Dieser elementaren Gewalt gegenüber scheinen mir meine schwachen Männermittel untauglich – ich ziehe nur meine Ellbogen krampfhaft in die Höhe und an mich, um die empfindlichen Weichteile zu schützen. Ich bin sogar sehr vergnügt – au, das war wieder ein niederträchtiger Puff – denn das gibt doch eine wirklich ulkige Geschichte für die lustige Sonntagsbeilage ... au, Donnerwetter! Absichtlich lasse ich mich ohne eigenen Willen weiterpuffen, um meine Gefühle ganz echt zu genießen und später ja nicht zu übertreiben. Man tut das so leicht als Zeitungsmensch! Gottseidank, die Echtheit läßt nichts zu wünschen übrig! Ich verspüre die spitzen Ellbogen mit vollendeter Deutlichkeit.

Weshalb, warum jedoch werde ich so gepufft und so gestoßen?

Nur langsam begreift mein männlicher Intellekt den Witz der Sache. Hm. Hüte zu betrachten und Hüte auszuwählen, mag zwar ein Gedränge verursachen, aber keine Schlacht. Hm. Doch, jetzt hab' ich's.

»Dies ist mein Hut!« schreit ein Krimmermantel.

»Sie haben ihn mir ja aus der Hand gerissen!« erwidert entrüstet die Astrachanjacke.

Sie funkeln sich giftig aus schillernden Katzenaugen an – und ich habe endlich verstanden! Unter diesen Hüten sind manche außerordentlich preiswert, lockspeisenhaft billig, halb geschenkt und – gerade diese Hüte herauszufischen, ist offenbar der Zweck der Uebung! Da stolziert eine schlanke Brünette einher. In der linken Hand hält sie ein blumenbesätes Ungetüm hoch über ihren Kopf und mit der rechten pufft sie sich freie Bahn, um in der neutralen Zone da drüben eine Verkäuferin zu finden, die das Geschäft perfekt macht. Ich bekomme einen Nasenstüber von ihr und sie tritt mich kräftig auf den Fuß ...

Es ist einfach unbeschreiblich.

Man drängt sich, pufft sich, balgt sich um die Hüte, aber – und das ist für mich gewöhnlichen Mann das völlig Unbegreifliche – in dieser bissigen, echten, richtigen Balgerei werden die Hüte selber behandelt wie Zucker! Wie rohe Eier. Wie Wertpapiere. Sie reißen sich die bargains, die billigen Lockhüte, zwar gegenseitig aus den Händen, diese Hyänen des Warenhauses, aber mit spitzen Fingern und verflucht vorsichtig. Hm, ich habe wohl alles gesehen. Jetzt will ich auch einmal ein bißchen drängeln, weil sonst mein Ehrgefühl leidet. Doch auf dem Weg zur Freiheit sehe ich erst das Allerschönste.

An dem hochbeladenen Ecktisch dort werde ich auf einmal links zur Seite gedrängt von einem süßen kleinen Geschöpfchen, und als ich mich verblüfft umwende, hilft ein zweites Geschöpfchen energisch nach, während ein drittes mich endgültig noch weiter wegbefördert. Ich recke den Hals. Was ich da sehe, ist doch der Gipfel!

Das – ist – der Oster-hut-trust!

Die Mädels da um den Ecktisch sind offensichtlich Freundinnen und operieren auf gemeinsame Rechnung und mit gemeinsamen Kräften zum Schaden der Outsider. Wie eine Kette umringen sie den Tisch, und keiner kommt 'ran, bis sie sich nicht in aller Gemütlichkeit alles beschaut und den richtigsten, den passendsten, den süßesten Osterhut ausgewählt haben ...

Alle Hochachtung!

Ich bin wieder in der Freiheit. Grinsend betrachte ich das wimmelnde Gewühl, die gierig zugreifenden Hände, die tanzenden bunten Flecke. Und ich überlege mir, daß ein schöner Titel wäre:

»Die wilden Weiber des Warenhauses«

– stelle aber errötend fest, daß man auf gar keinen Fall eine Amerikanerin ein wildes Weib nennen darf, selbst wenn das süße Geschöpf auch einmal ein bißchen spektakelt. Der Titel heißt:

»Der Kampf um den Osterhut!«

»Nein, das ist nicht schön genug. Der Titel muß heißen:

»Wie ich meiner Frau einen Osterhut kaufen wollte!«

Da kann man so schön dazulügen.

Im Montgomery erzählte ich die Geschichte Flossy, nicht ohne schön dick und farbig aufzutragen, wie das mein Beruf ist.

»Das ist nichts für Männer,« sagt Flossy trocken. Sie hat keine Spur von Verständnis und keine Ahnung von Humor. »Bei einem so billigen Verkauf muß man doch eben rasch zugreifen. Eigentlich hättest du mir einen Hut mitbringen können. Diese Männer sind zu ungeschickt!«

»Ich hab' einen wunderschönen für zwei Dollars dreiundneunzig gesehen,« sage ich boshaft.

»Warum hast du ihn dann nicht mitgebracht?«

»Eine von den girls hat ihn mir aus der Hand gerissen.«

»Zu dumm!«

Und ich lache vor mich hin, stürze mich in den Smoking, der im Lande der angeblichen Freiheit eine Unerläßlichkeit ist, wenn man Restaurants wie Delmonicos besuchen will, und sitze eine halbe Stunde später Franky gegenüber an einem der winzigen Tischchen des berühmten Neuyorker Schlaraffenheims. Es war ein toller Abend, der mit Cocktails begann, mit furchtbar viel Mumm endete, und mit schrecklichem Gerede erfüllt war. Aber er war wunderschön. Beim Nachhausegehen sahen die Wolkenkratzer beängstigend wackelig aus und der schnurgerade Broadway merkwürdig schief. Aber an das Schwitzladenmädel dachte ich doch noch. Nur nicht so recht praktisch, sondern ich sah mich als großen sozialen Reformator, umjubelt von Abertausenden dankbarer Menschen. Sie arbeiteten jetzt in großen luftigen Sälen und nur sechs Stunden im Tag. Sie hatten ihren Lohn verdoppelt bekommen. Alles durch mich!

Es ist etwas Merkwürdiges um die Träume von Weingeistern und Zeitungsmenschen ...

*

So sah einer von den fröhlichen Tagen im Leben des Zeitungslandsknechts aus. Es gab aber auch unfröhliche Tage, in denen die nervöse Hast keinen Erfolg brachte, keine Arbeit, keinen Eindruck.

In ihrer Gesamtheit waren diese Tage, diese Wochen, diese Monate ein Stück Leben, wie ich es niemals schöner erlebt habe. Ein Geldverdienen zum erstenmal, das über kleine Tagesnöte weit hinausragte; Selbständigkeit, immer wieder neue Begeisterung. Ich fühlte mich ganz als Amerikaner, ganz als amerikanischer Zeitungsmann, und war glücklich!

Aber ich glaube, Dick Burton hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er einmal sagte:

»Deine Sachen haben etwas merkwürdig Fremdes. Unamerikanisches! Und gerade deshalb sind sie interessant!«

*

Fremd oder nicht fremd – amerikanisch oder unamerikanisch – wie das nun sein mag – aber gerade diese Neuyorker Landsknechtszeiten haben mir den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht gegeben, das Bleibende, das Mittelpunktige in einem bunten Leben:

Den Zeitungsinstinkt!

Wenn heute üble Laune mich plagt, der schwarze Mann hinter mir auf dem Lebenspferde sitzt, die Dinge des Tages mich schinden, dann gehe ich zu ihr – zur Zeitung...

Dort nehmen sie mich auf als Freund und Bruder. Und ich werde jung, jung wie ich als Zwanzigjähriger war, wenn unter mir der Boden von Rotationspressen erzittert, und meine Nase die frische Druckerschwärze einatmet, und die Redaktionsteufelchen hin und her laufen mit den schmalen Streifen nassen Papiers, und Dutzende von Leuten einen in jedem gesprochenen Satz zweimal unterbrechen. Die Götter sind immer gütig, wenn's einem so recht erbärmlich zumute ist, und schenken ganz gewiß dem Zeitungsmenschenhirn die Fähigkeit, eine Arbeit für die Zeitung zu ersinnen. Einen Ueberlandflug im Zeitungsdienste, oder eine Zeppelinfahrt, oder ein Hafenabenteuer. Und dann kommt, belebend und erfrischend wie verjüngender Jungbrunnen, das alte Hasten, das liebe Hetzen. Die Arbeit, das Erfassen des Bildes, das begeisternde Sichhineinfügen, das Geizen mit den Minuten, die rasende Fahrt im Automobil zur Redaktion, die lange Nacht im fröstelnd kalten Redaktionszimmer des nächtlich stillen Gebäudes, das Ankämpfen gegen eilende Zeit in jagendem Schreiben Zeile um Zeile. Das unsinnige Rauchen – das Herbeischleppen von Krügen Pilsener Biers durch den schmunzelnden Nachtportier.

Und dann fährt man im Morgengrauen nach Hause mit zerrauchter Kehle und zerrütteten Nerven, aber überselig, wieder einmal im alten Geschirr gearbeitet zu haben. Man ist doch wie jener alte Droschkengaul, der die Nüstern bläht und galoppierend durchgeht, wenn auf dem Manöverfeld bei der Straße die lustigen Trompeten zur Attacke schrillen. Einmal ein Zeitungsgaul, immer ein Zeitungsgaul...

Ja, es ist eine schöne Sache um die Einbildung!

Mindestens zehnmal in diesem Jahre habe ich – beinahe schon scheint's eine alte gemütliche Gewohnheit – mir vorgenommen, ein für allemal und endgültig zur Zeitung zurückzukehren, um ebensooft den Kuckuck dergleichen zu tun. Ich lachte dann jedesmal, und ein lustiges Grauen packt mich und ich denke an das Landsknechtjahr in Neuyork. Nein: solch ein Jahr konnte nur die Jugend erleben. Es ist aus damit. Bleibt noch das Saugen an den Hidigeigeipfoten der Erinnerung, und das Lachen.

Wie schön sie doch waren, diese Zeiten, und wie sonderbar! Es war für absolut nichts Platz in dem Gehirn von damals als für Dinge der Zeitung: es gab einfach nichts anderes im Leben. Ich habe im Laufe eines ganzen Jahres ganz gewiß nicht mehr als zehn Bücher gelesen, denn das war doch offenbare Zeitverschwendung, und von den vielen Menschen, die ich kennen lernte, interessierte mich kaum ein einziger um seiner selbst willen. Was konnte der? Was wußte jener? Was hatte dieser zu erzählen? War da etwas daraus zu machen? Die Politik war wunderschön – wenn sich aus ihren Tagesereignissen ein Anhaltspunkt für Zeitungsarbeit ergab; schaffende Männer begeisternd interessant – wenn sie einem etwas zu erzählen wußten, das für die Zeitung zu gebrauchen war; das ganze polternde Neuyorker Leben nur dazu da – damit man darüber schreiben konnte! Verrückte Zeiten waren es von einer so völligen Abgeschlossenheit in ihrer Arbeitsart, daß es einen seltsam anmutet im Erinnern. Im tiefsten Grunde war man nicht viel besser daran als der Arbeiter, der tagaus, tagein, und Jahr für Jahr immer das gleiche Stahlteilchen poliert. Die Zeitung fraß einen auf mit Leib und Seele. Sie nahm hin, was man selbst hätte erleben sollen; sie machte einen zu einer Art unpersönlichen Zwischenträgers. Sie ließ Raum für nichts.

Man war der Zeitung verfallen mit Haut und Haaren!


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