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Das Ende des letzten Streichs

Endlich am Strand. – Der Dampfer wartet. – Das überfüllte Boot. – Jack und ich bleiben zurück. – Der Dampfer läßt uns im Stich. – Das Kriegsschiff der Vereinigten Staaten. – Wir geben Raketensignale, und ein Boot holt uns ab. – Der Marinekadett verhaftet uns. – Ein altes Gesicht. – Eine kleine Ohnmacht. – Der Wahnsinn der Wirklichkeit. – Wie durch Billys Hilfe sich alles in Wohlgefallen auflöste. – Das Nebelhaft ... – Wie schön es ist, etwas nicht zu wissen –

Die Anwandlung von Schwäche war im Augenblick geschwunden.

Denn da weitete sich der Pfad, und wir waren im niederen Gestrüpp, und der Strand lag knallgelb da, und er war einsam, und greifbar nahe fast schaukelte der Dampfer in leichtem blauen Wellengang, und dicht bei der Strandlinie wartete das Boot. Ein brüllendes Hurra! donnerte durch die Luft.

»Ruhe!« schrie ich. »Ihr könnt auf dem Dampfer brüllen! Schnell!!«

In wenigen Minuten war die Bahre mit dem Kranken durch's seichte Wasser getragen, ins Boot gehoben – Männer wateten hinterdrein – kletterten über Sitze ...

»Halt!« rief der Bootsmann. »Höchstens noch einer!«

Haveland, der am nächsten war, wurde ins Boot gezogen. Jack und ich blieben zurück. –

Das alles spielte sich blitzschnell ab.

»Wir holen euch in zwanzig Minuten.« rief Haveland noch.

*

Ich hockte mich in den Sand hin und starrte gleichgültig dem abfahrenden Boot nach, denn mir war schwach und elend zumute. Kein weißer Mann kann in einem Tropenklima seine Kräfte bis aufs äußerste anstrengen, ohne sehr bald zum Ende zu gelangen. Die Luft flimmerte und zitterte. Die Sonne brannte erbarmungslos. Mein einziger Gedanke war: »Wenn ich nur schlafen dürfte ...«

Plötzlich pfiff Jack schrill durch die Zähne.

Ich sah auf. Das Boot war halbwegs zwischen Strand und Dampfer. Aus dem Schornstein der City of Hartford qualmten auf einmal schwere schwarze Rauchwolken – und – dort am Horizont kräuselte über einem hellen Fleck eine zweite Rauchwolke empor. Der helle Fleck wurde zusehends größer, die Rauchwolke deutlicher, schwärzer ...

»Noch 'n alter Dampfer!« murmelte ich schläfrig.

Mechanisch suchte ich die Strandlinie nach links und nach rechts mit den Augen ab, denn ich fürchtete die Küstenwachen, die eigentlich durch unsere Raketen alarmiert sein mußten. Nein; da war niemand. Der helle Fleck wurde weiß; zeigte die schlanken Linien eines Schiffes. Im gleichen Augenblick schien es mir, als ob die Lage der City of Hartford sich verschiebe, und zwanzig Sekunden später konnte ich nicht daran zweifeln, daß der Dampfer in voller Fahrt nach Norden abdampfte.

» They've left, us!« schrie Jack, wütend aufspringend. »Diese hündischen Söhne von Feiglingen lassen uns im Stich!«

» Exactly!« sagte ich ganz ruhig – in meinem Kopf war wohl etwas nicht völlig in Ordnung – »und es tut mir nur leid, daß wir keine Winchesters haben. Die Colts tragen nicht so weit. Hätte ich meinen Winchester, so würde ich die Herrschaften auf der Brücke dort sehr krank machen.« – Mühsam spähte ich durchs Glas nach dem näherkommenden weißen Fleck. – »Sei ein guter Junge, Jack, und schneide mir zwei Stöcke für Raketen. Die Sterne und Streifen habe ich deutlich gesehen – weiß ist das Dings auch – ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht ein Kanonenboot der Vereinigten Staaten ist – deshalb sind die Hunde auch ausgekniffen – und ich will's lieber mit Onkel Sam zu tun haben als mit der dreckigen Gesellschaft, die uns jeden Augenblick über den Hals kommen kann – wir wollen zwei Raketen feuern, mein Junge!«

Eine fürchterliche halbe Stunde des Wartens.

Nun war er da, der schlanke weiße Dampfer. Eine Meile weit ungefähr draußen. Mit zitternder Hand zündete ich die Lunten an, und die Feuergarben sprühten in die Höhe ... Wir waren wohl beide ein bißchen toll, denn wir rannten wie Verrückte am Strand auf und ab, und knallten Schüsse in die Luft, so schnell wir laden konnten – und brüllten wie besessen, denn vom Schiff löste sich ein dunkler Fleck – kam schnell auf uns zu ...

»Amerikaner! Dachten wir uns!« krähte eine Kinderstimme –

»Was war das für 'n verdammter Dampfer, der da wegfuhr?« –

»Was für 'n Höllengeschäft habt ihr hier?« –

»'rein ins Boot!« –

»Sie sind unter Arrest!« –

»Her mit den Revolvern!« –

»Wir werden Sie schon fixen!«

– Es ging alles sehr schnell. »Sie sind unter Arrest!« kreischte zum drittenmal der kindergesichtige Marinekadett, der das Boot kommandierte.

»Das ist mir ver–verdammt an–angenehm ...« stotterte ich totmüde, und doch grinsend. »B–besten Dank!– –«

Und dann waren wir auf einmal an einer weißen Schiffsseite, und irgend jemand half mir die Stufen einer Kriegsschifftreppe empor, und da standen, höchst undeutlich für mein Auge, Herren in Uniformen und insbesondere eine Gestalt in weißem Flanell, mit einem Gesicht, das mir außerordentlich bekannt vorkam, einem lieben alten Gesicht –

»Guter Gott! Bist du's!« rief es aus dem alten Gesicht.

»Der Kerl sieht wie Billy aus,« stammelte ich, sehr hörbar. »Jawohl, ich bin es! Ich – der blödsinnigste verdammte Narr seit Erschaffung dieser verrückten Welt – – –«

»Amen!« sagte eine alte, liebe Stimme.

Hierauf – sonderbar – bin ich wohl zusammengebrochen...

*

Oh ja, die Wirklichkeit ist immer etwas Wahnsinniges.

Das Schiff war der Vereinigte-Staaten-Zollkreuzer »Albatros« (sagen wir) – das Schiff heißt nicht »Albatros«, und Haveland heißt durchaus nicht Haveland, und Matthews hat einen ganz anderen Namen als Matthews; aber was bedeutet schließlich ein Name? – und, wie verrückt doch die Märchen der Wirklichkeit sind! Mein alter Billy vom Schienenstrang, mein lieber Rauher Reiterleutnant, war – neuernannter Konsul der Vereinigten Staaten für Belize, einem verdammten Hafennest des britischen Honduras, und gondelte vorher im Karibischen Meer noch ein bißchen herum, weil ein amerikanischer Konsul eine Respektsperson ist und besonders weil der Kapitän des Zollkutters der Mann seiner Schwester war! Die Wirklichkeit ist wahrhaft verrückt.

O, es löste sich alles in Frieden und Wohlgefallen auf.

Ich erzählte Billy haarklein, wie sich das alles zugetragen hatte (wenn der Teufel Haveland zu holen gedachte, so hatte er entschieden meinen Segen!) und der Rest war ein großes Gelächter.

»Offiziell weiß ich von nichts!« sagte Kapitän – nun, wenn ich einen Namen nennen wollte, müßte ich doch lügen.

»Ich garantiere, daß er den Mund hält!« warf Billy ein.

Und ich nickte, und so wurde die Sache als Zeitungswert auch noch versaut ...

Muß ich erwähnen, daß Billy und ich uns Geschichten erzählten, die siebenundzwanzig dicke Bände gefüllt hätten? Muß ich angeben, daß Jack einen saftigen Anteil von den englischen Sovereigns des guten Haveland erhielt? Ist es nicht selbstverständlich, daß das Schiff uns in Port Kingston, Jamaika absetzte, und daß wir am gleichen Tag Plätze auf dem Postdampfer nach Neuorleans belegten?

*

So endete die Expedition ins Nebelhafte.

Sie ist hingeschrieben worden nach dem Erinnern der Wirklichkeit, wie die Bilder eines Films aus der Wirklichkeit aufgenommen werden. Es fehlt nur der erklärende Verbindungstext der Lichtspielbühne ...

Und damit hat es seine Bewandtnis.

Vor einigen Monaten war ich auf dem Sprung, nach London zu fahren und aus den ausgezeichneten amerikanischen Zeitungsregistraturen des Britischen Museums die Wechselwirkung zwischen venezolanischen Verhältnissen und Maßnahmen des interessierten amerikanischen Kapitals zu der genauen Zeit meines letzten lustigen Streichs festzustellen. Vielleicht hätte sich dann nach Wochen mühseligen Suchens ein Anhaltspunkt ergeben. Diese oder jene Tatsächlichkeit, die eine erklärende Kombination ermöglicht haben würde... Ohne Zweifel standen hinter dem Mann, den ich Haveland nenne, bedeutende Geldinteressen, denn unsere Flibustierfahrt muh Unsummen gekostet haben. Feststeht ferner, daß der wirkliche Interessent die Amerikanische Asphalt-Kompagnie war. Obendrein spielte sich unsere Fahrt kurz vor den internationalen Verwicklungen mit Venezuela ab, über deren einzelne Gründe Belege existieren –

O ja, man hätte kombinieren können!

Aber am Ende erschien es mir häßlich, die lustige Romantik der Wirklichkeit mit grauer Theorie und öden Erklärungsversuchen zu belasten. Das Geschehen muß für sich selbst reden. Ich fuhr nicht nach London. Ich bin es zufrieden, mir lachend zu sagen, daß ein kleines Geheimnis doch viel schöner ist als nüchternes Wissen – in diesem besonderen Fall! Ich habe für einen klugen und gerissenen Mann die Kastanien aus dem Feuer geholt – leichtfertigst meinen Hals riskiert (wofür ich heute noch eine gewisse Vorliebe habe!) – mich um das Naheliegende, Selbstverständliche, Praktische überhaupt nicht gekümmert – einem grotesken Abenteuer in die Zähne gelacht – und ich möchte, daß mir die Erinnerung so bleibt, wie sie ist. Echt! Unverwässert! Ich will gar nicht wissen, was mit der City of Hartford geschah – und ob Castro die bestechenden Schnellfeuergeschütze wirklich bekam – und wie dieser Spitzbube von Haveland sich endgültig aus der Affäre zog ...

Denn es ist manchmal sehr schön – etwas nicht zu wissen!


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