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In Venezuela

Auf dem Karibischen Meer. – Das Erschlaffende der Tropenfahrt. – An Ort und Stelle. – Die geheime Landung. – Der Fußpfad im Urwald. – » Santa madre de Dios«. – Das einsame Haus. – Der kranke Mann darin. – Wie Percy F. Matthews und Fred Haveland sich einigten. – Zurück zum Dampfer. – Wir werden beschossen. – Geplänkel im Urwald. – Die Raketen. – Weiter, weiter!

Stampfe – stampfe ...

Und mit den Seemeilen rollten die unerträglichen Tage dahin, gefolgt von den unerträglicheren Nächten. Dann und wann tauchten, wie frei schwebend in der Luft, im glasigen Himmel Inseln und Landstrecken auf, undeutlich, nebelhaft, wolkenartig, oder ein Schiff in der Ferne wie eine vorbeihuschende Erscheinung – aber immer da waren die Unbarmherzigkeit der Glutsonne des Karibischen Meeres und die Schlaflosigkeit der feuchtschwülen Nächte. Ein wüster Traum der Trägheit schien das Leben und ein zu hassender Feind die ewig glatte Wassermasse: ekles Einerlei ihre ewig gleiche Bläue. Man schwankte auf Deck des Morgens nach fiebriger Schwitznacht, berührte eine glühendheiße Reeling, ließ sich stöhnend in den Dampferstuhl fallen, dessen Brettchen so heiß waren wie die Lagerstätten eines türkischen Bades: man rauchte, man trank gierig eisgekühlte Getränke, fast nichts essend, man verträumte im Halbschlaf den Tag im Dampferstuhl. Ungeheuerliche Willenskraft gehörte dazu, zu sprechen, ohne dem Menschen, mit dem man sprach, eine Beleidigung ins Gesicht zu schleudern; übermenschliche Anstrengung erforderte es, die Pflichten des Bemutterns den sechzehn Männern gegenüber zu erfüllen, die vorne am Bug auf Decken und Matratzen herumlagen, spielend, sich zankend, knurrig wie Hunde. Ich ließ aus Revolvern auf die zierlichen Delphine schießen, die um das Schraubenwasser spielten und die farbenglitzernden Leiber mit Blitzesschnelle umherschleuderten, aber es war träger Sport und schlechter Sport, und den Fischen geschah kein Leid; ich ließ die Leute sich gegenseitig mit Seewasser übergießen und machte Scherze dabei, über die weder ich selbst noch irgend jemand anders lachte; ich verteilte Kleider, ließ Waffen probieren, hielt Besprechungen ab, schlichtete Streitigkeiten, erzählte Geschichten – und tat das alles wie im Halbschlaf; wie eine Maschine, wie eine Uhr, die ihre aufgezogene Federkraft abschnurrt.

Das änderte sich mit einem Schlag.

Wir saßen abends im Kartenraum; Boardmann, Haveland, ich. Schweigend. Rauchten grüne Jamaikazigarren. Der Kapitän zeichnete den Kurs des Tages in die Karte ein.

» Well, meine Herren,« sagte er plötzlich in seiner wortkargen Art, »wir schaffen's bis vier Uhr früh; sagen wir viereinhalb Uhr!«

»Gottseidank!« schrie Haveland, aufspringend. »Besondere Orders?« fragte der Kapitän.

»Nein. Wie verabredet. Andampfen, sofort landen, zurück aus Sicht, und warten. Das Signal ist eine Rakete.«

» Very good,« sagte Boardmann und verschwand.

»Das weitere kommt auf die Umstände an,« erklärte mir Haveland. »Ich kenne hier jeden Steg. Wir entscheiden von Schritt zu Schritt. Im voraus beraten, ist Unsinn. Oh, ich vergaß.« Er holte eine Kassette aus der Kajüte. »Steck' dir diese englischen Sovereigns ein« – eine Handvoll Gold war es –. »Sie sind das beste Geld hierzulande.«

» Allright,« nickte ich. »Aber –«

»Nicht reden, bitte,« stieß Haveland hervor. Er sah müde und alt aus.

Mir aber war zumute, als sei ich durch einen elektrischen Impuls urplötzlich wieder frisch, lebendig, stark geworden. Es war ertötend schwül. Ich jedoch glaubte wirklich, einen frischen belebenden Luftzug zu verspüren – ich war ein anderer mit einemmal – ich hätte jubeln können ...

»Gut Glück!« rief ich lachend. »Gut Glück. Haveland!«

»Dummes Zeug, dummes Zeug,« brummte er. »Schlafe lieber noch.«

Und er warf sich auf das Banksofa rechts, ich auf das Banksofa links. Kurz nach drei Uhr morgens weckte ich Jack und sagte ihm in wenigen Worten, es sei soweit. Dann holten wir die anderen aus den Kojen. Die elektrischen Glühbirnen hatten wir angedreht, vorher aber eine Decke über die Türe gehängt, denn das Schiff fuhr ohne Lichter. Alles lag gebrauchsfertig da; die Revolver, die Patronenschachteln, die sackartigen Feldtaschen mit Zwieback, Konserven, Zitronensaft in Zinnbüchsen gefüllt, die Feldflaschen mit einer Mischung von Tee, Rotwein, Eis, vom Steward zurechtgemacht. Auf dem schwingenden Tisch standen Gläser, eine Kanne mit starkem Kaffee, Teller mit Brot. Fleisch, Aepfeln, eine Flasche Whisky, und – etwas sehr Wichtiges – ein Medizinfläschchen mit Chininpillen.

»Essen!« sagte ich kurz. »Drei Finger Whisky für jeden Mann und eine Chininpille. Wir landen in einer halben Stunde. Es wird nicht gesprochen. Befehle werden nur von mir gegeben, und nichts wird ohne Befehl getan. Verstanden?«

» Yes, sir – yes, sir – yes, sir – –« rieselte es um den Tisch.

»Eure Revolver habt ihr nur zu dekorativen Zwecken. Dies ist ein Picknick. Wer ohne Order schießt – verstanden?«

» Yes, sir – yes, sir –« rieselte es wieder.

»Hat irgend jemand irgend etwas zu sagen?«

» Hu–rräh!« begann Jack, aber ich hob rasch die Hand. Dies war nicht die richtige Zeit, zu lärmen –

Die Schiffsschraube hörte zu arbeiten auf. Ich drehte das Licht ab. und wir stiegen an Deck. Das große Boot hing ausgeschwungen in den Davits. Haveland stand neben dem Kapitän auf der Brücke und starrte durch ein Nachtglas zu der dunklen Nebelmasse hinüber, die von Minute zu Minute schärfer in ihren Umrissen wurde und bald Hügellinien und schwarze Wälderflecke erkennen ließ. Dann wurde es in fast grellem Uebergang lichter. Wenige hundert Meter vor uns lag einsamer sandiger Strand, von dem jäh steile Hügel aufstiegen.

»Gut!« sagte Haveland. »Alles korrekt. Richtiger Platz. Geben Sie den Befehl. Boardmann!«

Das Boot glitt rasch der knallgelben Strandlinie zu. Haveland, der neben mir im Heck saß, nahm das Glas kaum von den Augen.

»Siehst du den Einschnitt bei dem Gestrüpp dort?« flüsterte er. »Die braune Linie? Das ist unser Weg. Früher waren hier Baracken der Küstenwachen. Sind jetzt verlegt. Die dunklen Punkte dort, ganz weit rechts. War schon dreimal hier. Waffen gelandet. Der Fußpfad führt fast schnurgerade hügelan, durch Urwald, drei Meilen weit, bis zu einer Rodung, die vor fünfzehn Jahren ein verrückter Kalifornier anlegte, um sich da ein einsames Haus zu bauen. Haus ist noch da, allright. Dort sitzt unser Mann. Gegend ist im übrigen nicht zu gebrauchen, weil oben auf dem Plateau sumpfig, aber uralter Rendezvousort für Revolutionäre. Augenblicklich auch – was der Haken ist. Kannst du irgend etwas Menschliches sehen?« Er gab mir das Glas. »N–nein.«

» No! Please God, no!!«

Und leise knirschte der Bootkiel auf Sand, und wir wateten ein Stück weit in seichtem Wasser und sprangen mit langen Sätzen dem schützenden Gestrüpp zu. Vom Meer her leuchtete der Feuerball der Morgensonne. Gelbe Nebelfetzen umhuschten uns, qualmig nun, dann urplötzlich verschwunden, in leichten Dunst zerlöst, und aus den Bodennebeln wuchsen schreiende Farben von grünen Riesenranken und geil wucherndem Blattzeug, gelb und grün und braun, und ungeheuren Bäumen mit schreiendgrünen Blättern, und das alles begrenzte wie eine Mauer den dünnen brandigroten Pfad, und aus der Mauer kam schwülheißer verpesteter Odem. Irgendwo in der Nähe zeterten schrille Vogelstimmen. Ich war an Ranken gestreift und – stand stockstill, in maßlosem Ekel meinen Hals abstreifend, meine Hände, meine Aermel, denn ich war bedeckt mit kleinem Getier, mit winzigen Spinnen, langbeinigen kleinen Käfern, mit roten, braunen, grünen lebendigen Punkten – alles wimmelte.

»Hölle! Was ist das?« schrie Leggy – das war einer der Cowboys – »Ameisen? Skorpione?«

»Harmlos, ganz harmlos!« keuchte Haveland. »Vorwärts!«

Springend, laufend, ging es hügelan, dem zerrissenen, hartverkrusteten Pfad nach, der immer wieder von dornigen Ranken überwuchert wurde und dann zwischen riesenhaft aufragenden Palmen führte. Wir mußten uns durchdrängen, die Gesichter schützen, uns vor den tiefen Rinnen im Boden hüten ... So verging eine Stunde härtester Anstrengung. Man kam gar nicht zur Besinnung. Plötzlich blieb Haveland stehen.

»Hundert Schritt weiter, und wir sind da.« sagte er leise, mich abseits ziehend. »Ich kann natürlich nicht wissen, ob Matthews – Percy F. Matthews, das ist unser Mann – ob Matthews da ist und ob er allein ist oder ob seine verdammten Freunde in der Nähe sind.«

Die wuchernden Wände öffneten sich.

Eine weite ebene Fläche lag vor uns, eingebettet zwischen starren Waldwällen, mit hohem Gras, breitblättrigen Pflanzen, rotschimmernden Bodenflecken. Aus der Mitte leuchtete ein niedriges weißes Holzhaus, verwahrlost aussehend, flach, verandenumgeben, verlassen anscheinend. Daneben zwei Hütten. Dicht beim Haus ein Brunnen –

»Nieder!« sagte ich scharf.

Denn aus dem Haus trat ein Mann. Die Gestalt in schmutziger Leinenhose, offener Jacke, breitrandigem Strohhut schlenderte ziellos umher, eine Zigarette paffend, guckte zum Himmel empor, sah gen Westen zum Wald hinüber, kam immer näher. Ich gab Jack einen Wink, und er kroch lautlos vorwärts, um im Bogen hinter den Mann zu kommen. Nun war der Venezolaner uns bis auf zehn oder fünfzehn Schritte nahe. Haveland sprang auf, höflich den Hut ziehend.

» Santa madre de Dios...« kreischte der Mann, wandte sich – und starrte Jack an...

Haveland, immer Hut in der Hand, redete in raschfließendem, klingendem, sonorem Spanisch auf ihn ein, lieh Goldstücke blitzen, lauschte auf Antwort, gab Gegenrede. »Matthews' Diener!« sagte er dann leise zu mir. »Matthews ist drinnen. General Morales – das ist der Rebellenführer, um den sich alles dreht, – steht mit fünfhundert Mann eine englische Meile von hier. Matthews erwartet ihn heute nachmittag. Wir müssen also sofort mit Matthews reden.«

» Allright,« antwortete ich. »Jack, behalte den Mann hier. Geht näher an das Haus heran, laßt euch nicht sehen, haltet nach allen Richtungen Ausguck, und meldet sofort, wenn jemand kommt. Verstanden, Jack?«

» Yes, sir«

Frederick Haveland aber und ich schritten eilig, hochaufgerichtet, ohne den Versuch zu machen, uns zu verbergen, über den hitzesprühenden Boden dem Häuschen zu. Es war einmal weiß angestrichen gewesen; jetzt klafften an den Wänden große graue und braune Schmutzflecken. Auf der Veranda war zwischen Pfosten und Rückwand eine sonderbare Hängematte gespannt, ein Tierfell anscheinend. Wir stießen die Türe auf. Das eine Fenster war zerbrochen, das andere schmutzig, ein eiserner Kochofen stand an der linken Wand, leere Konservenbüchsen und Flaschen lagen umher. Nächste Tür – nächstes Zimmer. Und ich blieb an der Tür stehen. Auf einem einfachen eisernen Feldbett in der Mitte des Zimmers lag ein Mann, im schneeweißen Leinenanzug, und das Gesicht dieses Mannes war schreiend kupfergelb, zwischen Gelb und Rot, kupfrig.

Er hatte sich auf den einen Arm gestützt, wie aus dem Schlaf aufgeschreckt, und seine Rechte hielt einen Revolver. Die Augen leuchteten wie Lichter. Ich sah gleichzeitig den Mann, die Augen, die Waffe, die Kleinigkeiten des Zimmers – die schönen Felle am Boden. die eiserne Kassette vor dem Bett, den schlichten Waschtisch, die Fläschchen und Büchsen auf einem kleinen Tisch, den Winchester-Repetierer an der Wand. Dann konzentrierte sich mein Blick auf die Waffe in des anderen Hand. Sie blieb gesenkt.

»Hoho – Haveland ist's!« sagte der Mann mit dem Kupfergesicht dünnstimmig.

»Guten Morgen, Matthews,« preßte Haveland hervor. »Du siehst krank aus.«

»Bin ich auch, Freund. Leber! Aber mein Stimmchen sagt mir, daß Mi–ü–üster Haveland nicht gekommen ist, um sich nach meiner verdammten Gesundheit zu erkundigen. Reden wir also Geschäft. Haveland. Aber ich warne dich« – sonderbar, wie stählern hart die dünne Stimme klang – »daß du zu spät kommst, mein Lieber. Ich habe gewissen Leuten viel Geld verdient, und ich gedenke nicht, mir irgend welche Vorschriften machen zu lassen, wenn ich den Weg klar vor mir sehe, für diese Leute und für mich endlich so etwas wie Millionen fingern zu können. Du hast das geschickt gemacht, Haveland – Privatdampfer, direkt, was? – aber du kommst zu spät. Wer ist der Mann da?«

»Freund; kommandiert sechzehn Amerikaner, die draußen warten.« »Sechzehn – das ist aber unangenehm,« sagte die dünne Stimme ruhig. »Dann wollen wir das Dings da« – er ließ den Revolver fallen – »weglegen. Rede Geschäft, Haveland!«

»Matthews – du kennst mich?« fragte Frederick Haveland, sich auf einen Stuhl setzend.

»J–ja. Ich kenne dich.«

»Du weißt, daß ich – hm, fast immer auf der richtigen Seite bin?«

»Diesmal nicht.«

»Willst du mir einige Fragen beantworten? Aber richtig!«

»J-ja. Lügen hat in unserem Fall keinen Zweck.«

»Gut! Du unterstützt Morales?«

»Jawohl.«

»Wieviel Geld hast du ihm gegeben?«

»Rund sechzigtausend Gold.«

»Und die halbe Million?«

»Noch nicht.«

»Gottseidank! – Gottseidank! – Wo ist das Geld?«

»Englische Bank, Jamaika. Andere Leute wissen auch mit praktischen kleinen Privatdampfern umzugehen, mein Lieber,« piepste die dünne Stimme. »Und nun hör' zu, Haveland. Über dieses Geld verfüge ich, vielleicht auch noch der liebe Gott, aber sonst ganz bestimmt niemand – Leber oder keine Leber! Ich kenne dieses Land und ich weiß, daß der ehemalige Ochsentreiber Castro, der sich jetzt Präsident schimpfen läßt, die längste Zeit mißgewirtschaftet hat. Morales steht hier mit 500 Mann, in Caracas warten seine Anhänger nur auf ihn, in den Provinzen ist seit vielen Monaten alles vorbereitet. Es wird ein einziger Schlag sein in einer schönen Nacht – Caracas ist nicht weit von hier, mein Lieber – und – aus – damit. Früher wurde der Fehler begangen, diese Dinge in entfernten Provinzen anzuzetteln, mir aber schlagen nach dem Herzen und schlagen schnell.«

»Und die Kompensationen, Matthews?«

»Darüber rede ich nicht.«

»Gut!« sagte Haveland. »Das kann ich verstehen, Matthews! Die Männer, für die ich spreche, geben keinen roten Heller für Castro. Keinen roten Heller für Morales. Und sehr wenig – entschuldige! – für Percy F. Matthews. Es ist alles nur pures Geschäft. Wir wissen –« hart, scharf, schnell kamen die Worte – »daß seit dreizehn Tagen der Standort deines Morales in Caracas bekannt ist: wir wissen, daß alle gefährdeten Punkte schärfstens bewacht werden; wir wissen, daß Castro seiner Leute sicher ist, denn europäisches Geld ist ihm beigesprungen, das er richtig verwendet hat – und wir wissen endlich, daß die Vereinigten Staaten unsere Ansprüche nicht unterstützen werden, wenn wir uns an Anschlägen auf die bestehende Regierung beteiligen. Verstehen Sie mich jetzt, Mr. Percy F. Matthews?«

»Großer Gott!« sagte unser Mann, schwer keuchend. »Gib mir mal die silberne Spritze dort, Haveland – und das Fläschchen; nein, das kleine, blaue – 's ist nur Kokain – so! Danke!« Er stach am Oberarm ein und richtete sich dann langsam auf.

»Ich muß Morales warnen,« sagte er langsam.

»Wie du willst. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß es meiner Ansicht nach nur einen einzigen gangbaren Weg gibt, aus dieser Affäre herauszukommen. Wir müssen augenblicklich fort. Mein Dampfer wartet. Du darfst mit dieser Sache nichts mehr zu tun haben. Hat Morales etwas Schriftliches von dir oder irgend jemand?«

»N–ein.«

»Gut. Unser Ziel ist Caracas, und wieviel Geld es uns kosten wird – –«

Er hielt inne, die Augen weit aufgerissen. Ich war in die Höhe geschnellt.

Geisterig ertönte Geknatter.

Unregelmäßig, rollend, fern, aber klar und deutlich.

Haveland sah mich an.

»Infanteriefeuer!« sagte ich kurz.

»Hell! Morales wird angegriffen! Schnell. Matthews!«

»Ihr müßt mich tragen –«

»Höll' und Teufel! Schnell, schnell, Matthews hol deine Leute, Ed – –«

Wir rissen die eisernen Füße vom Feldbett, fieberhaft arbeitend, denn das Feuern kam rasend schnell näher, und hatten rasch eine halbwegs praktische Tragbahre konstruiert. Dann ging es im Laufschritt dem Pfad zu, vier Mann mit dem Kranken voraus. Matthews fluchte fürchterliche Flüche dabei, direkt unanständig, und hielt krampfhaft seine eiserne Kassette fest, die er mit auf die Bahre genommen hatte. Befehle zu erteilen, war durchaus unnötig; die Leute hatten augenblicklich begriffen, auf was es ankam – Eile, schnellste Eile, Blitzeseile, und sie mochten ahnen, daß es um Haut und Kragen ging. Haveland, Jack und ich bildeten die Nachhut. Als wir den Waldrand eben erreicht hatten – die Bahre war voraus – tauchte drüben ein Reiter auf, gefolgt von undeutlichen Gestalten, die Gewehre schwangen. Im nächsten Augenblick knallten Schüsse, und hoch über unseren Köpfen zischten Kugeln.

»Das geht nicht,« sagte ich. »Vorwärts, da vorne! Ihr könnt euch nachher drei Wochen lang ausruhen! Rasch! Noch schneller! Wer ist das, Haveland?«

»Weiß nicht,« war die keuchende Antwort. »Wir müssen den Dampfer erreichen und – allein erreichen. Sie würden uns niederschießen wie Hunde, ob's nun Revolutionäre sind oder Regierungstruppen!«

»Versprengte Revolutionäre, wahrscheinlich,« erwiderte ich, rasch nachdenkend. »Sie haben auf uns geschossen – das macht die Sache einfach – Jack, auf das Pferd, – niedrig halten, um Gotteswillen – Leggy, komm' her – das Pferd dort ...«

Mein Colt knallte als erster, und vor dem Pferd spritzten Erdfetzen auf. Fast gleichzeitig mit meinem zweiten Schuß dröhnte es links und rechts neben mir. Pferd und Reiter wälzten sich auf dem Boden.

»Hoffe, er hat sich den Hals gebrochen –« schrie Jack jubelnd. »Gutes Schießen! Das waren fünfhundert Schritt, kalkulier' ich!«

Und wieder schlugen Kugeln um uns ein.

»Weiter!« brüllte ich. »Sie wissen nicht, wer wir sind und wie viele wir sind! Hier, Leute! Feuert in die Luft – schnell – alle sechs Schüsse – wollen ihnen Angst einjagen – so – soo–!«

Geknalle, Gedröhne –

Weiter!!

Und ein wahnsinniges Rennen begann: ein Springen, ein Hetzen, ein blindes Vorwärtsstürmen, ein Vorwärtsschleppen der Bahre, ein Aufbieten der letzten Kräfte, und Schüsse knallten hinten, und Geschosse umzischten uns, und ich ließ aufs Geratewohl feuern. Dann wurde es still.

» Das Signal!« keuchte Haveland.

In zehn Sekunden war ein Stock geschnitten. Das Feuergeschoß zischte mit scharfem Knall schnurgerade in die Höhe, aber die Flammengarbe hatte in der dünnen grellbesonnten Luft nur mäßige Leuchtkraft. Es blieb still. Nach zweihundert Schritten feuerten wir eine zweite Rakete; dann in kurzen Zwischenräumen eine dritte, vierte, fünfte. Es blieb immer noch still.

»In zwanzig Minuten haben wir's!« stieß Haveland hervor.

Weiter – weiter!

Der Schweiß lief in Strömen von mir herab und vor den Augen tanzten mir glühende Sterne und mein Atem kam und ging mit pumpenden keuchenden Stößen. Neben mir rannten Menschen, keuchend, stolpernd, fluchend – weit vorne schwankte die Bahre hart auf und ab. Der Mann mit der kranken Leber büßte in dieser Stunde seine sämtlichen Sünden. Ich blieb einen Augenblick lang stehen, den Colt wieder ladend. Fast versagten mir die Füße den Dienst.

Weiter!


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