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Dierkhof, den 7. November 19 ..

Und nun bin ich schuldig. Und wir sind arm. – Wo ist unser Glück? Das hat mal geleuchtet wie ein hilliger Ginsterbusch im Frühsommer, wie eine Kerze in der Kirche auf dem Altar. Hat gestrahlt wie hundert Frühlinge, die einen Eichbaum emportrugen. Und dann kam ein Sturm und fällte die Eiche über Nacht. Oh, ich weiß, die Amei ist jung und wird wieder aufstehen. Denn das tut wohl der Herrgott dem Knecht Wien Sleef nicht an, daß er ihm seines Herzens Trost und sein Teil so einfach wegreißt, weil der Unhold, der Jähzorn, dieser Teufel ein junges Kind verwirrte, auf daß sie heiliger Mission vergaß.

Es ist schwer zu schreiben, aber dieser Foliant ist mächtig genug, auch einen Heidjerschädel zu ducken, daß er dem Ahnen Ode Sleef gehorsam Gefolgschaft leistet.

Ich künde den Nachfahren: »Hat mein junges Weib in gachem Zorn sich auf ihr Pferd geworfen, ist wild durch Ried und Rohr, Heide und Moor geritten, bis daß ihre Kräfte versagten. Ist niedergefallen am Waldrand. Und ihre und meine Hoffnung ist hingeworden.«

Mich hat man fortgeschickt, als der Arzt und der hochgelahrte Professor aus Berlin kamen. Die Amei verlangte es. Ich wäre aber auch so gegangen. Wien Sleef, den Knecht, braucht man niemalen fortzuschicken.

Am Heiderand, wo die ragende Kiefer steht in dem Kranz von Riesenwachholdern hab' ich dem Wagen aufgelauert. Doktor Hercher machte den Professor auf mich aufmerksam. Der lachte jovial. Wie Ärzte lachen, wenn sie einen Unglücklichen sehen, und ihn mit ihrer Kunst, oder Erfahrung aufrichten wollen.

»Ihre junge Frau wird bald wieder hochkommen. Da steckt echtes Heidjerblut drin. Und geben Sie acht, Herr Sleef, der zweite Jung wird gutmachen, was der Stammhalter verpatzt hat.« Ich hab' den Witz des hochmögenden Herrn gut behalten. Man hört ja so unheimlich hell, wenn man unglücklich ist. Und die Ohren leidgeschärft. Der zweite Bub wird niemalen kommen. Herre Gott, wo ist unser Glück? »Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unfern Schuldigern!«

So bleibt denn meine Schuld auf mir, denn ich kann meiner Frau Amei nicht vergeben ...

Dierkhof, den 9. November 19 ..

Die Tage gehen hin. Amei ist zu ihrem Vater ins Altgedinge gezogen. Und ich wohne im Heidehaus Dierkhof. Es stößt dicht daran; aber mir ist's, als läge eine Einöde zwischen uns, schwarzes, garstiges Moor. Sie war nicht lange krank, die Amei. Ich bekam jeden Morgen pünktliche Nachricht von der lieben Muhme Kordula. Die war freilich auf Posten, und sah beim Bericht scharf in meine Augen und auf mein hageres Gesicht, in dem die Kriegswunde rot brennt. Mich dünkt, ich muß jetzt ein besonders widerlicher Anblick sein. Ein hageres Gestell, zwei Meter hoch, auf dem Kleider schlottern.

Als Amei aufstehen durfte, hat sie meinen Besuch angenommen. Vorher nicht. Es war mir recht. Muß mit mir selbst die Bekanntschaft emeuern, denn ich bin nicht mehr »Wien Sleef«. Wenn man nicht mehr sein» Ich« hat, dann tut das so weh, als sei man schwer krank. Wäre ich gelehrter, oder gebildeter, könnte ich das besser ausdrücken, aber diesen Folianten liest ja nur die Sleefsippe, und die hatte allstunds mehr Herz als Verstand. – Ich bitt' euch also, liebe Nachfahren, lest alles mit dem Herzen, was ich schreibe, denn sonst müßt ihr den Wien Sleef, den Knecht, ausmerzen aus eurer Sippe. Und ich bin doch so mit Leib und Seele ein »Sleef«. Möcht' auf dem Kamp sterben und begraben sein. Als ich vor meinem Weibe stund, hob es den geneigten Kopf. Können blaue leuchtende Himmelsaugen so schwarz aussehen? Ich spürte ihre starke Erregung und mein Herz wurde angesteckt und schlug zum Gotterbarmen.

»Wie geht es dir, Amei?«, fragte ich. Es klang wohl gleichgültig und öde. Denn ich hatte meine Stimme in der Gewalt. Aber sie hat mir nicht geantwortet. Sie dachte wohl, ich müsse es ja an ihrem totblassen Gesichtchen sehen, wie ihr zumute war. – Und das ist das Böse zwischen uns, daß ich ein sturer Heidjer bin, der nicht verzeihen kann. Sobald ich an das ungeborene, vernichtete Leben denke, das meine Zukunft bedeutete – für das ich arbeiten und schaffen wollte, vielleicht der Anerbe – – – dann steht riesengroß Ameis Schuld auf. Nicht die meine. Ich werte meine Unterlassungssünde leichter als die Vegehungssünde meines Weibes. »Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergessen?« Diese Frage tue ich oft laut in der Nacht, als wäre ich unklug geworden. Herrgott, der Umschlag war zu jäh. Ich stand so mitten in der Freude ... Wie wohl die Nachfahren über mein Unglück urteilen werden? Ich will hoffen, daß da kein leichtsinniger Sippengast drunter ist, der neumodisch denkt. Ich will das Wort nicht hinschreiben, das er verdiente. Wenn wir im Sleefkamp nicht streng festhalten am Gebot von Ode Sleef, dann ist's bald mit dem Glück vorbei. Jedes Abweichen von der festgefügten mündlichen Überlieferung und von den im »Fullianten« niedergelegten Verkündigungen und Gesetzen und Wünschen der biederen Ahnen hat immer Unglück im Gefolge gehabt. Ich präge mir alles immer wieder ein. Ode Sleef, mein Ururgroßvater schreibt: »Sohlen doch um Jesu Willen die Eheleute Sleefs in Eintracht leben! Nicht öde Verliebnis treiben, wie es Stadtminschen männigsmal tun. Die nimmt Krafft und Gesundheyt. Aber den gewaltigen Spruch beherzigen, den eine Ahnin vom Großbauernhof in Ostfriesland als Mitgift hatte. Und der noch irgendwo hängen oder liegen muß auf dem Oberboden: ›God dün ju Börne, wo du hew wünschked‹ – – –

Und ich will's dütsch maken, denn die Friesenahn is all ehr Lebtag nich verstann' worn. Merkt auf!

»Gott geb euch Kinners, wie ihr habt Wünsch.
Ins irst Johr en jung Prinz.
Ins annre Johr en Appel rot,
Ins dritt Johr en Dochter in den Schoß,
Un dann so wider vun Johr to Johr,
Bet dat fiwuntwintig sün.
All 25 an eenen Disch,
Denn weet dat Wif, wat husholten is.«

Jo jo, un niemalen dat Mul uprieten, wenn wedder wat imgange is. Un alltied den Körper in Pfleg nehmen, dat um Gotteswillen kein Fehlgebären gibt. Is Sünd, is Sünd! Dein Will, Herr geschehe!«

So hat Ode Sleef geschrieben. Wenn er lebte, wie würde meine Amei bestehen? Und was soll werden, wenn ich nicht verzeihen kann? Und mein Weib beim Vater bleibt, und ich hier einschichtig hause? Als ob kein Standesamt von uns Brief und Siegel hätt', und kein Pastor und keine Kirche heilig Wort über uns gesprochen hätt' ...


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