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Sleeflamp, 17. Juni 19 ...

Muhme Kordula ist immer noch unsichtbar. Krank, sagt Gesine. Und die Amei sei bei ihr, aber nur kurze Zeit, und spräche nicht drüber.

Sie wird sich wohl auch »bei klein« zur Heidjerin auswachsen. So was steckt an. Ich sitz' allein beim Frühbrot, beim Mittagmahl, bei der Vesper, beim Abendessen. Und weil die Amei mich meidet, bestell' ich mir lauter bayrische Gerichte. Milchsupp' und Knödeln, Hutzeln und kalte Nanscherle. Dann lachen die Heidjerdeerns. Aber ich gewöhn' mir schon wieder »Junggastermanieren« an, und war doch so schön im Zuge, »feiner Hund« zu werden bei den beiden Vorbildern. Heute nach Feierabend klopf ich aber an den Pesel der Muhme Kordula. Wenn sie krank ist, muß Doktor Kraatz her – »sie mag net«, heißt's im Liedel, »aber sie muß.«

Nachts 12 Uhr.

Ja freilich, da hilft kein Doktor. Das ist Weihdag, was man nur vor den Herrgott bringen kann. – Ich braucht den Schlafpesel nicht zu stürmen – sie ließ mich rufen. Und lag auch nicht in der Döntche, saß aufrecht im Ohrenstuhl. Aber das Gesicht, das schöne, schier faltenlose Altfrauen-gesicht – – hager, zergrübelt, verstört war es geworden, und die glanzvollen Heidjeraugen leer, und doch rot und brennend, wie Augen tun, die nicht weinen können. – Sagt' ich nur erschüttert: »Muhme Kordula l«

Und ließ mich wieder vor ihr nieder, weil ich ihr nicht zumuten konnt', so hoch zu schauen. Und ist's schier, als ob es der Doktor Jochen heraufbeschworen hätt' damals mit seinen Worten: »Die Muhme Kordula sieht aus, als ob man den Kopf in ihren Schoß legen und ihr seine Sünden beichten könnt'.« Ich hatte keine Sünden, aber ein gottsunmöglich schweres Herz.

»Wien«, hebt sie an, »du hast's gewußt?«

»Ja, Muhme Kordula.«

Ihre alten, zitternden Hände streicheln wieder meinen Haarwald.

»Wien, ich bin waidwund, mich bringt's zur Strecke.«

»Deshalb hast du dich verkrochen, Muhme? Vor mir?«

»Vor jedem, Wien. Aber dich hab' ich am meisten vermißt. Die Gesine hat gewinselt vor meiner Kammertür, und die Amei hat den Pesel gestürmt, wie eine Festung. Aber dich hab' ich rufen lassen.«

»Ich wollt' auch stürmen, Muhme. Just da kam dein Ruf.«

»Wien, meinst, daß mir eine Brasil hilft? Soll ich's probieren?«

»Aber ja, Muhme Kordula.«

Ich war schon aufgesprungen. Denn vor einer Brasil, die eine Frau pafft, vergeht die Weichheit. Aber das ist gut. Denn wir mußten ja beraten über Wichtiges. Deshalb holt' ich mir auch mein Pfeifchen, das wertvolle, handgeschnitzte Schwarzwald-Pfeifchen. Und setzt' mich in den andern, noch mächtigeren Ohrenstuhl, und wir schmauchten uns erst mal in die Ruhe hinein.

»Wien, was soll's werden?« sagte sie endlich. Und ich konnt' nun auch ihr Angesicht erkennen, denn der Qualm verzog sich.

»Was ich tun will, hab' ich der Muhme neulichs seggt.«

»Und da wußtest du es schon? Du Erzbraver?«

»Beileibe gehört da keine Bravheit groß dazu, Muhme Kordula. Nur die Liebe zum Namen Sleef und zum Kamp.«

Da stand die Muhme auf. Und wehrte ab, als ich sie stützen wollte.

»Bleib sitzen, Wien – du bist mir sonst zu groß.« Und sie nahm meinen narbigen Kopf in beide Hände und küßte mich auf den Mund. Ich muß es aufnotieren zum ewigen Gedenken. Am 17. Juni 19... hat Wien Sleef, der häßlichste Knecht in weiter Runde, den ersten Kuß bekommen, sechsunddreißig Jahr bin ich alt. Wer hätte mich wohl küssen sollen? Man mußte ja mit seinem Mund die garstige Narbe streifen... Hab' Dank, Muhme Kordula! Für diesen Kuß wirst mal ein Engel im Himmel. Ich kann mir niemalen denken, daß das bloß wunzkleine Kinder werden, wenn sie sterben, sondern auch alte Frauen, Mütter und Großmütter, die das Herz auf dem rechten Fleck hatten, als sie noch auf Erden wandelten. Und die ihr eigen Leid in Segen wandeln konnten für andere. – Lange haben wir noch gesprochen an jenem Abend, bis der Muhme die Augen zufielen. Aber nun wissen wir beide Bescheid. Sind ganz eins in dem, was zu tun ist.


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