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Sleefkamp, den 28. April 19 ..

Und nun ist er fort, der liebe, alte Herr. Der letzte Tag seines Hierseins war der furchtbarste für mich – und auch der schönste. – Ein warmer Apriltag. Den kennen wir sonst nicht in der Heide, wo der Frühling mit dem Winter kämpft, wie die Hirsche in der Brunft. Sonne überall, und Sonnenwärme. Muhme Kordula aber zog Wasserstiefel an und hatte eine kurz Shagpfeife im schiefen Mund hängen. So ist sie immer zugange, wenn sie mich vertritt. Aber niemand von den Insten würde so dreist sein, über diese seltene Frau zu lachen.

Sie beurlaubte mich feierlich, ich durfte anspannen und den General in die Weite kutschieren. Mit den schweren Pferden, die nicht so leicht durchgehen. Über den Häsendämchenweg, über Lusins Rufus auf den Quartettberg. Auch wir in der Heide haben unsere »Alpen«, auf deren Höhen wir wunschlos glücklich sind. Ich muß mich selbst über den Knecht Wien wundern. Es liest sich beinahe, als wäre ich poetisch. – Und weiter ging's. Hin über die ganze braune »Briefheide«. Und waren wir also immer in Sonne. Der General verstaunte sich baß über die närrischen Namen dieses Heidelandstriches. Welche wilden Spießgesellen mögen hier einst gehaust haben!

»Wenn sie ›Quartette‹ gesungen haben, waren sie zahm«, lachte der General, »das Wort ist aber sicher verballhornt.«

Und so kann ich, Wien Sleef, der Knecht, mich wieder aus dem Brockhaus belernen. »Rom ist nicht an einem Tage erbaut worden«, deshalb braucht es lange Zeit, bis ein Knecht Professor wird. Das will ich aber gar nicht werden, will nur mehr wissen, als – – Amei Sleef, die fern verwandte Base. Und außerdem die Braut vom Doktor Jochen. – – – Wie ich bei dem Gedanken landete, rief der General: »Du mußt das Handpferd sachte anrühren, Wien – so geht das nicht.« Es ist wahr, wir wären beinahe beide hinuntergesegelt, er rechts und ich links, so hatte sich der Gaul verschrocken über meinen Hieb. Wer heißt mich auch an die Deern denken...?

Sehr lange Zeit fuhren wir schweigend, langsam. Die Zügel lagen locker. »Bist du felsenfest überzeugt, Wien, daß der Jochen echt ist? Gut bis in die Knochen?«

So rasch und ungestüm kam diese Frage, beinahe hätt' ich die Zügel vollends fallen lassen. Tat's aber nicht. Schrie nur eben so ungestüm hinaus: »Ja, ja, dreimal ja!« Und das war viel für mich. Es tat ordentlich weh, es war, als hätte man mich mit harter Hand aufgerissen, als ob mein Blut strömte. Und der letzte Tropfen war noch »ja!« – Einen tiefen Atemzug tat der alte Herr, und dann überstürzten sich seine Worte: »Wien, sie ist mein Einziges! So verzwickt das ganze Lebewesen, so kraus, so bunt, so verrückt wie eine echte Sleef sein muß... Aber sie paßt in keinen Rahmen. Und wenn sie nicht in die rechten Hände kommt – – – Wien – sie will nun mal den Jochen... Wien, sie hat mich auf den Knien angefleht um ihn. Bedenk'! 'S Amei auf den Knien!«

Da brach ich aus. Ich, der Knecht, brüllte wie ein Stier. Brüllte den General an. Wie rein von Sinnen. Einmal im großen Kriege hatte ich solchen Anfall. In Flandern. – Und jetzt war mir's, als sagte der General: »Unteroffizier Sleef ist verrückt geworden.« Bloß, damit man mich nicht füsilierte. – Ich wachte auf. Da war gar nichts. Der General löste ruhig meine Hände von seinem Rock. Die Zügel hatte er längst genommen. – – –

»Brauchst dich nicht zu schämen, Wien. – Es ist der Jähzorn der Sleefs. Ihr Heidjer seid nur toller als wir Abtrünnigen, wir Stadtmenschen. Ist dir sehr ungut, Wien? Lehn' dich fest an mich. Es ist eine Krankheit, vererbt durch Jahrhunderte.« – So beinahe wie 'ne Mutter betraute mich der hohe Herr. Ich spürt es. Das verwandte Blut war's. Es soll dicker sein als Wasser, sagt man. Ich hab' die Augen geschlossen. Der General fuhr sicher und langsam, ganz langsam, das tat wohl. Seine gute Stimme sprach weiter:

»Ja, das brach damals aus bei mir, als man mir mein Mädel nehmen wollte. Lach tüchtig, Wien, es hört sich närrisch an, wenn ein grauer Kopf solche Dinge erzählt...«

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Ich kann so was nicht hören«, sagte ich kurz. Beide Fäuste hatte ich geballt, daß meine Nägel in mein Handinneres drangen. Lehnte mich auch nicht an. Warum hat mich Gott so unmenschlich groß geschaffen, wenn ich doch so unmenschlich klein bin?

Vor mir selber schämte ich mich, und vor meiner Heide. Die läßt sich peitschen, rupfen, schlagen und steht doch immer wieder in roter Blust. Da dürfen sich die zutiefst Unglücklichen und die zutiefst Glücklichen hineinschmiegen. Ihnen gibt sie reichlich Trost. Nur die Lauen verwirft sie, wie es der Herrgott tut in der Bibel.

Den ganzen Weg zurück sind wir stumm geblieben. Der General war eben auch ein Heidjer Sleef. Das kleine Wörtchen »von« durch Kaisers Gnaden vor seinem Namen konnt' sein Blut nicht ändern. – Als wir beim Sleefkamp vom Wagen stiegen, muß ich nicht gut ausgesehen haben. Denn der General schaute mich starr an und schüttelte den Kopf. Dann ging er die Stiege hinauf zur Muhme Kordula. Was sie da oben verhandelten, hab' ich nicht erfahren. Der tapfere General, der im Weltkriege so viele deutsche Orden sich erkämpft hat, kämpfte nun mit der Rührung. Er mag's leugnen, aber mir macht niemand was weiß. Und mir kann's nicht gegolten haben. – Ich fuhr ihn zur weit entfernten Bahnstation. Blieb vor seinem Abteil stehen, das hatte rote Polster. Darüber freute ich mich, ich Hanswurst. Doch was war diese lachhafte Freude gegen das, was mir der General zurief, nachdem er die ganze Heidefahrt über geschwiegen hatte – – –?: »Du bist mein lieber Sohn, Wien. Ich habe keinen Menschen gekannt, der mir so rasch lieb wurde wie du.«

Ich sauge alles auf, wie ausgetrocknetes Erdland den Regen.

Herrgott, so ein Wort! Gesprochen aus dem tiefsten Herzensgrunde heraus von einem General zum Knecht auf dem Sleefkamp!

E. K. eins und zwei hab' ich ja schon, und auch den Hohenzollern. Aber dies Wort war wie der Pour le mérite – – – ja. Ich war wieder mal aus den Fugen, und es war gut, daß die Pferde durchgingen. So mußte ich scharf aufpassen und brauchte keinen Extratischler, der mich leimte. Der eigene Wille tat's.


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