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X, den 3. Juni 19 ..

Lieber Wien! Ich muß dir sagen, es fällt mir nicht einmal schwer, dich nochmal um Verzeihung zu bitten. Du bist ein prachtvoller Kerl; diese Gewißheit behält bei mir die Oberhand. Aber ungeschliffen bist du, wie ein verborgener Diamant in den Gesteinen von Ostindien oder auf Borneo, was aber nicht mit borniert zusammenhängt. Muhme Kordula besitzt vielleicht die Gabe, aus dir einen Kohinor zu schleifen. Das kann eben nur ein edles, weibliches Wesen. Das hat andere Waffen als wir Mannsen. Ich würde immer bei Dir der Unterliegende sein, wenn Du vielleicht auch das Gegenteil behauptest. Denn Du bist, wie alle Diamanten von sehr großer Härte. – Also das Um-Verzeihung-bitten Dir gegenüber ist genau so leicht wie bei Muhme Kordula, aber das Weiterkommen ist verdammt schwer. Ich wollte allerhand wichtiges mit Dir besprechen, aber Deine Art, Wien – – nein, lassen wir's ruhn. Ich weiß, daß ich Hauptschuldiger bin. Mit der Muhme war's auch nicht so ganz einfach, und mit Amei auch nicht. Aber sie hängt fabelhaft an mir, beinahe möcht' ich sagen: »rabiat«, wenn es nicht unhöflich wäre.

Nun trifft mich auch noch hier in einem Lausenest, wo ich aber eine wichtige Spur verfolgte, das Telegramm meiner Gesellschaft, daß ich, so schnell ich's vermag auf dem Flughafen eintreffen soll. Das heißt also – ich habe nur noch drei Tage Zeit, um – – nicht wie der selige »Damon, den Dolch im Gewande« – eine frohe Hochzeit mitzumachen, sondern zu suchen, zu suchen und abermals zu suchen. – Von Amei hab' ich schon Abschied genommen, Du wirst sie gefaßt finden. Das ist Sleefart. Die Frauen von unserer Sippe haben noch mehr Kraft der Beherrschung als wir männlichen Sleefs. Ich kann mitreden, seit ich Ameis Brüjam bin.

Wien – Du spürst an meinem weitschweifigen, blöden Drumrumreden, daß mir der Weg zu Dir fehlt. Mir ist's, als sollt' ich zählen: »Eins, zwei, drei!« Also hör' zu! Daß ich von der Amei niemals in meinem Leben lassen kann, ist unumstößlich. Es ist mir, als hätte mir ein Wunder just das Geschöpfchen in den Weg gestellt, was ich mir mein Lebtag als meine bessere Hälfte gewünscht habe. Es war der höhere Blödsinn, daß ich dem Professor der Geschichte Xaver Leblin in einer frohen Tafelrunde, da er mir auch gerade einen großen Gefallen getan hatte, versprach, ihn auf seiner Forschungsreise zu begleiten. Nun besteht er auf meinem Wort, und ich selbst will nicht wortbrüchig werden. Aber wenn sich ein Stellvertreter findet, denke ich doch in einem halben Jahr frei zu werden – sonst in einem ganzen. Letzteres wäre so was, wie ein Todesurteil für mich. – Denn ich hänge am Sleefkamp ebenso wie an der Amei und was in der Urkunde steht: »So eyn Sleef auf ein ganzes Jahr seyne Fahn verlasset (das ist heymatlich Scholl und Hoff), sohl er zwar nicht vermaledeyet sein, aberst des Hoffes geht er verlustig,« – das weiß der Wien ebensogut, wie der Jochen.

Hör' weiter zu! Wenn die Forschungsreise nicht gewesen wäre, hätte ich das, was ich suche, allein gefunden, hätte Dich nicht bemüht. So aber weiß ich mir keinen, der mit gleicher Gewissenhaftigkeit meine Bitte erfüllen wird, wie Du. Trotzdem Du der geborene Gralsritter bist, und ich nur ein armer Sünder – Gott sei mir gnädig. – Du sollst mir, lieber Wien, eine Deern suchen helfen. – Diese Bitte und noch eine andere, die zum Schluß dieses Briefes kommen, stehen sich diametral gegenüber.

Wien, es redet sich elend hart mit Dir – immer sehen mich Deine ernsten Augen an, wollen durch mich durchsehen. – Ich hab' die Deern lieb gehabt viel zu viel. Sie war wie ein Hündlein so lieb um mich herum, und ich war vor kaum einem Jahr mal recht einsam in der Stadt. Und sie war in böser Dienststelle bei des Teufels Großmutter. – Wir trösteten uns gegenseitig und es war wirklich eine sonnige Frühlingsliebe. Aber ich kam fort aus der Stadt, schrieb mal eine Karte, auch einen Brief, noch eine Karte. Habe nie Antwort bekommen. Weißt Du, Wien – und nun quält es mich manchmal – aber quälen ist nicht das rechte Wort – unbehaglich ist's mir zu Sinn, wo die Deern stecken mag. Unser Beisammensein war ja so kurz – und vielleicht sitzt sie auch längst in einem weichen Nest. Gesprochen hat sie nie viel, darin hätte sie gut zu Dir gepaßt, Wien – – sie muß aber aus der weiteren Umgebung von hier gewesen sein. – Wien, alter Vetter – guck' mal büschen weg! Deine Augen stören mich. – Ich will Dir beichten, daß ich einen Augenblick, oder ganze drei Stunden erleichtert aufatmete, als ich hörte, Du hättest eine lüttje Soggerpupp in der Wiege. Nun wirst Du »pfui Teufel« sagen. Aber ich will, daß Du Deinen Vetter und Freund – – bin ich's noch? – bis in de grawe Grund kennenlernst. Also Birgitt Dierk heißt die Deern, und wenn Du sie findest, so gib ihr die Summe, die Muhme Kordula in Verwahrung genommen hat. Unsere Prachtsmuhme ahnt natürlich nichts von der Verwendung, die dieses Geld finden soll, ich weiß ja selbst nicht, wie sie verwendet wird. Hoffentlich zu einem hübschen Hochzeitsgeschenk. – Könnt' ich Dir doch auf die Sprünge helfen! Nichts weiß ich, als den Namen. Sie ist aus meinem Leben gegangen wie ein Gedanke, ein Lied, ein Ton – – – Jetzt werde ich poetisch und Birgitt würde vielleicht lachen. Sie konnte herzig lachen, und am meisten über mich. –

Nun noch die zweite Bitte, die viel mehr mir am Herzen liegt – – behüt' mir meine Amei! Du, Wien, das ist wie ein Sturm über mich gekommen. Und daß ich Dir nicht davon sprach – – Wien, ich war eifersüchtig. – Jawohl, auf Dich. Mir schien's, als müßtest gerade Du dies verteufelte, mir oft ganz und gar unverständliche Lebewesen lieben – das so ganz das genaue Gegenspiel von Dir ist. Und aufgeatmet hab' ich, als sie mir wütend erklärte, sie und Du, Du und sie??! – Ach was, ich will Dir ihren sonderbaren Haß nicht an den Kopf werfen. Hab's ja selbst erlebt, wie sie Dich behandelte und hab's ja auch niemals gutgeheißen. In einer ernsthaften Stunde hat sie mir dann erzählt, daß sie Dir noch widerlicher sei, als Du ihr. Und das empörte sie. Muhme Kordula war dabei und sagte garnichts. – Sie blies Ringel aus ihrer Brasil und dazwischen paffte sie, je nach dem Tempo unserer Zwiegespräche. Oh, was ist sie doch für eine wundervolle, alte Frau!

Und nochmal meine Bitte: Behüte mir meine Amei! Wenn ich länger wegbleiben sollte, als ich will, bleib der gute Verweser des Sleefkamps! Und sollte ich wirklich nach einem Jahr erst wiederkommen, nun, dann zahlst Du mir mein Pflichtteil und bist der Herr – der den Sleefkamp viel mehr verdient als ich, und ich ziehe mit meiner Amei in selige Gefilde, wenn sie auch nur irdisch sind. Denn bei Dir zu bleiben, Wien, mit Amei – – das will ich Euch beiden Kampfhähnen nicht antun. – O Wien! Wie gleichgültig mir die sogenannte Forschungsreise ist! Vorläufig geht sie nur nach Norwegen. Und damals, als ich Amei noch nicht kannte, erschien mir das Angebot so reizvoll. Aber was den berühmten Geschichtsprofessor fesselt, was Harald Harsargar tat, oder ob es von Segen war, wenn Knut der Große den Olaf den Zweiten vertrieb, trotzdem dieser das Christentum eingeführt hatte, oder weil er es tat – ich kann's nicht für den Sleefkamp gebrauchen. Ebensowenig die Landwirtschaft der Norweger. Und die letztere, die Landwirtschaft und die erste, meine Amei, sollst Du mir hüten, wie Dein eigen Leben, Wien. Die Muhme Kordula brauche ich Dir gar nicht zu empfehlen, Ihr zwei habt immer zusammengehört. Fahr wohl, Wien!

Jürgen-Jochen Sleef.


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