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Zwischen Weihnacht und Neujahr.

Es ist ja wahr, die seine Deern hat recht, es ist Weihnachtszeit. Und wenn ich auch gar nicht aus ihr klug werde, so bringt sie mich doch immer wieder auf etwas – Heiliges, möcht' ich sagen. Ich ging heut' am Wohnpesel vorbei nach der Treppe, die hinaufführt zur Muhme Kordula. Hör' ich im Wohnpesel singen. Wo seit hundert Jahren nicht ist gesungen worden im Sleefkamp. So gefemt war das Singen, daß ich oft und oft hinaus in die Heide gestürmt bin mit der Hand auf dem Mund. Weil mir ein Lied inwendig hochkam, das die Mutter Amei gesungen hatte an meinem Bett, oder in der Küche, oder im Walde. Wo sang sie nicht, meine Mutter Amei?

Wer kann's sein? dacht' ich. So fein, so leis' tut kein Ein hier im Sleefkamp. Klink' ich die Tür sachtgen auf. Ich dacht', ich müßt' im Himmel sein. Die Amei im schlohweißen Kleid. Und kniet auf der sandigen Dielen und schmückt einen Tannenbaum. Hängt närrische Sachen dran, ein silbernes Schiff und eine silberne Lokomotive. Und noch mehr so Zeugs. Aber alles schon von lang her und abgegriffen. Ein alleiniges Wachslichtchen leuchtet zu dem Tun. Bei ihrer Arbeit sang die Deern. So tun Engel singen droben und fingerieren dabei auf den Harfen. »Josef, liebster Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein.« Und ich fall' ein. Kann's um Leib und Leben nicht zurückhalten. Hol' einfach meinen Tenor aus der Kehl, der immer Kantor Rüdels Stolz und Freud' war. Aber wie's scheint, nicht solche von der feinen Deern. Läßt sie allen Silberkram fallen, schwingt auf, ganz weiß im Gesicht. Und die Augen sprühen.

»Kann ich denn niemals allein sein?« ruft sie. »Spionieren hier die Knechte hinter mir drein?«

In diesem Augenblick sprang ich auf sie zu. Und sie glaubt, ich wollt' sie gar schlagen. Aber sie brannte ja, die ungute Deern, das Licht am Baum hatte das dünne weiße Engelskleid gefaßt, als sie vor mir zurückgewichen war. Die große Decke reiß' ich vom Tisch, wickel das ganze Dinglein drein, trag's auf das breite Kanapee. War ja die leichte Last nun schon gewohnt. Der Brand war gleich aus. An der Hand ward ich noch büschen versengt. Schad' nix, dacht' ich, sind ja noch ein paar Stellen da, die an dem groben großen Wien Sleef heil find. »Hast Schmerzen?« frag' ich. Denn auf »Sie und Sie« ist's schwerer zu kommen in der Heide als auf »Du und Du«. »Ja«, sagt sie und beißt die Zähne aufeinander. Und wie ich die Decke auseinanderschlag', seh' ich an ihrem Nacken eine große brandrote Stelle, recht glasig anzuschaun. Das gibt morgen eine elende Blase, denk' ich, und laß das versehrte Dinglein liegen, spring' zur Tür hinaus und die Trepp hinauf in meine Bodenkammer. Da hatt' ich im Schapp eine Salbe noch von den bayrischen Großeltern her. Dort wuchs die Arnika uns ins Haus hinein. Sie roch arg gut die Salbe, und ich wußt es, daß, wenn ich sie auf das Hälschen legte, die Wunde würd' zu heilen anfangen in selbiger Nacht. – Wieder herunter vom Boden, und in die Engelsstuben. Hatte aber noch so viel Zeit gehabt, ein blühweiß Leinensacktüchlein von Mutter selig zu zerreißen. Ein sauberes Messer konnt' ich auch erwischen, aber erst drunten, wo das Dinglein lag. So mit verändertem, schmerzverzogenem Gesicht, daß ich hätt' heulen können. Bist ein schlapper Hund, sagt ich inwendig zu mir. Und ging zu ihr, legt das Leinenstück auf die talergroße Brandwunde. Vorher rief ich noch: Achtung! Tapfer! Tat aber nicht nötig bei einer Generalsdeern. Wie ich mit meinen groben Händen zugange bin, kriegt sie meine rechte Pranke zu sehen, wo der Biß noch blutrot leuchtet, und sie wird wieder weiß im Gesicht, als wollt' sie besmiemelt werden.

»War ich das?« fragt sie entsetzt, aber so leis, daß ich's kaum hätte verstehen können, wär ich ihr nicht so nahe gewesen.

»Jawohl!«

Eine Minute noch, da ward ihr feines schönes Gesichtlein häßlich. Ein hochmütig Schnäuzlein zog sie: »Er hat's verdient«, sagte sie. Sprang auf und lief hinaus.

Er?! So, wie der alte Fritz gesprochen hat mit seinen Offizieren und Grenadieren. Ich blieb zurück und dacht: »Mein Arnikapflaster muß sie doch leiden, und wird es sobald nicht wieder los.« Aber mir selbst war's, als fingen alle meine Wunden an zu brennen, die lange verharrscht waren. Und die Tannenbaumwunde war wie höllisches Feuer.

Auf dem Kanapee sah ich ihr Nastüchlein liegen, das hatte sie vergessen. Ich nahm's, riß es mitten, entzwei und strich Salbe drauf und verband mir die rechte Hand damit, sowohl den Biß als auch das Brennende. – Hilft's nix, so schadet's nir.

Und es ist auch so. Noch kein büschen hat's geholfen, brennt döller als je. Aber das Nastüchlein ist doch ein Teil von der Deern, die mir auf düsse Art nahe ist. Könnt' auch nicht sagen, daß ich mich schämte wegen des Diebstahls. Wenn man dem den kleinen Finger gibt, hat er einen ja gleich am Kanthaken. Das weiß männigein.


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