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Sleefkamp, den 13. Juli 19 ..

Eben ging der Landjäger fort, mein Freund, der Arne Brodersen. »Wien, wie sehen Sie aus?« fragte er, und war wohl erschrocken. »Wahrscheinlich, wie der Herr Landjäger«, gab ich zurück. »Wir können wohl sagen: ›wi beiden Smucken‹, aber ich will den Herrn nicht beleidigen. In der Häßlichkeit bün it Ihnen öwer.« Aber das waren nur Plänkeleien. Der Landjäger hielt plötzlich meine Hand, und das Sprechen wollt' nicht recht gehen.

»Man hat sie doch gefunden«, stieß er heraus. »Die Birgitt Dierk. Aber nicht im Moor. Irr ist sie gewesen, weil sie ihr Kind in der Dunkelheit nicht mehr gefunden hat. Gelaufen ist sie verkehrten Weg, ein Bauer hat sie mitgenommen. Im Bremer Krankenhaus ist sie als »Unbekannt« verstorben. Liegt auf dem Riensberger Friedhof. Durch den Steckbrief ist alles aufgedeckt worden.«

Arne Brodersen war erschüttert und doch wie getröstet. Das Denken an den grausen Moortod hatte ihn verstört. Jetzt wußte er die arme Seel' im behüteten Grabe, und wir zwei Gesellen wollen hinfahren und die Ruhestatt in Obhut nehmen, damit wir Lütt Birgitt in ein paar Jahren die Stelle weisen können. »Schau' Deern – in dem kleinen Fleckchen kann so viel Mutterliebe Platz haben.«

Knechtsstube, 13. Juli 19 ..

Als meine braven Mitknechte mein »Habchen und Babchen« mit mir eingerichtet hatten, nachdem die Gesine mir den Pesel wacker gescheuert und herausgeputzt, schenkt ich den zweien zwei Heidmärker ein. Mit einem Kipp waren sie verschwunden, und Hannes rieb sich den Magen: »Das brennt wie Gottswort, wenn man schlecht's Gewissen hat.«

»Hast eins?«, fragte Onnen Tewes.

»Bin nie ganz frei von«, gestand Hannes.

Und dann erzählten sie: daß »de Fru« es hilde gehabt und kommandeert hätt', as wär' sie sülben en General.«

»Was gab's denn zu kommandieren?«

»Na, mit die Möbels.« Sie hätte sie alle erst selbst poliert und gewischt, ehe sie sie forttragen durften, und ein Gesicht hätt' sie gemacht ... »Was für'n Gesicht, du Drähnschnack?« fragte Muhme Kordula. And da stand sie im Knechtspesel und pustete gewaltig und stand patzig und heischend vor Hannes.

»Och man sooo«, stamerte der und meinte dann treuherzig: »Fru, ik kann da nix vör – de Horcher an de Wand, horcht sin eigen Schand.« Grüßten noch mit Heidjerspruch: »Alltosamen« und stapften hinaus. Von der Tür aber war schnell etwas fortgelaufen, das wohl die alte Frau hergeleitet hatte.

Ich hatte längst den bequemsten Ohrenstuhl hingeschoben zu ihr. »Mit Gott, Muhme! Halt deinen Einstand!«

»Das will ich, Wien. Will dir die Ruh' nicht mitnehmen, gleichwohl du sie mir genommen hast.«

»Und ich kann sie dir nicht geben, weil ich selber keine hab'.«

»So heißt es im Liedel. Aber da waren es zwei Liebsleute, und hier ist die alte Muhme und ein junger Katteiker.«

»So arg jung ist er nicht mehr!« Und ich ließ mich stöhnend in den zweiten Ohrenstuhl fallen.

»Werd' ich nun hören, was ihr zwei gottverlassenen ›Stritschnucken‹ wieder mal miteinander ausgefochten habt?«

»Was wir mitnander haben, das ficht sich nimmer aus, Muhme, das hebt immer wieder zu wachsen an, wie das garstige Ungeheuer im Altertum. Wenn man einen Kopf abriß, wuchs ein neuer.«

»Nun laß man den Bandwurm, Wien – erzähl' auf meine Frage!«

»Ich petz' nicht, Muhme Kordula.«

»Das brauchst nicht. Die Amei sagt: ›Ich hab' ihn wieder mal wie'n Hund behandelt, da hat er sich gewehrt.‹«

Ich schwieg. Hätt' ja doch nur sagen können: »So ist sie, die Amei. Erst schneid't sie einem die Ehr' ab, und dann verklagt sie sich.« Aber das hätte ja geklungen wie 'ne Anerkennung.

»Und da mußte gleich weggezogen werden von uns? Mit allem Zubehör?

»Ja, Muhme.«

»Hast eine Brasil, Wien?«

Nein Muhme, meine Brasils stehen bei dir drüben.«

»So? Und der Kasten ist leer.«

»Ich hab' nur meinen guten Varinas, Mischung Nr. 1.«

»Protz! Gib her!«

Das Pfeifchen, wieder das feingeschnitzte vom Schwarzwald, war bald gestopft, und die Muhme paffte behaglich. Ich hatte keinen Gusto drauf. Wir schwiegen lange.

»Was soll's nun?« fragte sie endlich. »Willst mich wirklich verlassen, Wien?«

»In Zeit und Ewigkeit nicht! Muhme Kordula! Bei uns heißt's: Pech und Schwefel!«

Sagt die Muhme: »So riecht's auch beim Teufel und seiner Großmutter – – –« Die Stimme brach der alten Frau.

»Muhme Kordula, ich bleib' ja hier, bis – bis – du weißt schon. Ich arbeite für dich und den Sleefkamp als treuer Knecht. Aber ich will auch des Nachts und allstunds hier im Abseits, nicht im Herrenhaus bleiben.«

»Jesus, Wien! Herrenhaus! Schimpfst du's auch so? Ein Bauernhof ist's! Hast du den Respekt verloren, nur weil eine dumme Deern, ihn dir verekelt?«

»Den Sleefkamp kann mir niemand verekeln! Da bin ich verankert. Da drinnen, Muhme, tief drinnen. Aber der äußere, grobe Knecht gehört in den Stall.«

Muhme Kordula sah sich rings um. »Nun es ist ein ganz kommoder Stall. Was hast für gute Sachen, Wien! Kannst jeden Tag heiraten.«

»Nie so etwas sagen, Muhme Kordula. Ich bin Einspänner.«

»Das ist nicht wahr, Wien! Dann hätte der liebe Gott nicht gesagt: ›Ich will ihm eine Gehilfin schaffen.‹ Und du brauchst jemand, damit du dich nicht festfährst, und vielleicht braucht jemand dich, damit er nicht durchgeht.«

»Dann will ich warten, Muhme Kordula, auf die Herrgottsgehilfin.«

»So ist's recht. Und paß derweile gut auf deine Rippen auf.«

Ich muß es dem Folianten sagen – es ist wie ein Trunk frisches Quellwasser, wenn man so ein paar Kraftansichten von der Achtzigjährigen zu hören bekommt. – Muhme Kordula will bald wieder kommen. Sie versteht mich zu tiefst. Vielleicht richtet sie sich sogar ein lüttjes Absteigequartier bei mir ein. Das Altgedinge, wo ich hause, birgt noch eine Menge Kammern und Stuben, sie sagt, sie braucht nur eine, worin sie sich dann mit dem Oberknecht Wien berät. »Konferenzzimmer« will sie's nennen. Ich hab' ihr zu bedenken gegeben, daß die Viehställe allzunahe sind. »Wien«, sagt sie, »auch wichtige Konferenzen der Großstadt werden manchesmal durch Ochsen gestört – warum nicht die in einem schlichten Bauernhof?«

Als ich sie heimbringen wollte und die Fleettüre aufschloß, stand da eine weiße Gestalt in der Dämmerung, die nahm die alte Frau in Empfang. Und ich war tölpelich, wie allstunds. Gab schier Fersengeld. Aber ich blieb an meinem Kammerfenster stehen, bis die Tür des Sleefkamphauses sich hinter den beiden Frauen schloß.

Ich klopfte dann noch an den Schlafpesel der alten Gesine, der sie und das Kind Birgitt herbergt. Sie war unwirsch.

»Mach' keine neuen Moden, Wien. Meinst, weil du Patenohm bist, kannst mir das Lüttje aufwecken? Ist nicht munter, das Dinglein. Die Kuh muß sich im Grünfutter versehen haben.«

»Mach der Kuh keinen Vorwurf, Gesine. Wie oft versehen wir gescheiten Menschen uns im Futter.«

»Ich hab' dich noch niemalen für gescheit gehalten, Wien. – Mach' schnell und sag's, weshalb du noch rumgeisterst, zu nachtschlafender Zeit um halb neun. Und war das nicht ›die Frau‹, die bei dir war?«

Da hab' ich ihr geschwind und möglichst leise Bescheid gegeben, daß ich jetzt bei ihr eingesiedelt wär und sie mich von nun an bedienen und betreuen müßt'.«

»Ist recht«, brummte sie. »Von allen Mannsleuten bist noch der Unschädlichste. Weißt ja, unter Blinden ist der Einäugige König. Und hab' ich nun ein Kind, eine Kuh, zwei Schweine und einen Oberknecht. Gode Nach', Wien! Alltosamen!«

Es ist Mondschein. Der alte Freund tritt zum erstenmal aus den Wolken, als wollt' er mich grüßen zum Einstand. Ich will noch die Fleettür leise aufschließen für die Stille, die draußen ist. Dann sacht den Riegel vorschieben. Vielleicht bleibt die Stille dann bei mir und »füllet« mein unruhiges Herz. Wie ich brav den »Fullianten« fülle.


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