Felicitas Rose
Kerlchen als Anstandsdame
Felicitas Rose

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Brief von Leutnant Erich Schlieden an Kerlchen.

Geliebter Kerl!

Wer hätte gedacht, daß aus dem düsteren Altenhoser Schloß noch einmal so sonnige Briefe meine Studierstube in Berlin W. verklären würden.

Verzeih', mein Terle-Terle, aber Deine letzten Nachrichten haben eine köstliche, lachende Unterhaltung für zwei abgearbeitete Menschen abgegeben, für Deinen Erich-Bruder und – Fritz von Rumohr, der sich jetzt wöchentlich einmal bei mir erholt. Wenn er antritt, wandern wir beide schweigend zum Potsdamer Bahnhof, fahren schweigend nach Halensee hinaus, machen schweigend einen scharfen Gang durch den kalten Grunewald und kehren dann in einem stillen Wirtshaus ein, wo wir uns jeder eine Tasse Kaffee, und ich, in seligem Andenken an meine Kadettenzeit, einen Apfelkuchen mit Schlagsahne geben lassen, aber von da ab sind wir nicht mehr schweigend, sondern behandeln eingehend unser Thema: »Kerlchen.« Und dann ziehe ich den in den letzten acht Tagen von Dir erhaltenen Brief hervor und lese und – o Du liebes Kerlchen, wenn es nach Dir ginge, könnten wir beide schon die denkbar musterhaftesten Familienväter abgeben, so bewandert sind wir bereits durch Deine Schilderungen in »Klein-Kinderpflege«. Du ahnst gewiß gar nicht, welch köstliche Vorträge Du uns hältst, die trotz ihrer Ernsthaftigkeit oder vielleicht gerade deshalb so zwerchfellerschütternd wirken. Du glaubst nicht, wie es mich beruhigt, zu wissen, daß »Kleinchen« jetzt schon ein paar »Striche« Milch mehr bekommt, und daß trotzdem seine Verdauung ganz vorzüglich ist. Auch Fritz nimmt mit gebührender Bewunderung hiervon Kenntnis.

Hast Du uns aber so treu von den Kindern berichtet, so will ich Dir und den andern Schloßbewohnern auch mitteilen, daß wir Nachricht vom Vater haben, gute Nachricht. Oder sagen wir lieber, über den Vater, denn Hartwig schreibt nicht selbst. Der Handelsherr und Besitzer der Farm hat an meinen Oberst geschrieben und rühmt Hartwig als eiserne Arbeitskraft, aber er »sei erstaunt gewesen, einen alten Mann vor sich zu sehen«.

So hat das Leid den Sechsundreißigjährigen verändert!

Kerlchen, ich sehe trotz der guten Nachrichten trübe in die Zukunft. Hier muß ein Höherer helfen.

Gottlob, daß Altenhofs reich sind und für niemand mehr zu sorgen haben, so werden die Kleinen nicht materielle Not zu leiden brauchen, wenn sie auch fern von Vater-, Mutter- und Verwandtenliebe aufwachsen.

Verwandtenliebe!

Auch ein Kapitel, liebes Kerlchen! Ich hatte auf eigene Faust an die einzige, wohlhabende Verwandte von Hartwig geschrieben, ein älteres Fräulein, die Schwester seines Vaters, die ihren Neffen früher vergötterte, aber von dem Tage seiner Verlobung ihm feindlich gegenüberstand. Das traf ihn vielleicht noch härter als alles andere, denn er hing an der »alten Jungfer«, wie sie sich selbst mit Vorliebe nannte. Sie war stolz auf diesen Titel.

Ich schrieb an sie, weil der Tod jeden Groll auslöscht, und weil Hans mir in den Stunden vor unserem Scheiden sein Herz ausschüttete und mir anvertraute, daß Fräulein Laura von Hartwig seinerzeit Gisela sehr lieb gehabt und nur mit ihm gebrochen habe, weil er sich von seiner ersten Braut trennte. Erst als ich den Brief abgeschickt, sagte ich es Hartwig, und er beschleunigte seine Reise ins Ausland, um nicht mit ihr zusammenzutreffen.

»Ich kenne Tante Laura,« fügte er zu mir, »sie ist eigensinnig und starrköpfig und hätte meiner Inge nie ein gutes Wort gegönnt, aber wenn sie erfährt, daß da zwei mutterlose Waisen aus Hartwigs Stamm in der Welt umherlaufen, kommt sie sofort.«

Unnütze Sorge!

Ein Vierteljahr ist schon vergangen, – nicht eine Zeile hat sie auf die Todesanzeige und meinen beweglichen Brief erwidert. Aber sie haust da oben irgendwo im Lübeckischen, Hans gab mir die Stadt Mölln als Adresse an, da hab' ich den Brief aufs Geratewohl hingeschickt, denn Fritz von Rumohr schwört, daß bei den heutigen, famosen postalischen Zuständen jeder Brief ankäme und lautete auch die Adresse:

»An Kerlchen in Deutschland.«

Fritz von Rumohr kennt Fräulein von Hartwig auch, sie ist eine Freundin seiner Großmutter; er ist empört wie ich, daß man nichts von ihr hört, und sie die verwaisten Kinder fremden Menschen überläßt.

Gott verzeih' mir die Sünde. Es sind keine fremden Menschen, es sind Edelmenschen, und mein Terle-Terle gehört zu ihnen.

Leb' wohl, Schwesterchen, Fritz grüßt Dich tausendmal.

Dein Erich.

*


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