Felicitas Rose
Kerlchen als Anstandsdame
Felicitas Rose

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Brief von Bümi an Kerlchen!

Kleines!

Wenn noch ein Tropfen Tinte sich im Umkreise von Altenhof befinden sollte, so tauche Deine Feder hinein und versuche, mit diesem Tropfen uns aus unserer Unruhe zu reißen. Die Buchenwalder schreiben alle Nasen lang: »Kerlchen hat geschrieben«, »Kerlchen hat an seine Mutter geschrieben«, »Kerlchen hat an die Frau Pastern geschrieben«, aber so schlau sind weder die Olsch, noch das Jüngchen, daß sie hinzusetzten: »Kerlchen geht's gut«. Und so hänge ich vor Angst um Dich nur noch in den Gräten (ein schauderhafter Anblick), und Franz schleicht als Schemen zu seinen Patienten. (Hier folgt eine Anmerkung des Dr. Franz Schirmer: »Bitte, Fräulein Kerlchen, dividieren Sie die Briefe meiner Frau immer durch 10, die berühmte Schliedensche Phantasie geht regelmäßig mit ihr durch. Ergebensten Gruß Dr. F. S.) – Siehst Du, Kerlchen, so ist er nun. Unter dem Vorwande, immer in meiner Nähe weilen zu müssen, liest er mir über die Schulter weg meine Briefe, schiebt mich dann einfach beiseite und kliert in meine tadellose höhere Töchterschrift seine nicht zu entziffernde Doktorpfote.

Und ein Heuchler ist er obendrein, denn zu Dir spricht er zart von »Schliedenscher Phantasie«, während er zu mir vorhin sagte: »Lüg' du und der Deubel«.

Mir ist's ein wahres Wunder, daß man diesen abscheulichen Menschen so unvernünftig lieb hat und – offen gestanden, Kerlchen, ich kann immer noch nicht begreifen, daß Du diesen, – diesen, – diesen, na eben meinen Franz nicht mit allen zehn Fingern an den Rockschlippen festgehalten hast, für Dich selbst, als Du noch in Hilskehmen bei der verflossenen Frau Käfermann stütztest.

Du mußt doch ein rechter Eiszapfen sein. Hinwiederum danke ich Dir aus vollem Herzen, daß Du mir meinen Doktor reserviert hast, was wäre ich ohne ihn? (Stimmt! Dr. F. S.)

So 'n Unsinn! Ich wäre dann natürlich wolkenlos glücklich in Buchenwalde und bildete den Augentrost meiner Eltern, (Hm, hm. Dr. F. S.) Du mußt nämlich wissen, mein Herzenskerlchen, Franz sitzt dicht neben mir und reißt mir jede Minute die Feder aus der Hand, um seine dummen Randglossen zu machen. Für das Wort »dumm« mußte ich ihn eben zehn Minuten lang um Verzeihung bitten und zwar in einer ganz verrückten, kaum wiederzugebenden, närrischen Sprache, wie sie sich eben zwei verrückte, dumme Leutchen ausdenken, die sich närrisch, närrisch, närrisch lieb haben. So: »Verßaiung iiiich biiii – hitee!«

O Kerlchen, nicht wahr, man ist ja nur einmal jung! Vom achtzigsten Jahre ab will ich mich bemühen, verständig zu werden, – augenblicklich ist das Leben zu, zu, zu schön, holdriohoh! Wie schon gesagt, ich vergehe vor Angst um Dich, also schreibe endlich Deiner

Bümi.

Nachschrift.

Ach du liebe Zeit, die Hauptsache habe ich ja ganz vergessen! – Es ist doch merkwürdig, mein Franz ist doch ein so gescheiter Mensch, aber in seiner Nähe fällt mir nie was Vernünftiges ein, woran mag das nur liegen???

Eben wurde er abgerufen, und nun ist's mir, als bestände ich lediglich aus Auerschen Glühstrümpfen, – so helle tagt's mir, also hör' fix zu: »Du kommst doch zu Weihnachten hierher?« Wir alle rechnen auf Dich, denn Deine Schilderung von Altenhof, die, wie ich fürchte, noch »schöngefärbt« war und die in dem Satze gipfelte: »Ein Tannenbaum wird hier nicht angezündet«, hat uns empört und betrübt zugleich.

Vielleicht zünden die Hottentotten keine Tanne an, aber in unsern christlichen Landen muß im kleinsten Stübchen ein Bäumchen brennen. Und wenn es auch nur handhoch ist und ein einziges Lichtchen aufweist, das man an dem letzten Fünkchen Gottvertrauen in der eigenen Seele entzündet – – – Kerlchen tu mir die Liebe und bleib zur lieben Weihnachtszeit nicht bei den Leuten, die nicht einmal dieses Fünkchen mehr haben. Auf Wiedersehn zum Fest bei uns oder im Buchenwälder Familiensaal.

Immer die Deine
Bümi.

*


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