Felicitas Rose
Kerlchen als Anstandsdame
Felicitas Rose

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S. im November 18..

Brief von Bümi an Kerlchen.

Mein liebes, kleines, dummes, dreimal vernageltes Kerlchen!

Bitte besieh Dir genau den Briefumschlag, es klebt eine Zwanzigpfennigmarke drauf, und das will bei den schlechten Zeiten viel sagen. Es herrscht in S. eine gar zu gesunde Luft, es ist geradezu ein Grab für einen Arzt mit Frau und –, na, also vorläufig mit Frau. Nicht die kleinste Seuche zeigt sich am Horizont, niemand bricht sich Arm oder Bein, trotzdem das Pflaster miserabel ist und Franz sich in der Stadtverordnetenversammlung auch gegen die Erneuerung ausgesprochen hat, – aus guten Gründen.

Selbst die Influenza macht »Halt« vor den Toren unserer Stadt, während sie im Weichbilde der nächsten herumwütet, wie nicht gescheit.

Es ist eine hungrige, elende Zeit, (verzeih, ich muß eine Pause machen, die Paketpost hält vor der Tür, und die Olsch schickt mir eine Kiste mit Wurst, Speck und Spickgans) – – – –

Also wo war ich stehn geblieben? Richtig – es ist eine hungrige, elende Zeit. Beim Aufwachen höre ich von Franz anstatt »Guten Morgen!« schon immer »Sparen, sparen,« na und das tue ich ja auch.

Weshalb ich Dir diese Jammerepistel sende und mir dazu vom Etat zwanzig Pfennige abknapse?

Um Dir Deine Verbohrtheit, Deinen Leichtsinn, Deine Unüberlegtheit recht ins Gemüte zu führen, Du dummes, dummes, liebes, ideales Goldkerlchen!

Eben fährt wieder Herr von Borby vorbei, an unserm Hause läßt er immer noch ein bißchen langsamer fahren, damit ich ja auch richtig sehe, wie satt und fett er im Fond sitzt.

»So hätte es deine Cousine auch haben können,« sagt jede Miene seines Gesichts. Auf dem Platz, an seiner Seite, wo Du dummes Kerlchen eigentlich sitzen solltest, sitzt jetzt sein greulicher Hund, den Du ob seiner Rassenunreinheit: »Pinscherteckelterrierspitzchen« getauft hattest.

Findest Du es nicht riesig geschmacklos, ein heilig angetrautes Weib durch einen Hund zu ersetzen?

Onkel Liskow soll gesagt haben:

»Weil der Borby das Kerlchen nicht gekriegt hat, ist er gleich auf den Hund gekommen. Kerlchen, im Ernst, – glaubst Du, daß Dir Dein Idealismus eine Bohne nützen wird? Ich hätte mir Dein vornehmes und manchmal doch recht hochmütiges Gesichtchen so herrlich vorstellen können im Borbyschen Landauer, Du würdest mich dann immer abholen zum Spazierenfahren, und Dein Greuel von Mann ließen wir zu Hause.

Mindestens paßt Du nicht zur »Stütze«, – Kerlchen, ich könnte heulen, wenn ich dran denke, daß Du in »Stellung« bist und »Fräulein« heißt. So ein lieb Ding, wie Du bist! So 'ne söte Deern! Son lütten Katteiker! Der liebe Gott selbst muß ja seine helle Freude an Dir haben und hätte gewiß den alten Borby rasch zu sich genommen, wenn Du damals »ja« sagtest.

Kerlchen, Du warst am Ende doch 'n Schaf.

Und Fritz von Rumohr ist auch eins.

Denk blos, – er hätte in Berlin ein steinreiches Mädel haben können, hübsch und gut gewachsen dazu (Fräulein von Strand deutete ja neulich auf der Taufe von Luttewetes Kindchen schon so etwas an), aber als ihre Eltern, weil sich ihre verzogene Einzige nun mal den hübschen Kerl in den Kopf gesetzt hatte, mit Taschentraualtar und gezücktem Segen auf ihn losgegangen sind, ist er reineweg zum Eiszapfen geworden, sodaß sie wieder stoppen mußten.

So ein Unsinn! Was will er denn?

Von seinem Jammergehalt darbt er sich das Nötigste ab, um die Ehrenschuld seines Vaters zu bezahlen. Das klingt ja wunderschön, und der Mensch sieht ja auch »hungrig« viel interessanter aus, als »satt«, aber der Rumohr sieht ohnedies schon »berückend« aus und soll nicht noch vollends unsere Mitschwestern mit seiner »Interessantigkeit« verrückt machen.

Sagtest Nu was, Kerlchen?

Natürlich nicht. Aus Dir wird man nie klug. Wärst Du aber vernünftig gewesen. Du unvernünftiges Kerlchen, dann hättest Du zu Borby »ja« gesagt, wärst, anstatt »Stütze der Hausfrau«, Stütze dieses alten, wackligen Hausherrn geworden, bis er sanft »entschluf«, Dich zur Erbin seiner Millionen machte, mit denen Du nach angemessener Frist den Rumohr beglücktest. Wäre das nicht ein herrlicher Romanschluß gewesen? So lach' doch, Kerlchen, lach' doch! Sieh nicht so furchtbar ernst drein, ich sehe ja Deine großen, erschrockenen Kinderaugen bis hierher leuchten.

Du kennst doch Deine Bümi! Weißt doch, daß sie zu Dir hält, daß sie Dich versteht so ganz, und gar!

Gelt, viel lieber hungern allein oder mit einem geliebten Menschen, als prassen mit einem verhaßten Manne um der Versorgung willen! Da fährt er wieder vorbei, der Protz, der es wagte, auch nur zu denken, – daß Kerlchen, unser Kerlchen, – könnte, würde – – ohhh. Lang, lang strecke ich ihm die Zunge hinaus (ich habe das so prachtvoll von Dir gelernt), hinter dem Vorhang allerdings (leider muß ich auf Franzens Stellung Rücksicht nehmen), – noch länger, denn Borby lächelt und grinst zu uns herauf, – Kerlchen, mir ist ganz schlecht geworden, aber ich habe Dich gerächt. – – –

Schreibe mir genau Deine neue Adresse.

Deine Frau von Altenhof ist sogar hier bekannt. Sie soll mehr als wunderlich sein und mir bangt um Dich.

Gott befohlen, Gott befohlen!
Deine treue Bümi.

*


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