Felicitas Rose
Das Haus mit den grünen Fensterläden
Felicitas Rose

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Erdmuthens Ruh bei B., Ende April 19 ..

Ja, nun macht die Namensschwester und Taufpatin ihre süßen, erstaunten Augen ... Meine Erdmuthe, ich habe das kleine Schlößchen, das bisher reizend, aber namenlos im tiefsten, schönsten Teile des Parkes lag, also getauft. Das eigentliche Herrenhaus trägt ja seit 125 Jahren den Namen: Twielerhaus. Und am 7. Mai soll Deine feierliche Einholung durch mich und meine Gutsleute stattfinden. Nicht wahr, meine Einzige, ich habe Dich lange genug bei Großje gelassen? Erkenne es an und laß mich nun nicht länger harren. Der Frühling ist wundervoll, und Baum und Strauch haben sich für die junge Königin geschmückt. Du wirst vieles finden in Deinem neuen Reich, was Dein Herz erfreut. Ich habe wohl aufgepaßt und die seltenen Male genau vermerkt, da irgendein Wunsch Dich bewegte, Du bescheidenes Mädchen. – Aus jener Zeit, da der Twieler Dich anschmachtete wie ein Primaner. Das war Dir gar nicht recht, deshalb habe ich mir's gründlich abgewöhnt. Das wirst Du spüren und mir ein Ia Zeugnis geben.

Ich harre Dein mit Bäumen und Büschen und Blüten um die Wette, und schmücke weiter die Erdmuthenruhe, bis Du einziehst. Wenn es möglich ist, bringe das Großje mit. Vielleicht läßt sie sich doch bestimmen.«

Dein getreuer Twieler.

Erdmuthe stand vor ihrem Großje. »Du mußt nachher diesen Brief lesen«, sagte sie bewegt. »Lothar kann sich nicht genug tun in liebevoller Verwöhnung meiner Person. Es ist beschämend für mich, ich gebe ihm viel zuwenig zurück.«

Großje wiegte sinnend das weiße Haupt.

»Du gibst ihm Dankbarkeit und hohe Verehrung. Es stünde besser um viele Ehen, wenn diese beiden Dinge der Grundzug wären. Anstatt Rausch und dann Übersättigung. Und du freust dich doch auf dein neues Heim, Kind? Von Herzen? Von ganzem Herzen?«

»Ich glaube, ich tue es, Großje. Und da du mir sagst, du stellst Dankbarkeit und Verehrung an die Spitze aller vorbildlichen Ehetugenden, da bin ich schon viel mutiger. Und ich fühle, ich habe ein reiches Feld im Schlosse der Twielers zugewiesen bekommen; Großje, die Densos sollen und werden sich bewähren. Und nun lies seine lieben, goldenen Worte, Grotzje.«

Erdmuthe schritt die Treppe hinunter und sah mit einigem Befremden, wie ein riesiger Schrankkoffer hineingetragen wurde in Peter Hartmanns Wohnung, und sah den Dienstmann wieder hinausgehen; sie klopfte mit froher Erwartung an die Tür. Als sie keine Antwort bekam, klinkte sie sacht auf. Da stand der Schmiedemeister, und die Tränen liefen ihm über das Gesicht, und er schluckte heftig, ehe er sprechen konnte. »Mich hat's umgeworfen«, sagte er stockend, »ja mit einmal warf's mich um. Als ich an dich dachte. Du bist nicht mehr das Kind Mutheken, du bist 'ne Baronin und ich muß dich ›Sie‹ nennen ... Herrgott, wie ist das schwer!«

»Vor allen Dingen: Grüß Gott«, rief Erdmuthe, »und unterstehen Sie sich nicht ein einzigmal ›Sie‹ zu sagen, mein Beschützer, lieber sage ich gleich auch ›du‹. – –«

Da lag sie auch schon in seinen Armen. »Mutheken, Mutheken, ich bin wieder da. Und du bist dieselbe geblieben. Gott sei ewig Lob und Dank! Ich bin in Berlin, ich bin bei dir.«

»Auf dem Herweg vom Lehrter Bahnhof bin ich auf den Bock zum Droschkenkutscher 126 geklettert, jawohl, von innen herauf. Und hab' drinnen statt meiner den Schrankkoffert sitzen lassen. Und hab mich wieder weit auf Umwegen fahren lassen, durch die Klopstockstraße un den janzen Tiergarten. – – Ach, und die Berliner Luft, so stark und rein, die kann ja keine Seebrise ersetzen. Kind, du lachst, – aber ich hab' mich rein tot gesehnt auf der ›Polonia‹. Und einmal habe ich an Deck in die geputzte Internationale reingebrüllt: ›Kinnersch, ik jehe nach Berlin, – Jotte doch, ik weer noch varrickt uff eiern Kahn!‹ Da ham se jeglaubt, ik hätte 'n Tropenkoller und mißt irjendwo in Quarantäne. Mutheken, Mutheken, un nu laß dir besehen un kümmre dir nich um mein berlinern. Dat wirste noch ofte hören, – ik muß erst wieder in de Reihe kommen.«

Erdmuthe lachte fröhlich und anhaltend, – ihre Zähne und ihre Augen blitzten.

»Mutheken, schön biste man einmal. Un 'ne Frau biste? Dunnerlittchen, man sieht dir's nich an. Siehst eher aus, wie 'ne wunderfeine, ledige Märchenprinzessin, die auf ihren Prinzen wartet.«

»Tue ich ja auch ...« rief Erdmuthe. Und mit einmal tat ihr das junge Herz zum Sterben weh. Sie barg ihren Kopf an der breiten Brust des Schmiedemeisters und weinte bitterlich.

»Mutheken, da bin ich wirklich erschrocken. Aber nicht wahr, das sind nur so Tränen von sone junge Frauchens, die das Mächtige noch nicht fassen können, was plötzlich so in ihr Leben getreten ist ... Oder ist's gar noch was Heiligeres – du – Erdmutheken??? Bist mir auch nicht gram, daß die Schmiedefaust so dran rührt ... Mutheken?«

»Nein, nein, das ist es nicht!« Sie umklammerte seinen Arm. »Ich weiß nicht, wie mir ist ... ich habe Angst ... Nicht wahr, lieber Meister, du bist mein Vater, – ich war ja so klein, als mein rechter Vater starb. Sei mein Vater, du lieber Beschützer. – Dann will ich ganz ruhig meinen Lebensweg gehen – – hart ist er – dornig – – – – Vater Hartmann – – –«

Da war sie aber schon hinausgelaufen. Und der Schmiedemeister schritt mit schwerem Herzen die Stiege hinauf zu Großje. Aber er trug den festen Entschluß in sich, das Geheimnis seines Muthekens zu wahren. –

Also das Heiligste – das war es nicht. Aber was dann? War das Kind unglücklich?

Großje hatte gerade Twielers Brief beendet, als ihr alter Freund bei ihr eintrat. »Gnädige Frau Großje sind ja noch schöner geworden«, sagte er bewegt und küßte ihre Hand.

»Und mein guter Schmiedemeister ist im Ausland zum Höfling und Schmeichler geworden«, lachte sie fein. »Grüß Gott von Herzen! Und wir haben nichts gewußt von Ihrer Ankunft! Und niemand hat Sie begrüßt!«

»Aber ja! Die Frau Baronin Twieler war bei mir im Stübchen.«

»Das glaube ich nicht ... Sollte es nicht das Muthchen gewesen sein?«

»Ja, ja, es war das Mutheken! Und sie nennt mich auch ›du‹, und ist unverändert gütig, ebenso wie das gnädige Frau Großje.«

»Ich wüßte auch nicht, wie wir draufkommen sollten, Ihnen ungütig zu begegnen, Peter Hartmann, dem wir so viel danken ... Und sehen Sie, nun will man mich alte Frau nach dem Twielerhaus schleppen. Mit dem Krankenwagen – anders geht es ja nicht. Sie meinen es gut, die Leutlein, aber mein Herz und mein siecher Körper wollen im Hause mit den grünen Fensterläden bleiben ...« Gerade trat Erdmuthe ins Zimmer. »So, da habe ich ja dein Glaubensbekenntnis gehört«, sagte sie gefaßt, denn sie hatte inzwischen ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, daß Großje sie ins Twielerhaus begleiten möchte. Schwer enttäuscht war sie, aber an Entsagen nun schon gewöhnt. Warum sollte auch der alte Baum verpflanzt werden, nur um das junge Bäumlein zu stützen, das da meinte, es könne nimmermehr Wurzel fassen in der neuen Heimat. Heute sollte nun noch Schwester Lotte wiederkehren, die ihre Mutter in der Heimat begraben hatte. Sie schrieb, daß sie die Zeit kaum erwarten könne, in das Haus mit den grünen Fensterläden zurückzukehren. Ja, sie hatten dann alle ihre rechte Heimat, und nur das Mutheken ... das war wie ein junger Vogel aus dem Nest gefallen. – –

Am 5. Mai reiste Erdmuthe nach Twielerhaus. Und die drei Zurückgebliebenen meinten, jetzt sei auch ihre Heimat fort. Und die Blumenfrau, Ecke Stromstraße, begrub all ihre glühenden, aber unberechtigten Hoffnungen auf den Schmiedemeister, ja sie konnte kaum noch wünschen, die dritte Frau des finsteren, in sich gekehrten Mannes zu werden, der, wie es schien, sein altes Herz ganz an diese Densos gehängt hatte, für Zeit und Ewigkeit.

Paris, Ende Juli 19..

Mein lieber Vater! Ich weiß, es ist sehr unrecht, Dich immer so lange ohne Nachricht zu lassen, trotzdem sind Deine guten Briefe schlechthin die Nahrung, die ich brauche. Aber ich war krank, beinahe möchte ich sagen, geistig krank, seelisch völlig auf dem Hund. Noch genau wie damals in Rio Grande do Sul. Ein elendes Armutszeugnis, das ich mir ausstellen muß. Und nun auf einmal kann ich den Gedanken nicht los werden, Dich, den wahrhaft Guten, Sorgenden, der meine Mutter auf Händen getragen hat, so ganz ohne Vertrauen meinerseits fortgelassen zu haben. Wie ein Schwächling habe ich mich damals eingeschlossen und mit dem Schicksal abgerechnet durch Toben und Wüten. Und Du standest vor meiner Tür und ahntest nichts von meiner Not, und ich ließ Dich nicht ein in mein Herz. Du aber mußtest Dich von Fremden bedienen lassen. Ein wahnsinniger Schmerz, den ich erlitt, hatte meine Dankbarkeit gegen Dich betäubt oder doch wenigstens ganz in den Hintergrund geschoben. Ich selbst war tot für meine Freunde, aber ich trieb Raubbau mit meinen Kräften, arbeitete Tag und Nacht. Nun habe ich einen Auftrag, der mich fesselt. Ich baue ein Schloß in der Provence, in geradezu paradiesischer Umgebung, und der alte Marquis de Concilly ist ein feiner Kunstkenner, der auf alle meine Pläne eingeht und mich nur das edelste Material wählen läßt. Das ist etwas für Deinen Jungen; und dabei bin ich aufgewacht. Wenn ich aber wache, bist Du für mich sofort da, denn ich habe Dich all mein Lebtag wie eine Mutter angesehn, die ihrem Kinde anhängt, auch wenn es sich ungut gegen sie benimmt. Vater, ich möchte Dir beichten. Erschrick nicht, denn ich habe nichts Unrechtes getan, hatte nur mein Jungsherz, seit es in dem Haus mit den grünen Fensterläden schlagen durfte, an Erdmuthe von Denso gehängt. Jawohl. La belle et la bête. Die Schöne und das Untier. Und diese Liebe bewahrte mich vor allem Eklen, Niederen, – – kurz, vor jeglichem Entgleisen. Ich Tor dachte gar nicht daran, daß irgendein anderer Mensch so vermessen sein könnte, diese Blume zu pflücken. Ich allein wollte der Vermessene sein. Aber ich wollte sie auch verdienen. Du weißt, wie ich in unserer heutigen Zeit verlacht wurde, schön auf der Schule, als Abiturient und dann als Student, daß ich den Ritter Galahad spielen wollte. Oh, ich spielte ihn nicht, es war mir heiliger Ernst damit. Wir Hartmanns sind ja so hoffnungslos altmodisch, das weißt Du von Dir selbst. Für uns gilt noch ewig die »Einzig Eine«, die heutzutage nicht mal mehr in der Lyrik vorkommt. Und ich wollte auch etwas werden, damit sie ihren hochadligen und tadellos reinen Namen gegen einen gleichreinen und angesehenen eintauschen konnte. Ich habe mich in Rio de Janeiro wie ein Tollhäusler benommen. Dort fand ich sie. Und sie war unbeschreiblich schön, äußerlich und innerlich, und so gut und echt weiblich scheu, und doch so, als müßte sie jeden Augenblick in ihrer herzerquickend offenen Art sagen: »Jumbo, wir zwei gehören zusammen.« Als ich ihr meine Liebe, mein Warten auf sie, meine Sehnsucht, sie zu besitzen, etwas hitzig gestand, da wurde sie ohnmächtig. Und dann sagte mir der Konsul von Hillich, daß meines Herzens Trost und mein Teil dem Baron von Twieler gehöre und sich auf der Hochzeitsreise befinde. – In welcher Verfassung ich nach Rio Grande do Sul heimkam, weist Du ja... Ich wollte nun den Namen Erdmuthe, – gibt es einen schöneren? – vergessen, – ausrotten mit Stumpf und Stil aus meinem Gedächtnis. Aber es hat nichts genützt. Hoffnungslos. Nur hören will ich nichts von ihr, Vater. Diese Liebe wirst Du mir erweisen, Du Treuer, daß Du sie nie in Deinen Briefen erwähnst. Ich kann es nicht ertragen zu hören, daß sie glücklich ist und dem alten Herrn Kinder gebiert. Ich kann's nicht. Mein sollte sie werden, ich allein sollte sie mit meiner Liebe überströmen, auf meinen starken Armen wollte ich sie durch die Welt tragen ... Vater, Du siehst, ich bin derselbe dumme Junge, der jähzornige, tobende Jumbo von einst. Trotzdem sie mich Professor nennen und einen Dr. Ing. neben den anderen Dr. h. c. mir anhängen. Aber meine Bauten sind sein. Du wirst sie einmal alle Dir ansehen, Du lieber Vater. – Wenn das Schloß für den Herrn Marquis de Concilly fertig ist, dann – Du, jetzt Du – jetzt kommt wieder was Verrücktes, dann baue ich das schönste Heidehaus mit einem Ahnensaal und großen Zimmern und Diele und Ställen, massiv und strohgedeckt. Mit den niedersächsischen Pferdeköpfen und einem Storchnest auf dem Giebel. So hatte ich's mir ausgedacht. So wollte ich mit der Liebsten hausen. Und stehen soll's in Birkbuschen, wo die liebe Mutter Ernstine daheim war. Ja, und grüne Fensterläden muß es natürlich haben, wie Urgroßmutter sagte: »Nur in de Jrienen wohnt det Jlück.« Dort wollen wir beide hausen, Du und ich, Vater, willst Du? Das Haus in Berlin schenkst Du dem bravsten, tüchtigsten Gesellen, dem Maxe, der hat es um uns verdient. Ich grüße Dich, treuer Vater.

Laß Dir die Liebe gefallen Deines gehorsamen Sohnes

Bernhard.

Berlin, im Haus mit den grünen Fensterläden, in den ersten Tagen des August.

Mein lieber Junge! Gar nicht, aber auch gar nicht tut mir Dein Brief gefallen. Und ich wollte nur, Deine liebe Mutter lebte noch in Frische und Herbigkeit bei uns, die würde Dir die Leviten lesen. Ich kann's aber auch tun, denn wenn Du so wüstes Zeug redest, dann verliere ich für 'ne Weile den Respekt vor den vielen Doktoren, die in meinem Herrn Sohn stecken. Und dann kann ich mit dem Hammer auf den Amboß hauen, doch der Amboß bist Du. – – Ein Mensch von 2,3 m Größe und hat sein Sach' gelernt, und steckt den Kopf in den Sand und spielt nicht Ritter Galahad, sondern Vogel Strauß.– – Da sage ich nun, Dein Vater, der einfache Schmied mit seiner mangelhaften Bildung, der groben, schwieligen Hand, die lauter abgebrochene und schlecht gepflegte Nägel hat, dito mangelhaftes Deutsch im Munde mit Verwechslung sämtlicher Artikel. Ich sage Dir: Du verdienst gar nicht die reine, feine, deutsche Frau, die kraftvoller als Du einen Dornenweg geht. Ja, so hat sie selbst gesagt, dornig und hart sei ihr Weg, und sicher auch steil. Aufgeopfert hat sie sich. Um ihrem Großje zu helfen und der alten Präsidentin und den Namen Denso nicht verwittern zu lassen. Ich glaube, mein lieber Sohn, die Frau Großje und der Baron Twieler und das tapfere Mutheken sind in ihrer Art alle größere Helden gewesen, als Du. – Und gerade nun sollst Du's hören, daß die Frau Erdmuthe von Twieler, geborene von Denso ein Kindlein unter dem Herzen trägt, das als Dein eigenes heranwachsen könnt', wenn Du eher den Mund aufgetan hättest. Man trägt es doch einem Kinde nicht nach, wenn's einen kindischen Schwur tut. Hunderttausend Briefe hättest Du schreiben müssen, um solch eine Perle, solch ein Demantsteinchen in Deine Liebe zu fassen. Wie ein dichter Vorhang hat's vor meinen Augen gelegen, aber nun ist der heruntergefallen und ich sehe alles klar. Und nur weil Du sehen sollst, wie ein gescheidter Herr auch mal auf eine Irrwurzel treten kann und sich verlaufen, sage ich Dir, daß Dir das Mutheken gut war – zum Leben und Sterben gut. Und daß sie geharrt und gewartet hat, bis oberflächliche Gesellen an mich hinredeten, daß der Bernd sich verloben will am Tag der Einweihung des Dienstgebäudes und mich zu seiner Hochzeit ladet. Ich selbst war solch leichtgläubiger Geselle und hab's ans Mutheken weitergegeben. Was mag es gelitten haben! Und nicht beigestanden habe ich ihr, sondern bin Seefahrer geworden, ins Blaue rein. Und sie hat dem Twieler ja gesagt, der zwar ein Baron ist, aber so alt wie ich. Armes Mutheken!

Nun, lieber Bernhard, mach' mit mir, was Du willst. Einen lieben, schönen, guten Brief hast mir geschrieden, und meinst, ich müsse sehr gerührt sein. Aber er gefällt mir halt nicht. – Und wie Du so lieb schreibst, daß ich mir Deine Liebe gefallen lassen soll, so laß Dir nun diesen endlosen Sermon gefallen von Deinem allergetreusten Vater

Peter Hartmann. –

Nachschrift: Eine Schmiede, die hundertfünfzig Jahre in der Familie ist, verschenkt man nicht ohne weiteres selbst nicht an den besten Gesellen. War Dein Vater nicht Schmied? Hängt Dein Herz nicht bis in Ewigkeit an diesem Stand? And an dem Vorelternhaus, darinnen sie betrieben wird?

Es war wirklich ein Paradies, das Schlößchen Erdmuthensruh. Und die tiefe Stille, die es umfing, legte sich auch beruhigend auf das verstörte Seelchen, das dort umherflatterte und so schwer mit sich ins Gericht ging. In den ersten Wochen hatte Erdmuthe gemeint, selbst eine Denso könne so Schweres nicht ertragen, wie ihr das Schicksal auferlegt hatte. Das Schicksal? Ach, es war ja feige, sich dahinter zu verstecken. Sie selbst, Erdmuthe, hatte am Kreuzwege gestanden und den bequemen Weg in ein warmes, üppiges Nest angetreten. Um Großje zu helfen? Um die irre Kranke warm zu betten? Das waren alles Beschönigungen. Aber das Bewußtsein der eigenen Unzulänglichkeit war noch leicht zu ertragen gewesen, so lange sie als Kamerad neben dem hochgesinnten Manne einherschritt, dem ihr Körper noch unantastbar war. Er war wohl oft reizbar und heftig, ein altes Herzleiden trat wieder auf, erblich in der Familie, so daß vor hundert Jahren schon eine Base dritten Grades schreiben konnte: »Ich hatte Herzklopfen wie eine echte Twieler.« Das Personal des Gutes ging ihm an den Tagen erhöhter Reizbarkeit weit aus dem Wege, selbst der alte, vertraute Gutsinspektor wandte sich lieber an die junge, gütige Gattin des Gestrengen. Und Erdmuthe vermittelte alles und trug es mit gewinnender Frohmütigkeit zu Lothar Twieler hin. »Wenn ich dich nicht hätte«, sagte er hie und da, und dann konnte sie sich für ein paar Tage wolkenlos glücklich dünken. Es waren ja ihre Selbstüberwindung, ihr Kampf gegen immer wiederkehrendes, heißes Weh, das wie ein Alpdrücken sie überfiel, und das sie als tiefe Schuld empfand; sie waren der Dank für die Heimat, die Baron Twieler ihr gab. – In jener Nacht, da sie in ihrem hohen, großen Schlafzimmer plötzlich erwachte und das leise, beglückende Regen unter ihrem Herzen spürte, hatte sie aufgejauchzt. Frei erschien sie sich von aller Not und Gewissenspein. »Die Mutterschaft tilgt jede Schuld am Weib.« Und die maßlose Freude ihres Mannes, als sie ihm ernst – beglückt ihre Wahrnehmung am andern Tage mitteilte, verbreitete sich über das ganze Gut. Twieler feierte ihr Geständnis mit einer schönen Freigebigkeit gegen Angestellte und Arbeiter, und war von einer vorbildlich ritterlichen Rücksichtnahme gegen die werdende Mutter.

Dann kamen wieder Stunden, in denen ihre Freude zerbrach, und auch ihr Stolz auf sich selbst, und aller Kampfwille dazu. Auch stand oft die Schuld riesengroß auf und zeigte ihr die vielen Gedankensünden, die sie begangen, indem sie ihr Schicksal beklagte. In Träumen, in denen sie einen Fernen rief ... Was war denn eine Ehe, die sich nicht auf gegenseitige, tiefe Liebe und restloses Verstehen gründete? Der Philosoph sagt: »Wenn ein Mann und eine Frau die Hände eines göttlichen Wesens wären, und wenn dann dieses Wesen seine beiden Hände falten würde, so wäre das die rechte Ehe. Es versucht immerfort seine Hände zu falten, aber wir hindern es daran, weil wir immer anders tun, als es will. Weil wir uns einbilden, wir wären selbst übermenschliche Wesen. Und darum ist die Ehe heute überall nur das: Der ewig wiederholte Versuch jenes göttlichen Wesens, die Hände zu falten.«

So konnte sich Erdmuthe zergrübeln. Aber schon die ungeborenen Händchen eines Kindes haben eine große Macht. Sie greifen immer wieder nach dem Herzen der Mutter und halten es fest. Ja, sie führen unmerklich dies Herz zum abseits stehenden Vater ... Erdmuthe dachte: »Ich will Tag und Nacht Gott bitten, daß er seine Hände über uns falte.«

Berlin, Moabit, im Hause mit den grünen Fensterläden, September 19..

Mein geliebtes Enkelkind! Ich denke so viel an Dich, so unablässig, daß ich manchmal zusammenschrecke und meine, Du bist in einer Gefahr. Und sollte doch wissen, daß werdende Mütter viel beschützter sind, als irgendwelche andere Menschen. Man braucht ja auch nicht an Fall oder Stoß zu denken, man kann sehr friedlich mit einem Damoklesschwert über sich am Kaffeetisch sitzen. Deshalb will ich Dir auch bald die Schwester Lotte zur Pflege schicken, die recht ein Heimchen am Herd ist, und ich behelfe mich dann wieder mit der guten Peters. Das mit dem Damoklesschwert sind rechte Altweibersorgen, und wenn ich nicht wüßte, meine Erdmuthe lachte darüber, so würde ich gar nicht mich als Schwarzseherin »angetüdert« haben. Dein letzter Brief, der von Deinem Kinde sprach, das noch nicht geboren ist, und doch schon so große Macht besitzt, aus einer verzagten jungen Frau eine fröhliche Mutter zu schaffen, der hat mir große Freude gemacht. Und ich könnte sprechen, wie viele Greisinnen tun: »Wenn Du mich zur Urgroßmutter gemacht hast, dann will ich in Frieden heimwärts gehen.« Aber mir ist, als wäre auch der Zeitpunkt noch zu früh. Ich bin ja erst mit achtzig lebensbejahend geworden. Früher dachte ich zuviel an meine gelähmten Füße. Jetzt denke ich, was Dein Sohn wohl einmal werden wird. Das ist ein großer Fortschritt. Aber wenn ich träume, – dann träume ich immer, daß Dein Wochenbett im Hause mit den grünen Fensterläden steht. Vielleicht, weil ich meine, nur hier ist Heimat – nur von hier aus kann man ins Leben treten, nur von hier aus zum Leben erwachen. Wie ich alte Frau vor Jahren hier zum Glück und zum Leben erwacht bin durch den magischen Zauber, der in den grünen Fensterläden steckt. Und ich meine, ich kann erst schlafen gehen, wenn mein Urenkel hier erwacht ...

Erdmuthe, Kind, bist Du glücklich? Ich fragte es Dich vor Monaten. Da gabst Du als Antwort: »Ich glaube, ich bin es.« Weißt Du es jetzt, Muthchen, weißt Du es?

Es fragt Dich dringend Dein altes Großje.

Erdmuthenruh, am 13. Oktober 19..

Mein Großje! Was ist Glück, Großje? Kannst Du mir's restlos beantworten? Eine tiefe, schöne Ruhe ist über mich gekommen, seit ich mein Kindlein trage. Und ich dichte Wiegenlieder und singe selbsterdachte, feine Klänge dazu. Nur werdende Mütter sollten singen und dichten ... Ei, wie vermessen! Alle dichtenden und singenden Mitschwestern werden über mich herfallen mit eiferndem Spott. Fröhlich bin ich wieder geworden, Großje, denn mein Kind soll fröhlich werden. »Muthchen« bin ich wieder, denn mein Sohn soll mutig werden. Alle Twieler waren es, wie es in den Urkunden verzeichnet ist, und wie man es an den kraftvollen, kriegerischen Gestalten im Ahnensaal sieht. Nur die Twielers, die ein schwaches Herz haben, wie auch mein Gatte, zeichnen sich durch zierliche Glieder und hohe Intelligenz aus. Womit ich nicht etwa sagen will, daß die Recken alle dumm waren. – Denke nur, wir haben jetzt auch eine Achtzigjährige hier. Die einzige Twieler, die noch lebt, wie auch mit Lothar der männliche Stamm erlischt. Und sie wurde traditionsgemäß gerufen, weil immer einer aus dem Geschlecht, außer Vater oder Mutter des zu erwartenden Kindes, bei der Geburt im Hause sein muß und auch Patenstelle vertritt. Freiin Asta Twieler ist ein wenig im Hochmut verknöchert, aber sonst sehr um mich besorgt und wohl auch herzensgut. Aber sie erschrickt über vieles. Was ich sage, soll erschütternd für meine Ahnen sein. Ich muß annehmen, daß sie sich alle schon zwei- bis dreimal in ihren Särgen herumgedreht haben nach Ansicht von »Asta«, wie Lothar respektlos sagt, denn sie ist seine Tante. Aber ich hoffe, unsere Ahnen kommen allgemach wieder auf ihre alten Plätze. »Es ist ein Jammer«, klagte sie gestern. »Eigentlich müßte außer mir doch noch ein Mann Pate Eures Kindes sein.« Und als ich ihr mitteilte, daß ich meinen allerbesten Freund und Beschützer, Schmiedemeister Hartmann zum Paten erkoren hätte, da fürchtete ich doch mancherlei für ihren Gesundheitszustand. Aber sie hat sich inzwischen wieder erholt, und findet nur, es sei höchste Zeit gewesen, daß Lothar Twieler wenigstens mich aus der »Hammer- und Amboßatmosphäre heraus gerettet habe.« Das »wenigstens mich« geht auf Dich, Du armes Großje, sie bedauert Dich auf's Tiefste. Der liebe Gott hat doch die verschiedensten Kostgänger. – Ich weiß nun nicht, ob ich Dich beunruhige. Du Liebes, wenn ich Dir sage, daß mein Plauderbrief von Galgenhumor durchsetzt ist. Lothar ist manchmal so sehr rot im Gesicht, und hat auch in der Tat viel zuviel Arbeit und reichlich Ärger im Betrieb. Ich habe nun schon in seinem Gesicht lesen gelernt, da gefällt mir manche tiefe Falte nicht. Freilich, wenn ich darüber streiche, versucht er sofort sie zu glätten. Er hat mich sehr lieb, mein Großje. Ich bin auch mittlerweile so mutig geworden, ihm einfach das Glas mit dem schweren Rotwein fortzunehmen, ehe er's hinuntergegossen hat, wie er's gern tut, wenn er sich geärgert hat. »Das dämpft die Aufwallung«, sagt er, aber auch ein kluger Mann kann ja dumme Sachen sagen. Die schweren Importen möchte ich desgleichen alle zum Fenster hinauswerfen, aber er würde sie sicher wieder aufsammeln, denn, sagt er, »ich brauche sie wie's liebe Brot.« Meine Sorge entzückt ihn aber sehr, das merke ich wohl. Doch sein Lachen vertreibt nicht meine große Bangigkeit. Der alte, gute Inspektor schüttelt oft seinen grauen Kopf, wenn sich die blaue Ader an der Stirn plötzlich so schlängelt ... Ich bat Lothar neulich kurz entschlossen: »Geh' in ein Bad, Lothar, erhole dich, mir zu Liebe ...« Aber er rief aufgebracht: »Dich allein lassen, in diesem Zustand!?« Aber Großje, wir leben doch nicht bei den Botokuden, und ich glaube außerdem, die bekommen ihre Kinder ganz allein und setzen sich hinterher aufs Pferd und reiten in ihre Hütte – –, und mein »Zustand« ist ganz normal. Ich bin doch jung und gesund. Nun werde ich mir mal den Doktor zu Hilfe holen, unsern lieben, klugen Dr. Siemering aus B.... Gott befohlen, Großje! Grüß mir meinen lieben Meister und zukünftigen Gevatter.

Deine gehorsame Enkelin Erdmuthe.

Im Hause Alt-Moabit. Grüne Fensterläden, Berlin, Oktober 19..

Mutheken, ich habe heute geschuftet. Kann kaum die Feder halten. Wollte nur fragen: »Mutheken, wie geht es Dir?«

Dein treuster Freund, der Schmied.

Berlin Alt-Moabit, im grünen Fensterladenhaus. November 19..

Liebe, gnädige Frau! Ihr Schmiedefreund und ich haben uns auch recht angefreundet. Aber es geht uns merkwürdig, wir denken dabei gar nicht an uns selbst, sondern an Frau Großje und an Sie. Wir haben Sorge um Sie, liebe Baronin. Frau Großje lacht, wenn unsere Besorgnis sich auch auf ihre Person erstreckt. Sie ist recht gesund oder scheint es doch. Wenn sie sich aber unbeobachtet glaubt, dann gräbt sich ein Zug tiefer Mutlosigkeit um ihren Mund. Sie wissen, ich lese gern in Runen. Dann fragt sie mich wohl auch einmal: »Nicht wahr, Schwester Lotte, ›er‹ muß im Hause mit den grünen Fensterläden geboren werden?!« Und da ich das mit gutem Gewissen nicht bejahen konnte, denn ein junger Twieler gehört ins Haus seiner Väter, da wandte sie sich enttäuscht und hastig ab. – Dr. Hauffe meint, daß sie von irgendeinem Gedanken beherrscht wird, der ihr Not macht. Wiederum erhält sie dies Grübeln, Hoffen und Erwarten lebendig. – Aber Sie, Baronin? Was quält Sie? Ist Ihre Sorge um Ihren Gatten berechtigt? Und wie lauten die Nachrichten aus Baden-Baden? Teilen Sie es mir bitte in einem Plauderbrief mit, denn augenblicklich ist es für Sie ein großer Schaden, einen Schmerz, mehr noch eine Angst allein zu tragen. Soll ich kommen? Wie von Herzen gern! Ich bin durch Frau Peters und den wachsamen, nimmermüden Dr. Hauffe jederzeit abkömmlich. Den Kraftmayr zu spielen hat ja bei Ihnen gar keinen Zweck, weil Sie überall geschultes Personal haben können. Und außerdem hat man Sie auf den »ersten Anhieb« lieb, wie der Schmiedemeister sich ausdrückt. Oh, wie das das Pflegen erleichert! Vor allen Dingen keine sorgenden Gedanken, daß ich um Großjes und Ihretwillen etwa mein eigenes Glück versäume...

Nein, ich versäume nichts. Denn mein eingebildetes Glück ist fortgezogen... mein Jugendfreund, mein stiller Verlobter, hat mich verlassen... Ganz plötzlich fiel der Schlag. Ich bin ihm nicht jung genug mit meinen etlichen Dreißig, und ich gehorchte nicht sofort, als er mich rief. Es ging damals, beim ersten Ruf unserer armen, verbitterten Frau von Denso nicht gut, es war in der ganz besonders trostlosen Zeit in B. Und dann, als er das zweitemal anfragte, da war Frau Großje krank und hatte sich eben erst an mich gewöhnt. Und nun dürfen Sie nicht sagen, daß Ihr Haus mir im Wege gestanden hat, denn es wäre wohl mein Unglück gewesen, diesem selbstsüchtigen Manne zu folgen. – Ich ging mit seinem harten, üblen Brief einfach gleich zur »rechten Schmiede«, zu Peter Hartmann. Wie vertrauenerweckend er in seinem Schurzfell aussieht. Ein paar wuchtige Schläge tat er auf den Amboß und spie dann aus. »Lotteken, nun is for ewige Zeiten Ihre Heimat hier, und wenn die Frau Großje mal vom Herrgott selbst gepflegt wird, dann pflegen Sie mir oder mich.« Das war das rechte Wort und so ein schönes dazu. Und wenn mein Herz auch nicht gebrochen ist, so schaue ich doch nicht mehr nach Ersatz aus. Unsere Familie ist so altmodisch treu... beinahe hätte ich gesagt – – treu wie die Densos... Und nun rufen Sie mich – ich warte ...

Schwester Lotteken in Treuen.

Auf Concilly in der Provence, Weihnachten 19..

Mein lieber Vater! Deutsche Weihnachten auf einem französischen Schloß. Ich habe mit meinen eigenen Armen mein Tannenbäumchen »in meine Gemächer« geschafft. »Det klingt, wa?« würde Urgroßmutter sagen. Tempora mutantur et nos mutamur in illis. Früher hatte ich meine Bude in der Friedrichsgracht, jetzt eine Zimmerflucht auf feudalem Schlosse. Vater, ich tauschte so gern, wenn ich noch der wilde Knabe von einst sein könnte – – – –, der das Heideröslein brechen dürfte. Also paßt das lateinische Sprichwort gar nicht auf mich, denn ich habe mich nicht mit den Zeiten geändert. So, und nun will ich Dir auf Deinen Brief von vor vier Monaten antworten. Wäre ich nicht aus der alten Schule und wacker von meiner Mutter Ernstine und vom Leben gedrillt, dann hätte Deine Art mich Dir wohl für Lebenszeit entfremden können. So aber half mir die altmodische Ehrfurcht vor Eltern und Obrigkeit tiefer zu schürfen. Und siehe da, ich fand, daß Deine Art auch die meine ist. Dies brutale Wehtun. Während Du aber nur Deinen grobkörnigen Sohn maßregeltest, hatte ich einer fein-feinen Frauenseele zutiefst wehgetan. Vater, daß ich unser Muthchen kränkte, das ist überhaupt nicht wieder gutzumachen. Und so mache Du wenigstens Friede mit mir, der ich so einsam bin. Ich werde nie wieder eine Frau so lieben können, wie das Englein vom Haus mit den grünen Fensterläden. Also werde ich auch einsam bleiben, vermählt nur mit der Arbeit, die für mich Kraft, Liebe und Wohltun bedeutet. Daß unser holdes Kind Mutter werden soll...

Liebster Vater, ich bin Dein treuer Sohn Bernhard.

Erdmuthenruh im Januar 19..

Mein Großje – es ist Erdmuthenunrast, was mich jetzt umfängt–, Großje, schicke mir gleich Schwester Lotte. Ich sende Dir kein Telegramm, weil ich Dir nicht Tatsachen geben will, ohne gleich Erklärung und Beruhigung dran zu knüpfen. Großje, Twieler ist schwerkrank. Sein Arzt in Baden-Baden schreibt mir in längerem, gütigen Brief, daß Lothar einen Schlaganfall erlitten hat. Seine linke Seite ist gelähmt. Ein rührendes Zettelchen, in einer wahren Kinderhandschrift geschrieben, die Lothars markige Schriftzüge gar nicht erkennen läßt, hat der Arzt mir beigelegt. »Nicht herrufen« steht darauf, und das gilt mir. Die Fürsorge für mich ist Twielers einziger Gedanke. Ich soll geschont werden, während er leidet. Großje, das ist ein unnatürlicher Zustand. Ich gehöre an seine Seite. Im März soll mein Kind geboren werden, dann hält man mich sicher noch lange Wochen zurück. Der Arzt beruhigt mich, er will mich mit täglichem Telegramm auf dem laufenden halten. Auch könne der Zustand sich bessern. Bald bessern. Ganz wieder gut werden. Lauter Worte, wie sie der Arzt auf Lager hat, wenn irgend jemand geschont werden soll. Ich bin aber nicht solch schwaches Stenglein, das überall gestützt werden muß. Nur Erdmuthenruhe kann ich mein Heim nicht nennen. – Hilf mir mit Deinem Rat, Großje. Du pflichttreues Großje, was soll ich tun? Ich denke nichts als: »Lothar Twieler«. Er verdient es, daß ich alle anderen Gedanken ausschalte.

Ich bin Deine unrastige Enkelin.

Erdmuthenruh im Januar 19..

Mein lieber Lothar! Es betrübt mich tief, daß Du so jählings gefesselt worden bist. Aber am traurigsten macht es mich doch, daß Du mich nicht rufen lassest. Ich nehme nicht an, daß ich Dir lästig wäre. Wohl aber, daß Du in Deiner Güte und Sorge um mein Wohl zu weit gehst. Oder ist noch ein dritter Grund, daß der Ästhet zu stark in Dir spricht? Daß ich Dein Leiden nicht sehen soll? Wie es auch sei, ich bitte Dich inständig, denk' auch an meine große Sorge um Dich.

Ich bin Deine Frau Erdmuthe.

Erdmuthenruh im Februar.

Mein lieber Freund Schmiedemeister! Komm' gleich, aber auch gleich zu uns nach B. Geh' dort ins »Deutsche Haus«, da werde ich auch mit Schwester Lotte sein, und dann begleite mich nach Baden-Baden. Wie das alles herrisch klingt. Ach, und ich bin doch ganz klein und brauche Dich so notwendig als männlichen Beschützer auf der weiten Reise und in der fremden Stadt. Denn ich habe heute wieder ein armselig Zettelchen erhalten: »Komm' bald!« Welch ängstigende Möglichkeiten birgt dies kleine Papierstückchen! Lieber Schmiedemeister, auch zu Dir sage ich: »Komm' bald!«

Dein Mutheken.

In Baden-Baden wurde Erdmuthe von einer freundlichen Krankenschwester erwartet, die darauf drang, daß sie erst in's Hotel fuhr und sich auf einem Ruhebett ausstreckte. »Es geht dem Herrn Baron zufriedenstellend, er hat weder Fieber noch sonst beängstigende Augenblicke und wünscht selbst dringend, daß Sie sich ruhen.« Erdmuthe konnte es sich gar nicht verzeihen, daß sie sofort eingeschlafen war und wohl zwei Stunden erquickend geruht hatte. Was hatte sie für große Worte heimgeschrieben! Und ließ nun den Kranken warten, um der eigenen Müdigkeit Zoll zu zahlen. Aber endlich saß sie doch an seinem Lager und sah in sein entstelltes Antlitz. Ganz ruhig war sie, und ihre warme Hand lag auch beruhigend auf der eiskalten linken Hand des Gelähmten. »Kleine, tapfere Denso!« lallte er. »Ich bleibe bei Dir«, sagte sie gütig. »Soll ich ganz übersiedeln?«

Ein Ausdruck von großer Qual lag in seinen Augen. »Nein, nein!« Dann verlangte er nach dem Schreibblock und dem weichen Stift.

»Twieler Erbe muß in Twielerhaus geboren werden, auch nicht in Erdmuthenruh. Alles vorbereiten. Morgen Heimreise. Wunderliches Kind, warst vorbildliche Gattin. Erziehe unsern Sohn! Du bist Vormund. Verwalterin. Leb wohl! Dank! Immer wieder Dank!«

Sie küßte seine Hand. »Gott weiß, wie gern ich bei Dir blieb ...«

Als sie mit Schwester Lotte in das Hotel zurückkehrte, war der Arzt des Baron Twieler in einer Unterredung mit dem Schmiedemeister Peter Hartmann.

Professor Stubenrauch wunderte sich über den hünenhaften Mann, den die junge Baronin als ihren Beschützer und Berater genannt hatte. Er konnte sich die Zusammenhänge nicht erklären, die den einfachen Handwerksmeister auf diesen Ehrenposten versetzt hatten. Mit welcher Ehrfurcht er von der jungen Frau gesprochen hatte! Und nun sie da war, nannte er sie »Mutheken« und umgab sie mit zartester Fürsorge. Und der Professor, der sich als Leiter der Klinik, die nur vornehmes, reiches, sehr verwöhntes Publikum herbergte, eine etwas umständliche Redeweise angewöhnt hatte, war baß erstaunt, daß seine verklausulierte Rede einfach unterbrochen und abgeschnitten wurde.

»Mutheken«, sagte dieser derbe Schmied, »du bist ja ein tapferes Mädchen. Sieh mal, du hast Pflichten gegen dein Kindchen, aber mich braucht der Herr Stubenrauch noch. Schwester Lotte wird dich sorgsam heimbringen, und der Diener von deinem Mann soll euch begleiten, und dann gleich hierher zurückkehren. Der Mann ist ein geborener Kurier – so mit Fahrkarten und Essen besorgen – und macht das alles besser und fixer als ich. Und du – Mutheken – reise denn man mit Gott, und ich komme dir bald nach. Und dann bin ich auch wieder rasch bei der Frau Großje, damit sie aus das Hangen und Bangen 'rauskömmt.«

»Dann wäre ja alles gesagt«, lächelte Professor Stubenrauch. »Ein Diplomat sind Sie nicht, Herr Hartmann, und die Frau Baronin ist auch etwas verstört.«

»Es kommt so rasch und so wunderlich, ich hatte mich für länger eingerichtet«, stammelte Erdmuthe. »Geht es meinem Mann denn so viel besser? Daß er mich gar nicht braucht? Nicht mal zum Stillsitzen an seinem Bett?«

»Zu gar nichts, zu gar nichts, Mutheken«, fiel Hartmann eilig ein. Als wolle er dem Arzt auch nicht ein Wort erlauben. »Aber freuen wird er sich, ja, das kann ich wohl behaupten, wenn du ihm recht gehorsam bist ... Ja...«

So willigte Erdmuthe dann mit schwerem Herzen in die Heimreise. Sie fühlte wohl, daß die Aufregungen und die lange Sorgenfahrt ihr nicht gutgetan hatten. Nun war sie ruhiger geworden. Sie hatte so viel Pflichten zu erfüllen, nicht zuletzt die, dem siech heimkehrenden Gatten ein gesundes Kind, einen kernigen Erben zu bringen und dann den Vater des Kindes zu pflegen, den hochgemuten Mann, der ihr solch eine schöne Heimat schuf. Und der wie ein morscher Baum gefällt worden war vom unerbittlichen Geschick.

Sie war sehr still auf der langen Rückreise. Wie ein schönes Bild zu Mignon: »Was hat man dir, du armes Kind, getan?« Schwester Lottes gute Augen sahen bekümmert auf die stille Frau. –

Baden-Baden, Februar 19..

Mein gutes, liebes, tapferes Mutheken! Der gelehrte Professor Stubenrauch meinte gestern in Deiner Gegenwart, ich war kein Diplomat und das ist ja auch richtig. Denn wenn mein Amboß was von mir will, gebe ich ihm gleich schlagfertige Antwort mit dem Hammer ohne Deutelei. Deshalb wollte auch der Professor diesen heiligen Brief an Dich schreiben, aber das litt ich nicht. Denn wenn Du den liest, dann liegst Du im Geiste an meinem Vaterherzen und ich streichle Dein gebeugtes Köpfchen. Morgen komme ich schon zu Dir und bringe Deinen lieben Herrn Gemahl in das Schloß seiner Väter, weil er gestern nach schwerem Kampf schon heimgegangen ist und will nun bei seinen Ahnen ruhen. Du aber hättest ihn sicher sehen wollen und hättest ihn kaum erkannt. Denn der Tod kann ein sehr schlechter Zeichner sein, das haben ich und der Herr Professor erkannt und Dich deshalb heimgeschickt. Mutheken, Mutheken, Du gehst einen schweren Gang, so hat mal der Frundsberg zu Luther gesagt. Denn Du sollst ein Kind ohne Vater erwarten. Aber das wird Dir die Lehre geben, zu allen den Menschenschwestern gut zu sein, die ein Kind unter dem Herzen tragen und keinen Vater dazu haben. Vielleicht erfüllst Du damit eine Mission. Der liebe Gott sucht sich schon zu seinen Missionaren besondere Leute aus. Ich habe Dich immer für ein Besonderes erachtet. An unser Großje wollte der Herr Professor telegraphieren, aber ich rief »mit nichten«. Denn da wäre bei der Einsamen gleich riesengroß die Angst aufgestanden, wie ihr Mutheken die Nachricht wohl ertrüge. Ich bin der Meinung, Großje braucht überhaupt nichts zu wissen, bis ich wieder bei ihr bin und sie heben und tragen kann, und alles haarklein erzählen, auch von Dir und Deiner Tapferkeit. Du selbst holst Dir, am besten durch Telegramm, den Doktor Siemering herbei oder läßt es auch bleiben, wenn Du Dich wohl fühlst, denn andere Leute bekommen ja auch Kinder in B. und brauchen keinen Doktor dazu. Es gibt sonne un sonne. – Du siehst, ich tühne schon wieder. Weil Du mir so schrecklich leid tust, und ich suche nach braven Worten und finde keine, weil ich zornig auf das Schicksal bin, wie es mit Dir umspringt. Um nichts brauchst Du Dich zu sorgen, Baron Twieler hat mustergültige Anordnung getroffen, was nach seinem Tode geschieht. Wenn Dir nicht wohl ist, sollst Du auch nicht in die Gruft gehen, denn die vielen modrigen Särge können einen vergraulen, davor hüte Dich. Sage auch der alten, achtzigjährigen Baronin mein Beileid, und sie möchte am Sarge nicht laut weinen, denn das kann ich nicht vertragen und Dein Mann auch nicht, denn ihm ist nun wohl. Mein Mutheken, ich habe schon schönere Briefe geschrieben. Verzeiht mir. Aber ich bin geborener Schmied und bei Euch muß ich immer was anderes vorstellen. So was greift an. Deshalb weißt Du ja doch, daß mein Herz ein schwarzes Feiertagsgewand angezogen hat, denn mein Herz trauert mit Dir. Behalte lieb Deinen alten Freund

Peter Hartmann, Schmiedemeister.

Erdmuthe streichelte den Brief und dachte still, daß niemand ihr einen besseren hätte schreiben können. Sie ging gleich zu der alten Base und wollte auch hier helfen und trösten, und so das eigene Leid in Segen für andere wandeln. Aber die Letzte ihres Stammes war trotz ihres hohen Alters nicht hilfsbedürftig. Sie rügte, daß Erdmuthe nicht gleich ein Trauerkleid angelegt hätte, was sie selbst sofort tat. Und bedeutete dabei Erdmuthe, daß sie, die Base des Heimgegangenen, eine gebürtige Twieler sei und deshalb den Vortritt vor ihr bei den Feierlichkeiten habe. O gewiß, wenn Erdmuthe den Erben schon geboren hätte, dann wäre sie zurückgetreten, so aber... Und außerdem sei es urkundlich. – Sie war sehr befriedigt, daß die junge Witwe die Eröffnung so ruhig aufnahm und beschloß bei sich im stillen, bis an ihr Lebensende in Twieler-Haus zu bleiben, zur hohen Freude der vereinsamten Frau. –

Berlin, im Haus mit den grünen Fensterläden, Februar 19..

Meine geliebte Enkelin! Du bist Witwe! So schnell, so schnell! Was hast Du durchlitten! Was erzählt mir da alles der treue Schmiedefreund! Kind, Gott segne Dich! Kraft möge Dir kommen – nun so allein Deiner schweren Stunde entgegenzugehen. Du bittest mich so lieb«noch auf dieser Erden zu bleiben«, damit ich Dein Kind sehen könne... Mädchen – ich bleibe! Ich will den Erben sehen! Aber warum liegt er nicht in der alten Wiege hier im Hause mit den grünen Fensterläden? Ich zürne mit Dir. Was denkst Du Dir? Gute Nacht, Erdmuthe, ich will schlafen gehen. Ist man alt mit neunundachtzig Jahren? Ich glaube es. Doch den Erben will ich sehen.

Ur-Großje Denso.

Nachschrift: Mutheken, liebes, – unsere Großje ist manchmal ein klein wenig verwirrt, sie träumt, aber der einfache Schmied kann's nicht verstehen. – Bin viel bei ihr. Und mein Herz ist bei Mutheken zu gleichen Teilen. –

Schmied Hartmann.

Schloß Concilly in der Provence. März 19..

Erdmuthe, ich soll Dir mein Beileid ausdrücken, so will's der Vater. Ich kann's nicht, Erdmuthe. Ich kann auch nicht der »Baronin Twieler« schreiben. Meine Worte werden immer nur dem kleinen Mädchen gelten, mit dem ich hie und da auf Hieb und Stich verkehrte, und dann wieder träumend und Pläne spinnend in der Heide lag. Weißt Du noch, Kind, daß Du mir Kränze bandest, die ich zerriß? Für mein erstes Schloß sollten sie sein, für meine erste »Filla«, wie ich damals sagte. Gut warst Du, Erdmuthe, und heftig und allzu feinfühlig. Und ich war der Berserker aus der nordischen Sage. Wie hart konnte ich Dich anfassen, ich Tölpel. Wie unritterlich war ich gegen Dich. Wer aber hätte mich Ritterlichkeit lehren sollen? Dein Großje. Und bei ihr war ich zu wenig. Doch weiß ich, daß sie mich schärfer beobachtete als irgendein anderer Mensch, und daß sie den Kampf zwischen gut und böse in mir mit fast heftiger Anteilnahme verfolgte. Trotzdem blieb ich der Barbar. Und die Frauen, Erdmuthe, die sich zu unritterlichen Schlagetots hingezogen fühlen, das sind keine guten, feinen Frauen. Oder, wenn sie gut und fein sind, dann ahnen sie zuerst nichts von dem Garstigen, sehen nur das kraftvoll Männliche. Und dann beginnt ihr aussichtsloser Kampf, der in Verzweiflung oder Entsagung endet. Du hast mich einfach fallen lassen, kleine Erdmuthe, als ich Dir den ersten rüden Brief schrieb. Instinktiv ahntest Du, daß meine Art die Deine totschlagen würde. Und doch wärst Du die Einzige auf Gottes weiter Welt gewesen, die mich hätte grundlegend ändern können. Und so komme ich heute zu Dir, Erdmuthe, da Du vor dem schweren Frauenschicksal stehst. Du sollst wissen, daß unter den lieben, feinen, guten Menschen, die um Dich bangen, auch der Jugendfreund nicht fehlt, der weder lieb, noch fein, noch gütig ist. Der aber starke, gute Gedanken zu Dir schickt, Du Feine, Du Reine. Ich baue weiter Schlösser und Burgen und Hallen. Nur für Dich, Erdmuthe, will mir kein Schloß gelingen, das würdig genug wäre, Dich zu umfangen. Gelänge mir solch ein Bau, so müßtest Du ihn von mir annehmen. Als Ersatz für die Kränzlein, die lieben, kindhaften, von Deinen zarten Händen geflochten ... Die Kränzlein, die ich zerriß, ich blöder, ich dreifacher Tor! Vergib, vergib!

Erdmuthe! Ich segne das gütige Kind, das meine herbe Jugend verklärte. Still ziehe ich mich zurück.

Bernhard Hartmann.

Twielerhaus, den 17. März 19..

Hochverehrte Frau von Denso! Ihre Enkelin ist heute früh siebeneinhalb Uhr von einem Knaben entbunden worden. Hart hat sie leiden müssen, hart hat sie gestritten, ehe sie das Bündel Glück in ihren Armen hielt. Aber nun ist es fast, als sei alles Vorhergegangene vergessen. Mehr noch: Nicht nur die körperlichen Schmerzen, die wohl jede echte Frau um des darauf folgenden hohen Glückes gering anschlägt. – – Die ganze Vergangenheit scheint sie vergessen zu haben. Wolkenlose Seligkeit umfängt sie. Das alte Fräulein von Twieler ist geneigt, sie als eine Ebenbürtige, aus diesem Hause Entsprossene anzusehen, weil die junge Mutter ganz in dem Erben aufgeht. Und neben der Mutterseligkeit ist eine gesunde Freudigkeit und Lebensbejahung über Ihre Enkelin gekommen, die sie nicht mehr besaß, so lange ich sie kenne. Nun wollen wir uns alle miteinander darüber freuen. Ich küsse die Hand, die mir so viel Gutes tat.

Ihre tief ergebene Schwester Lotte.

Twielerhaus, Ende März 19..

Mein Großje, dieser Brief sollte längst geschrieben sein. Das Glück hinderte meine Genesung. Kannst Du Dir etwas Widerspruchsvolleres denken? Und so wurde mir das Schreiben noch nicht erlaubt. Wenn es allen Müttern so geht, daß sie beinahe toll vor Angst um ihr Kind sind, so könnte ich sie beinahe ein wenig bemitleiden, denn man kommt ganz um den Genuß des Daseins, der Umwelt, des eigenen Selbst, – man sieht nur das Kind. Und dabei kann ich es nicht einmal selbst nähren, ja nicht das Geringste beitragen zu seinem Aufbau, – ich, die kerngesunde Denso. Das verstehe ein anderer. Ich möchte über mich selber den Kopf schütteln. Denn stelle Dir vor, Großje, es ist mir nicht einmal leid darum. Ob ich am Ende doch keine vorbildliche Mutter bin? Ich kann den Mangel an Nahrung nur der Amme wegen bedauern, einer armen, guten, eheverlassenen jungen Frau, die ihr Kindchen in Pflege geben muß, um das meine an die Brust zu nehmen und Verdienst davon zu haben. Diesen unnatürlichen Zustand werde ich nie verstehen, noch verwinden. Hätte ich Nahrung für mein Kind, und wäre etwa nur ein Opfer der Konvenienz, dann würde ich die Amme hier bei uns gut versorgen, und ihr Kleines kommen lassen, damit sie es stille. Aber dann wäre ja überhaupt alles anders, und ich ergehe mich in lauter Verstiegenheiten... Ich werde nun bald aufstehen können, um den Kleinen ganz allein zu versorgen, was den Anschauungen der Base Twieler freilich zuwiderläuft. Aber sie weiß ja nicht, wie dankbar ich Baron Twieler sein muß für alles, was er uns gab. Wenn ich allein bin, zähle ich es mir immer auf, damit ich ja nichts vergesse und alles wieder gut mache an dem Kinde. Wirklich, Großje, ich bin es ihm schuldig, dem selbstlos gütigen Menschen. Wenn Du nicht alles begreifen solltest, was in diesem Briefe steht, dann zergrübele Dich nicht. Wir Densos sind alle ein wenig verrückt. Du natürlich nicht, aber Du bist ja auch nur angeheiratet. Wie geht es meinem herzguten Freund und lieben Vater Hartmann? Freut er sich recht? Du mußt noch ungeheuer lange leben, Großje, denn ich weiß noch gar nicht, wann die Möglichkeit eintritt, Dir meinen Sohn zu zeigen. Gleich nach der Taufe soll ich ja in ein wärmeres Klima mit dem Kinde, das ist Twielertradition. Lothar hat das alles schriftlich niedergelegt, und wir leben hier ganz nach diesem Testament. In der Taufe soll der junge Baron Twieler den Namen Heribert erhalten, das ist auch Überlieferung. Wenn er mal heiratet, so heißt sein Kind dann wieder Lothar. Aber das interessiert Dich gewiß nicht. Denk nur, ich hatte zuerst an »Peter-Bernhard« gedacht. Kannst Du Dir etwas Blödsinnigeres vorstellen? Und wie ich daran denken konnte, den Paten des Kindes damit zu ehren.

Leb wohl, treues, verehrungswürdiges Großje! Neunzig Jahre, das ist gar nicht alt; glaube niemand, der Dir's anders sagt. Ich erwarte, daß Du als gute Denso mir Dein Wort hältst, noch lange auf Posten zu sein.

Deine treue Enkelin Erdmuthe.

Im Hause mit den grünen Fensterläden. Berlin-Alt-Moabit, April 19..

Mein Muthchen, nun freilich. Einmal soll ich eine gute Denso sein, dann wieder bin ich nur angeheiratet. Du bist wohl durch Deine Entbindung »durchgedreht«, wie wir Heidjer sagen. Ich verstehe alles in Deinem sehr fesselnden Briefe. Alles. Mit neunzig Jahren ist das Hellsehen keine Kunst, weil man da so dicht beim Herrgott sitzt.

Wer weiß, wie weit man dann später wieder von Ihm abrücken muß, wenn man wirklich oben anlangen sollte. Ja, verstehen tue ich alles, wenn ich auch bei der Antwort drei Tage zubringe. Die Hand stützt mir ein feiner, gepolsterter, kleiner Block, eine Erfindung meines Schmiedemeisters. Er weiß, daß mein Geist willig, aber das Fleisch schwach ist. Was Du über das Nähren des jungen Barons sagst – daß Du es gern der lieben, fremden Frau überlassest – ist hell für mich. Wäre schlimm, wenn Du anders dächtest. Trotzdem hast Du heilige Pflichten gegen das von Dir geborene Kind und gegen seinen hochgemuten Vater. Meine teure Enkelin Erdmuthe, ich bleibe auf Posten. Gewehr bei Fuß. Das ist mein Krückstock. Komm' und bringe mir den Erben.

Deine treue Großmutter Kordula von Denso.

Berlin-Alt-Moabit, Ecke Stromstraße. April 19..

Geehrte Baronin. Man nennt es Debudazion. Die kommt zu Ihnen in diesen Brief. Er ist schlecht geschriebn mit fiele Fehlers. Aber Schlachter Klingemann sieht ihm nach, und wenn er dann bei Sie anlankt is er fehlerfrei. Was man sons nur von toten Menschen behaupten kann. Gans Moabit is stolz auf Ihnen. Erstens einen Baron. Und denn noch ein Kind. Und durchgehalten durch alle Trauer und den Namen Ehre gemacht. Nähmlich Mutheken. Feder von die Nachbarschaft mit die jrünen Fensterläden hat eine Rose von mir jekauft. (In April l,50 das Stück.) Die schicken wir Sie zum heiligen Tauffest. Der Schmiedemeister Hartmann, dem seine neue Werkstatt uns sehr beis frühe Schlafengehn stört, denn er macht for seinen Sohn bis in die späte Nacht Handgeschmiedetes. Also der Schmied sagt, Sie hätten ganze Jewächshäuser voll Rosen und es hieße »Aale nach Eutin« tragen. Der Mann muß verwirrt sein, aber er achtet Ihnen hoch. Frau Baronin, wir haben Ihnen geehrt. Unsern ergebensten Diener. Ich setze die Namen von die Leute hin, die Sie lieben und eine Mark fuffzig spendiert haben.

Frau Schmidt Blumenfrau Ecke Stromstraße. Witwe. Klingemann und Frau. Tischler Kutschte schrä wisawi nebst Frau. Altgesell Maxe mit Braut. Budiker Krause ohne Frau, die sich schenierte.

Freudentränen weinte Erdmuthe. Und sie zeigte niemandem den Brief, aus heller Angst, man könnte dies Lichtlein im grauen Alltag verspotten. – Sie nahm die Rosen der alten, einfachen Frau aus dem Karton und gab ihnen die kostbarste Vase, die das Twielerhaus aufwies. –

Birkbuschen im Frühling, 17. März 19..

Mein liebes Mutheken! Nun finde ich einen alten Kalender und sehe, daß Dein Sohn und mein Patenkind Heribert heute schon fünf Jahre alt wird. Und ich lasse das Vergangene an meinen inwendigen Augen vorbeipassieren und finde, wir haben beide mehr erlebt, als die fünf im Sausewind vorbeigeflogenen Jahre scheinen lassen. Und Du immer im Ausland, das freilich nicht mehr so weit ist, als es unsern Voreltern schien. Der Frühling muß wohl schön sein im südlichen Lande. Aber nirgends schöner, als rings um Berlin und dann hier in der Lüneburger Heide, wo grade das Haus fertiggeworden ist, das schöne Heidehaus, das mein Bernhard gebaut hat. Ich bin geschwind einmal hierhergefahren, weil der liebe Bauherr es so sehr wünschte. Aber wir wohnen im Heidehaus von den alten Hansohms, das ja so lange schon dem Bernhard gehört. Es ist sehr heimelig hier. Und wir haben uns ganz eingesponnen in die Vergangenheit so vor siebzehn Jahren und wünschten, daß die liebe Mutter Ernstine mit hier leben könnte, auch die guten, rechtlichen Eltern Hansohm. Wir haben alle Stellen besucht, selbst das düstere Moor. Aber die Stätte, wo die alte Detleffsen lebte und starb, steht nicht mehr, und der Heidewind braust darüber hin und erzählt uns Märchen und Wahrheit. – Die Natur steht in Hochzeitsstimmung. Ich bin wie in der Kirche so andächtig, wenn ich die Birken ansehe, wie sie sich zunicken und mit den Brautschleiern winken. Aber sie sehen fröhlicher aus, als mein Mutheken vor sechs Jahren, da sie im Brautgewand stand. Oh, über das ernste Bräutlein! Da warf wohl schon das schwarze Witwenkleid seine Schatten voraus ... gelt, Mutheken? Oder war's ein ander Leid? das unsere einfachen Sinne nicht fassen konnten und das Du allein trugst? Du tapferes Mutheken, Du dankbares. – So würdest Du hier in Birkbuschen alles wiedererkennen, weil die Natur sich jeden Frühling treu bleibt, aber die Menschen ... Oh, Du liebes Mutheken, wie können die sich verändern! Und wenn Du es erlaubst, so meine ich jetzt meinen Sohn Bernhard. Als wenn er meine achtundsechzig auf dem Buckel hätte und nicht seine »paar und dreißig«. Schlohweiß die Schläfen, Mutheken, und so düster die Stirn und voll Falten. Ich hab' ihn nur an der Hünengestalt erkannt und wie er den Kopf so zurückwirft mit dem Haarwald, und an den schwarzen, buschigen Brauen und den scharfen Augen und den blitzenden Zähnen. Nun meinst Du gewiß, es sei noch genug da von dem ehemaligen Bernhard Hartmann und lachst wohl gar über mich. Aber ich hab' mich nach der ersten Wiedersehensfreude hingesetzt und hab' geheult wie'n Schloßhund. Mein Bernhard! Vornehm sieht er ja aus. Rassig, sag ich Dir. Als alter Vizewachtmeister verstehe ich mich auf Remonten und kann Dir jeden Gaul in Klasse angeben. Aber was nützt mir hier das Rassige? Seine Mordsgescheitheit und sein Künstlertum muß sich ja irgendwie äußerlich auswirken, aber wenn ansonsten ein Wurm in ihm sitzt? Wenn fressendes Leid an ihm zehrt? Mutheken, Mutheken! Ich kann doch meiner Lebtag nicht denken, daß so ein Besonderer wie mein Bernhard einfach vor die Hunde geht, bloß weil ein klitzekleines Murkelpurkel – Rumpelpumpel ihm fünfzehn Jahre lang nicht schreibt. Das müßt ihm doch eingal sein. So'n nichtiges Lebewesen, das zerdrückt er ja mit der Hand. Weg is es. Es tut mir doch arg leid, daß der Bernhard nicht Schmied geworden ist. Ein Schmied würde sich niemals inwendig vergrunsen. Der schlüge auf den Amboß, immerlos, immerlos, als ob er statt des Leid's den selber drunter hätt' und dann hämmert er ihn kaputt. Das tut ebenso wohl, als wenn man sich tüchtig alles runterschimpft. Der Professor in Baden-Baden meinte, ich war' kein Diplomat. Aber auf 'ne zartere, verstecktere Weise, und ohne zu beleidigen, hätte er Dir, mein geliebtes MutheKen, Verschiedenes nicht beibringen können. So wie ich es tat in ehrlicher Bekümmernis. Bei dem gnädigen Frau Großje war der Bernhard auch, ehe wir hier zusammen kamen. Und das Wiedersehn von den Beiden mit anzugucken, das machte mich schlapp. Frau Großje rief: »Endlich! Endlich!«, und sie zog seinen Kopf zu sich herunter und küßte ihn wahrhaftig auf den Mund. Und er tat auch, als ob er eine junge Deern strakte. Herr, du meines Lebens, ich hatte ja nicht gewußt, daß 'ne alte Frau noch so feurig konnt sein, besonders bei den vielen Ahnen, die sie hinter sich hat. –

Dann nachher verwirrten sich wieder ein wenig ihre Gedankens, und sie rief, sie wollt' den Erben erwarten. So kannst Du also annehmen, daß sie immer noch an dieser fixen Idee krank ist und es nicht recht verwinden kann, daß der kleine Heribert nicht im Hause mit den grünen Fensterläden geboren wurde. Komm' deshalb nur bald und bring ihn dem Frau Großje. Denn lang hat sie nun wirklich nicht mehr Zeit, und der liebe Herrgott könnt Dich 'ne Trudelsuse schimpfen und nähme das Großje flugs in die Ewigkeit und Du könntst ihr nachflöten. Also nimm gleich den nächsten Zug. Hörst? Ich mein es gut mit Dir und mit noch 'n paar Menschen. Morgen fahr' ich selbst nach Berlin zurück. Ich belern mich jetzt ganz auf Rentier, denn der Altgesell Maxe vertritt mich so, als war' er mein Chef. Ein Prachtskerl. Ich grüße Dich nun mit viel Liebe und viel diplomatischen Hintergedanken als Dein

treuster Freund Schmied.

Die Poesie der braunen Heide, die ihr Brautkleid angetan hat und der Erfüllung entgegengeht, ist durch das offene Fenster eines D-Zuges geflogen. In ein Abteil, das Erdmuthe anmutet wie die Prachtstube der weiland Frau Ernstine im Hause mit den grünen Fensterläden. Die ernste Frau nickt den roten Plüschmöbeln fast andächtig zu. »Und wie geht das Heidemärchen weiter?« fragt eine klare schöne Kinderstimme. »Es ist nun gleich zu Ende, Heribert.« »Ja. Aber was sagte nun der Bernd?« »Da sagte der Bernd: ›Nun ist es gut, Rumpelpumpel. Nun haben wir uns genug gezankt. Schnipp, schnapp, schnurre, baselurre, aus ist das Lied‹«

»O wie schade, es war so ein wunderschönes Märchen. Hast du es gehört, Schwester Lotte? Ich wollte, es finge wieder von vorn an.«

»Ja«, sagte Mütterchen Erdmuthe, und sie errötete bis unter die Stirn. »Es fängt auch wieder von vorn an – – und das ganze süße Märchen soll sich wiederholen ... nur der Zank, weißt du, Heribert, der bleibt fort ... den verjagen wir ...«

»Ach, und der ist gerade so lustig!« Der schöne Junge klatschte in die Hände und sie lachten alle drei. Mit heißen Wangen und etwas zitternden Händen suchte Erdmuthe die kleinen Gepäckstücke zusammen, Schwester Lotte half ihr. Heribert hielt eine Fahne und einen Zinnsoldaten fest in der Hand. Das war sein Gepäck. Der Schnellzug hielt an einer Kleinstadt. Von hier aus mußte man im »Bimmelbähnchen« nach Birkbuschen fahren. Das wartete schon auf die angekündigten Reisenden. Erdmuthens Diener ordnete alles in dem neuen Abteil. »Sie können hier in der Stadt bleiben, wir brauchen Sie nicht in Birkbuschen, ich gebe Ihnen Nachricht postlagernd, fragen Sie täglich danach.« Der Diener atmete auf. Er kannte Heidedörfer aus seiner Dienstzeit im Manöver und schätzte weder Buchweizengrütze, noch tiefe Pfützen bei Stockfinsternis auf der Dorfstraße. – Es wurde dämmrig und der Junge schlief ein, nachdem er sich genug über das Läuten des Zuges bei jeder Straßenkreuzung gefreut hatte. Erdmuthe sah bleich aus. Schwester Lotte sagte unbehaglich: »Wir hätten ein Auto nehmen müssen, ich kann Ihre Überanstrengung gar nicht verantworten.«

»Lotte, liebe, liebe Lotte, gelt, Sie helfen mir. Ich mache ja einen Kanossagang. Meinen Sie, daß Heinrich IV. ein Auto benutzt hat ...? Ach, ich bin voll Unrast. Schwester Lotte, wir schleichen uns ans liebe Heidehaus der Hansohms, und dann gehe ich mit Heribert zu ihm und Sie – Sie – – –«

»Oh, ich bleibe schon irgendwo. Bis Sie mich rufen.« Schwester Lotte nahm zärtlich die erregte Frau in ihre Arme. »So innig wünsche ich, daß alles zum Guten komme.«

Das Kind ermunterte sich rasch, als man in Birkbuschen ausstieg. Es nahm die Fahne und den Zinnsoldaten wieder fest in die Hand. Das Gepäck nahm der Bahnhofsvorsteher in treue Obhut, und dann ging man in Begleitung eines freundlichen Burschen zum Heidehaus Hansohm.

Da kam plötzlich Ruhe über Erdmuthes heftig schlagendes Herz. Hier war ja Heimat – seine Heimat. Und auch die des Kindes Erdmuthe, das hier mit dem Bernd so friedlich zusammen gewesen war, wie sonst nirgends mehr. Der junge Diener mutete seltsam an, wie er aus dem Heidehaus trat und mit einer Taschenlampe die Reisenden betrachtete. Aber die ältliche Dienerin, die ihm folgte, paßte gut in den schlichten Rahmen. »Jawohl, der Herr Professor ist hier, er arbeitet.«

Schwester Lotte winkte beiden dienstbaren Geistern, und Erdmuthe nahm ihren Knaben fest bei der Hand. Sie klopfte an dem vertrauten Wohnpesel, und als keine Aufforderung von drinnen erfolgte, klinkte sie sachte auf und trat mit dem Kinde ein.

Bernd Hartmann saß über einem aufgespannten Plan und zeichnete. Ja, seine Schläfen waren weiß. Er sah nicht auf. »Was gibt es, Frau Martens?« fragte er kurz.

»Wer ist der Mann?« rief eine helle Kinderstimme.

»Das ist Bernd aus dem Märchen«, entgegnete Erdmuthe fest.

Da sprang er jäh auf. Und sie sah in seine finsteren Augen, in sein hageres, überarbeitetes und vergrämtes Antlitz. »Bernd!« bat sie leise. Eine Kinderhand schob sich in seine schlaff herabhängende Rechte. »Ich soll Vater zu dir sagen.«

Wo hatte Bernhard Hartmann das schon einmal erlebt? Vor vielen Jahren drunten an der Haustür im Haus mit den grünen Fensterläden. Da hatte seine Knabenhand trotzig in der des Schmiedemeisters gelegen, und sie war ihm Heimat geworden.

Er konnte nicht sprechen. Die kleine, weiche Kinderhand fest in der seinen, ging er zur Tür hinaus. Erdmuthe hörte Heribert sagen: »ich schenke dir auch meinen Zinnsoldaten ...« Und dann tönte Schwester Lottes ruhige Stimme: »Jawohl, Herr Professor, ich behalte den Knaben hier.«

Tief mußte sich der Riese unter der niedrigen Tür bücken, als er wieder hereintrat. Und als er vor Erdmuthe stehen blieb und sie anschaute, sah sie, wie es in ihm arbeitete, wie seine Lippen bebten, und wie er nach Fassung rang.

»Die Tür ist immer noch nicht niedrig genug, und ich – scheint's – noch nicht demütig genug«, klang seine mühsam beherrschte Stimme. »Ich mußte wohl vor meiner weißen Rose knien. Aber Muthchen verlangt das nicht von Jumbo.« Er setzte sich in den alten Ohrenstuhl, und zog sie auf seine Knie. »Du – du – ich kann nicht mehr. Gewartet hab ich, du Süßes, gehungert und gedarbt hab ich nach dir. Einzige! Liebste! Zu viel auf einmal verträgt auch ein Gewaltmensch nicht ... Du! Du kommst zu mir? Ich weiß ja gar nicht, was Glück ist. Und nun soll ich's herbergen?«

Sie küßte sein Haar, die weißen Schläfen, seine Augen. Und auch die Tränen darin nahm ihr Mund fort. Tief atmete sie auf.«Jetzt weiß ich, was Glück ist«, sagte sie still.

»Ach du Kind! Nichts weißt du!« Sein dürstender Mund legte sich auf ihre weichen Lippen ...

Draußen polterte es. Sie schreckten auf. »Gibt es noch Menschen außer uns?« fragte er erstaunt.

»Oh, Bernd, jetzt machst du deine runden Augen«, lachte Erdmuthe. »Wie früher immer. Ich muß sie rasch noch einmal küssen ...«

»Muthchen! Muthchen! Ich hab dich wieder ...«

Heriberts Fäustchen klopfte draußen energisch an die Tür.

»Macht auf, ich will Vater ein Märchen erzählen ... vom Bernd und dem Rumpel-Pumpel.«


Die Nachbarn standen alle vollzählig vor dem Hause mit den grünen Fensterläden. Mit leid ist ja so billig, meinten sie, aber Mit freude, die ist seltener und teurer. Die wollten sie sich nicht nehmen lassen. Was da eben aus dem prächtigen Reisewagen gestiegen war, das gehörte ihnen allen. Dem hatten sie mit lachendem Herzen und lachendem Munde zugejubelt. Und es war doch nur der Schmiedejung', den sie früher hundertmal zur Schule hatten laufen sehen, und das »kleene Mutheken«. Aber die beiden waren jetzt up ewig ungedeelt, und der Herr Professor und die kleine Baronin hatten ihnen allen so schön zugewinkt, das war eine Ehre und Freude für die ganze Straße Alt-Moabit. Der Schmied Peter Hartmann ließ sich freilich nicht sehen, der stand im Schurzfell hinter seinem Amboß und hämmerte mit gewaltiger Kraft. Niemand sollte die Tränen sehen, die dem gewaltigen Mann über die Wangen liefen. Nur der Altgesell Maxe sah sie, und sein braves Herz flog dem Meister zu, und er hämmerte tapfer seine Neugierde hinunter und blieb dem Schauspiel draußen fern.

Als Bernhard Hartmann und seine Erdmuthe ganz allein in das Grotzmutterstübchen traten, sahen sie ein Bild, wie auf Goldgrund gemalt. Die Abendsonne schien leuchtend ins Zimmer und lag auf dem Urväterhausrat ringsum. Im Sessel saß Großje Kordula von Denso.

Ihre Hand hielt ein grünseidenes, arg verschossenes Wiegenband, daran schaukelte sacht die uralte Wiege der Hartmanns. Und die Rosen und Tulipanen, mit denen sie ausgiebig bemalt war, leuchteten mit der Sonne um die Wette.

»Sing-sang, kling-klang« tönte draußen der Schlag des Schmiedehammers. Als sänge das Herz des Schmiedes ein Wiegenlied.

Es schien Erdmuthe und Bernhard, als horche das Großje weltentrückt hinaus. Und weltentrückt ruhten auch die alten Augen auf den beiden wunschlos Glücklichen.

»Wo ist unser Schmiedemeister?« rief die Neunzigjährige hell. »Hierher gehört er. Zu uns, zu mir! Warum ruft ihr ihn nicht?

Man soll über der Liebe nicht die Dankbarkeit vergessen ...«

Ende.


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