Felicitas Rose
Das Haus mit den grünen Fensterläden
Felicitas Rose

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5.

Um zehn Uhr wollte sie Fenster und Türen schließen, da kamen laute Stimmen aus der nächsten Nachbarschaft. Man hatte Geburtstag gefeiert und verabschiedete sich wortreich. Der Hauptstrom der Feiernden ging nach der entgegengesetzten Seite ab, zwei Personen näherten sich der Schmiede. »Herrjeh, da is sie, die Ernstine. Nante, ich muß mit ihr reden.«

»Nich doch, Kamille, sie wird ihre Jründe haben, jetzt in der Schmiede zu sein. Wer wird 'en die Leute zu nachtschlafender Zeit stören.«

»Es is noch nich nachtschlafend um zehn Uhr im Sommer, – dalli, Nante.«

»Gunabend, Ernstine. Was machst denn in der Schmiede? Ik denk, du wohnst doch wohl in't »Haus mit de Jrine?«

Ernstine konnte das Fenster nicht schließen, die Fragende hatte sich breit hineingelegt.

»Wenn du leiser sprechen möchtest, Kamille. Mein Junge hat einen Unfall gehabt und liegt hier krank.«

Kamille zuckte die Achseln.

»'n Unfall? Wie man's nimmt. Jeboxt hat er sich mit dem Stromer Detleffsen aus deiner Heimat. Und da sind sie beide hingeschlagen. Der Detleffsen hat auch 'n Treffer abgekriegt. Um den Namen von dein' Jungen ham se sich jestritten, – jaaa – – –«

»Kamille, du sprichst jetzt kein Wort weiter! Jut Nacht, Ernstine, und jute Besserung für dein Kind.« Nante Hartmann schob seine Frau mit einem kräftigen Stoß, den man ihm niemals zugetraut hätte, fort, und zog die Verblüffte mit sich. Bis sie zu zetern anhub, hatten die zitternden Mutterhände die Fensterriegel geschlossen.

Hochauf warf sich Bernhard. »Mutter, es ist ein Auflauf. Mutter, warum toben die Menschen so laut?«

»Alles ist wieder ruhig, mein Bernhard, schlaf, schlaf.« Und sie erneuerte die Umschläge und wusch ihm sacht Gesicht und Hände. »Vater unser, der du bist im Himmel! Es ist doch nicht möglich, daß man ein schuldloses Weib verdächtigen und hetzen kann! Ich müßt hintreten vor Hartmann und sprechen: So war's! Und so ist's! Mein ist der Jung, und deines Bruders Sohn. Die heißen vierzehn Tage in der Lüneburger Heide, die scheiden aus. Jung war ich, ein Mädel von siebzehn, und der Detleffsen schön und wild wie ein Zigeuner. Ich hatt' ihn gern, den Klugen und Feingliedrigen, anders war er als sonst die Heidjer. Und herb und bedächtig war ich selbst genug. Nur meinen Mund gab ich ihm – – ganz freiwillig. Da hat er mich fast zu Tode geküßt. – Gleich wurd' er mir fremd. Und als er meinen grünen Kranz wollt' nehmen – Vater unser, der du bist im Himmel. Da hab ich ihn geschlagen mitten in sein schönes Gesicht hinein. – Aus war's. Peter Hartmann, du bist mein Liebster und Einziger geblieben – groß' Sünd' war's, – denn ich wurde deines Bruders Frau. Und du selbst warst lang verheiratet. – Gegen die Liebe und den Tod kein Kraut gewachsen ist. Aber du hast's nie gemerkt, Peter, wie's um deine junge Schwägerin stand, sechzehn Jahre hindurch ....«

Es war, als ob das Fieber nun die blasse Frau ergriffen hätte.

Bernhard war ruhiger unter den Umschlägen geworden und schien zu schlafen. Nur Frau Ernstine war voll heftiger Unrast und redete schier laut ihre wirre Beichte vor sich hin. –

»So müßt ich zu ihm sprechen«, hub sie nach einer Weile wieder an.»Aber ich fürcht ihn. Wenn der gache Zorn über ihn kommt, ist er ein Hartmann und die Hartmanns können zum Fürchten sein. Und ich kenn' mich selbst. Ich bin Heidjerin. Ich taug nich dazu, mich zu verteidigen. Kein Wort bring ich raus. So war's als Kind in der Schul, so ist's jetzt. Wenn man mir Lieb gibt und Treu und Glauben ... Glauben an meine Rechtschaffenheit ... um den Finger kannst mich wickeln, Peter Hartmann. – Die gute Stund selber kann ich sein – – Peter ... Aber von so was Schandbarem zu dir sprechen, ich kann's nicht. Und Gott ewig Lob, du verlangst es nicht.«

Es wurde sacht an's Fenster geklopft. Ernstine rührte sich nicht. Ihr war, als müßte sie schreien: »Geh fort, Detleffsen, du Unhold! Was verschimpfierst mir meinen ehrlichen Namen zu später Stunde?«

Stärker klopfte es. Dann wieder sacht in kleinen Abständen ganz regelmäßig. Das war Hartmannsches Klopfen. Eine Familienabrede. Sie ging ans Fenster, öffnete einen Spalt. »Ik bin's, Frau Meestern!«

»Du liebe Zeit, Maxe! Altgesell, was wollen Sie so spät?«

»Frau Meestern, Sie müssen mir rinlassen. Ik hab 'ne Unterlassungssünde uffn Herzen, ik muß Ihnen beichten.« –

»Aber doch nicht jetzt, Maxe ...«

»Justament jetzt. Sie wern das schon insehn. Lassen Sie mir rin. Nebendan löschen se jrade de Kwiwerbolikronen, denn kommt der Rest von die Jratulanten, un der Mond scheint dolle ...«

Er war schon an der Haustür, und Ernstine ließ ihn rasch ein. Tat sie's nicht, so konnte sie allerlei törichtes Zeug von ihm gewärtig sein. »Mensch, Maxe, Altgesell, Sie sind so'n feiner Arbeiter, aber zu was für Dummheiten zwingen Sie mich.«

»Zu jar keine, Frau Meestern«, sagte er treuherzig. »An außerdem heißes , mir'. Nur nie ›mich‹ jebrauchen, det sin wir'n Meestern schuldig. Der is so sehr for Ottojrafie. Also ik zwinge Ihnen zu keine Dummheit, noch weder Schlechtigkeit. Aber il muß über Ihnen wachen, Frau Meestern, weil der Meester die Frau Oberst bevatert.«

»Sie haben doch nicht getrunken, Altgesell?«

»Eijentlich müßt ik Ihnen jetzt Ihrem Schicksal überlassen, Frau Meestern, wenn ik jähzornig wär, wie der Meester, aber ik helfe Ihnen. Sie wissen, daß ik streng vegetarisch bin, un mir nie 'n Alko hole.«

»Schnell, Altgesell, nun erzählen Sie, was Sie verbrochen haben. Sie sollten heute zu mir kommen, und mir Bernhards Unfall mitteilen, mein Mann kann sich nicht erklären, weshalb es nicht geschah ...«

»Det is es ja, Frau Meestern. Bis vor Ihre Diere bin ik jekommen. Un wenn's mein Leben kost', weiter nich. Ja, wenn der Meester nich von Finessen jeredt hätt. Er hält viel von mir, weeß ik. Ville zu viel. Ik bin janz von unten ruffjekommen. In' Keller jeboren. Tiefer jing's nich. Der Vater von 'n Meester hat mir rausjeholt, mir in de Lehre jenommen. Jewerbeschule bezahlt, sozusagen jebildet hat er mir uff de schwere Not. Aber nie nich un jemals hat er mir von Finessen erzählt. Ik meene mich. Sie seh'n, selbst der jebildte Mensch fällt manchmal raus aus't Jebildete. Un nu sollt' ich Sie, sein leibliche Frau, mit ›Finessen‹ son schweren Fall beibringen, wie mit Bernharden. Ik habe jebildte Menschen so janz nonkschalank jefragt, wat eigentlich Finessen sind. 'n Wirt von ›Heisern Vogel‹, 'n Schornsteinfeger Schwarz, un se lachten wie varrickt, daß ik det nich wüßte. Un dann kam's endlich raus: ›Hummer un Kafia‹. Un denn jingen se, un mich ließen se roh zurück. Frau Meestern, un da dacht ick: Mit mir können se's machen, ik hab' bloß eenen linken Arm. –Und mit Finessen kannst Frau Meestern nich uffwarten, un so solo ohne wollt ik nich den Meester bedriejen, un da bin ik ins Bett jejangen. Un hab jehofft, es jeschehn noch Wunder, un der liebe Gott bringt et Sie mit'n Gleichnis bei. Aber mich war's so heiß int Bett un dann bin ik herjemacht, un wollt mir anjeben, un da bin ik den Lehrling bejejnet un der sacht, der Meester war in de jrine Fensterläden, und de Meestern wäre hier uff Wache. An da mach ik Ihnen schon über 'ne Stunde Fensterparaden und sah Herrn Nante un de Frau bei Ihnen stehn un denn wollt ik jehn. Aber uff de andre Seite schielte immer son Strolch her, als hätt' er Aussichten uffn Inbruch in de Schmiede. Un deshalb will ik wachen mit un bei die Frau Meestern.«

»Herrgott, was sind Sie für'n Mensch, Altgesell! So was find' man ja gar nich mehr in Berlin. Altgesell nennen Sie sich und ein Kind sind Sie.«

»En Jung oder 'n Mächen?«

»Gute Nacht, Altgesell. Ich beschütz' mich schon selber. Der Junge schläft und ich will mich still in den Lehnstuhl setzen.«

»Wenn es Ihr fester Wille is, Frau Meestern, so sagen Sie ›ja!‹ Ach ne, da bin ik aus Versehn in de Trauformel jeraten. Ik wollt sagen: Jute Nacht un jute Besserung for Bernharden. Un wenn Se wat brauchen in der Nacht, – ik pendle immer vorn Hause wie 'ne jut jehende Uhr auf un ab, un wenn Se't wünschen, rufe ik ooch: ›Kuckuck‹. Ik muß wieder jutmachen.«

»Schön. Und morgen früh um vier Uhr kommt mein Mann und holt uns mit 'ner Droschke. Wenn Sie dann noch pendeln, dann helfen Sie uns.«

»Jerne. Wenn mir denn man nich jrad schläfert.«

Kopfschüttelnd öffnete Frau Ernstine die Haustür und konnte sich dann endlich ausruhen. Bleischwer war ihr das Herz und die Glieder. –

Um einhalb vier Uhr am nächsten Morgen hielt die Droschke Nr. 126 vor der Schmiede. Peter Hartmann stieg leichtfüßig aus, so daß der Kutscher meinte: »Ik, wat ik wär, hab immer Beene wie Blei, wenn ik vor de Diere steh, wohinter meine Olle sitzt.« Hartmann war nicht zum Scherzen aufgelegt, er wunderte sich außerdem, daß Ernstine ihm nicht entgegenkam, oder wenigstens ans Fenster trat.

»Sie hatte noch bis um dreie Licht«, sagte ein herabgekommenes Individuum und trat neben ihn. »Und dem Jungen geht's bedeutend besser, das sieht auch 'n Laie. Und die Frau ist auch fröhlich. Gun Dag, Herr Schmiedemeister.«

Der Droschkenkutscher hob verschiedene warme Decken aus der Droschke. Während er dem Schmied folgte, rief er dem Stromer zu:

»Na, nu jeh schon, jeh zu! Helfen duhst de doch nich; du hast sicher in deinen janzen Leben noch niemand jeholfen.«

»Du Klogschnacker! Grad eben hab ik dem Schmied auf 'n rechten Weg jeholfen, adjüs!

Der Schmiedemeister trat in die Stube. Er fand ein sehr friedliches Bild. Seine Frau saß schlafend neben dem Bett, aber Bernhard, der ihre Hand umklammert hielt, war wach und auch fertig angezogen.

»Vater!« sagte er matt, aber mit lächelndem Munde. »Sie ist so arg müde, die Mutter. Vor einer halben Stunde ist sie eingedrusselt. Woll'n wir sie schlafen lassen?«

Peter Hartmann betrachtete mit seltsamem Gesichtsausdruck die in unbequemer Lage Ruhende. Unter seinem Blick wachte sie auf: »Peter Hartmann, es ist wohl rein nicht möglich, daß du mich schlafend triffst.«

»Du siehst, es ist möglich. – Guten Morgen, Ernstine.« »Guten Morgen, liebster Mann.« Sie strich sich die wirren Haare aus der Stirn und sah ihn forschend an. »Deine Stimme klingt seltsam, ist dir nicht gut?«

»Daß mir gut wär, könnt ich just nicht sagen. Aber ich will jetzt nicht dran denken. Draußen wartet Nr. 126, die Luft ist mild, wir wollen den Jungen gleich nach Hause bringen.«

»Das wollen wir«, sagte sie befremdet und etwas zögernd. Dann aber packte sie ein großes, warmes Tuch um den Kranken, setzte ihm noch die Mütze auf, und sah mit Freude, wie Peter Hartmann so zart und doch kraftvoll den Jungen auf seine Arme nahm und ihn hinaustrug.

»Das laß ik mir jefallen«, schmunzelte Nr. 126. »Un dat nenn ik noch 'ne Familie. Einer von 1,90 trägt den von 1,73 wie wenn nischt wär. Un dann noch mit Liebe. Ik ha's aber immer jesacht: ›Liebe!‹ Jun Dach, jnädige Frau!«

»Guten Tag, Herr Kraulebart. Sie solln mich nich gnädige Frau nennen, denn das bin ich nicht und werd' es nie. Hab's Ihnen schon oft gesagt.«

»Un ik bin obsternatsch un sag's immer wieder. Jeder Sch – elm wird heut so jenannt, aber Sie verdienen's wirklich, Frau Hartmann, mit Ihrer Jröße un Stattlichkeit – un denn – Jeld!«

Sie schüttelte unwillig den Kopf. Dann half sie dem Gatten, indem sie den Wagen geschickt mit Kissen auspolsterte, und empfing mit sorglichen Mutterarmen den Kranken, den beide Männer jetzt zugleich mit ihr selbst warm einpackten, damit Bernhards Kopf an der Schulter der Mutter ruhen konnte.

»Herr Schmiedemeister, Sie kommen man hier ruff bei mir uffn Thron. Da unten uffn schmalen Rückporto sitzen Se wie'n unjegorner Konfirmande, un hier oben machen wir uns wie zwo unjekrönte Könige.«

Erleichtert folgte Hartmann dieser Aufforderung, nachdem er die Schmiede sorglich verschlossen, und dann setzte sich langsam die Droschke in Bewegung. Durch die kaum belebten Straßen ging die Fahrt; die kühle, unverbrauchte Luft erfrischte Ernstine und schläferte den Kranken ein.

»Seh'n Se, Herr Hartmann, wie dat dem Korpsstudenten mit sein' Schmiß jut tut, son bißken rumzujondeln? Jestatten Sie, daß ik nachens 'n kleenen Umweg mache? Mitten durch den jelichteten Tierjarten? Solange iberhaupts noch Bäume drin sin, woll'n wir 'n aber ja jenießen.«

»Das tun Sie man, Herr Kraulebart.«

»Danke verbindlichst. Ik grüße denn immer mit die Peitsche de Klopstockstraße. Da hatt ik friher Freunde – ik sage Sie – nich von Pappe. Nummer 58 un Nummer 56 und Nummer 9 un Nummer 24. Denn ik habe selbst in die Straße drin jewohnt. Jun Dag, Kaiser Friedrichjedächtniskirche, jun Dag! So! Hier komm mich immer de Tränen. Hartmäuligkeit daugt nischt bein Gaul und Weichheit is keene Schande bein Kutscher.«

So bestritt der brave Kraulebart die Unterhaltung fast allein und wunderte sich über die wortkargen Fahrgäste. »Kaum in 'n heiligen Ehestand reinjemacht un schon sprachlos.« Er kopfschüttelte, bis er schließlich »prrr öh« rief, und vor den grünen Fensterläden hielt. – Wieder trug der Schmied den Jungen aus dem Wagen hinein und sein Blick streifte ziemlich achtlos den Willkommenskranz um einen Spruch. Erdmuthe hatte ihn gedichtet:

»Willkommen zu dieser frühen Stunde
Mit der tiefen Todeswunde!«

Gottlob, daß der Spruch nicht zutraf.

In seinem sonnigen Stübchen lag der arg Versehrte Jungbursch und schlief sich zurecht. – Seine Ankunft in dieser Verfassung bildete jetzt das Gespräch rund um das Haus mit den grünen Fensterläden. Doktor Hauffes Auto, das recht lange vor dem Hause hielt, wurde belagert. Aber der Schofför machte ein bewußt dummes Gesicht auf alle Fragen.

»Sonne Jesichter machen alle, die vereidigt sin«, entschied ein Straßenkehrer. »Wat denkt ihr woll? Bis obenhin sitzen se voll Jeheimnisse und Neuigkeiten, wie mein Hund voll Flöh, un denn nischt sagen. Meine Frau könnt's nich.« Und er fragte weiter.

»Is der Junge dot?« fragte zuletzt noch ein ganz Schlauer. »Ich sag's nich weiter.«

»Jal In neunzig Jahren is er dot. – Und Sie dürfen 's heut schon weitersagen.« –

Noch ehe sie zur Schule fuhr, rannte Erdmuthe von Denso zu der Blumenschmidten Ecke Stromstraße. »Blumen möcht' ich haben, Blumen!« rief sie aufgeregt und traurig-begeistert, wie Großje das nannte, wenn das Kind aus irgendeinem trüben Anlaß eine gute Tat plante. Und Erdmuthe beschrieb mit Händen und Armen einen ganz ungeheuren Kreis.

»Wat solln det präter propter vor Blumen sind? So'n Haufen? Nich det ik wüßte, daß jemand Hochzeit hat.«

»Hat auch nich. Erst nach 'n Abitur«, sagte Erdmuthe orakelhaft. »Und es sollen Rosen sein.«

»Zeig nochmal, wo viele?« Wieder wurde der Kreis beschrieben.

»Det kann ik nur durch Marchthalle besorjen, und dann rechne ik ohne Papier aus: det kost zwanzig Mark.«

»Aber ja nicht!« wehrte das Kind ängstlich. »Haben Sie nicht gewöhnliche Blumen, Frau Eckestromstraße?«

»Erlaube jütigst, vorläufig heeße ik immer noch Schmidten. Un die Ecke bammelt nur so drum rum.«

»Ja, – Frau Schmidt, Sie sind furchtbar rund«, bekannte Erdmuthe, »also denn Studentenblumen und Vergißmeinnicht. Baumeisterblumen haben Sie wohl nicht?«

»Du willst mir woll uffn Arm nehmen?«

»O wirklich nicht!!« beteuerte Erdmuthe und sah auf ihre eigenen mageren Ärmchen.

»Na denn belern dir besser in de Zoologie. Un immer bedachtsam sin, det de keene Rehspeckperson durch 'n Kakao ziehst.«

Ratlos schaute das Kind die erregte Frau an, aber es sagte nichts mehr, denn Frau Schmidten band einen unmöglich schönen Strauß, der so bunt war, daß es ordentlich vor den Augen flimmerte.

»Lustig wird er, lustig!« jubelte die Kleine. »Oh, Frau Schmidten Ecke Stromstraße, davon muß er ja gesund werden, der Bernhard Hartmann. Und alle werden lachen, und dann sind wir wieder das Haus in der Sonne.«

»Ik hoffe, daß niemand über so'n Strauß lacht. Der is ne janz ernsthafte Sache. Un for dem Jimnasius is er? Den se beinah dotjeschlagen ham? Dann kost't er nischt, der Strauß. Der Bernhard is 'n propprer Junge. Wenn er mir mit seiner blauen Schülermitze jrißt, dann werd ik rot, wie'n junget Mächen. Ik hab frieher mal, so vor sechzig Jahren en Jimnasius jeliebt, er wollt auch mit mir fliehen. Er flog aber nur von de Schule un ik hab jeheirat. Aber det verstehst du ja allens nich. So! Bring ihn dem Strauß un sag ihm, so kurz vor seine Beerdigung wollt ik nuscht an ihn verdienen.«

Erdmuthe rannte ohne Dank mit dem Strauß fort. Hätte sie ein Wort gesagt, hätte sie auch losgeheult.

»Det Kind kann so bleiben!« sagte die Blumenfrau zu ihrem Mann, der gerade Tischzeit hatte. »Jemüt hat es vor mindestens een Daler acht Jroschen.«

»Ik denke, du machst dir nischt aus't Jemit! Det hast de doch ofte betont.«

»For unsereinen is et och nuscht. Aber de ›Von's‹ könnens sik leisten.«

»Ik bin in jroßen un allgemeinen ooch mehr for Pinke-Pinke«, bekannte der Mann. »Un ik hab schonst driber nachjedacht, wenn mal eins von uns sterbt, denn heirate ik de freundliche Klothilde von kleinen Tierjarten, die hat wat hinter sich jebracht mit Sparen.«

»Na, denn setz' die man jleich als Affen in'n Tierjarten, du jeistijer Mormone, un laß dir füttern von de freundliche Klothilde.«

Zornig ließ Frau Schmidt ihren Stand im Stich und rannte in ihre Wohnung.

»Ob se for immer jeht?« fragte der Zurückgebliebene laut sich selbst.

»Det däte mir aber ja leid. Un Klothilde is ja nur 'n Schreckschuß un noch jar nich abkömmlich. Un ik weeß noch nich mal, ob se mir will, weil ik ihr bloß von't Sehen kenne. Ne, da jeh' ik doch jleich hinterher. Meine Olle könnte mir de Suppe versalzen un anstatts Schnitzel womöglich Buletten machen mit zuviel Schrippen drin.«

Auch er ließ den Stand im Stich. Aber ein patrouillierender Schupo übernahm voll Geistesgegenwart die Bewachung. Um das Haus mit den grünen Fensterläden herum war man ja sozusagen eine Familie. Warum sollte man da nicht helfen?

Und so stand der gewissenhafte Polizist am Blumenstand, dessen leuchtende Farben das scharfgeschnittene Gesicht mit den ernsten, klugen Augen seltsam verklärten.

»Hör'n Sie mal, Herr Schupo, sind Sie vielleicht die Mutter Schmidten von Ecke Stromstraße?« fragte mit knarrender Stimme ein gedunsener, herabgekommener Mann und setzte sich, mühsam im Gleichgewicht bleibend, auf den Holzstuhl, den Frau Schmidt für ›Honoratioren‹ hingestellt hatte.

»Stehen Sie sofort auf!« rief der Polizist.

»Wenn ich still sitzen bleibe, is es doch unmöglich ›Widerstand gegen die Staatsgewalt‹«, philosophierte der Betrunkene, und rührte sich nicht von der Stelle. Versuchte nur die einzige weiße Nelke, welche prangend in einer Vase stand, in das Knopfloch seines schmutzigen, abgetragenen Rockes zu stecken.

»Was machen Sie da, das gehört Ihnen nicht«, sagte ärgerlich der Schupo. »Tun Sie die Blume dahin, Mann, wo Sie sie hergenommen haben.«

»Herr Schupo, Sie werden ausfallend. Wenn jemand seine Unschuld auch äußerlich durch eine weiße Nelke bekunden will, sollte ihn niemand hindern. Am wenigsten die Polizei.«

»Behalten Sie sie. Es möchte sie auch sicher niemand mehr tragen, wenn sie an Ihrem Rock gesessen hat. Ich werde den Schaden an Frau Schmidt bezahlen.«

»Das ist doch nun mal wieder sehr unfreundlich gesagt. Ich hätte ja auch eine kurzstielige rote Nelke nehmen können, aber dann hätten die kleinen Mädchen gedacht, ich wär' noch zu haben. Aber ich bin nich mehr frei, sondern sogar sehr gebunden.«

»Na, für Ihre Frau wär's wohl besser, Sie wären frei ...«

»Ihre Bemerkungen, Herr Schupo, betrachte ich als ungehörig. Ich habe keine Frau, aber ich habe Verpflichtungen, und wenn ich Ihnen von diesen Verpflichtungen erzählen wollte, würden Sie Mund und Nase aufsperren.«

»Sie sind mir ein Rätsel, Mann. Sprechen eine reine, einwandfreie Sprache und sehen aus ...«

»Ja, das kommt davon, daß ich meine Sprache für die Ewigkeit gekriegt habe, und mein Anzug immer nur für 'n paar Wochen. Denn ich erbe aus verschiedenen Häusern. Aber da kommt ja die Stromstraßenecke. Ich meine die Frau Schmidten.«

»Detleffsen, was machen Sie denn an mein Blumenstand? Un pollezeilich bewacht is er ooch?? Wo is mein Mann?«

»Soll ich meines Bruders Hüter sein?« fragte Detleffsen salbungsvoll.

»For sonne Brieder bedanken wir uns.«

»Bitte.«

»Ihr Mann lief Ihnen vor sehr geraumer Zeit nach«, berichtete der Polizist. »Ist er nicht nach Hause gekommen?«

»Det kann schonst sin. Aber ik, wat ik bin, bin nich nach Hause jejangen, sondern habe mir bei 'n Budiker Leisetritt 'ne Tasse Mokka jeleistet. Ohne Zusatz. Mit Bienenstich un Schlagsahne. Aus reiner Wut. Aber so'n Mann, wie mein Mann, den rührt das nich. Der sitzt jetzt so sicher wie wat zu Hause, un hat sich noblauch-knoblauch wat jekocht un nu präpelt er.«

»Sie haben ja auch gepräpelt, Frau Stromstraßenecke. Un wenn Se zu ›Leisetritt‹ gehen, denn kann das doch ihr Mann nich hören.« »Halten Sie's Maul, Detleffsen.« –

»Sie kommen mir ausfallend vor, hochverehrte Dame. Und das is nich rech. – Worüm denn? Ich bin 'n Kunde von Sie. Diese Nelke erlaubte ich mir zu erstehen. Darf ich um den Preis ersuchen? Bitte machen Sie ihn genau eben so hoch, wie wenn 'n Minister hier stünde.«

»Sie ausverschämter Mensch! Meine Preise sind vor Kaiser, Könige, Oberkanzleisekretäre und Minister genau dieselben.«

»Na – also?«

»Ik schenke se Ihnen.«

»Jetzt könnte ich sagen ›Sie sind ausverschämt‹, denn ich lasse mir nicht mal vom Sultan von Marokko was schenken.«

»Mit den komm Se wohl däglich zusammen?«

Als Antwort legte Tetje Detleffsen eine Mark auf den Tisch und wendete sich zum Gehen.

»Wat sagen Se na nu?« fragte Frau Schmidt den Schupo. »Ham Se schon je son jroßartigen Lulatsch jesehn? Wat soll ik nu duhn? Ihm die Mark nachkullern?«

»Nein. Behalten. Er versäuft sie doch nur. Und morgen, wenn er nüchtern ist, sagen Sie ihm, daß er noch neunzig Pfennig bei Ihnen gut hat.«

»Wird jemacht.«

In diesem Augenblick kam Detleffsen zurück. Er schien plötzlich ganz nüchtern geworden sein. Sein Gesicht war eitel Bosheit.

»Herr Schupo und Frau Schmidten, nun passen Sie mal Achtung. Sie fragten mich doch vorhin, ob ich verheirat' wäre? Seh'n Sie, dort kommt meine Braut, gegen die ich die bewußten Verpflichtungen habe.«

»Schandmaul«, rief Frau Schmidt erbost. »Man sollte ihm eine runterhaun. Das ist die Frau Ernstine Hartmann, die Frau vom geachteten Schmiedemeister aus der Friedrichsgrachter Erbschmiede.« –

»Nu ja – was sie jetzt ist, dafor kann ich ja nix, aber se wär' doch mal mien Brud, nich, Ernstin?«

Frau Hartmann erschrak so heftig über die unerwartete Anrede, daß sie ihren Korb fallen ließ. Verschiedene Päckchen flogen aus ihm heraus. Der Polizist und die Blumenfrau sammelten alles auf, sie selbst stand wie aus Stein.

»Ja, so verbast is se ümmer, min söten Brud«, lachte Detleffsen. »Liebesleuten verschlägt's oft die Stimm', wenn sie einander sehen.«

»Gun Dag, Ernstin, geborene Hansohm. Wat macht uns' Jung, de Bernhard Hansohm?«

Mitten in das freche Gesicht traf ihn der Schlag ihrer Hand. »Wie damals, wie damals!« knirschte er. Und sah sich weiter gar nicht nach ihr um, sondern rannte wie verstört und besessen die Straße entlang, und mitten hinein in den Frieden des Hauses mit den grünen Fensterläden.

»Ich möchte Blumen haben«, sagte Frau Ernstine laut zu Frau Schmidt. Ihr Gesicht war weiß, ihre Augen schier erloschen.

»Jawoll, jawoll, Frau Hartmann. Un wat sollen det for welche sin?« »Einerlei, einerlei ...«

»Aber setzen Se Ihnen doch, Frau Hartmann, Sie fallen mir ja um. Un wenn Se mir sagen vorn Herrn Schupo als Zeujen, der Detleffsen lücht, wie jedruckt, denn ham wir beide nischt jehört. Nich wahr, Herr Schupo? Un außerdem un iberhaupts is det Janze 'ne Briffatsache. 'ne mulmije, ik jeb's zu. Aber ik hab nischt jehört, un wenn Se den Herm Schupo een Wort sajen, – hat er ooch nischt jehört ... Sein Sie vernünftig, Frau Hartmann ...«

Frau Ernstine setzte sich nicht. Sie suchte scheinbar ganz ruhig die Blumen aus. Blumen für ihren Jung, den Bernhard, der heute zum erstenmal gelacht hatte, als Erdmuthe mit dem lustigen Strauß ankam. Und nun wollte sie doch auch ein Lächeln einheimsen, und täglich sollte der Bub Blumen haben ...

Frau Blumenschmidt, Ecke Stromstraße, war eine seelengute Frau und sie achtete den Schmiedemeister hoch, und wäre für das Haus mit den grünen Fensterläden durchs Feuer gegangen. Aber sie wollte doch nun mal eine Antwort haben, wenn sie gefragt, ja eine Bitte ausgesprochen hatte. Und diese Ernstine war doch eigentlich nicht viel Besseres als sie, deshalb durfte sie ihr auch keine Antwort verweigern ... Sie traute ihr beileibe nichts Schlechtes zu – im Gegenteil, sie war ihr bis heute gut gewesen, aber hier war doch 'ne Anklage. Und sie sollte sie doch bloß widerlegen – mit einem Wort. – Man konnte wohl ohne einen Pfennig Geld in die grünen Fensterläden hineinheiraten, aber doch nur mit 'n reinen Kamisol. – »Frau Ernstine, der Strauß is for drei Mark, aber jeben Sie mir erst de Hand, un sagen Sie: ›Warraftjen Jott, Frau Schmidt‹ ...«

Der Taler lag auf dem Blumenstand, hochaufgerichtet nahm die blasse Frau den Strauß entgegen und ging wortlos. Zuerst langsam, als trügen sie die Füße nicht recht, dann rascher und fester. Zuletzt lief sie wie gejagt.

»Herr Schupo, wat sagen Se nu? War se nich wie 'ne Leiche, die sich zu ihre eijenen Bejräbnus 'n Blumenstruß holt?« –

Vor dem Haus mit den grünen Fensterläden stand schon der Detleffsen. Er sah sie aber nicht an. Die Hand hatte er vor das Gesicht gedrückt, auf dem der Schlag brannte. Und sie hastete an ihm vorbei, betrat die kleine Vordiele, ging in die schmucke Küche und füllte noch eine Vase mit Wasser, in welche sie sorgsam die Blumen ordnete. – Zu ihrem Bernhardjung trat sie in die Stube und hörte noch seinen Jubelruf. – Krank und matt klang er, und war doch ein Jubelruf.

Die herbe Mutter, – die herbe Mutter, – noch nie hatte sie ihm Blumen gereicht ...

Und dann lief Ernstine rasch in die Wohnstube. Die Farbe kam und ging auf ihrem Antlitz. Die heftige Aufregung über das Erlebte, und die tiefe Freude, endlich bei ihrem Liebsten ausruhen zu dürfen, Trost und Frieden bei ihm zu finden, stritten miteinander. »Da bin ich wieder, Peter, mein Mann ... Blieb ich auch nicht zu lange aus?«

Herrgott, was war das? Wie sah der Peter Hartmann aus! Und wie sah er sie an? Schaut man so auf das Weib, das man liebt? Kein Wort konnte sie sagen angesichts seiner harten Augen. Keinen Schritt konnte sie weiter vorgehen, sie blieb an der Tür stehen und lehnte sich an den Pfosten.

Jetzt öffnete er den schmalen, scharfgeschnittenen Mund. Stoßweise kamen seine Worte: »Wenn du schon so saubere Kumpane aus deiner Mädchenzeit besitzest, denn schick se wenigstens nich mir auf'n Hals.«

Keine Antwort. Der Schmerz, den er ihr zufügte, war so heftig, daß sich ihr Körper bog unter dieser Last. »Was tust du?« rief er schroff. »Bist du krank, dann sag', was dir fehlt. Wird's bald? Was soll dies stumme Getue? Rechenschaft sollst mir geben.«

Sie sah ihn an. Lange, lange. Und dann siegte doch ihre unendliche Frauenliebe, die sie sechzehn Jahre lang für diesen Mann gehegt, über den Frauenstolz und die Heidjerherbheit. Sie beugte sich. – So tief, daß sie meinte, ihrer roten Heide nie wieder ins Gesicht schauen zu dürfen.

»Peter Hartmann! Einmal hast guten Kampf gekämpft. Da hatte ich dich gebeten, frag' mich nicht. Ohne Ende muß dein Vertrauen sein, wie das meine. Kann man den betrügen, den man liebt? So bitt' ich dich auch jetzt, – besteh' nicht auf meiner Rechtfertigung. Mag sein, daß mein Stolz noch höher reicht, als meine Lieb'. – Ich kann nicht anders, ich bin Heidjer. Peter, um tausend Gotteswillen frag' mich nicht. Laß nicht den Schuft triumphieren im reinen Haus mit den grünen Fensterläden. – – –

Peter! Mach' nicht so harte Augen auf mich. Du kannst es vor Gott nicht verantworten.« –

Sie stand vor ihm in Aussehen und Haltung nicht wie eine Bittende. Sie trug ihren Kopf hoch und stolz. Aber ihre blassen Lippen baten herzbeweglich. Vielleicht reizte ihn ihre stolze Haltung.

»Du nimmst mir das Recht zu fragen, Ernstine? Nach all dem, was ich ertragen hab' müssen?«

»Ich nehm dir kein Recht, Peter Hartmann. Ich gebe dir das Recht, anders zu sein, als alle andern Männer landauf, landab. Am höchsten stehst mir, du, – du Besonderer. Mach' dich nicht selbst klein. Tu's nicht!«

»Ja, du verstehst's!« murmelte er. Und ganz plötzlich brach sein Jähzorn los. »Schaff's aus der Welt! Ich ertrag's nicht! Diese Beschuldigungen des versoffenen Kerls, seine biedere, glaubhafte Schilderung, seine hämischen Bemerkungen! Red' einen Ton! Verteidige dich! Mein Mannsrecht will ich haben! Du machst mich klein, ich nicht! ›Bankert‹ schimpft man deinen Jung? Und du leidst es? Und du willst, ich soll das Schandwort mit meinem Namen decken? Wie's mein betrogener Bruder getan hat?«

Wie ein waidwundes Tier schrie die Frau auf. – »Peter, Peter! Das Wort trennt uns.« – Und ihr Blick, in dem die helle Qual lag, verließ den einsamen Mann nicht durch Jahre hindurch. –


Das Bimmelbähnchen hatte die rote Heide durchlaufen, und kurze Zeit auf dem Bahnhof gehalten. Dann klang wieder der trauliche Glockenton, und hie und da wehte grüßend ein Tuch durch die Luft und gab dem lieblichen Dörfchen Valet, in dem großstadtmüde Sommergäste wochenlang kinderfrohe Tage verleben durften. –

Eine einsame Frau schritt durch den Abend. Sie trug ein großes Bündel, und der Junge des Bahnwärters schob einen schweren Koffer auf dem Karren hinter ihr her. Vor der Tür des Hansohmschen Bauernhofes half sie beim Abladen des Gepäckes und entlohnte den Burschen. Dann klopfte sie sacht an das Fenster, hinter welchem Licht schimmerte. Vater und Mutter Hansohm öffneten beide. Eine Weile sahen sie stumm auf die Einlaßharrende. Dann sagte der alte Mann: »Wer des Nachts ohne Anmeldung aus fremder Stadt die Eltern heimsucht, hat ein schlechtes Gewissen und bös Unrecht auf der Seele.«

»Ich hab' kein Unrecht getan, als daß ich meinen Mann verließ, der nicht an meine Frauenehr glaubt.«

»So sieht also die Lieb' aus, die aus dem Rausch geboren ward?«

»Ja, so sieht sie aus.«

»Tritt ein, Ernstine. Tochter dieses Hauses. Wenn du Schuld hereinträgst, wird dich Gott hinausjagen. Wir richten nicht, auf daß wir nicht gerichtet werden.«

»Mit Gott und Dank!« sagte sie still den Heidjerspruch. Und schritt hinein in die Diele des Elternhauses, nickte den beiden zu und ging stracks in ihr Mädchenstübchen, das unangetastet so lag, wie sie es vor achtzehn Jahren verlassen hatte.

Die Eltern hörten, wie sie droben in Schränken, Kasten und Truhen hantierte.

»Was seggst, Mudder, un wat sinnst?« fragte der alte Bauer, und strich ungeschickt liebkosend über den weißen Scheitel der Frau. »Ik mügg weinen, un doch is mein Freude lebendig, daß die Tochter echten Heidjerstolz kennt ...«

»Ik segg un ik denk blot eens: Wi Öllern hebbt uns' Deern wedder int Hus. Glücks genug. Nich Vadder? Ochott, wie hett mi dat Bangnis schafft nah mien Kind.«

»Mudder, mi ok. Äwer villicht hädden wi ehr to ehren Mann torückjagen möten ... Ik weet mi keen Rat. Kumm! Wi wülln beden.«

Sie schlugen die Postille auf. Die hatte starke, gute Worte für alle Nöte des Lebens. Und den rechten Rat und Trost würde der Herrgott so »bei klein« dazugeben. –

Das war nun freilich ein wunderliches Arbeiten auf dem elterlichen Hofe in der Bauernwirtschaft, wenn man nicht als geehrter Besuch kam, sondern als tiefgebeugte Tochter, die dankbar sein mußte für diesen Unterschlupf. Weil gleich hinter der Tür die Leute mit Fingern auf sie wiesen. Wie sie es draußen im fernen Berlin taten rings um das Haus mit den grünen Fensterläden. War dort wohl eine Menschenseele in der Straße Altmoabit, die nicht über die »ehrvergessene« Frau zeterte? Die Frau, die »anstatt zu Kreuze zu kriechen und in Sack und Asche zu gehen, auch noch den aufrechten, sittenstrengen Schmiedemeister verlassen hatte?« Und den Jung dazu. »Den Bankert, der nun alle Segnungen des wohlhabenden Schmiedehauses genoß, obwohl er da gar nicht hingehörte.« Ernstine hörte diese Worte dröhnend in ihren Ohren, wenn sie todmüde und doch schlaflos in ihrer Kammer lag. Sie rang die Hände wund im Gebet: »Gott, schick mir meinen Mann. Laß ihn gut und gerecht denken. Lehr' ihn meine Heidjerart verstehen, gib ihm die Bitte ins Herz und auf die Lippen: Ernstine, vergib! Trotz aller Lieb', ich kann nich zu ihm gehen. Er hat mich geschlagen mit garstigen Worten ...«

Aber die Wochen vergingen, und es kam keine Nachricht von dem einsamen Manne. Und Ernstine fing an, sich vor dem Tage zu fürchten, da der Vater fragen würde, ob das Verbrechen des Peter Hartmann so schwerwiegend gewesen sei, daß sie ihn verlassen durfte? Frauenehre? Hatte sie nicht so gesagt? Frauenehre sei doch, dem Manne zu gehorchen und zu dienen. Und es könne nicht schaden, wenn die Frau auch mal streng nach der Bibel die linke Backe hinhielte, wenn die rechte geschlagen worden war. So würde der Vater sagen über kurz oder lang. Aber freilich, sie hatte auch noch die gute Mutter, die eine ganz sture Heidjerin vorstellte, und die würde dem Vater vorhalten, daß dies alles wohl nur Geltung für die Heide habe, daß man aber auf einen Ausländer, wie diesen Berliner Schwiegersohn, nicht so arg viel Rücksicht zu nehmen brauche.

»Peter Hartmann! Peter Hartmann! Komm!« Ernstine rief es Tag und Nacht. – – –


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