Felicitas Rose
Das Haus mit den grünen Fensterläden
Felicitas Rose

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6.

Berlin NW. Moabit, den 19. Juli 19..

Liebe Mutter! Ich schreibe ungern an Dich, Du liebe Mutter. Denn ich habe ja kaum einen Brief geschrieben in meinem Leben. Und bin schon siebzehn. Und an Dich wird es mir schwer jetzt, weil ich so unsicher bin in meinen Gedanken. Es ist nur gut, daß Du mir richtig befohlen hast, bei Vater zu bleiben, und daß ich erst zu Dir kommen darf, wenn er mich fortschicken würde. Ich meine auch, Vater schickt mich niemals fort, und ich meine auch, Vater und Sohn gehören zusammen. Aber ich schlafe wenig in der Nacht, und habe doch am Tage immer zu büffeln. Die Mitschüler sagen »ochsen«, aber weil doch Frau von Denso so fein ist, sage ich »büffeln«. Und nun sehe ich wegen dem Büffeln schlecht aus, und mein Klassenlehrer Dr. Wimmel hat väterlich darüber mit mir gesprochen, ganz lange, weil er mich gern hat. Und hat viel gefragt, was so Jungs angeht. Aber so was ist es nicht, liebe Mutter. – Und auch mit Mädeln nicht, die sehe ich gar nicht an. Außer natürlich Erdmuthe von Denso, aber die ist ja kein Mädel, sondern ein Kind. Aber liebe Mutter, die Sonne ist fortgegangen, seit Du fort bist, und deshalb sehen die grünen Fensterläden grau aus. Auch Frau Oberst von Denso, dünkt mich, ist weißer geworden und noch kleiner. Doch wird sie gut gepflegt von der netten Frau Peters nebenan, die Du selbst für sie bestimmt hast. Auch Frau Blumenschmidt von Ecke Stromstraße kommt alle zwei Tage und sieht nach uns. Aber zu mir ist sie nicht nett, und ich weiß nicht, was ich ihr zuleide tat. Nur Erdmuthe ist ganz so, wie sie immer war und spielt den ganzen Tag »lieber Gott.« Immer muß sie an jemandem herumtrösten. Vatern hat sie alle ihre Puppen in die Erbschmiede gebracht, damit er nicht so allein ist ... Liebe Mutter, es tut mir leid, aber Vater hat mir verboten, Dir zu schreiben, was er tut und wie er aussieht. Aber, Du liebe Mutter, er geht nicht mehr so aufrecht ...

Ich muß schließen, sonst mache ich schlapp. Ich grüße Dich tausendmal. Wenn es Dich interessiert, so bin ich primus geworden.

Auch bin ich Dein treuer Sohn Bernhard.

Berlin im Haus mit den grünen Fensterläden gleich rechts in Moabit NW.

Liebe Frau Ernstine Hartmann!

Bitte verzeihen Sie mir doch die schiefe Schrift nach oben und bitte verzeihen Sie die vielen Klexe und auch gewiß Fehler. Herr Dr. Hosemann ist mein Klassenlehrer, der sagt: »Denso ist im allgemeinen eine orthographische Natur, aber sie weiß nie, wo ein H. hingehört und wo nicht.«

Aber was ich mir genau einremse, das weiß ich in Ewigkeit. So z. B., daß der Mahler ein Bild mahlt, und daß man den Kaffee auf der Kaffeemüle malt. Deshalb hat Dr. Hosemann unrecht.

Dieses ist alles Nebensache. Jetzt kommt die Hauptsache. Mein bester Freund, der Schmiedemeister hat mir nicht verboten, daß ich schreibe, wie er jetzt aussieht, und deshalb schreibe ich jammervoll und unterstreiche es. Ich spreche nicht mit ihm, denn er spricht mit niemand. Außer mit Großje. And dann werden beide traurig und erst später ein kleines bißchen froh. Es sind aber nur kurze Sachen. Mit Bernhard spricht er lange Sachen, aber unfreundlich. Ich nehme manchmal seine Hand und streichle sie. Dann tut er sie fort und geht rasch aus der Stube. Aber den Streichel hat er doch dann weg, und das ist gut. Denn er muß wissen, daß ich ihn lieb habe. Die Blumenfrau von Ecke Stromstraße spricht häßlich von Ihnen, liebe Frau Ernstine Hartmann. Aber sie ist eine edle Frau. Das wird man bei den immerwährenden Blumen. Ich wollte ihr neulich beinahe einen faulen Apfel von ihrem Blumenstand an den Kopf werfen, wegen ihrer Reden über Sie. Denn sie handelt jetzt auch mit Äpfeln. Aber ich wurde durch irgend was gehindert, ich glaube, sie riß ihn mir aus der Hand. Und es ist auch sehr unrecht, wenn man einen faulen Apfel wirklich wirft. Das sagte wenigstens Großje. Die Blumenfrau Ecke Stromstraße hat nicht gepetzt, deshalb nenne ich sie edel. Liebe Frau Ernstine Hartmann, ich muß jetzt schließen. Und ich hoffe, ich werde in meinem ganzen Leben nicht wieder einen so langen Brief schreiben. Ich wollte Sie ja auch eigentlich nur fragen, ob Sie nicht rasch nach Berlin reisen könnten und nur fix zum Schmiedemeister sagen: ich bin nicht wert, daß ich Dein Sohn heiße, oder so ähnlich sagte die Blumenschmidtfrau. Und dann würde Schlachter Bimmelmann ein Kalb schlachten. Aber ich verstehe nicht alles, was so die Nachbarn durcheinander reden. Aber den verlorenen Sohn hatten wir in Religion. Liebe Frau Ernstine, ich habe Sehnsucht nach Ihnen.

Ich bin Ihre treue Erdmuthe von Venso.

Im Hause mit den grünen Fensterläden, den 20. Juli 19...

Sehr werte Frau Ernstine! Eine alte Frau möchte an Ihr Herz rühren, und weiß nicht, wie sie es anfangen soll. Wenn Sie eben so starr und unzugänglich sind, wie unser Schmiedemeister, dann muß ich es aufgeben. Es ist, als ob Sie beide niemals in Ihrer Bibel 1. Korinther Kapitel 13 gelesen hätten, das doch das A und O aller besinnlichen Menschen sein sollte. – Aber was mir das meiste Leid bringt, das ist, daß ich Sie gar so gut verstehe in Ihrer armen stolzen Seele, Sie liebe Frau. Ach wir armen, stummen Heidjerl Wir hegen und pflegen die Bitternis wie eine Mutter ihr Kind hegt. Und wir geben ihr all das, was sie nötig hat zum Blühen und Gedeihen, bis sie über uns hinaus wächst. Täglich besucht mich Ihr Mann und ich lerne auch täglich seine zarte Güte höher schätzen. Nur in dem einen Punkt ist er ein kleiner Mensch, der starr und unbelehrbar auf seinem Standpunkt verharrt. Ich weiß nicht, was werden würde, wenn Sie jetzt noch das erste, versöhnende Wort fänden, – ich weiß es nicht. Vielleicht ist es schon zu spät. Frau Kamille hat sehr geschürt, – wie ist das traurig! Ich muß immer denken: »Ach wie leicht ist's, einem das Leben zu verbittern, – wüßtet ihr, was eine Träne ist, ihr würdet zittern.« Frau Ernstine! Ihre tränensatten Tage und Nächte glaube ich zu ahnen, aber die ungeweinten Tränen haben den starken Schmiedemeister zermürbt. Und ich weiß auch als Heidjerin, daß Sie nicht anders können und daß er zuerst kommen muß. Er ist alt geworden, der stattliche Mann ...

Gott helfe Ihnen beiden!

Ihre Kordula von Denso.

In Birkbuschen bekam man nicht viele Briefe. Und die ankommenden wurden wichtig im Wirtshause besprochen. Daß die Ernstine Hansohm, wie sie immer noch bei den Bauern hieß, drei Stück erhalten hatte, bot schier unerschöpflichen Gesprächsstoff. – »Die Herrlichkeit hat ja wirklich nicht lange gedauert«, sagte man an der Teke im Wirtshaus, aber man mühte sich nicht um den Grund. Das war nicht Heidjerart. »Eigene Angelegenheit des Empfängers«, meinte auch der biedere Landbriefträger. – So blieb auch Ernstine unbehelligt, und das stille, ebene Gesicht, mit dem sie einherschritt, wurde ohne Fragen respektiert. –

Sie schrieb keine Antwort auf die drei Briefe, so tief sie auch von dem Inhalt erschüttert wurde. Aber ihr Mutterherz bebte in verzehrendem Heimweh nach ihrem Bernhardjung. So kam es, daß doch ein schmaler Zettel an den Primus der Obersekunda des ... Gymnasiums gelangte. Kein persönlicher Gruß stand darin, nur der Spruch, mit zitternder Hand geschrieben: »Habe Gott vor Augen und im Herzen, und hüte Dich, daß Du in keine Sünde willigest, noch tuest wider Gottes Gebot.« Denn der Gedanke bewegte sie zutiefst, daß ihr Bernhard die Fühlung mit dem frommen Geist der Familien Hartmann und Hansohm verlieren könnte, wenn er so ganz allein in der wilden, hemmungslosen Großstadt einen unbehüteten Lebensweg gehen müsse. Die Mutter hatte ihn ja verlassen. Die Mutter, die ihm sonst jeden Morgen zugerufen hatte: »Gott befohlen!« Und jeden Abend die Hände mit ihm faltete, als ob er noch ihr kleines Büblein sei ... Sie wußte, dieses Zettelchen, das aus der stillen Heide zu ihm flog, würde sich der Jungbursch fein säuberlich aufkleben und über sein Bett hängen. Gott Dank, daß er so gar nichts von seinem Vater Bernhard Hartmann hatte, sondern in die Familie Hansohm artete. – Aber der Gedanke, daß sie den Jungen im Stich ließ, überfiel sie mit ganzer Gewalt. Und tat es täglich aufs neue. Doch die inneren, schweren Kämpfe beugten nicht ihren harten Willen. Peter Hartmann durfte sie nicht verdammen auf das Wort eines lügenhaften, verkommenen Menschen. Und Peter Hartmann müßte sie verachten, wenn sie nicht auf ihrem Stolz bestünde. Ernstine Hartmann ging einen Dornenweg. Sie magerte ab und sah fahl und vergrämt aus, trotz ihres hochgetragenen Kopfes. Ein einziges Mal hatte sie der Vater in den Wohnpesel gerufen, als sie draußen verträumt ins Weite starrte. »Smeckt de Arbeit nich? Hast Heimweh nach de grote Stadt? Oder nach'n Mann? Willst zu Kreuz kriechen?«

»Vater, wenn ich dir nicht genug arbeite, sag's offen. Dann spann ich meine Kraft noch ärger an. Aber frag' mich nicht, wie du eben tatest. Ich will dir ungefragt sagen, daß ich kein Ursach hab, zu Kreuz zu kriechen. Und wenn du zweifelst, Vater, so geh' ich fort von euch, wie ich von Hartmann fortgegangen bin.«

Und Mudder Hansohm, welche die letzten Worte gehört hatte, weinte laut auf und schlang die Arme fest um die Tochter. »Nich eher gehst fort, mien Deern, bis der Schmiedemeister auf den Knien vor dir liegt. Heidjerehr geiht öwer alles.«

Der Alte schüttelte den weißen Kopf, aber als sie zu Abend aßen, legte er der Tochter die besten Bissen vor, und sie lächelte ihn dankbar an.

»So glaubst mir, Vater?«

»Eine Hansohm lügt und betrügt nicht. Aber du hättst Witib bleiben sollen. Zwei Hartmanns taugen noch weniger, als einer.«

»Nicht den Peter schmähen, Vater ...«

»Es fällt mir schwer, Tochter Ernstine. Was muß er für einer sein, daß er dich nicht estemiert?«

»Ein Aufrechter ist er, Vater, und meines Herzens Trost und sein Teil. Er wird kommen, irgendwo – irgendwann und mich heimholen.«

»Un wenn he nich kümmt?«

»Dann lebt kein Gott über der weiten Heide ...«


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