Felicitas Rose
Das Haus mit den grünen Fensterläden
Felicitas Rose

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9.

H. (Lüneburger Heide), November 19..

Mein lieber Vater! Das ist ein übel Ding, das ihr dort durchgemacht habt im lieben Birkbuschen. Und daß ich Esel krank werden mußte, und Ihr nicht zu mir und ich nicht zu Euch kommen konnte. Und jetzt seid Ihr wieder in Berlin, wo Pflicht und Arbeit nach Euch verlangten. Vorweg will ich nun nehmen, wie tief mein Herz bewegt wurde durch Deine Nachricht, daß die liebe Mutter Dir einen Erben für Deine Schmiede schenken will. Und wenn's eine Deern wird, so hat Mutter im Alter eine Stütze. Ich wünsche Euch nun alles Glück, lieber Vater und liebe Mutter. Und ich freue mich auch auf ein Schwesterchen. Wie ich Dir auch gar nicht genug danken kann, daß Du mich auf diese Schule getan hast. Denn der Geist, der hier herrscht, ist wohl ein ganz besonders guter. Ich stehe mich mit Lehrern und Mitschülern ausgezeichnet. Es ist doch das beste, wenn man Vertrauen genießt. Ich habe auch auf einen besonders begabten Schüler gut einwirken können, der einige sehr häßliche, gesundheitschädigende Anlagen und Gewohnheiten hatte und scheu und verstockt geworden war. Weißt du, er hatte nicht eine so liebe, reine Mutter gehabt, wie ich, und sie hatte sich fast nicht um ihn gekümmert. Jetzt habe ich ihm meine Freundschaft gegeben, und habe gar nicht gewußt, daß die ein so großes Geschenk sein soll. Hab's erst an seiner übergroßen Freude gemerkt. Er heißt Bernhard, wie ich, aber er sagt, er verdiene das nicht, und deshalb nennt er mich Bernd. Ist es Euch recht, wenn ich den Namen beibehalte? Ich tue es auch hauptsächlich der Erdmuthe wegen, die konnte die doppelte Härte in meinen beiden Namen nicht leiden. Also hier ist es sehr schön. Die ausgezeichneten Lehrer imponieren mir sehr. Ich habe es auch schon an Dr. Wimmel geschrieben, der sich sehr darüber freute. Auch das Kosthaus hat die Schule weise für mich ausgesucht bei Frau Witwe Baldauf. Sie kocht fein, kann ich Euch sagen, und hat auch Humor, was sehr hübsch wirkt bei der lieben, alten Frau. So sagte sie zu mir, als ich meinte, ihr Essen sei zu reichlich: »Der Jumboelefant muß sein ordentliches Freßchen haben, sonst geht er ein.« Ich möcht aber gar nicht größer werden, als ich bin. Sie sehen sich schon jetzt alle auf der Straße um und lachen. Das liegt aber wohl hauptsächlich an der roten Schülermütze auf meinem Riesenkopf. Bin ich erst einmal was Rechtes, dann soll kein Mensch mehr über mich zu lachen haben. – Unsere Anstalt liegt ganz hervorragend schön unter großen, alten Bäumen eingebettet. Und was für mich persönlich wertvoll ist, das ist die Gestalt eines Jünglings, der schon 1901 in meinem Alter dahingegangen ist. Aber sein Andenken ist ganz lebendig geblieben, und wenn man in das edle, reine Gesicht schaut, das uns in einem großen, schönen Bilde entgegenblickt, dann möchte jeder Junge ihn als Vorbild nehmen. Das ist Prinz Christian, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, nach welchem unsere Schule auch ihren Namen hat. Ich schicke Euch, liebe Eltern, ein Bild von ihm mit, auch eine schöne Studie über sein Leben und Sterben. – Nun ruft mich Bernhard von Flens, mein Freund. Ich muß aufhören, denn er ist sehr eigenwillig und empfindlich, und ich darf meinen Einfluß auf ihn nicht verlieren.Ihr werdet das begreifen. Und er ist sonst ein lieber Junge. In dieser Gedankenverbindung danke ich Dir noch besonders, Du liebe Mutter, daß Du immer so auf mich geachtet hast. Du weißt es sicher nicht, wie so viele stille Worte von Dir mich bewahren vor häßlichen Dingen. Gott segne Dich, liebe Mutter! Mir ist etwas bänglich und weh unter der linken Westentasche. Weißt Du, Dein langer und breiter Jumbo ist heute etwas sentimental, denn er sitzt in H. und Ihr seid in Berlin. Und es hätte doch so schön andersrum sein können.

Dein treuer Bernd, Du liebe Mutter und auch dem lieben Vater seiner.

Berlin, im Haus mit den grünen Fensterläden, 16. November 19..

Geehrter Bernd! Was natürlich hübscher klingt als Bernhard Hartmann. Aber um meinetwillen brauchen Sie sich nicht nochmal taufen zu lassen. Es ist mir gleichgültig, wie man Sie nennt. Und ich nenne Dich jetzt Sie. Denn zu wem man nicht mal »ade« sagt, wenn man für ewig fort geht, der ist einem nichts wert und umgekehrt auch. Ich habe damals, als es geschah, furchtbar geweint. Oh, es war mir ja so egal. Heute soll ich an Sie schreiben, weil Deine Mutter und Ihr Vater beide verhindert sind. Herr Schmiedemeister ist vor Gericht wegen Anbrennens seiner Schmiede, aber es war Herr Detleffsen, der's getan hat. Und seine Frau hat Großreinemachen. Deshalb hat sie mir diesen Bogen hingelegt, auch Briefumschlag und Marke geleckt. Dieselbe ist so sehr höflich mit mir. Aber Sie sind es nicht, Bernd Hartmann, was wirklich viel schöner klingt, als Bernhard. Ich verbleibe Ihre treue Erdmuthe von Denso.

Nachschrift: Ich habe ganz vergessen zu sagen, was ich Ihnen schreiben sollte. Also nämlich Frau Kamille Hartmann, geb. Schulze ist gestern gestorben. Sie hatte eine Wunde und außerdem Gift in sich. Deshalb war es eine Blutvergiftung. Nun meint Deine Mutter, Sie müßten an Ihren Onkel Nante schreiben, daß er Ihnen leid tun könnte. Die Nachbarn sagen alle, er atmete nun auf. Deshalb tut er mir auch nicht leid. Aber Sie sollen das sofort schreiben. Nun wissen Sie alles, geehrter Bernd.

Erdmuthe.

Das war der letzte Brief, den das Kind Erdmuthe von Denso an ihren vermeintlichen Widersacher schrieb. Denn die Antwort des schwergereizten Jünglings trat dem Faß den Boden aus: »Liebe Erdmuthe, diese Korrespondenz ist unerquicklich, weil Du von Tuten und Blasen nichts weißt. Ich schließe diese Etappe meines Lebens ab. Bernhard Hartmann.«

Erdmuthe legte ein reines Taschentuch auf ihren Waschtisch, entzündete ein Lichtstümpfchen, legte ihr Gesangbuch auf das Tuch und schwor feierlich, wie sie es mal irgendwo gelesen hatte, daß sie dem »rüdigen« Bengel nie mehr schreiben würde. Dann verbrannte sie den Brief und sich die Finger. Dann besann sie sich auf die beiden fremden Worte in dem Brief, konnte sie aber nicht mehr zusammenbringen.

»So!« rief sie voll Zorn, »auch mir ist die Jurisprudenz unerquicklich, und ich schließe die Klappe ab.« Dann lief sie zu Großje. Und sie stutzte, als sie in ein kummervolles Antlitz sah. »Du bist so klein, Großje. Ich glaube, du wirst weniger. Was kann ich tun, daß du mehr wirst?«

»Ach, du Kleines! Immer willst du helfen, und siehst mir selbst arg hilfsbedürftig aus. – Ruf mir den Schmiedemeister. Von seinem guten Willen hängt es ab, ob ich meiner Sorgen ledig werde.«

Da saßen die beiden treuen Freunde zusammen, der ragende Schmiedemeister und die zarte, vornehme Frau. Zwei Welten, die durch die Liebe zueinander kamen; jeder sich mit seinem Verständnis in den andern einfügend. »Haben Sie Zeit für eine alte Frau, Herr Hartmann?«

»Ich müßte viel mehr Zeit für Sie gehabt haben, gnädige Frau, aber die Sippe hatte mich mit Beschlag belegt. Sie wissen wohl, heute wurde meine Base Kamille beerdigt.«

»Wohl dem, der noch Sippe hat, lieber Freund. Ich stehe nächstens allein. Meine Altersgenossen sind gestorben. Und mein sehr lieber Neffe Denso mußte fast heimlich zu mir kommen, weil die Nerven seiner Frau diesen Besuch nicht erlaubten. Alter Erbschaftsstreit.«

Der Schmied machte ganz runde Augen vor Staunen. »Der Herr Präsident ist doch ein Mann«, meinte er endlich.

»Frauennerven und Tränen gegenüber versagt oft der Wille des Mannes.«

Die Schmiedefaust legte sich lautlos, aber schwer auf den Tisch. Die Knöchel hoben sich weiß von der blutvollen, braunen Hand ab, und man sah, daß dieser Mann wohl kurzen Prozeß mit Frauennerven machen konnte. Aber dann schien er an seine eigene kraftvolle, gesunde Ernstine zu denken, die förmlich aufblühte in ihrer Mutterschaft, und die geschlossene Faust löste sich.

»Womit kann ich nun der gnädigen Frau Oberst dienen?« fragte er mit guter warmer Stimme. –

»Mit Ihrer Zeit und Ihrem Rat. Ich habe einen Brief vom Neffen Denso bekommen. Er ist mit seiner Frau ganz allein. Zwei Söhne fielen im Weltkrieg. Nun bittet er um meine Erdmuthe, die er in seinem Hause erziehen will. Der Vater meiner Kleinen war sein Vetter und bester Freund.«

»Was sollen wir denn anfangen ohne Muthchen?«, fragte der Schmied erschrocken.

»Das weiß ich nicht.« Ein wehes Lächeln kam in das alte, feine Gesicht. »Ich weiß nur, daß ich zu alt zur richtigen Führerin bin. Die prächtige Leiterin des Lyzeums hat mir schon vor Jahren zu verstehen gegeben, daß sich dies eigenartige Lebewesen nicht in die heutige Jugend eingliedern läßt. Sie ist immer Außenseiter.«

»Gott sei Dank!« entfuhr es dem Schmied. »So'n Wicht, so'n Marjellchen, so'n ›silbernes Nichtschen un goldnes Wart'n Weilchen‹ aus 'm Märchenbuch. – Zerdrücken könnt man 's mit der Schmiedefaust – un es hat uns doch alle am Bändel.«

»Sie feiner Menschenkenner! Alles ist richtig. Aber sie muß dann eben mit besonderer Sorgfalt erzogen werden, und das kann ich in meinem Alter nicht mehr. Nur Liebe kann ich ihr geben und gute Lebensart, und kann sie anschmieden an Pietät und Tradition. Aber heute verlangt man noch anderes. Mein Neffe hat mir das alles liebevoll auseinandergesetzt. Heute in die Welt allein hingestellt, würde sie sich an tausend Ecken wund stoßen mit ihrer Eigenart.«

»Jawoll. wie so'n Kolibri unter Spatzen. Aber sie braucht doch nicht allein hingestellt zu werden, Frau von Denso. Muthchen wird nie allein sein. Und wenn Sie selbst abgerufen würden, so bin ich noch da und meine Frau.«

Die alte Dame sah ihm mit langem, guten Blick in die Augen. Und da verstand er auch ohne Worte, was sie sich nicht zu sagen getraute: ›Herzensgut und brav seid ihr beide – aber ihr könnt nicht Erzieher von Erdmuthe sein.‹ –

Das tat freilich ein bißchen weh, und er fühlte heftig, wie er gegen den Strich gekämmt wurde, aber es lag doch noch viel mehr in den Augen der seltenen alten Frau, was er auch als einfacher Schmied gut verstand. Und er wollte zeigen, daß er wert war, von ihr Freund genannt zu werden.

»Ich meine, wir müssen beide unsere Herzen in die Hände nehmen«, sagte er ernst. »Wenn's auch noch so weh tut. Wenn der Herr Regierungspräsident der rechte Mann ist nach Ihrer Ansicht – dann wird das feine Seelchen schon in seiner Hut gedeihn. Hat er bestimmt gesagt, daß er das Kind haben will?« »Ja, das hat er. Und er meint es ehrlich. Und meint ferner, daß er es seinem hochgemuten Vetter, Erdmuthes totem Vater, schuldig ist.«

Eine Weile war es still zwischen den beiden Beratern.

»Und das Kind? Was sagt das Kind dazu?« fragte endlich der Mann.

»Davor fürchte ich mich etwas. Es wird einen Sturm geben, und Sie müssen mir helfen, standhaft zu sein. Wollen Sie das, Peter Hartmann?«

Die Schmiedefaust schloß sich um die kleine, zarte Altfrauenhand. Man sah es dem Meister an, wie sehr er sich zusammenriß, um sie nicht zu mächtig zu drücken in seinem Einverständnis. »Nun will ich das Muthchen rufen«, sagte er, und Frau von Denso sah, wie ihm das Wasser in den Augen stand. Und sie dachte, daß ihre feine, kleine, seltsame Erdmuthe nie einen zarter fühlenden Erzieher haben würde, als gerade diesen Mann.


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