Felicitas Rose
Das Haus mit den grünen Fensterläden
Felicitas Rose

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2.

In der folgenden Zeit schüttelten viele Nachbarn die Köpfe. Und der Zaun wurde nie leer von Gästen, die sich die »Rennoffierung« von »det Haus mit die jrine Fensterläden« betrachteten.

»Hanebüchen muß Schmied Hartmann jeerbt ham.« Das war das Ergebnis all der täglichen Beobachtungen.

»Un wofor det allens?« Diese Frage wiederholte sich desgleichen täglich. Und jeder wohlwollende oder üble Nachbar gab seine Meinung zum besten. »Is det bloß, um der alten Frau Denson 'ne kumfortable Bleibe zu genehmigen?«

»Ik jlobe, für dat schwarze Schaf der Familie, for Bernharden seine selige Witwe soll wat jedahn werden.«

»Is dat Schaf denn so schwarz?«

»Wat heeßt schwarz. Hochnäsig is se. Früher war det ›Haus mit de Irine‹ 'n fideler Ort. Da hat der verstorbene Schmiedemeister immer Sonntags Freibier for de Nachbarschaft jejeben. Jotte doch, wat ham mir jelacht, wenn er so tat, als wär er 'n Wirt, oder 'n Ober mit der überjeschlagenen Salwjett. An so scheeste er durch de Stuben. Immer fidel un Sankßussi. Dat hört jetzt uff.«

»Un der jrößte Feez war für uns allemal, wenn wir den Bernhard im ›Gasthaus zur dreckjen Gabel‹ vorher duhn machten und in die Gemütlichkeit von den grünen Fensterläden reinschleiften. Denn lachte aber der Alte nich.« Die gewöhnliche, heisere Stimme gehörte einem heruntergekommenen Menschen, der arg zerlumpt unter den Zuschauern stand. »Halt deinen Rand«, rief man ihm zu. »Auf dich ham wir jrade jelauert. Du wirfst immer Dreck auf die Hartmanns, un dat leiden wir nich.«

»Det durfte nich kommen«, meinte Schlachtermeister Klingemann. »Wo was mit die Hartmanns los is, karrt doch der Deubel allemal diesen verkommenen Lulatsch her.«

»Wer ist es eigentlich? Was hat er mit den Hartmanns zu tun?«

Schlachter Klingemann war kein Schwätzer, aber der Frager war Postsekretär Hornstedt, ein guter Kunde von ihm.

»Detleffsen heißt er. Wissen Sie, – en sojenannter verlorener Sohn. Hat bessere Dage jesehn. Außerdem Ausländer. Stammt aus de Lüneburger Heide. Spricht feines Hochdeutsch mit 'ner versoffenen Stimme. Wirtsjunge. Juter Leute Kind. Is mit die Ernstine Hartmann zur Schule jejangen un hat ihr später haben wolln. Sie hat ihn auch nich ungern jesehn, war 'n schöner Kerl, aber unter der Politur saß der Wurm. Da hat sie ihm bald Valet jejeben. Aber nich locker hat er jelassen, nachjestiegen is er ihr auf Schritt un Tritt. – Na un dann wohl mal in de Dunkelheit von't Dorf zudringlich jeworden, un sie hat ihm eine jelangt. Dat hat er ihr nich verjessen. Nach und nach is er dann verloddert, nach Berlin ausjerückt, vom Vater rausjeschmissen, wie 's denn so kommt. Jelejenheitsarbeiter, sagen se. Na die Jelejenheit möcht ich sehen, oder ooch nich. Na, un als se dann de schöne junge Frau von dem schönen Bernhard Hartmann wurde, da is der Detleffsen rabiat jeworden. Un is ihr wieder nachjestiegen, un als alles nichts half, hat er ihr den Mann verdorben und verhetzt. Der Bernhard Hartmann konnt nich viel vertragen. Vier, fünf Maß, dann war er sternhagelvoll und 'n Krakehler, un jlaubte allens, was man ihm vorerzählte. Sonst 'n juter Kerl, aber heiß un eifersüchtig wie'n Türke.«

»Na??? Sollte das ganz ohne Grund gewesen sein?«

»Ne, ne, ne! Keenen Zweifel, wenn ick bitten darf. Det sin wir der Witwe Hartmann schuldig. Hochmütig mag sie sein, aber sonst prima!«

»Ich meine ja auch man so.« Der Postsekretär lüftete den Hut und ging.

»Det war scheen von Sie, Meister Klingemann«, sagte Mutter Schmidten, die Blumenfrau von Ecke Stromstraße, die mal fix rübergelaufen war, um zu sehen, warum so viel Leute beim Haus mit den grünen Fensterläden standen. »Et is so ville Stunk in Berlin, – na wie in alle Jroßstädte, aber den Hartmann sein Haus, dat war immer en propprer Anblick von innen un außen. Ick hab's immer mit mein Blumenstand verjlichen. Da laß ick ooch keen welkes oder ja matschiges Blätteken dazwischen, das is mein Stolz. Un jrade so machte es Schmiedemeister Hartmann selig mit sein Haus un seine Familie. Wissen Se, wat de Leite zu mir sagen? ›Mutter Schmidten, bei Sie kooft man den reinsten botanischen Jarten, Sie sin de Konkurrenz von Rothen Unter de Linden, bloß billiger.‹ So sagen immer die Herrn vons Moabiter Zuchthaus. Ik mein' nich, die drin sitzen, – ick meine den hohen Jerichtshof.«

»Ich weiß, ich weiß, Mutter Schmidten. Un allens was 'n bißken sauber is, das muß zu Hartmanns halten, – dat meinen Se doch ooch?«

»Sie ham den richtjen Vastehstemich, Meister Klingemann. Abers Boulettenfleisch von Sie schmeckte jestern 'n bißken sehr strenge, un was mein Mann is, der sagte: ,Von det Jehackte hat sik wohl der Klingemann erst 'n Umschlag uff seinen jichtkranken Fuß jemacht?«

»Sonne Jemeinheit. Ik schick Ihnen andres, Mutter Schmidten. Aber Ihren Mann kenn se sagen, er soll mir ...«

»Jawoll, er soll Ihnen nie wieder so ausverschämt kommen, det meinten Sie doch, Meister, – ik wer's bestellen.« –

Ein ganz großer Tag war einen Monat später der Einzug der Densoschen Möbel in das beinahe wie neu aus der Spielzeugschachtel herausgenommene Haus mit den grünen Fensterläden. Drei Tage vorher hatte schon Frau Ernstine Hartmann mit dem anstelligen Kleinmädchen der Frau Oberst das ganze Haus »großreingemacht« und in beiden Wohnungen die lichten Gardinen aufgesteckt. Sie erschrak, als sie in ihre sonnigen Räume kam. Die ganzen Nächte hatte sie gegrübelt, wie sie ihre Zweistubenwohnung durch einen guten Tischler wohl etwas aufmuntern könnte, damit die Wände ihrer vier geräumigen Zimmer nicht gar zu hochmütig auf den wenigen und arg abgenutzten Hausrat zu schauen hätten. Da war vieles zu Bruch gegangen, wenn der Bernhard im Rausch sich an den Möbeln vergriffen hatte, – niemals an ihr, wenigstens nicht mit bösen Worten. Und doch wär' das besser gewesen ...

Ach, gar nicht dran denken an das Martyrium, das eine zart empfindende Frau durchmacht an der Seite eines unbeherrschten Mannes. Auch verpfändet waren viele schöne Stücke ihrer Aussteuer, und dann verfallen. Alte, wertvolle Truhen aus dem Heidehause der Eltern. Englische Kastenuhren, die das ganze Firmament unendlich fein gemalt auf dem Zifferblatt zeigten, Bibeln und Gesangbücher, sie waren verschleudert worden, um ein paar Mark zu haben für Wein. Ja, zuerst war's Wein gewesen, aber dann war der Schnaps gekommen. Und nun war auch der widerliche Detleffsen wieder da. »Ik bün ümmer dor«, hatte er ihr zugeraunt, »wir Heidjer hören tosamen, ik nehm dich ok ut zweiter Hand.« – – – Eine ganze Weile mußte sie erst einmal in der Tür stehenbleiben, denn da war ein rechtes Wunder geschehen. Gerade das schönste, sonnigste Vorderzimmer war mit einer feinen, roten Polstergarnitur ausgestattet, und die zwei tiefen, roten Sessel mitsamt dem Vertikow, den Stühlen, und dem großen soliden blauroten Teppich meinte sie noch unlängst im Schaufenster bei Tischlermeister Kutschke gesehen zu haben. Sie mußten über Nacht hergeschafft worden sein. Was sollten sie hier? Es wurde ihr schwindlig, und sie mußte sich am Türpfosten anhalten. Dann schaute sie noch einmal alles an. Dort war ein freier Standplatz, da konnte Urgroßvaters Truhe noch hin, aus der lieben Heidekate ... das einzig wertvolle Stück, das gerettet war. Herrgott war das schön! Aber vielleicht sollte ihr diese Stube gar nicht gehören ...

»Gefällt dir's?« fragte eine gute Stimme. »Schwager, da mußt mir Bescheid geben, ich kenn' mich da nicht aus. Halt mich nich für unbescheiden. Ich komme auch mit zwei Stuben aus, – reichlich. Aber du sagtest damals, vor Wochen, als du uns den Brief vorgelesen ...«

»Daß die Ernstine Hartmann vier gute, richtige, sonnige Stübchen haben sollte. Und nun frag ich nochmal: Gefällt dir's?«

»Schwager, ich kann nichts sagen, nich laut danken – ich kann's nicht glauben, ich bin ganz durchhin ... weißt, es kommt mit einemmal gar so viel Sonne über mich, und ich hab' zu lang im Schatten gestanden ...« »Ich weiß, ich weiß, du Armes! Nu laß mich en bißken sorgen für die Helligkeit. Un es is auch grausam viel Selbstsucht von mir dabei, Ernstine. Weißt, ich will doch auch manchmal bei dir sitzen, – da waren mir deine arg verbumfeiten Möbel nich recht gut genug...«

»Ach, Schwager, wer dir das glaubt! Un nu will ich aber schuften un mit rechter Freude an die Arbeit gehen. Du liebe Zeit, was wird der Bernhard sagen! Weißt, der hat ja 'n Schönheitsfimmel, der – jawoll.«

Die sonst so ernste, wortkarge Frau schlug in hellem Entzücken die Hände zusammen: »Schwager, ich dank dir!«

»Schwager is nu nich grad mein Vorname, Ernstine. Kannst dich noch 'n bißken auf den besinnen?«

»Geh, Schwager, du büs jo durchgedreht!«

»Na – na – nu sag' ihn mal. Los! Ich bin dein Wirt. Wenn du nich meinen Willen tust, steigere ich die Miete ...«

Ernstine Hartmann lachte leise auf. Wirklich, sie lachte zum erstenmal richtig. Seit Jahren, "'n schöner Wirt un 'ne schöne Mieterin!« rief sie fröhlich. »En Wohltäter büst du, un ik en Schnorrer ...«

Sie nahm seine beiden Hände. »Peter... ich dank dir!«

Er sah sie nachdenklich an. Schön war die Frau mit dem regelmäßigen Gesicht und den tiefen Heidjeraugen ... Daß er das früher nie gemerkt hatte. Eine ganze Weile standen sie Hand in Hand.

»Scheen juten Abend«, sagte Tischler Kutschke und trat rasch in die Stube. »Ihr hört woll nich mehr jut? Anjekloppt hab' ik. 'ne anständige Erbschaft legt sich manchmal uff de Ohren, manchmal uff de Sehkraft, manchmal uff den Magen ... herrjeh – – warum fahrt ihr denn so aus'nander? Menschen kinners, habt keene unnütze Schäne. Morjen oder übermorjen krieg ich doch 'ne Anzeige. Un jemerkt hab' ik's schon vor Wochen, als der alte Hartmann mit Tode abjing. Un nu de neuen Möbels! Und du bist 'n schmukker Witwer von fuffzig un ... von Damens sagt man nie nich, wie – jung se sin... also – meine Jratulation mit Trompeten un Pfeifen.«

Sehr blaß war Ernstine Hartmann. Und der Schmiedemeister stand mit gerunzelten Brauen da. »Dir wird wohl och mal wieder wohler, Nachbar Kutschke«, meinte er unbehaglich.

»Ich will jetzt gehen«, sage Frau Ernstine, »Hab nochmals Dank, Schwager!«

»Wofor dankt se dir denn, wenn de se nich heiraten willst?«, fragte Kutschke verdutzt. »Wie ihr da so standet, das sah doch verflucht nach Verlobung aus.«

»So? Sah es so aus?« fragte der Schmied versonnen. Und dann ging auch er rasch hinaus und ließ den Besucher einfach stehen.

Der schüttelte nachdenklich den Kopf. »Die Hartmanns ham alle en kleenen Vogel, das muß wahr sind. Aber bei Peter Hartmann scheint's ein ganz ausgewachsener Buchfink zu sein. Schon mit die jebildete Sprache erstens, die sich jarnich schickt, denn Moabiter sind's un bleiben's, un wenn ooch de Schmiede Joldstücke fabrizieren sollte. Na mir kann's einjal, schnuppe, piepe, wurscht sind. Aber ik frage, jibt's en Menschen, der sich 'ne rote Plüschgarnitur mit Vertikow und Muschelaufsatz anschafft, un nich heiraten will? – – –


»Sie sehen blaß aus, Frau Hartmann«, sagte Frau von Denso am Abend zu ihrer freundlichen Helferin. "Ich glaub', es war für Sie zuviel. Zwei Umzüge und noch das Sorgen für mich armes, gelähmtes Etwas, – aufgeopfert haben Sie sich ...«

»Nicht doch, gnädige Frau! Ich hab' mehr arbeiten müssen in meinem Leben ...«

Frau von Denso spürte, daß Ernstine nicht im Gleichgewicht war. Deshalb fragte sie nicht. Sie wußte, aus den Heidjern bekam man durch Fragen nichts heraus. Die kamen von selbst und schenkten ihr Vertrauen freiwillig, aber erst nach hartem Kampf mit ihrer Verschlossenheit.

»Gute Nacht, Frau Ernstine. Oder kommen Sie heute abend noch einmal, um nach dem Rechten zu sehen? Notwendig ist's nicht. Meine Enkelin schläft schon fest nach all der Aufregung und Unruhe ...«

»Auf jeden Fall komme ich, wo doch Ihr Mädchen Ausgang hat. Ich will nur noch nachsehen und abschließen, und bring Ihnen dann noch alles für die Nacht, gnädige Frau ...«

Dann fand sie sich wieder in der Prachtstube mit den roten Plüschmöbeln. Ihr Herz schlug heftig, wie es nie geschlagen.

Einmal legte sie beide Hände auf ihre brennenden Augen, dann wieder streichelte sie Sofa und Sessel mit der rauhen, abgearbeiteten Rechten. – Niemand würde je erfahren, wie es in ihr aussah, in ihr stürmte. Sie wollte vor sich selbst verleugnen, was in ihr vorging. Sicher, es war nur Freude. Freude darüber, daß endlich ein braver Mensch sie beachtete, ihr Freundlichkeit erwies, sich nicht abschrecken ließ durch ihr böses, schroffes Gehaben.

»Peter«, sagte sie weich vor sich hin, und immer wieder fuhr ihre Hand liebkosend über den roten Plüsch. »Es ist nur Freude, Peter.«

Und da stand Schmiedemeister Hartmann in der Tür.

»Schwager, ich denk, du bist längst zu Haus... was willst hier so spät?« –

»Dich, Ernstine.«

Sie erschrak. Der große, gewichtige und ehrenfeste Peter Hartmann pflegte keine unziemlichen Scherze zu machen.

»Um's kurz zu machen, Ernstine, ich habe jetzt viele Stunden überdacht, was Nachbar Kutschke heute gequasselt hat.«

»Wenn du selbst sagst, daß es Quasselei war, wozu noch drüber nachdenken? Es ist spät, Schwager, ich möchte das Haus schließen.« Sie sah ihn nicht an bei ihren scheinbar gelassenen Worten. Sie fühlte plötzlich, wie die sechzehn Jahre lang zurückgedämmte Liebe zu diesem aufrechten Manne über ihr zusammenschlug.

»Schon recht, Ernstine. Aber meine Worte kannst dann wenigstens mit einschließen zu den roten Möbeln... Sieh mich mal ehrlich an. Ich hab' in den letzten Stunden die ›Schwägerin‹ begraben und ihr mit dem Schmiedhammer noch eins draufgegeben.«

»Wie gottlos du sprichst, Schwager«, sagte sie befangen.

»Nun will ich, daß du auch den ›Schwager‹› begräbst.«

»Soll ich auch mit dem Schmiedehammer ...?«

»Herrgott, Ernstine, wenn du lachst ... so lautlos, mit so'n Schelmenmund – – – Mädel, was bist du fein und schön!«

»Schwager!«

»Laß doch endlich den toten Mann!«

»Ja, und du sollst jetzt gehn!«

»Noch nicht, Ernstine. Wir gehen ja jetzt um den Kern herum, wie die Katz um den heißen Brei. Aber dazu sind wir beide zu alt und zu ernst, wenn du auch lieb und jung aussiehst ... du!« –

»Laß das, Schwager«, wehrte sie heftig. »Ich will dir sagen, was du tun willst. Dein Gutsein läuft mit dir fort, und du willst 'ne Dummheit machen. Du meinst, der Nachbar Kutschke könnt' meinem Ruf schaden, wenn er ausschwatzt, daß er uns Hand in Hand getroffen hat. Und da willst du mir 'n Heiratsantrag machen.«

»Und warum soll das 'ne Dummheit sein? Das hör' ich nicht gern. Hast was auszusetzen an mir??«

»Schwager, du kannst Junge, Schöne und Reiche kriegen – ich weiß das, und du willst plötzlich die verbitterte, ältliche Witwe deines Bruders nehmen – für die du sonniger Mensch viel zu schade bist. Denn dein Bruder hat allen Humor in mir totgeschlagen und damit das Beste. Und ich soll deine Gutheit so ausnutzen, daß ich mich in dein wohlhabendes Gewese setze – – nein, nein, laß mich – ich muß mich jetzt mal ausreden.– – Sieh, Schwager, für mich genügt die Freude – daß ich im Haus mit den grünen Fensterläden sein darf – mit meinem Jungen in der Sonne. Und der Frau von Denso will ich die Hände unter die Füße legen...«

»So! Und mir nicht?? Na schön! Geredet hast' wie'n Buch, und es is 'ne grobe Lüge, wenn sie dich ›Schatulle‹ nennen...«

Sie senkte tief den Kopf. »Ich bin mir selber fremd, Schwager. Wollt' also nur sagen, daß ich gar nich zu dir passe. Und der Nachbar Kutschke ist viel zu gutmütig, uns mitnander ins Gerede zu bringen. Er vergißt seinen Schnack schon wieder. Und du brauchst kein Opfer zu bringen, und mich aus lauter Gerechtigkeit heiraten...«

»Bist du nun fertig? Du verstehst dich ja selber nicht. Du bist mir zum Sterben gut, du dumme Deern. Weißt das? Und es paßt mir nicht, daß ich das Maul halten soll, und du hast ohne Punkt und Komma geredet und ganz ungereimtes Zeug. Was schwatzt du von Gerechtigkeit? Ich – ich denk gar nich dran, dich aus Gerechtigkeit zu wollen. Ich – ich – – – willst meine ganze Dummheit hören? Ich hab' dich lieb, Ernstine – ich mein, ich kann nicht mehr ohne dich sein – du – du – –«

Einen Schrei stieß sie aus. Beide Hände preßte sie auf ihren eigenen Mund. Und nach einer Weile: »Jesus – Peter, sag's nochmal ... Peter...«

»Hunderttausendmal will ich dir's sagen, Ernstine ..«

»Und ich dir, Peter. Ich hab' dich lieb gehabt sechszehn Jahre lang – und hab' gekämpft – gekämpft ... Peter!«

»Wie du küssen kannst – du herbe Ernstine!«

»Still doch. Das bist ja du, Peter – der so küßt.«

»Meinst?« Er lachte froh. »Das nenn' ich einen schönen Einzug von zwei alten Leuten in ein neues Heim. Hat Jroßmutter doch recht gehabt? ›Irine Fensterläden jehören zu's rechte Jlück.‹«

»Peterle?!«

»Was willst, Ernstine?«

»Wir wolln verständig sein. Ich möcht' zu meinem Jungen gehn.«

»Is recht, Ernstine. Und du bist 'n echter Mensch. Vergißt nicht die Mutter über der Braut. Du, Liebes – dein Schmiedemeister fürcht' sich 'n bißken vor Jung-Bernhard.«

Sie sah ihm tief und gut in die grauen Hartmannsaugen. »Werd' schon die rechten Worte finden ...«

Noch eine halbe Stunde blieb der Schmiedemeister in der schönen Stube mit den roten Plüschmöbeln und sein charaktervolles Gesicht leuchtete ernst – froh – wie ein schöner Herbsttag leuchten kann, wenn die Sonne eben zur Rüste geht. »So'n Heidjermädchen, was sie nicht sagen will, sagt sie nicht, aber ihr goldtreues Herz gehört mir – Gott sei ewig Dank!«

Er öffnete sachte die Tür und auf dem Flur hörte er von oben die gütige Stimme der Frau von Denso, und die etwas verhaltene seiner Braut: »Sie konnten mir gar keine liebere Nachricht bringen, Frau Ernstine...«

Da ging Peter Hartmann rasch zur Haustür und klinkte sie auf. Aber zwischen Tür und Angel schob sich noch eine Knabenhand in die seine und stockend klang die junge, sich überschlagende Stimme: »Mutter sagt... ich sollt Vater zu dir sagen... ich sag's gern.«


»Juten Tag, Peter!« Es wurde mit so übergroßer Freundlichkeit gerufen, daß der Schmiedemeister seinen Hammer sinken ließ. »Du bist's, Kamilla?«, fragte er fast erstaunt. »Das is ja seltner Besuch. Seit vier Wochen haben wir uns nich jesehn.«

»Jawoll! Uff de Minute vier Wochen. Aber besser spät als jar nich.«

»Hm! Was macht Nante?«

»Mit den is kein Auskommen nich. Seit den Tag, wo du den verrückten und beleidigenden Erbschaftsbrief vorjelesen hast, is er störrisch wie'n Handpferd, und schlägt übern Strang, wo er nur kann.« Peter Hartmann lachte behaglich. »Na, das wollen wir ihm gönnen. Pferde, die zu straff an die Kandare jenommen werden, keilen aus, ich muß das als Vizewachtmeister wissen.«

»Na nun lassen mer mal die Pferde, Vetter – ik hab' was Ernstes, sehr Bedenkliches mit dich zu bereden.«

»Weiß dein Mann drum? Warum hast du Nanten nich mitgebracht? Es geht immer kommoder und kontenter zu, wenn der ruhige Vetter dabei is.«

»Der is nich mehr kommode, der is rabbiat. Der wollt gar nich, daß ich zu dir ging.«

»Aha! Dann weiß ich Bescheid.«

»Jar nischt weißt du, Peter. Sonst könntst du nich so ruhig bei dein Amboß stehen.«

»Leg los, Kamilla. Um so eher komm ich wieder an ihn ran.«

»Ik glaub nich, daß du nachher noch viel Lust zum schmieden haben wirst.«

»Das wär' schlimm. Die Aufträge häufen sich. Überhaupt, Kamilla, warum willst wieder Kuckuckseier legen? Kehr doch endlich mal vor deiner eignen Tür, und laß alle andern Hartmanns nach ihrer Fasson selig werden. Mir wär's lieb, Kamilla, du machtest die Tür von draußen zu.«

»Grobian! Ich müßt' ja nun eigentlich wirklich jehen, aber dazu häng' ich zu sehr an der Familie, und an dir, Peter.«

»Herrgott, red' nich so lang drumrum. Irgend was Jiftiges haste in deinen Marktkorb. Raus mit der Stinkmorchel.«

»Ja, das is se, das is se. Den richtigen Namen haste ihr jejeben.«

»Ich versteh dich nich, Kamilla.«

Sie kam wie eine Katze nahe heran geschlichen und fragte leise und lauernd: »Weißt, daß die Ernstine die Brosche von deiner Mutter trägt? Sie is jesehen worn. Un auch das schwarze, jute Jarbardinekleid? Ik hab's noch selbst nach Tantens Tode injemottet, weil Tante nichts drüber bestimmt hatte ...«

Der Hammer sauste auf den Amboß.

»Peter, bist de denn varrickt? Ik hätte ebend den Dod von haben können, so hab' ik mir verschrocken!«

»Wenn de den Tod jehabt hättst – denn könnt' ich jetzt ruhig weiterschmieden«, sagte Peter Hartmann verbissen.

»Peter, ik will die Beleidigung nich jehört ham. Du mußt jetzt mal aufhören mit de Arbeet, es is for de Familie. Als ik vorhin in't Haus mit de Jriene kam ...«

»Ich denke, du wolltest nie wieder hinjehn?«

»Wollt ik ooch nich. Aber ik sah die Ernstine am Zaun, wie se Teppiche ausschüttelte, un da sah ik, wat jloobste woll, Peter, deiner leiblichen, seligen Mutter ihren Ring mit den blauen Türkisen un den kleinen Brillanten – den hatte se ausjerechnet am Finger. Da bin ik rein jemacht zu Frau von Denso, um se zu warnen. Un nu warn ik dir.«

Wieder flog der Hammer, und sauste herunter und wieder und wieder. Und jedesmal schrie der Schmied: »Raus!« und die Jähzornsader an seiner Stirn war zum bersten.

Was Kamilla ihm zuschrie, hörte er nicht und niemand sonst, der Lärm des Schmiedehammers verschlang jeden andern Laut. Man sah nur den belfernden Frauenmund auf- und niederklappen. Da verließ sie wütend die Schmiede. Der Hammer flog in eine Ecke. Der Schmied trocknete sich den Schweiß von der Stirn, dann wusch er sich Hände und Gesicht und goß das kühle Wasser mit hohler Hand über seinen Kopf, bis der Jähzorn verrauchte.

Das dicke, lederne Schurzfell vergaß er trotz wieder erlangter Ruhe abzutun. Wie er ging und stand, nur mit sauberem Antlitz und Händen lief er mit großen Schritten die zehn Häuser weiter zur Straßenbahn, die ihn an das friedliche Haus mit den grünen Fensterläden brachte. Vom gegenüberliegenden Kaufmannsladen, wo Kamilla Hartmann ihre letzten Einkäufe machte, sah sie ihn davonstürmen, und sie lächelte trotz ihres schweren Ärgers befriedigt. »Det hat ihn doch jetroffen«, sagte sie vor sich hin, »und jetzt macht er reinen Tisch.« –

Ernstine Hartmann schrak zusammen, da es so laut an ihre Tür klopfte, als begehre ein besonders lästiger Bettler Einlaß. Der wartete auch gar nicht auf einen Hereinruf, er sprengte förmlich die Tür auf. »Du! Meine Ernstine«, rief er ungestüm und riß sie in seine Arme. Und streichelte dann doch sanft und zärtlich ihr Gesicht, das glückdurchsonnt war.

»Geht es dir gut, Ernstine? Bist du gesund?«

»Ist etwas geschehen?«, fragte sie befremdet. »Warum sollt' ich wohl nicht gesund sein? Wir haben uns doch erst gestern abend getrennt ...«

»Ist schon recht. Ich bin 'n bißken aus'n Fugen. Und wenn ein Zweiundfünfziger aus den Fugen ist, das geht närrischer zu, als beim Zwanziger. War jemand bei dir, Ernstine? Hast du Ärger gehabt?«

»Du büsch ja durchgedreht. Und du machst mir Angst. Niemand war hier, ich bin viel mit der herzguten Frau Oberst zusammen, hab' Arbeit in Hülle und Fülle und das neunmalkluge Erdmuthchen scheint an mir zu hängen. Freude genug, um keinen Ärger einzufangen.«

Er strich sich über die Stirn, als wollte er böse Gedanken fortwischen und gute herandenken ...

»Also dann muß ich ja gehen, Ernstine«, meinte er zögernd. »Und weißt, Liebes – laß doch niemand rein. Und wenn jemand kommt, den du nich gern siehst – Ernstine, schaff ihn weg. Dies ist dein Haus, hörst?«

»Nein, es ist dein Haus. Freilich Lieber, du willst mich ja als Wirtin haben ... es ist kaum auszudenken.« Beide Arme schlang die Herbe um seinen Hals. »Es ist eigen, Peter, daß du all die närrischen Fragen tust – denk, es war tatsächlich jemand hier, den ich lieber gehen als kommen sah – die Kamilla. Aber sie grüßte mich gar nicht – weshalb wohl? Und ging gleich zu Frau von Denso. Da blieb sie lange ... Peter – – ich wollt', du wärst erst bei mir!«

»Ernstine! Sag's noch mal – Herrgott, wie dich das kleidet! Sag's noch mal, ganz leise, so in mein Ohr hinein...«

»Peterle! Komm bald!«

Er lachte glücklich! »Ernstine! Morgen sag ich dir 'n Geheimnis und dann darfst du nich nein sagen – hörst? Was ausgedacht hab' ich mir. Nun kommt's drauf an, wer der Herr is im Haus.«

»Immer der, der unterm Tisch sitzt, wie der Vetter Nante«, sagte sie schelmisch. »Aber auf dein Geheimnis bin ich furchtbar neugierig...«

»Ernstine! Sag gleich ja, dann hörst du's.«

»Ja!« sagte sie laut und fest. »Was du tust, Schmiedemeister, das ist allemal recht.«

»Dies Wort vergeß ich dir nicht, Ernstine. – Soll ich's nun wirklich sagen? Es kommt mir wie Überrumplung vor...«

»Peter – die Folter hat schon der alte Fritz abgeschafft...«

»Ernstine! Heut ist Mittwoch! Und am Sonntag ist unsere Hochzeit!«

Sie wurde rot wie ein junges Mädchen.«Wie kann das angehn?« stammelte sie. Er hielt sie an beiden Händen fest und sah sie innig an.

»Hundert Fragen hätt' ich, Peter«, meinte sie ernst. »Aber ich geb dir keine. Es wird alles in Richtigkeit sein. Wir sind ja auch keine heurigen Hasen mehr...«

»Na mit dem Wegsterben hat's aber noch Zeit, ich bitt' mir's aus ... Also Sonntag, Ernstine! Merk dir den Tag! Und daß du mir da keinen Ausflug nach 'm Müggelsee machst, so allein etwa, ohne mich.«

Er lachte wie ein Junge. »Ja du hast recht, Liebes, ich bin durchgedreht, wie ihr Heidjer sagt. Ich wollt ja alles ganz feierlich machen, aber schon bei der Aussicht auf Sonntag sind mir die ernsten Gedanken unter die glückseligen gepurzelt, Ernstine! Mit dem Pfarrer hab' ich alles besprochen – bist du ungehalten, daß ich dich überraschte? Angst hatt' ich – Angst wie'n Schulbub – es könnt dir zu rasch sein. – Du sagst nichts? – Ernstine!«

»Frag nicht«. – Sie lehnte sich an seine stattliche Gestalt. »Sonst sag ich dir schließlich noch, daß mir der Sonntag zu weitab liegt ... Nein, nein, und jetzt mußt du gehen ... Peter!«

Der Schmiedemeister stürmte hinaus. Aber nach zehn Minuten ging leise die Küchentür auf: »Ernstine! Der Pfarrer will uns hier trauen. Im Haus mit den grünen Fensterläden soll's Glück beginnen ... Nur wir zwei, die Frau Oberst, das Erdmuthchen und dein Junge. Ist dir's recht?«

»Lieber! Du Lieber! Das ist ja wie Weihnachten!«

»Und nun hab' ich noch vergessen, Mutters alter Brosche gut' Nacht zu sagen; wo hast du sie, Ernstine? Mädel, wie bin ich froh, daß ich sie dir geschenkt hab'! Niemand ist wert, außer dir, meiner Mutter Sachen zu tragen.«

»Die Schleife hab' ich drüber gesteckt. Es soll sie niemand sehen, bis ich deine Frau bin ...«

Seine Mundwinkel zuckten verächtlich: »Was die Leut nicht sehen sollen, sehn sie zu allererst.« Er strich sacht über den alten Schmuck, ohne den er sich seine schöne, stattliche Mutter nie hatte denken können. »Und der Ring, Ernstine?«

Sie hielt ihm die Hand hin, und er küßte den leuchtenden Stein.

»Hab's noch nie getan; Handküsse passen nicht zu deinem derben Schmied. Aber heute ... mir ist's, als wär' Mutter wieder da.«

Rasch fiel die Tür hinter ihm zu. Ernstine stand versonnen noch eine Weile, dann öffnete sie die Fenster und schloß die lieben grünen Fensterläden.


Mutter Kutschke, die Tischlersfrau saß vor der Haustür an einem Dienstagabend, der auf einen ereignisreichen Sonntag folgte. Ereignisreich für das Nachbarhaus. Es gewitterte stark, der Himmel war schwarz bezogen, und viele Moabiter waren schon an Frau Kutschke vorübergelaufen, und jeder hatte ihr etwas anderes zugerufen: »Kutschken, Sie wolln wohl erschlagen werden, bloß um was Besonderes zu haben.« Oder: »Kutschken, der Blitz trifft nur gute Menschen, probiern Se 's mal aus.« Aber sie blieb noch eine ganze Weile draußen, bis ein so schwerer Schlag kam, daß alle Fensterscheiben klirrten. Doch ehe sie ins Innere ihres Hauses flüchtete, hafteten ihre scharfen Blicke nochmal auf dem Haus mit den grünen Fensterläden. Die waren seit Sonntag nachmittag geschlossen, und heute war Dienstag, und eigentlich müßte man die Polizei holen. Aber ihr Mann, der Tischler Kutschke, war ja nun mal »'n Freigeist«.Der glaubte nie un nich an was Außergewöhnliches, und sein Wahlspruch war: »Das wern wir dann nachher schon sehn.« Diese pomadige Ruhe im Zuwarten war oft der Störenfried ihrer Ehe gewesen. – Ein besonders starker Windstoß wirbelte sie jetzt von der Straße fort in ihre offenstehende Haustür hinein, so daß sie dem geruhig seinen Feierabend genießenden Ehemann buchstäblich vor die Füße fiel. Vorher hatte sie aber noch der Zeitungsfrau den Lokalanzeiger aus der Hand gerissen.

»Du wirst immer jünger, Malchen«, sagte Tischler Kutschke bewundernd. »So allertig, wie du ebend zu mir nein machtest, bist de nich mal als Braut jewesen.«

Sie warf ihm einen Blick zu, vor dem er rasch still schwieg und dann kämpfte sie noch eine Weile mit ihrem Asthma, die Puste war ihr völlig ausgegangen. »Jib mich mal die Brille«, fuhr sie den Mann an. »Siehste nich, det ik dem Lokal beim Wickel habe un det es stickendustre Nacht is?«

»Da hilft dich der Brill ooch nuscht, Malchen, det is denn, als wenn de mit 'n Jlasooge durchs Schlisselloch kiekst.«

Aber er brachte ihr doch die riesengroße, mit schwarzem Horn eingefaßte Brille. Mehrmals spuckte sie drauf, und rieb sie wieder trocken, konnte aber trotzdem keinen Buchstaben erkennen. Mißmutig ließ sie die Zeitung sinken und sah zum Fenster hinaus: »De Jrinen sin immer noch zu.«

»Se wern verreist sin, de Hartmanns«, sagte der Tischler. »Verreist? Wie denkst de dich das? An Alltag? Un de Schmiede schmied sik woll von alleine? Un de Frau Denson soll woll verhungern? Un de Jöhren müssen zur Schule un de Ernstine muß zu Marcht un ooch sonst inholen un seit 'n Sonndag frih hat se keen menschliches Oge jesehn.«

»Haste sämtliche Ogen von Alt-Moabit jefragt, Malchen?«

Sie antwortete nicht. Die Hornbrille saß auf ihrer Nase, der Lokalanzeiger lag aufgeschlagen vor ihr, das Elektrische war angeknipst, nichts fehlte scheinbar zu Frau Kutschkes Wohlbehagen, und doch saß sie wie erstarrt vor der Zeitung, aus der sie alltäglich die Mordstaten und die Todesanzeigen schöpfte.

»Aujust, lies!« stammelte sie endlich und zeigte auf eine umschnörkelte Anzeige.

»Wie siehste aus? Malchen?« fragte Kutschke unbehaglich. »Wenn ik nich deine Mutter selig selbst vor zehn Jahren begraben hätte, müßt ik denken, se wär jetzt ohne unser Vorwissen jestorben un anjezeigt.«

»Lies, Aujust! Und dann entriß sie ihm doch hastig die Zeitung wieder, weil er erst umständlich seinen Kneifer suchte: »Ihre Vermählung geben bekannt Schmiedemeister Peter Hartmann und Frau Ernstine, verwitwete Bernhard Hartmann, geb. Hansohm«, las sie stammelnd.

»Haste schon sowas jehört, Aujust?«

»Ofte.«

»Aujust, ik habe dir selten jebeten, heute bitt ik dir, komm aus deine Ruhe, jerate außer dich. Haste das dem Hartmann zujetraut, daß er so ohne Sitte dusemang marschee heirat, bei jeschlossene Fensterläden?«

»Malchen, du bist von dir. Hier is 'n Jilka. Sammle dir wieder. Sieh mal, Alte, diese Heirat is ne Freude for mir, un du hast an Altar jeschworen, daß meine Freude deine Freude sein soll.«

»Jawoll. Meine Tante, deine Tante. Aujust, red' nich! Ik will mir uffrejen. – Heimlich heiraten! Un dann in'n Lokalanzeiger setzen, wo sonst nur hohe Beamtens un jehobene Unterbeamtens rin kommen. Aujust! Un hast du jewußt, daß den knillen Bernhard seine Witwe 'ne Jeborene is?«

»Malchen! Det sin doch eherne Tatsachen bei euch Weibsen. Komm, leg dich en bißken lang. Dann jeht allens mehr von Koppe runter und staut sich nich. So, sei artig, Malchen. Un wenn de dir schön beruhigt hast, denn sag' ik dir auch, daß ik die Schose schon lang jemorken hab'.«

Er mußte rasch ein paar Schritte zurückweichen, denn sie war unheimlich schnell wieder aufgesprungen.

»Jemorken hast du's, Aujust, un mir nischt jesagt?«

Aber Kutschke hatte sich schon in Sicherheit gebracht. Nur durch die Türe rief er noch: »Ik will mal durch 'n Spalt von de jrinen Fensterläden kieken, un denn erzähle ik dir. Nimm noch 'n Jilka, Malchen.«

Nach einer Stunde kam er heim. Sehr vergnügt, wie man sonst selten schon nach zwei Glas Patzenhofer wird. »Also, Malchen, sei brav. Horch zu, un red' keinen Ton, damit ik orrnlich erzählen kann. Frau von Denso sitzt oben in ihrem Lehnstuhl still verjniecht un hat mir noch 'n Auftrag für 'ne Mahonihutsche jejeben.«

»Aujust, wieviel haste jetrunken?«

»Beleidige mir nich, Malchen. – Schmied Hartmann is in die Heide jemacht, wo die jeborene Hansohm herstammt, un hat se mitjenommen, dito die kleene Erdjeborene, oder wie se heißt, un den Bernhard.«

»Un wer, un wer, un wer?«

»Ik weiß allens, wat de fragen willst, Malchen. Also Mutter Schmidten, de Blumenfrau von Ecke Stromstraße, die wäscht un kocht de Frau von Denson un is hingezogen bei sie.«

»For immer?«

»Malchen! Die bleim doch nur 'ne Woche oder Dagener vierzehn uff Hochzeitsreise.«

»Aujust, mir wird schon wieder weh. Haste schon mal jehört, daß 'n Schmied Hochzeitsreise macht?«

»Ofte!«

»Na, für mich sin de Hartmanns von nu an Luft. Die Ernstine, das is der wahre Jakob. Setzt sik so bratsch hin in de jrine Fensterläden. Das is 'ne jeborne Erbgeschlichene un keene Hansohm.«

»Pfui, Malchen! Schäme dir! Du degenerierst dir vor dein leiblichen Ehemann. Daß ik keen joldenen Engel erwischt habe, wußt ik ja schon seit unserer silbernen Hochzeit, aber daß du so futterneidsch bist, trotzdem du jenüjend uff der Sparkasse hast – ne, Malchen!«

Frau Kutschke fing an zu weinen. »Ik bin jar nich so, wie du denkst, Aujust. Un wenn ik for jewiß wüßte, daß die Kamille Hartmann ooch nischt weiß von de Heirat, un sich nu jrün un blau ärjert, denn jebe ik mir jern zufrieden. Sei man wieder jut, Alter!«

»Malchen, dein Benehmen hat mir 'n Stoß jejeben. Ik fühle, daß ik wieder zum Patzenhofer muß.« –

So laut und stürmisch es in den Häusern der Nachbarschaft zuging, so still und geruhig war die Luft in dem Haus mit den grünen Fensterläden. Ja selbst die wortreiche, wirblige, schlagfertige Blumenfrau, Ecke Stromstraße, war zu einer aufmerksamen, beschaulichen Wirtschafterin geworden, die nur den einen Gedanken hatte, der gütigen Frau Oberst von Denso alles behaglich zu machen, und ihr zu zeigen, daß Mutter Schmidten nicht nur Akelei, Reseda und Tausendschönchen auf ihrem Stand hätte, sondern auch verstünde, ihr »himmlische Rosen ins irdische Leben« zu flechten. »Daß du mir bloß nich mal besuchst, Traugott«, ermahnte sie jeden Morgen ihren Mann, trotzdem sie ja wußte, daß er als Dienstmann auf dem Lehrter Bahnhof völlig unabkömmlich war. »Du hast 'ne viel zu laute Stimme. Man muß dir immerzu mit die Schuhfirmen ermahnen: ›Stiller! Leiser!‹«

»Na denn sag doch von jetzt an: ›Chassalla‹, denn wer'k immer flüstern.«

»So siehste aus!« –

»Er is sonst 'n juter Mann«, beteuerte die Schmidten wiederholt der Frau von Denso, aber so wie er was in der Krone hat oder bejeistert is, denn brüllt er. Er kann da nich for, und is woll mal in sein friheret Leben die Posaune von Jericho jewesen.«

Frau von Denso lachte still-behaglich vor sich hin. Wenn man in ihr feines, vornehmes Gesicht schaute, meinte man, es wiese viel weniger Falten auf, als früher. Als sei das Haus mit den grünen Fensterläden ein rechter Jungbrunnen für sie geworden. Ihre feine Seele hatte sehr gelitten unter dem Lärm, der die alte Wohnung tagtäglich beherrschte. Die groben Portiersleute waren nur immer gröber und mitleidsloser geworden unter ihrer sanften Duldung, die sie für eitel Heuchelei hielten. Und nun hatte sie der prächtige Schmied erlöst aus dunklen Stuben, die nach feuchtem Mörtel und dem Gemüsekeller rochen, und in die kein Sonnenstrahl je hereingekommen war. Nur ihre junge Enkelin hatte die Sonne verkörpert. »Nicht wahr, Großje, wir müssen ganz stark denken, daß es nur ein Traum ist. Mit einemmal, so mit 'm Wupptich, kommt der Prinz, und der sagt: Schnipp, schnapp, schnurre, baselurre, steig ins Licht!« Und daß der Prinz das liebe, scharfgeschnittene Gesicht des Schmiedes Hartmann trug, war noch das Allerschönste am ganzen Märchen. Und nun hatte gar der prächtige Mann die Erdmuthe mit in die Heide genommen.

Er hatte diktiert:

»Ferien sind zur Erholung da. Und die Lüneburger Heide is nun mal 'n Märchen. Und ins Märchen gehört die kleene Prinzessin Erdmuthe mitten mang.«

Frau von Denso sann still darüber nach, wie leicht ihr das Nehmen gemacht wurde. Wie dieser feinempfindende Schmied ihr klarmachte, daß eigentlich der Herr Oberst selig der Geber sei, denn wenn er nicht seinerzeit so hochherzig die Schmiede gerettet ... ach, die herzguten Menschen! Sie hatten soviel Gründe am Lager, man konnte nur immer danken, und ja und amen sagen. –

Nun war ihr Herzenskind in Sonne eingebettet, und der Heidewind würde die blassen, schmalen Berliner Bäckchen anhauchen und recht bräunen in den vierzehn Pfingstferientagen.

»Werden Sie sich ein bißchen meiner Erdmuthe annehmen?«, hatte Frau von Denso bittend zu Jung-Bernhard, dem Siebzehnjährigen gesagt. Ungeschickt war seine Antwort gewesen: »Se können ruhig noch ›du‹ sagen, Frau Oberst.« Und dann nach einer Weile: »Ich bin nich for Mächens, – aber was die Erdmuthe is – jawoll, 'was Besonderes. – Also ich werd ihr in Schutz nehmen.«

Wie der famose Bursch so redlich mit der Grammatik kämpfte!

Und wenn die lüttje Erdmuthe ihn ernsthaft verbesserte, dann lachte er kurz und gar nicht übelnehmerisch: »Na ja, das wollt ich ja auch sagen. Du denkst wohl, du hast die Weisheit alleene jefressen?«

Aber Frau von Denso merkte doch, daß der junge Bernhard irgendeinen Kummer trug, und nur, wenn er mit der Kleinen und mit ihr selbst zusammen war, konnte er hie und da in ein knabenhaftes Lachen ausbrechen.

Aber jedesmal schien er über sich selbst zu erschrecken, und wurde hinterher noch verschlossener und wortkarger. Der Onkel Peter hatte ihm ein paar nette Anzüge geschenkt, aber sie saßen schlecht an seiner linkischen Figur und waren auch aus einem kleinen Moabiter Geschäft, das neben den Kleidern noch Lampen und Bürsten jeder Art führte. Erdmuthe betrachtete ihn von allen Seiten.

»Das sieht aus, als ob dir nichts davon gehörte«, sagte sie kritisch. »Ich will Großje sagen, daß sie dir von Papas Anzügen schenkt, sie hat sie alle eingemottet, und sie sind wie neu.«

Da knirschte er mit den Zähnen und sah sie wütend an.

»Geschwätz. Wenn die Anzüge von deinem Vater stammen, sind sie uralt und können nich wie neu aussehen. Außerdem, ich, – ich will keine getragenen Anzüge.«

»Auch nicht von Papa?« Ihre Augen blitzten.

»Nee. Auch nicht von Papan.«

»Es heißt nein. Und das andere ist auch falsch.« Sie hatte ihm beleidigt den Rücken zugedreht.

In der Oberrealschule war er vom Direktor scharf geprüft worden. Und dieser Herr hatte seine Kenntnisse überraschend vielseitig gefunden. »Aber Sie sind zu alt, Hartmann. Wo soll ich Sie hintun? Die meisten machen mit achtzehn Abitur und Sie sind jetzt siebzehn.«

»Das is ja jleich, Herr Direktor. Denn mach ich's ebend mit einundzwanzig.« –

»Und was dann? Was wolln Sie werden, Hartmann?«

»Baumensch.«

»Was heißt das?«

»Ich möcht Häuser bauen und Kirchen un Schlösser un eben alles.« –

»Mehr nicht? Also ein richtiggehender Architekt mit Studium und Kunstakademie?«

»Jawoll. Un denn ins Ausland. Allens sehen, allens lernen, was möglich is. Alle fremden Sprachens.«

»Zuerst mal Ihre Muttersprache, Hartmann. Und dann können Sie Großvater werden, ehe Sie was verdienen.«

»Onkel Peter hält mich über Wasser, un ich zahl ihm später allens ab. Ich kann ja auch Tags studieren un Nachts arbeiten un verdienen. Ich kann allens, was ich will. Un es jibt Urgroßväter, die wissen von tuten un blasen nischt.«

»Sehn Sie mal an. Ich dachte gar nicht, daß Sie sone Berliner Schnauze hätten, Hartmann.«

»Das wußt ich auch nich.« Bernhard wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich hab' se erst jetzt gekriegt, seit ich auf der hohen Schule bin.«

Der Direktor hatte tüchtig gelacht. »Na, hohe Schule reiten Sie vorläufig noch lange nicht.«

»Ich werd' schon in' Sattel kommen. Aber ich muß mich wehren, Herr Direktor. Wenn man nich von Familie ist, denn will sich jeder im Gymnasium die Stiebeln an einem abtreten. Un das zu verhindern, braucht man 'ne Schnauze.«

All diese schweren Gedanken waren neben den täglichen Schulaufgaben zu verarbeiten, und Bernhard fiel abends totmüde ins Bett, und sah morgens nicht erholt aus. Tag und Nacht ackerte er deutsche Grammatik; aber der Boden war schwer. – Doch nun fuhr er erst mal in die Heide, von der ihm seine Mutter so viel erzählt hatte. In der Heide sollten die guten, schönen Gedanken auf den Birken wachsen; und die Gesundheit ströme nur so heraus aus Heidekraut und Wacholder. Das wollte er nun alles erproben. Denn Gesundheit brauchte man, wenn man lernen und studieren und ein ganzer Mann werden wollte.

Etwas erfüllte ihn besonders stark: daß der Zeichenlehrer gesagt hatte, er sei ein ausgesprochenes Talent. Er gab Bernhard Aufgaben, die von Woche zu Woche schwerer wurden; Bauzeichnungen zumeist.

Seiner Mutter stand Bernhard auch nach ihrer Wiederverheiratung unbefangen gegenüber. Sie war so ganz die alte geblieben, dünkte ihn, und sie ließ dem »neuen Mann« noch nicht einmal den kleinen Finger, wenn er so ein wenig zärtlich werden wollte. Das war recht von der Mutter, und das Gegenteil wäre dem Bernhard lästig gewesen.

»Paß mal uff, Hartmann, wenn sik dat Brautpaar schnäbelt«, hatte ein Nachbarsjunge höhnend zu ihm gesagt. Aber dem hatte er gleich eine runtergehauen, daß er Nasenbluten bekam. Nein, das tat ihm die Mutter nicht an, daß sie den neuen Mann küßte, wo sie doch mit ihrem Jungen selbst nie zärtlich gewesen war. Aber es war doch auch sehr gut, daß der »neue Mann« der alte, vertraute Onkel Peter war.


Jetzt saßen sie in der dritten Klasse im Schnellzug, der sie nach Munsterlager bringen sollte. Und dort sollten sie dann in die Kleinbahn steigen, eine Aussicht, welche besonders Erdmuthe entzückte. Ein Bähnchen, das immer los bimmelt, bis es endlich im rechten Dörfchen ankommt! Es war kaum auszudenken, so interessant. –

»Viele Schulfreundinnen von mir, die zu Fräulein von Lichnowski gehen, fahren erster Klasse«, erzählte sie den Mitreisenden. »Da sitzt man auf rotem Samt mit Kissen im Nacken. Warum fahren wir nicht erster Klasse, Herr Hartmann?«

»Weil's mir zu billig ist«, lachte er behaglich. »Un man kriegt leicht die Motten«, bemerkte ein Mitreisender.

Erdmuthe lachte nicht, sie nahm alles für bare Münze, und dachte nun scharf nach. Als sie all die Schönheit der Lüneburger Heide sah, streichelte sie die Hand des Schmiedemeisters. »Ich bin Ihnen so dankbar«, sagte sie leise, »ich weiß, Sie haben dies Schöne alles zuwege gebracht.«

»Das ist was Apartes«, meinte eine alte Frau und deutete auf das Kind. »Ich hab' sowas nie nich jesehn. Du hast woll Onkeln sehr lieb? Merschtens denkt die Jugend nich an Dank.«

»Das ist nicht mein Onkel«, wehrte Erdmuthe. »Es ist mein Beschützer. Mehr so wie Vater.«

Da sagte die alte Frau nichts mehr, aber alle sahen das kleine Mädchen an, das so altklug schnackte und legten ihm im Verlauf der Reise lauter gute Sachen in den Schoß. Erdmuthe aß alles mit »Putz und Stingel« auf, weniger aus Hunger, als weil sie zu den guten Leuten nicht unhöflich sein wollte. Dann wurde Erdmuthe mit der Zeit müde und lehnte ihr Köpfchen an den Schmiedemeister und schlief sacht ein. Peter Hartmann neigte sich zu Frau Ernstine: »Du« – sagte er stockend und leise an ihrem Ohr. »Ich freu mich wie'n Kind, wenn wir zwei erst allein sind – Ernstine, mein schönes, liebes Weib!«

Und Jung-Bernhard fing den Blick auf, den seine Mutter zurückgab, einen unbeschreiblich lieben, zärtlichen Blick. Aber der Junge erstaunte nicht. Es kam eine schöne Ruhe über ihn. »Die Mutter hat nun 'ne richtige Heimat«, dachte er voll Zuversicht. »Das ist gut, wenn ich doch mal weit ins Ausland will.«

Dann schlössen sich auch seine Augenlider, denn es war schwül im Abteil, und der Wagen schaukelte sacht, wie eine Wiege.

Und Schmiedemeister Hartmann warf einen Blick ringsum, und sah die alte Frau schlummernd nicken, und sah die Kinder schlafen und hörte den Mitreisenden leise schnarchen und pusten.

Da sah er wirklich nicht ein, weshalb er sein eben angetrautes, schönes, liebes Weib nicht küssen sollte, und er warb mit seinen Blicken, weil er die kleine Erdmuthe nicht aufwecken wollte. Da hob Frau Ernstine ihren Mund zu dem seinen, und es wurde eine wunderliebe Fahrt durch Birken, Wacholder und blühenden Ginster, die alle frühlingsfrisch durch die offenen Fenster herein dufteten.


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