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Siebentes Kapitel.

Die Teilnahme einer gütigen Frau tut dem Unglücklichen wohl. Auch Laurier empfand dies und wiederholte deshalb häufig seine Besuche bei Claudine, freilich ohne zu ahnen, wie wenig seine Schwäche von Frau Bréant gebilligt wurde. Die Ausdauer aber, mit der er an seinem Schmerze festhielt, hatte sie schließlich doch gerührt und besiegt.

»Er ist zwar schwach,« sagte sie sich, »aber er ist doch wenigstens treu.«

Der Unglückliche war in der Tat nur noch ein Schatten seiner selbst. Zu Hause sah er meist schweigend und teilnahmlos in einen Winkel starrend da, bei Frau Bréant dagegen, in den behaglichen, Liebe atmenden Räumen des kleinen Hauses, belebten sich seine Züge, während er unermüdlich von der Toten sprach, ihr Bild wieder und wieder heraufbeschwor und seiner teilnehmenden Zuhörerin tausend kleine Züge der Geliebten schilderte.

»Wie sehr hätte die Arme Sie geliebt!« sagte er zu der jungen Frau.

»So ist es nun aber eben einmal im Leben, es geht dahin, ohne daß es uns mit denen zusammenführt, deren Bekanntschaft von Wert für uns gewesen wäre. Oft ist nur die Breite einer Straße zwischen uns und ihnen, um uns für immer von ihnen zu trennen.«

»Und wer weiß, welche Wirkung ein zur rechten Zeit und von der richtigen Persönlichkeit gesprochenes Wort gehabt hatte?« antwortete er, von neuem über die ihn verfolgenden Wenn nachgrübelnd. »Wenn Sie sie gekannt hätten, wenn Sie ihre Freundin gewesen wären, dann hätte sie Ihnen ihr Herz ausgeschüttet, und Sie, mit Ihrem Mut, mit Ihrer Energie und Willenskraft, Sie hatten sie gerettet.«

Geduldig hörte Claudine diese nutzlosen Klagen mit an, da sie wohl wußte, daß Aussprechen Erleichterung schafft, dann jedoch suchte sie ihm mit freundlichen Vernunftgründen wieder Interesse am Leben beizubringen.

»Warum aber wollen Sie selbst nicht auf meine Ratschläge hören? Sie rühmen meinen Lebensmut. Nun denn, die Anlage dazu hat jedermann in sich, man muß sie nur durch etwas Willenskraft entwickeln. Warum tun Sie das nicht? Warum versuchen Sie es nicht, Ihre trüben Gedanken und Erinnerungen durch Arbeit zu verscheuchen? Arbeit ist ein weiser Arzt, der einzige, der gegen ein Leiden wie das Ihrige etwas auszurichten vermag. Sie sagten mir, Ihre Freundin sei stolz auf Ihre Kunst gewesen, nun denn, so verwirklichen Sie jetzt die Werke, die Sie mit ihr geplant haben.« Doch traurig senkte er den Kopf und murmelte: »Ja, ja, sie war ehrgeizig – ich aber, ach, ich habe keine Kraft mehr.«

»So versuchen Sie wenigstens, im Andenken an die Tote zu arbeiten, um der Freude willen, die sie an Ihren Schöpfungen gehabt hatte.«

»Wenn ich es nur könnte, aber es ist mir unmöglich. Meine Hand zittert, meine Augen umdüstern sich, machtlos stehe ich meiner kahlen Leinwand gegenüber – und wenn das so bleibt. Großer Gott! Was soll dann aus den Meinigen werden?«

Claudine verstand den Sinn dieser Worte nur halb, da Lauriers Verhältnisse ihr fremd waren. Kaum einige Male und in langen Zwischenräumen war sie mit Jeanne zusammengetroffen, für die sie keine Sympathie empfand. Deshalb beschränkte sich ihr Mitleid auch einzig und allein auf Laurier, während das andre Opfer sie kalt ließ. Ihrer Ansicht nach mußte eine Frau wie Jeanne sicherlich schnell wieder Trost in ihren spießbürgerlichen Hausfrauenpflichten finden. Clarencé aber brachte Claudine bald die Aufklärung über die neue Sorge, die seinen armen Freund quälte. Jeanne, zu der Clarencé jetzt häufig ging, hatte sie ihm eines Tages anvertraut. Nachdem die beiden lange von Laurier und dessen täglich zunehmendem finsteren Trübsinn gesprochen hatten, sagte die junge Frau, den Blick gedankenvoll in die Ferne gerichtet: »Ach, wenn meine Verzeihung ihn wenigstens aus seinem Jammer hätte herausreißen können! Niemals habe ich ihm einen Vorwurf gemacht, brachte ihm so viel Liebe als möglich entgegen, und doch muß ich ihn neben mir und vor den Augen des Kindes, das er kaum mehr eines Blickes würdigt, dahinsiechen sehen. Mir graut vor der Zukunft – umsomehr, als ich auch gegen jene andre uns drohende Gefahr nichts ausrichten kann.«

»Schließlich wird Ihre liebevolle Güte ihn doch noch heilen,« sagte Clarencé. In tiefster Niedergeschlagenheit aber schüttelte Jeanne den Kopf.

»Nein, nein, ich fühle es wohl, daß ich nichts mehr über ihn vermag. Auch wenn er bei mir ist, weilt sein Geist in der Ferne Selbst im Tode hält sie ihn noch gefangen und läßt ihn nicht wieder gesund und froh werden.«

»Vielleicht,« warf Clarencé ein, »daß eine Luftveränderung ihm gut tun würde. Man sollte ihn aufs Land schicken, in seine Heimat, oder noch besser, ihn mit dorthin nehmen.«

»Ja, wenn er einwilligt. Das müßte dann aber bald geschehen, denn später – da könnten wir es nicht mehr.«

Errötend und mit noch leiserer Stimme fügte sie hinzu: »Denn – seine Arbeit war unser tägliches Brot.«

»Wie? Was sagen Sie?« rief Clarencé bestürzt, »sollten Sie sich in finanzieller Bedrängnis befinden?«

Noch tiefer errötend gestand sie: »Ich habe bereits meinen Schmuck verkauft, um unsre Miete zu bezahlen.«

»Wie ist dies aber möglich mit einem Namen wie dem seinigen?«

»Name – Talent - ganz richtig! Allein wir lebten eben von der Hand in den Mund.« –

Ach, wie wenig Ähnlichkeit hatte doch diese traurige Wirklichkeit mit den in den Büchern und Theaterstücken geschilderten hochgespannten Szenen von Liebe, Leidenschaft und Verzweiflung! Dort, in den Schöpfungen der Phantasie heldenmütige Entsagung, edle Verzweiflung und erhabene Entschlüsse. Im täglichen Leben dagegen kleinliche Nahrungssuchen, engherzige Berechnungen, die jeden höheren Schwung der Seele ertöten. Hier blieb der zum Akt der Befreiung zu schwache Mann am Leben, während die Frau in ihrer Todesangst ums tägliche Brot Stolz und Eifersucht vergaß! Und das war die nackte, häßliche Wahrheit, die Liebe aber mit ihrem Gefolge von herrlichen Träumen, von großartigem Selbstvergessen und vornehmer Verachtung erwies sich als Lug und Trug! Früher oder später also muß die platte, trockene, tyrannische Wirklichkeit siegen, Ihr gegenüber muß die Menge geflügelter Einbildungen aufflattern und zerstieben wie ein Starenschwarm vor einem mageren Hunde, und das ist das wahre, echte Leben mit seinen Bürden und Pflichten!

Wenige Stunden später erzählte Clarencé seiner Freundin ausführlich von diesem traurigen Besuche.

»Geldverlegenheiten, Nahrungssorgen in einem solchen Augenblick!« rief Claudine voll Bestürzung. »Man muß ihnen beistehen, ihnen Bilder, Skizzen abkaufen.«

»Daran habe ich natürlich auch schon gedacht,« antwortete Clarencé, »Aber das ist ja nur für den ersten Augenblick, was soll später werden?«

»O später, da wird man weiter sehen. Jetzt, für den Augenblick muß geholfen werden – später, da ist er vielleicht geheilt und kann seine Arbeit wieder aufnehmen.«

»Glaubst du das?«

»Warum nicht, da er sich doch nicht ums Leben gebracht hat!« Mit halbem Lächeln und einem Anflug ihrer gewohnten Verachtung für alles Schwache fügte sie hinzu: »Men have died from time to time and worms have eaten them. But not for love Von jeher sind die Menschen gestorben und wurden von Würmern gefressen, aber nimmermehr an der Liebe. – erinnerst du dich an Rosalinde?«

»Ja,« antwortete Clarencé, »so spricht eine Romanheldin. Aber trotz des verächtlichen Realismus, der aus diesen Worten klingt, sind es doch immer erdichtete Worte, und die lügen, wie fast alle Poesie. Man stirbt vielleicht nicht an der Liebe, dafür aber an den Folgen der Liebe.« Ein Schauder durchlief seinen Körper, während er fortfuhr: »Außerdem sind es nicht nur die Pforten des Todes, die sich im Zustand der Verzweiflung vor uns öffnen, es gibt noch andre, dunklere, und unser armer Freund scheint mir nicht mehr weit von diesen entfernt zu sein.«

Das entsetzliche Bild eines seiner Vernunft beraubten Wesens stieg vor ihren geistigen Augen auf, und in schweigendem Entsetzen sahen sie sich an.

»O mein Gott!« murmelte Claudine, die Augen schließend. Sofort aber faßte sie sich wieder.

»Man muß dagegen ankämpfen, irgend einen Versuch machen,« sagte sie. »Man kann ihn doch nicht einfach zu Grunde gehen lassen.«

»Was willst du machen? Ihm seine Geliebte zurückgeben? Ihn von seinen Gewissensbissen befreien? Das ist beides gleich unmöglich.«

»Wir können aber doch wenigstens an seiner Stelle einen Entschluß fassen, ihn mit unsrer Energie unterstützen,« fuhr sie eifrig fort. »Mir kommt ein Gedanke. Er hat mir häufig, und zwar mit einem gewissen Heimwehgefühl von seinem Geburtsort und von seiner Mutter erzählt, die er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Mir machte es ganz den Eindruck, als sehne er sich nach ihr. Dieser Wunsch ist nun aber doch immerhin ein Zeichen wiedererwachenden geistigen Lebens, wer weiß, vielleicht laßt sich darauf weiterbauen. Schicke ihn also oder bringe ihn, wenn nötig, selbst dorthin. Du, und nicht seine Frau, denn ihre Begleitung würde ihm nichts nützen.«

»Man könnte ja immerhin einen Versuch machen,« erwiderte er.

»Und wie steht es mit dir, mein lieber Freund?« fuhr sie langsamer fort. »Fühlst du selbst, der du dich ja nicht über dein Schicksal zu beklagen hast, nicht auch ein wenig den Wunsch, deiner Heimat wieder einmal einen Besuch zu machen?«

Clarencé errötete, sich so durchschaut zu sehen.

»Allerdings – manchmal – vielleicht – aber davon kann ja keine Rede sein.«

Einen Seufzer unterdrückend, wandte Claudine den Blick von ihm ab.

»Auch dir würde eine Abwechslung gut tun,« sagte sie mit erzwungener Ruhe. »Begleite deinen Freund in seine Heimat, und gehe du dann in die deinige. Gebirgsluft und Kindheitserinnerungen werden dich erfrischen, nachher kannst du dann gekräftigt dein freies, stolzes Leben eines gefeierten, guten Samen ausstreuenden Dichters wieder aufnehmen.«

Auch jetzt, wie bei dem Gespräche mit seinem Neffen, sah Clarencé das alte Bauernhaus mit den gelben Maiskolben unter dem vorgekragten Wetterdach wieder vor sich, den großen Nußbaum im Hof, die altmodischen Blumen im Garten und den kleinen Weinberg mit seinen spärlichen Früchten. Ihm war es, als atme er schon jetzt die kräftige Tannenluft des Jura ein, die dort wie ein göttlicher Hauch von den Höhen ins Tal herabweht. Trotzdem gestand er den ihn plötzlich überkommenden glühenden Wunsch nicht ein.

»Du würdest mich aber doch begleiten?« fragte er.

Sanft verneinend schüttelte sie den Kopf.

»Bedenke doch, du findest ja dort einen Bruder, eine Schwägerin, Neffen und Nichten, die dich für sich allein haben möchten. Ich aber –«

Sie vollendete nicht, trotzdem las Clarencé ihr die Gedanken von der Stirne. Was sollte ich, eine Fremde, in jenem Hause? Was für einen Platz würde ich am heimatlichen Herde einnehmen, wo man nichts von meinem Dasein weiß – unter jenen schlichten Menschen, die keine Ahnung von unserm Liebesbund haben? Mit welch verächtlichem Blick würden sie mich betrachten, und was sollte ich ihnen erwidern?«

Vielleicht daß in diesem Augenblick doch ein Schatten von Bedauern durch ihr Herz zog, denn etwas gab es also immerhin, das sie nicht mit ihrem Freunde teilen konnte. Er entwich ihrem Einfluß, er verließ sie, wenn es auch nur für einige Wochen war, und wer weiß, ob er ihre Begleitung auch wirklich wünschte? Claudines Art aber war es nicht, sich nutzlosen Gedanken hinzugeben. Energisch wie immer schüttelte sie sie ab und sagte, sich mit ihrem ganzen Stolze wappnend: »Ich möchte dich lieber allein deinen Angehörigen überlassen, mein Freund, das gehört mit zu der Kur, die ich dir anrate. Das Einzige, was mich beunruhigt, ist, daß du dann in Lauriers nächster Nachbarschaft sein wirst, nicht wahr?«

»Allerdings nur wenige Kilometer entfernt.«

»Nun denn, meine Ratschläge gehen dahin, ihn, nachdem du ihn seiner Mutter übergeben hast, so wenig als möglich aufzusuchen. Laß die beiden ungestört bei einander, das wird für ihn wie für dich besser sein. Nichts soll ihn an die schmerzliche Vergangenheit erinnern. Denke vor allem an dich selbst, denn auch du bedarfst der Zerstreuung und Ablenkung Gesund und froh kehrt ihr dann beide zurück.«

»Wenn ich dich nur wenigstens mit mir nehmen könnte!« wiederholte er mit zögernder Stimme, Claudine jedoch hatte das bestimmte Gefühl, daß dieser Wunsch nicht wirklich von Herzen kam.

»Man kann eben nicht alles haben, mein Freund,« sagte sie. »Wer weiß, vielleicht ist es sogar besser, ich bin nicht bei dir. Du wirst mich bei deiner Rückkehr ja wiederfinden.«

»Als dieselbe?«

»Ja, immer.«

Damit war die Sache abgemacht. Kaum daß zwischen ihnen die sich rasch vorbereitende Reise der beiden Freunde noch erwähnt wurde.


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