Joachim Ringelnatz
Die Flasche und mit ihr auf Reisen
Joachim Ringelnatz

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Würzburg

Im Huttensaal, wo wir spielen sollten, hieß man uns höflich willkommen. Der Direktor, Dr. Wolz, zeigte uns den hübschen, großen Saal, die geräumigen, sauberen Garderoben, sowie die Reklame, die er gemacht hatte. Er gab uns korrekte Auskünfte und händigte uns schließlich Post ein. Vom B.-Nachweis war noch immer keine Nachricht dabei, und wir warteten doch so dringlich auf Dispositionen und Kontrakte bezüglich unserer weiteren Reiseroute. Ein Verwandter von mir, Professor Dr. Hans Rietschel, schrieb mir. Er erinnerte mich daran, daß wir Jugendgespielen waren, und er schlug ein Zusammentreffen vor. Ein zweiter Brief an mich war der ersehnte von M. Sie war – lange ohne Nachricht von mir – auch besorgt um mich, zumal meine letzten Mitteilungen recht kleinlaut geklungen hatten. Sie war prompt und zuverlässig wie immer in täglicher Telefon-Verbindung mit dem B.-Nachweis geblieben. Ich las ihren Brief – soweit er uns alle anging – den Nordhäusern beim Mittagessen vor, das wir in einer simplen Schenke einnahmen. M. schrieb:

»Deine Berichte beunruhigen mich überhaupt mehr und mehr. Dein Fieber, Deine Überanstrengung, das kann ja nicht so weitergehen! Deshalb ist es vielleicht ganz gut, worüber ich gestern noch deprimiert war, daß Eure Tournee abgebrochen wird. Ich habe gestern mit dem B.-Nachweis telefoniert. Er sagt: die politische Lage, die Geldarmut, das schlechte Wetter nehmen jede Aussicht auf den kleinsten Erfolg. Die großen Bäder haben alle aus Unentschlossenheit abgeschrieben. Er kann Euch nur kleine Bäder, wie z. B. Warmbrunn verschaffen, und das hat gar keinen Sinn, das würde wieder so eine Pleite wie in Thüringen. Die böhmischen Bäder haben auch abgesagt, die Fremden seien alle wegen der Politik abgereist. Nun hat der B.-Nachweis telegrafisch in Prag angefragt, ob man die Daten für dort vorverlegen könnte, also direkt als Anschluß an Elster. Und dann soll Eure Tournee mit Prag beendet sein.«

Wir sahen einander an, und ehe es ausgesprochen war, wußten wir alle, daß wir diesen Schluß geahnt hatten. Es war aber doch eine schwerwiegende Nachricht. Die Angelegenheit mit dem Kellner war nun damit erledigt. Aber wir fragten uns, ob es überhaupt ratsam wäre, die teuren Reisen nach Prag und zurück zu wagen, die sich unmöglich rentieren konnten. Schon Kissingen, Plauen und Elster konnten nichts mehr an dem Faktum ändern, daß wir arm wie die Kirchenmäuse und obendrein noch mit Schulden belastet heimkehrten. – –

Mutter Mewes fand das erste Wort: »Laßt uns die letzten Tage noch recht lieb zueinander sein.« Und in verschiedenen Variationen brachten wir alle es zum Ausdruck, daß unsere Reise trotz aller düsteren Erfahrungen doch viele schöne Stunden gehabt hätte und daß sie auf jeden Fall eine unvergeßliche Erinnerung hinterließe.

Ich wohnte mit den beiden Paaren Regisseur-Mewes und Grischa-Petra sehr preiswert bei Hemmerlein auf der Hofpromenade. Ich trug mein letztes Hemd. Wo mochte mein Wäschesack jetzt sein?

Im Zimmer Nr. 13 im Juliusspital – hinter dem Zimmer, dessen Tür die Aufschrift »Krankenaufnahme« trägt – trinkt man Sonnenschein aus Bocksbeutelflaschen. Aber der ist nicht so leicht und spritzig wie Saarwein.

Wir spielten heiseren Halses und heiseren Herzens. Das Theater war gut besucht, und es klappte alles. Doch meine Whiskyflasche war im Seesack ausgelaufen. Dr. Wolz überbrachte mir sogar die Botschaft, daß das Kurtheater in Kissingen bereits ausverkauft wäre. An diese Nachricht glaubte aber nicht einmal unser optimistischer Fürst. Vom Maler Robert Wetzel erhielt ich ein entzückendes, selbstverfaßtes Bilderbuch.

»Wißt ihr«, sagte Sitty Smile, »daß wir gestern in Nürnberg über unserer Misere ganz vergessen haben, das Jubiläum unserer 25. Aufführung zu feiern?!«

Nach einem kurzen Zusammensein mit Rietschel und einem Professor der Archäologie ging ich heim und vergrub mich in mein Bett. Aber wüste Träume, in denen neben tausend anderen Erscheinungen mein Krokodil eine Rolle spielte, quälten mich so, daß ich aus dem Bett fiel und darüber wach wurde. Da hörte ich draußen eine Nachtigall schlagen.

Wir frühstückten gemeinsam in Hemmerleins Gaststube. Im Nebenzimmer sang eine bunte chinesische Nachtigall so froh in ihrem engen Bauer, aber nicht so schön, wie jene deutsche Nachtigall der Freiheit in der Nacht gesungen hatte.


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