Joachim Ringelnatz
Die Flasche und mit ihr auf Reisen
Joachim Ringelnatz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bad Kissingen

Am Kissinger Bahnhofsportal erschreckte mich ein Heer von Hoteldienern. Die verfolgten mich lockend, und Spaliere von Droschkenkutschern umwarben mich, aber ich widerstand und trug meine schweren zwei Koffer persönlich durch den Regen bis zum nächsten Hotel. Als ich in einem Zimmerchen im höchsten Stock landete, hörte der Regen auf, brach die Sonne durch. Ich öffnete das Fenster und sah den Fürsten und Grischa unten auf der Straße vorübergehen. Ich rief sie an. Wir wechselten nur wenige Worte und Gesten, aber ich freute mich daran, und ich empfand die ganze Poesie unseres Schmieren- und Freundschaftslebens.

Nach meinem gewohnten Vorabendschläfchen schlenderte ich durch die Straßen. Von Ansprechern hörte ich so viel Gutes über das Theater, daß ich wieder Mut schöpfte.

Mit diesem Theater hatte Herr Strickrodt nichts zu tun. Es machte einen sauberen und soliden Eindruck. Ein Vertreter des Direktors empfing uns mit verbindlichen Grüßen, und wir fanden auf der Bühne und in den Garderoben alles in bester Ordnung. Das Haus war reichlich gefüllt, das Publikum sah intelligent und vornehm aus. Kein Wunder, daß wir in froher Stimmung spielten. Nun gar ich, der ich schon vorm Theater von den unterschiedlichsten Menschen und darunter auch vom Geldbriefträger abgefangen war. M. hatte mir telegrafisch Geld gesandt.

Nach dem ersten Akt unternahm ich einen Bummel und kam noch viel zu früh hinter die Kulissen zurück, hörte, wie Fürst und Petra auf der Bühne von Grischa Abschied nahmen, setzte mich, Möwe und Bananen im Arm, auf ein Stühlchen und beobachtete abwartend die Feuerwehrleute und Bühnenangestellten, die durch Kulissenspalten und Luglöcher nur Bruchteile des Stückes erfaßten und doch so rührend ergriffen sein konnten. Und ich streichelte meine Möwe zärtlich. Bis ich plötzlich auf ein Stichwort hin, »laut und roh zu schimpfen anfing«.

Nachts besuchte ich meine Kollegen in ihrem malerischen, aber etwas unheimlichen Gasthof, der zu einer Brauerei gehörte und mich an Hauff's Wirtshaus im Spessart erinnerte. Sie saßen beim Nachtmahl, aßen und rühmten riesige Schnitzel für eine Mark, und Petra behauptete, daß das Bier nach Karbol schmeckte. Hinterher traf ich in Nachtlokalen noch Bekannte aus verschiedenen Zeiten und Situationen.

Unsere Fahrt durchs Maintal nach Koblenz verlief munter und gesellig. Wir waren des Lobes voll über das Kissinger Theater, das uns in jeder Beziehung einen schönen Erfolg gebracht hatte. – Der Name Strickrodt war uns zu einem Adjektiv geworden, das wir häufig anwandten. Der Regisseur schwärmte noch immer von den großen Schnitzeln. Mutter Mewes vertilgte unter einem verschämten Lächeln, das ihr so gut stand, Berge von Süßigkeiten. Sitty Smile erzählte von seinen Erlebnissen als Angelsportler. Der Kellner, der noch nicht Brüderschaft mit mir getrunken hatte, holte das mit Hilfe einer Feldflasche nach und machte mich dann auf die Dreckflecke an meinem Mantel aufmerksam. Der Fürst hatte Kopfschmerzen oder war verstimmt, jedenfalls weigerte er sich, uns frohe Aussichten für Koblenz zu künden. Um so vergnügter war Petra, obwohl sie Eisenbahnfahrt nicht vertrug. Grischa verlor eine Wette gegen mich zugunsten einer neugegründeten Kasse. Sitty Smile verwaltete die Kasse, für die ich den Tresor lieferte, nämlich eine blecherne Zigarettenschachtel. Dahin flossen von nun an alle Wettgelder, Spielgelder und einstimmig beschlossene Strafgelder. Wer von den Nordhäusern mir eine Ansichtskarte zur Unterschrift vorlegte, mußte dafür fünf Pfennige einzahlen. Auch verloste ich ein handschriftliches Gedicht, das ich auf dieser Fahrt verfaßte:

An meine Kollegen
        Liebe Freunde, wenn wir weiter reisen
Wie bisher auf redlichen Geleisen,
Daß die Freundschaft uns am höchsten steht,
Ach, dann werden wir etwas erleben, –
Was auch immer sich begeben
Mag – etwas, was nie vergeht.

Jeder soll sein Schlechtes unterdrücken.
Jeder soll sich für den andern bücken.
Achtmal Freude minus achtmal Leid.
Jeder sorge, daß er nichts bereue.
Denn fürs Alter sammeln wir das Neue. –

Und ich dank euch, daß ihr mit mir seid.

Wir übten auch gelegentlich unseren Bühnen-Chorgesang »Wir Fahrensleute . . .«. Das schien aber den übrigen Fahrgästen nicht zu imponieren. Der Zug berührte Frankfurt a. M., Wiesbaden, Eltville und andere Städte, wo ich gute Freunde wußte. Da uns leider wieder ein freier Abende beschert war, widerstand ich ungern der Versuchung, die Fahrt zu unterbrechen. Als wir den Rhein entlang dampften, geriet Petra in heimatliche Begeisterung. Sie erklärte der wißbegierigen Mutter Mewes die Burgen. Beide Damen protestierten dagegen, daß ich die Ruinen »lächerliche Steinhaufen« nannte.


 << zurück weiter >>