Joachim Ringelnatz
Die Flasche und mit ihr auf Reisen
Joachim Ringelnatz

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Nürnberg

Wir besprachen unsere schlimme, pekuniäre Lage und trugen uns mit der Absicht, den Kellner aus unserem Ensemble zu entlassen, weil er unseren Etat unnötig belastete. Seine kleine Rolle konnte der Regisseur mit Leichtigkeit übernehmen. In unseren Verträgen war aber eine vierzehntägige Kündigung vorgesehen. Der Kellner selbst wollte uns durchaus nicht verlassen. Er führte an, daß sein Vater ihm für seine Rolle doch extra einen Frackanzug gekauft und andere Ausgaben gemacht hätte und ungehalten sein würde, wenn der Sohn ihm nun wieder als Stellungsloser zur Last fiele. Außerdem empfände er, der Kellner, es als schimpflich, wenn wir ihn vor Beendigung der Tournee »herausschmissen«. Wir suchten den jungen Mann zu beruhigen. Wir wollten ihm schriftlich bestätigen, daß nicht künstlerische Erwägungen oder sonstige Unzufriedenheit uns zu seiner Entlassung zwängen, sondern nur die Notwendigkeit äußerster Sparsamkeit in unserer Gemeinwirtschaft. Wir wollten ihm auch die Schulden erlassen, die er noch an unsere Kasse hatte.

Über diese Beratungen entstand in unserem Kollektiv zum erstenmal ein vorwurfsvoller Zank. Aber nur für kurze Minuten, dann sorgten die meisten dafür, daß der alte freundschaftliche Ton wieder hergestellt würde. Und wir vertagten vorläufig die Frage der Entlassung.

Im Posthörndl unterbrach ein Redseliger meine Schreibarbeit. Er sagte unter anderem: »Ja, hier in Nürnberg haben die Leute keinen Sinn fürs Theater.«

»Überall sagt uns jemand von seiner Stadt das gleiche.«

»Wenn Sie das zusammenfassen, wissen Sie, was das deutsche Volk vom Theater hält.«

Wir waren jetzt alle mehr oder weniger heiser. Wahrscheinlich durch die Hitze. Der Kellner hatte sogar Fieber. Aber wir spielten gut, und in der Raufszene schwang ich Grischa so vehement herum, daß die Flaschen von der Theke rollten, Stühle umfielen und das Wasser im Eimer hohe Wellen schlug.

In der großen Pause kam die schöne Schauspielerin Elisabeth Funken zu mir. Sie hatte seinerzeit – vor unserem Ensemble – im selben Theater in der »Flasche« die Petra gespielt. Wie man mir berichtete: vorzüglich gespielt. Nun kam sie aus dem Zuschauerraum, lobte meine Schauspielkunst und mußte weinen, indem sie sagte: »Ich würde so gern mit Ihnen da oben spielen.«

Ich wurde in der Garderobe von Professor Körner gezeichnet. – Eine Bekannte aus Tiroler Tagen schickte mir Rosen. Diese Dame fing mich hinterher am Bühnen-Ausgang ab. Sie fragte, ob ich mich am nächsten Tag mit ihr treffen wollte. Ich hätte doch den ganzen Tag nichts zu tun. Diese letzte Bemerkung, die wir Schauspieler so oft zu hören bekommen, ärgerte mich. Ich antwortete abschlägig und schroff.

Anderntags schrieb ich wieder im Goldenen Posthorn und wurde wieder von einem Störenfried angesprochen. Der kannte mich angeblich von der Marine her und war nach dem Krieg angeblich Farmer in Südamerika gewesen. Er lud mich für den Abend zu einem »gemütlichen Souper mit Sekt« ein. Aber als es so weit war, erschien er nicht, und der Kellner sagte mir, daß der Mann ihm als Schwindler bekannt wäre. Wozu hatte ich nun eine stundenlange Rede über die Unrentabilität brasilianischer Rinderherden angehört?

Ich ging über den Grünen Markt. In allen Städten hatten die Märkte für mich etwas Anziehendes. Ich trieb mich gern zwischen dem Wimmelvolk von emsigen Männern und derben Frauen herum, die unter riesigen Schirmen buntes Gemüse und Eier und lebendes Geflügel anboten. Der Grüne Markt in Nürnberg war aber jetzt, da ich ihn querte, schon von den Bauern geräumt. Der letzte Stand wurde gerade abgebrochen, zwei müde Burschen luden das Bretterwerk lustlos auf einen Wagen. Aus den verstreuten Abfällen suchten Kinder sich Strünke und Blättchen heraus, Kaninchenfutter, und in dem, was zurückblieb, pickten die Tauben.

An beiden Nürnberger Abenden ernteten wir reichlich Applaus. Zwar gab es dann noch ein Theater-Skandälchen, das aber durch einen Vergleich beigelegt wurde. Da ich diesen Vergleich mitunterschrieben habe, ist darüber nichts mehr zu sagen.


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