Joachim Ringelnatz
Die Flasche und mit ihr auf Reisen
Joachim Ringelnatz

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Dritter Akt

März 1929
Hafenkneipe »Zur Kiautschoubucht«

Petra (kommt, vornehm, aber einfach gekleidet, sieht sich ängstlich um): Mutter Mewes?! – Mutter Mewes!? – Sie ist nicht da. – Es ist niemand da – –. (Geht langsam durch den Raum.) Wie es hier riecht – –. Vielleicht lebt sie gar nicht mehr. Aber dann muß eine andere Wirtin sein. Es ist noch alles unverändert. Das Bild. – Das Buttelschiff. Das Krokodil. Und hier steht es (liest laut): »21. März 1927.«Das ist heute.

(Pause)

Wenn Hans Pepper – – nicht Wort hält. – (Setzt sich mit dem Rücken nach der Theke gewandt.) Dann bin ich doch frei. – Dann kann ich doch den andern mit gutem Gewissen – –. Es ist unheimlich hier. – Jetzt kommt jemand. – Warum habe ich solche Angst?

Mewes (aus der Küche. Sie trägt eine Flasche, die sie an der Theke sorgfältig abwischt, entkorkt und kaltstellt): Guten Abend. Entschuldigen Sie. – Ich war im Keller. – Ich bin noch ganz außer Atem. – Es gibt vielleicht Überraschungen. Und wenn was kommt, muß was da sein. – Das ist nun etwas ganz Besonderes. Die stammt noch vom meinem Mann. Er hätte sie gewiß allein ausgesoffen, wenn er nicht plötzlich selbst ertrunken wäre; so sind die Seeleute. Aber Scherz beiseite. Es ist gar kein Grund zum Scherzen. Außerdem waren wir dreißig Jahre glücklich verheiratet. – So! Was darf ich nun der Dame bringen? (Erkennt plötzlich Petra.) Petra?? – Petra!!

Petra: Ja ich bin es. Guten Abend, Mutter Mewes! (Umarmt sie.)

Mewes: Und da quatsche ich so im Zickzack, um Zeit zu gewinnen, um den Sekt kalt zu stellen, der doch für euch bestimmt ist, ganz besonders für dich.

Petra: Wie geht es dir, Mutter Mewes?

Mewes: Gut, Petra. Ach, daß du an den 21. März gedacht hast! – Was macht denn der Fürst? Kommt er? Seid ihr – –

Petra: Er wird gleich kommen. Er ließ mich nur voran, damit ich erst einmal allein mit dir und mit – –

Mewes: Mit ihm – –. Das ist sehr feinfühlig gedacht. Und ihr kommt wirklich! Ja Petra! Steh mal auf. – Was bist du für eine vornehme Dame geworden. Ich habe dich gar nicht erkannt.

Petra: Wie ist es dir inzwischen ergangen.

Mewes: Mir selber gut. Aber geschäftlich ging's abwärts. Man spürt den verlorenen Krieg immer schlimmer. Das Geld rollt nicht mehr. Die Seeleute sterben aus. Es werden wenig Schiffe gebaut. Denke dir: im Segelhafen liegt eine einzige Dreimastbark.

Petra: Wo man früher sagte: »Der Mastenwald«.

Mewes: So ist es. Aber jetzt wollen wir zwei das erste Glas trinken.

Petra: Nein, danke, ich mag nicht.

Mewes: Hat er's dir verboten?

Petra: Nein nein. Er verbietet mir nichts. Aber es macht mir nicht mehr soviel Spaß wie früher.

Mewes: Bist du krank?

Petra: Nein, gute Mutter Mewes. Nur etwas aufgeregt. Wann kommt Hans Pepper?

Mewes: Ach, ich bin ganz aufgeregt. Und ich bin doch ein altes Weib.

Petra: Du siehst gut aus. Ganz unverändert.

Mewes: Aber du siehst elend aus. Wie war er zu dir, der Fürst? Ich danke auch noch für eure vielen Karten. Nicht wahr, ihr habt keine Antwort von mir erwartet?

Petra: Nein.

Mewes: So fein bist du geworden. Aber ich sehe schon: es hat dich nicht verdorben. Wie war er zu dir?

Petra: Er war zu mir wie ein Vogelmütterchen. In den ganzen zwei Jahren. Er liebt mich sehr.

Mewes: Ihr liebt euch! Das ist ja herrlich. Das ist dein Glück. Und auch meins.

Petra: Es liegt nicht so ganz einfach. Ich habe oft Mühe gehabt, mich selbst zu beherrschen. – Aber ich wußte, was ich wollte. – Sag doch: Kommt er? Hast du Nachricht von ihm? Wann?

Mewes: Wie soll es denn nun werden mit dem Fürsten?

Petra: Ach, Mutter Mewes. Dir darf ich ja alles sagen.

Mewes: Mir? Das meine ich auch. – Liebst du ihn jetzt sehr?

Petra (legt ihren Kopf an sie): Ich kann nicht mehr von ihm los.

Mewes: Ein Kind in Sicht?

Petra: Nein, aber er ist so zart, so weich, so liebevoll. – So ganz anders als – – Ach, Mutter Mewes, ich habe solche Angst vor Hans –

Mewes (streichelt sie): Ach wie bin ich froh, daß du gekommen bist, daß ihr beide gekommen seid. Es freut mich für euch.

Petra: Sag endlich, wann kommt Hans Pepper?

Mewes: Die Nacht ist lang.

(Pause)

(Zeigt auf die Wand.) Dort steht es angeschrieben.

Petra: Ja, ich habe es wieder gelesen.

Mewes: Du mußt mir viel vom Fürsten erzählen.

Petra: Ja, wenn diese Nacht vorüber ist.

Mewes: Ja, wenn diese Nacht vorüber ist. Diese Nacht, auf die wir uns alle damals so freuten.

Petra: Ja, das taten wir.

Mewes: Petra, du hast dein Glück gemacht.

Petra: Meinst du?

Mewes: Du hast es nicht gemacht, sondern du hast dein Glück verlängert. (Sich abwendend.) Ach es ist kaum auszuhalten.

Fürst (eintretend): Guten Abend, Mutter Mewes. (Schüttelt ihr die Hände.) Nun? Sind wir treu?

Mewes: Ja, wahrhaftig. Das sind Sie. Wenn ich frei sprechen darf: ganz sicher war ich dessen nicht. Desto mehr freut es mich nun.

Fürst: Ist Hans Pepper da?

Mewes (schüttelt den Kopf).

Petra: Nein, noch nicht.

Fürst: Aufgetischt! Wir wollen Whisky trinken wie damals. Habt ihr euch fürs erste ausgesprochen?

Mewes: Nein, nur angefühlt. (Holt Whisky.)

Petra (sich umschauend): Wie gut es hier riecht! So seemännisch!

Mewes: Es wird nach Teer riechen. Der Segelmacher war hier. (Zu Petra.) Weißt du, der, der dich einmal aus der Elbe gezogen hat. Er hat hinten eine Manila-Leine abgestellt und Schiemannsgarn und solchen Bordkram.

Petra: Gut riecht es! (Atmet tief ein.) Wunderbar!

Mewes: Kommt der Herr auch, der damals Musik machte?

Petra: Unser Hausmusiker? Nein. Er ist nicht mehr bei uns.

Fürst: Er hat seine Stellung gekündigt und hat nie wieder von sich hören lassen. Ich glaube nicht, daß er kommt.

Petra: Obwohl der nie sein Wort brach.

Fürst: Er wird sich genieren. Törichterweise –

Mewes: Er hat damals geschworen, daß er kommt.

Fürst: Der schwur den ganzen Tag.

Petra: Aber er hielt seine Schwüre immer.

Mewes (zum Fürsten): Ich danke auch noch für Ihre Kartengrüße, und ich danke Ihnen dafür, daß Sie heute wirklich gekommen sind. Mit Petra.

Fürst: Das ist doch selbstverständlich. Sie sind doch Petras Mutter.

Petra: Hier hängt und steht noch alles wie vor zwei Jahren.

Mewes: Ja, zwei Jahre ist's her. Und verging so schnell wie langsam – –. Jetzt fällt mir's ein: Grischa hieß er.

Petra: Ja. Ich bin schuld, daß er von uns ging.

Fürst: Du? Was redest du da für Unsinn?

Petra: Ja ich bin schuld.

Fürst: Wie geht's denn geschäftlich, Mutter Mewes?

Mewes: Sie sehen es ja. Noch seid ihr die einzigen Gäste. Aber werte Gäste. Hochwerte Gäste. Ich zünde Kerzen für euch an. Das hab' ich mir ausgedacht. (Zündet drei von fünf Kerzen an.) Eine für Sie, eine für dich, Petra, und eine für die Alte.

Fürst: Nun bin ich aber neugierig, ob Hans Pepper –

Mewes: Was soll ich euch denn nun noch zu trinken geben?

Fürst: Petra, willst du Moselwein? Wonach steht dir der Sinn? Wir wollen heute so fröhlich werden wie damals.

Petra: Und so frei werden wie damals. – Sekt!

Fürst: Das wollen wir. –Hast du Sekt, Mutter Mewes?

Mewes: Das habe ich, und er steht schon kalt, und dazu seid ihr von mir eingeladen. (Sie will abgehen, hebt plötzlich einen Brief auf und liest, ihn weit von sich haltend, die Anschrift laut.) »Erst auf See zu öffnen.«

Petra (nach dem Brief greifend): Wie konnte ich das verlieren!

Fürst: Mutter Mewes hat gute Augen. Sie liest das ohne Brille.

Petra: Und hält dabei den Brief drei Seemeilen von sich ab. (Zu Mewes.) Das ist eine Überraschung für Hans Pepper.

Mewes: Eine Überraschung?

Petra: Ja. Er soll es erst öffnen, wenn er wieder weit draußen in See ist. Ich gebe ihm das Kuvert, wenn ich ihm gesagt habe –

Mewes: Wartet einen Moment. Ihr sollt nicht trocken sitzen. Ich hole den Sekt. (Eilt nach der Küche.)

Fürst: Wann soll er es öffnen?

Petra: Auf See. Und ich gebe ihm das Kuvert, wenn ich ihm gesagt habe, daß – ich nicht mehr seine Liebste und daß er nicht mehr mein Liebster sein kann –.

Fürst: Ach, Petra, wenn du das sagen willst, dann sag es ganz deutlich, damit ich endlich weiß, woran ich bin.

Petra: Unterbrich mich doch nicht immer. Daß ich nicht mehr Hans Peppers Liebste sein kann und daß er nicht mehr mein Liebster sein kann, weil ich nicht mehr von dir lassen kann.

Fürst: Vielleicht habe ich mich an euch beiden versündigt, oder wie man das nennen mag. (Umarmt sie leidenschaftlich.) Ich will versuchen, es an Hans Pepper gutzumachen.

Petra: Es ist mein eigener Entschluß, wenn ich bei dir bleibe.

(Pause)

Weißt du, was in dem Brief steht.

Fürst: Ich kann mir's denken. Du hast es ja oft genug angedeutet, und ich müßte dich nicht kennen, wenn ich es nicht ahnte. Es steht darin die Bitte, daß Hans Pepper dein und mein treuer Freund bleiben möchte.

Mewes (kommt mit Flasche und Gläsern): Und wenn ihr was essen wollt, dann müßt ihr's sagen. (Schenkt ein.)

Petra: Es steht noch mehr darin. (Zu Mutter Mewes.) Du darfst es auch hören, was in diesem Brief steht. Du kannst doch schweigen.

Mewes: Gott weiß, ich kann es. Aber manchmal fällt es sehr schwer.

Petra: Dieser Brief ist für Hans Pepper bestimmt. Aber er darf ihn erst auf See öffnen. Weißt du, was er enthält? (Sie erschrickt.) Er kommt!

Fremder Mann (bärtig und zerlumpt tritt ein, stellt sich, ihnen den Rücken kehrend, zur Theke).

Mewes: Nein, das ist ein fremder Gast. Sprich nur weiter. Der ist nicht viel. Die Art trinkt einen Köm und Bier und geht weiter.

Petra: In diesem Brief ist ein Häuschen mit Garten, mit Kuh und Katz, mit allem Zubehör. – Das ist ein Geschenk von Boris an Hans Pepper.

Mewes: Der Fürst ist ein edler Mann.

Fürst: Nein nein! Es ist ein Geschenk von Petra. Ich bin kein edler Mann. Ich will das auch gar nicht sein.

Petra: Also ist es ein Geschenk von uns beiden. Mutter Mewes wird Hans Pepper nichts verraten.

Mewes: Ach, lieber Gott! – Ich muß den Gast bedienen. (Geht zur Theke.) Was wünschen Sie?

Fremder Mann (zeigt auf die Getränkekarte).

Mewes: Einen Tee?

Fremder Mann (schüttelt den Kopf und zeigt auf Karte).

Mewes: Einen Grog?

Fremder Mann (nickt).

Mewes: Einen Grog. Gern. Von Rum oder Arrak?

Fremder Mann (zeigt auf Karte).

Mewes: Von Rum. Gern.

Fürst: Sie ist doch eine gute Haut, deine Mutter Mewes.

Petra: Ja. Sie hat das, was du »Stil« nennst. Und es ist etwas an ihr, die Deutschen sagen dafür »Lauterbar« – »Lauterbarkeit«.

Fürst: Ja, es ist ein zuverlässiges Volk hier. (Er sieht sich um.) Und sauber.

Petra (zusammenschreckend): Jetzt kommt er.

Fürst: Sei doch nicht so nervös, Liebling. Es ist niemand gekommen. – Du brauchst doch auch keine Angst vor ihm zu haben. Ich muß Angst haben. Weil mein Gewissen Angst vor ihm hat.

Petra: Er tut mir schrecklich leid. Sein Herz hat langsamen Eingang und langsamen Ausgang.
(Pause. – Zwölf Glockenschläge.)

Fürst: Es schlägt zwölf Uhr.

Petra: Acht Glasen.

Mewes: Es schlägt zwei Jahre. (Sie seufzt tief.) Nach dem Kalender soll heute der Frühling anfangen. Es ist einem gar nicht danach zumute.

Fürst: Uns wohl. Warum nicht dir? Freust du dich nicht, daß deine Tochter wieder zurück ist?

Fremder Mann (laut). Kommt Hans Pepper heute? (Er wendet sich den andern zu.)

Fürst, Petra (gleichzeitig): Grischa!! (Eilen auf ihn zu und umarmen ihn.)

Grischa (schluchzend): Länger hielt ich es nicht. Ich muß weinen, weil ihr gekommen seid.

Mewes: Jetzt erkenne ich dich, und ich dachte, du wärst ein Stummer. (Zum Fürsten.) Sehen Sie, er ist wirklich gekommen, wie er's geschworen hat. Auch er.

Petra: Grischa, dir geht es nicht gut. Ich sehe es.

Grischa: Doch, jetzt geht es mir gut. Ihr seid gekommen, und ich fahre wieder zur See.

Petra: Fährst du wirklich wieder? Ach, herrlich!

Grischa: Ja, von heute an. Heute bin ich dem Glück begegnet. Ich habe eine Stelle als Kochsmaat gefunden. Wir laufen heute noch aus. Ich bin nur heimlich schnell entflieht. Ist Hans Pepper schon da?

Petra: Nein, noch nicht. –Was hast du denn die ganze Zeit getrieben?

Fürst: Warum hast du nie mehr von dir hören lassen? Was hast du inzwischen getan?

Grischa: Ach – ein wenig gehungert, ein wenig gearbeitet, ein wenig gehungert, ein wenig gearbeitet, und so – wie früher, ehe mich Boris Georgewitsch zu sich nahm.

Petra: Und niemals in fester Stellung? Armer Teufel.

Grischa: Doch. Das letzte sollte fest werden. Die haben gewünscht, daß ich soll bleiben. Aber weil ich doch mit Hans Pepper versprochen bin – nun und da habe ich mich hierher gebettelt – (froh) aber heute bin ich Kochsmaat geworden.

Petra: Du Guter! Komm trink! Was willst du essen? Du hast sicher Hunger.

Grischa: Nein, gar nicht. Mir geht's gut. Ich muß gleich wieder an Bord. Da ist viel zu essen. Ach mir geht's gut.

Fürst: Wie mich das schmerzt, daß du nicht zu mir kamst.

Grischa: Ich wollte einmal. Aber dann wird man so schwach – weil die Kleider schmutzig sind –

Petra: Laß ihn erst mal essen.

Grischa: Nein, ich kann nicht essen. Es wird mich würgen. Ich zittere innen.

Mewes: Er ist schon überhungert.

Grischa: Nein, weil so viel Glück zu mir kommt. Prosit! (Er trinkt in großen Zügen.)

Petra: Prosit, Grischa! (Zum Fürsten.) Nun wollen wir wieder Whisky trinken. Ich fühle mich auf einmal so wohl. Und es riecht hier so himmlisch nach Hafen.

Fürst: Ja, Petra, aber langsam. (Zu Grischa.) Grischa, bleibe wieder bei mir. Wir haben dich herzlich vermißt, und wir sind doch alte –

Petra: Vertraute. Ja, bleibe bei uns. Prosit!

Grischa: Ich liebe euch wie früher. Prosit! Aber ich muß wieder an Bord, wenn nur noch Hans Pepper bald kommt, dann wird das meine schönste Reise werden.

Mewes: Ein treuer Mensch. Der liebe Gott hat ihn angeheuert. (Sie zündet noch zwei Kerzen an.)

Petra (pustet eine davon aus).

Mewes (zündet die Kerze von neuem an, abgehend): Jetzt hole ich wieder Whisky.

Fürst: Überleg es dir, Grischa! Nasdorowje! (Alle trinken.)

Petra: Heute früh wußte er noch nicht, wovon leben, und morgen fährt er auf hoher See. So leben die. Jetzt fehlt nur noch Hans Pepper.

Fürst: Dem wird es nicht möglich gewesen sein, sich einzurichten.

Grischa: Hat er einmal geschrieben, seit ich fort bin?

Fürst: Nein. Und wir konnten ihm auch nicht mehr schreiben, weil wir keine Adresse mehr hatten.

Petra: Alle Briefe kamen zurück. Er hat anscheinend zuletzt oft Schiff gewechselt.

Grischa (lächelnd): Ja. Und er liebte nie Schreiben.

Petra: Nein. Mir hat er früher jedes Jahr höchstens eine Karte geschrieben. Darauf stand immer: »Aus Liebe Hans Pepper.«

Grischa: Er kommt bestimmt.

Fürst: Mein Glas für Hans Pepper, auch wenn er nicht kommt und keine Nachricht gab.

Petra (ruft): Mutter Mewes, Whisky!

Fürst: Aber es ist doch noch Whisky da.

Mewes (kommt langsam und verbirgt etwas auf dem Rücken): Heute ist der 21. März 1929. Fünf Freunde haben Wort gehalten. Vier sind hier anwesend, und von Hans Pepper ist eine Nachricht da.

Fürst Was?

Petra (gleichzeitig): Ja?

Grischa (gleichzeitig): Ha!

Petra: Hört ihr's?! Ach, der Herrliche!

Fürst (zu Mewes): Und das sagst du erst jetzt!

Mewes: Weil es feierlich sein sollte.

Grischa: Ich wußte, daß er Wort hält. Er hatte geschworen.

Fürst: So zeigen Sie doch rasch.

Petra: Was –? Wo ist die Nachricht?

Mewes: Er hat eine Flasche geschickt. (Zieht sie hinterm Rücken hervor.) Eine leere Flasche.

Grischa: Das ist Hans Pepper. Ha ha.

Petra: Eine leere Flasche! Ja, das ist echt Hans Pepper!

Fürst: Aber das ist schön. Das ist eine kurze, aber reine Sprache. (Zu Petra.) Trink nicht so rasch, mein Liebling. Du bist es nicht mehr gewöhnt.

Mewes: Das ist die Flasche. (Gibt sie Petra.)

Fürst: Wer weiß, was ihn hinderte? So einen Seemann treibt's weit umher.

Grischa: Vielleicht ist er auch wieder einmal irgendwo desertiert.

Fürst: Zeig mir die Flasche, Petra. – Kein Etikett auf der Flasche. Aber ich kenne die! Johnnie Walker – Black Label – ausländisches Erzeugnis!

Petra (lachend): Ist das an mich gerichtet?

Fürst: Ja natürlich. Muß auch darunter stehen: »Garantiert mehr als zwölf Jahre alt.« Natürlich. Damit bist du gemeint. (Lacht.)

Petra (äugt in die Flasche): Er hat daraus getrunken.

Grischa: Ja ja. Sein Mund hat die Flasche geküßt.

Petra (hält die Öffnung ans Ohr): Und ich höre ihn. Er zieht an einem Tau und singt dabei aus, und hinter ihm ziehen andere an dem Tau und singen mit. O–u–h–a, O–u–h– a, O–uha!! Hör mal, Grischa. (Reicht ihm die Flasche.) Hörst du es?

Grischa (an der Flasche lauschend): Ja, es klingt wie Rauschen von Meer. (Reicht die Flasche dem Fürsten.) Hör mal, Boris Georgewitsch.

Fürst (Flasche beiseitestellend): Jedenfalls wußte er, daß wir wissen, was für ihn Black Label bedeutet.

Mewes: Es ist derselbe Whisky, den ich euch heute vorgesetzt habe.

Fürst: Das war eine schöne Idee von dir.

Mewes: In der Flasche von Hans Pepper war auch ein Zettel.

Petra, Fürst (gleichzeitig): Was?!

Mewes: Ein Zettel mit einem Gruß an Petra.

Grischa: O Petruschka.

Petra: Wo? Zeig her!

Fürst: Tempo! Mutter Mewes. Wir brennen doch darauf. – (Beiseite.) – Die Hauptsache vergißt sie.

Mewes (zieht Zettel aus der Schürzentasche und reicht ihn Petra.) Dieser Zettel –

Petra: Zeig her. (Versucht zu lesen.) Alles verschwimmt vor meinen Augen. Boris, lies mir vor.

Fürst (liest laut): »Aus Liebe Hans Pepper.«

Petra: Steht nicht mehr darauf?

Fürst: Nichts – auf der andern Seite auch nicht.

Grischa: Aus Liebe Hans Pepper.

Petra: Kein Ort?

Fürst: Nein, auch kein Datum. Nichts mehr.

Petra: Dann kommt er heute noch!

Grischa: Hans Pepper hält immer Wort.

Fürst: Aber das Schreiben liegt ihm nun einmal nicht.

Grischa: Wozu schreiben? Wir haben doch geschworen.

Petra: Ganz recht! Und deshalb kommt er bestimmt! Prost Grischa! Weißt du noch, wie ihr hier euch wiedergetroffen habt? Und wie ihr euch stundenlang über eine Sau unterhalten habt, die euch rettete? Und ich saß ganz vergessen daneben.

Grischa: Ich weiß noch alles. Damals schenkte er mir ein seidenes Tuch. (Zieht es hervor.) Hier ist es. Und wenn ich verhungern müßte, das Tuch verkaufe ich nie.

Petra (ballt das Tuch mit der Hand zusammen und ahmt Pepper nach): »Du kannst es zusammenknutschen. So, und jetzt öffne ich die Hand, und bumms ist es wieder so.« – Wie hat er sich darüber gefreut.

Grischa: Wie ein Kind. – Nasdorowje, Boris Georgewitsch! Skol Petra! Prost Mutter Mewes!

Mewes: Ich bin gleich zurück. Ich stelle nur die Mülleimer hinaus. (Ab zur Küche.)

Petra: Prosit! (Trinkt.)

Fürst: Petra, bitte trink nicht so viel.

Petra: Laß mich doch wieder einmal trinken. Wir sind so vergnügt. Glaubst du denn nicht daran, daß er kommt?

Fürst: Es kann noch sein.

Grischa (spielt froh »La Paloma«).

Petra: Es laufen Schiffe ein und aus, bei Tag und Nacht, zu jeder Stunde. (Lauscht.) Jetzt! Jetzt kommt er!

Fürst: Nein! Das ist Mutter Mewes. Ach Petra, du bist furchtbar erregt.

Petra (ruft): Mutter Mewes! Mir fällt ein: Steht vielleicht noch etwas auf dem Kuvert, wo der Zettel in war?

Grischa: Auf dem Packpapier, wo die Flasche in war?

Mewes (außer Atem, schüttelt den Kopf).

Petra (zu Mewes): Ja? Wie war die Flasche verpackt?

Fürst: Und wie war sie adressiert?

Grischa: Vielleicht hat sie das Packpapier noch.

Mewes: Es ging gar nicht an mich, sondern an die Reederei. Die kennen mich seit vielen Jahren und haben mich benachrichtigt. Und ich habe die Flasche und den Zettel abgeholt, so wie ihr's hier vor euch habt. (Sie wischt sich die Augen.)

Fürst: Wann traf denn die Sendung bei der Reederei ein?

Mewes: Bei der Reederei? – Ja – mein Gott. Ich bin ganz wirr – sie traf ein – vor zwei Monaten.

Fürst: So lange ist es her?

Grischa: Vor zwei Monaten?

Petra: Redet nur! Ich rede heute noch mit ihm selber.

Mewes: Der Rest aus der Pulle. (Will einschenken.)

Petra: Wir wollen das aus Peppers Flasche trinken!

Fürst (nimmt ihr die Flasche aus der Hand): Wir wollen Peppers Flasche erst ausspülen. Sie steht seit zwei Monaten –

Mewes (nimmt die Flasche dem Fürsten aus der Hand): Hans Peppers Flasche stand verschlossen unter Glas. Und wenn sie Dreck enthielte, der Dreck wäre heilig.

Fürst (zu Mewes): Nanu? Wo ist denn auf einmal dein Humor, Mutter Mewes? Du bringst den Gruß von Hans Pepper, und wir freuen uns darüber und über die lustige Idee mit der Flasche, und du machst einen Ernst darum und ein sentimentales Pathos. Wer sagt dir, daß Hans Pepper aus der Flasche getrunken hat?!

Mewes: Das kann man wirklich nicht sicher sagen.

Petra: Ich kenne Hans Pepper besser als ihr. Er hat daraus getrunken. Mutter Mewes, kommt Hans Pepper heute?

Mewes: Nein.

Petra: Geh du! Ihr kennt ihn alle nicht wie ich.

Grischa: Ob er heute kommt oder morgen, er hat bestimmt versucht, was er konnte. Wie spät ist es? – Ach, ich muß fort.

Mewes: Ich muß etwas sagen, und ich kann es nicht. Keiner von euch hat bisher gefragt, woher die Flasche kam –

Fürst: Ja, woher?

Petra: Woher kam sie?

Mewes (räuspert sich heiser): Diese Flasche wurde – verkorkt und mit Margarine eingefettet – treibend aufgefischt – sieben Seemeilen südöstlich von der Insel Martinique. Sie enthielt die letzten Grüße von fünfzehn Seeleuten eines Schoners, die teils im Wasser, teils im Feuer umgekommen sind. – Unter den Grüßen war der an Petra. Und die Flasche hat mir die Reederei überlassen.

(Pause)

Grischa (schluchzt).

Fürst (tritt zu Petra): Ach Mutter Mewes, warum sagst du das so spät?

Mewes: Ich habe es nicht übers Herz gebracht. – Fünf Freunde – (Sie preßt ihr Tuch an die Augen und geht in die Küche.)

(Pause)

Fürst: Arme Petra. Dort ist ein Sofa. Leg dich ein wenig.

Petra: Ich danke.

(Pause)

Mewes (mit einem vertrockneten Kränzchen): Das habe ich damals geflochten, als ich es erfuhr. Es hat bis gestern an dem Krokodil gehangen. Aber dann nahm ich es fort. Ich wollte euch nicht erschrecken. Ich habe nicht viel Andenken von ihm. Man hat nie daran gedacht. (Sie hängt Kranz an Krokodil.)

(Pause)

Hans Pepper kommt nicht mehr.

Grischa: Ich muß fort. Leb wohl, Petra. (Küßt ihr die Hand.)

Petra: Leb wohl, Grischa, ich möchte dich ans Schiff begleiten, um dir nachzuwinken. Aber ich zwinge es jetzt nicht.

Grischa: Leb wohl, Boris Georgewitsch. (Küßt ihm die Hand.)

Fürst: Lebewohl, Grischa. Lebewohl.

Grischa: Lebewohl, Mutter Mewes. (Küßt ihr die Hand.)

Mewes: Alles Gute mit dir, mein Junge. (Sie bringt ihn hinaus und schließt die Tür hinter ihm ab. Zurückkehrend.) Ich habe abgeschlossen. Heute soll kein Gast mehr herein.

(Pause)

Fürst: Petra?

Petra (verträumt): Zwischen Korallen – Stücken von Schiffe – Perlmutter –

Mewes (streichelt Petra.) Arme Petra. Gutes Kind.

Fürst: Petra –?

Petra (ohne ihn anzusehen): Du wolltest die Flasche erst ausspülen.

Fürst: Ach Petra, wer hätte dieses Ende geahnt. – Mutter Mewes, was wird nun? Sagen Sie etwas. Petra ist doch Ihre Tochter.

Petra (reicht Mutter Mewes die Hand): Sie ist nicht meine Mutter. Sie ist meine Freundin. (Lächelnd zu Mewes.) Soll ich Kellnerin bei dir werden? – Ich will etwas trinken. (Nimmt die Flasche.) – Die Flasche ist ausgetrunken – mein Leben ist leer –

Mewes: Nein, Petra, es geht weiter. Meine gute Petra. Und du wirst nicht Kellnerin. Du warst immer mein freies Kind.

Petra: Dein freies Kind.

Mewes: Mein ertrunkener Mann hat dich von seiner ersten Frau übernommen. Die war eine Norwegerin. Deren Mann ist auch ertrunken – Drei Ertrunkene gaben dich zurück.

Petra: Drei Ertrunkene gaben mich zurück – an wen zurück? – (Draußen Stimmengewirr. Es wird gegen die Tür geklopft.) Gäste kommen, Mutter Mewes.

Mewes: Sie sollen nicht herein. (Löscht die Kerzen und das elektrische Licht.) Wir wollen leise sein. Heute kommt niemand herein.

Petra: Mach Licht, Mutter Mewes! Laß sie herein!

Mewes (macht Licht): Petra, wäre es nicht besser – –

Petra (zu Mewes): Stelle die Flasche dort auf das Bord.

Mewes (stellt die Flasche ins Regal): Ja, Petra.

Petra: Nein, noch höher – ganz oben.

Mewes (steigt auf einen Stuhl): Hierhin?

Petra: Nein, mehr rechts. An die Ecke. (Draußen zunehmender Lärm und Pochen.) Ja, so ist's recht. Dort soll sie stehen. – Wie ein Leuchtturm steht sie da. – Schließ auf, Mutter Mewes! Laß die herein! Sie kommen von Bord. Von See.

Mewes: Soll ich sie wirklich einlassen?

Petra: Ja, öffne, sonst öffne ich.

Mewes: (geht zur Tür).

Fürst (erhebt sich): Ich wage kein Wort. Aber ich weiß auf einmal alles – (Er blickt Petra lange an.) Adieu Petra. – Vier Ertrunkene gaben dich zurück. (Geht ab. An ihm vorbei strömen lärmende Seeleute herein.)

Petra: Seeleute kommen!!!

 

Ende


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