Joachim Ringelnatz
Die Flasche und mit ihr auf Reisen
Joachim Ringelnatz

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Zürich, leider nur ein Tag Zürich

Ich führte mein Ensemble in den billigen Gasthof »Zum goldenen Sternen«, den ich von frühren Jahren her kannte. Er hatte aber inzwischen den Besitzer gewechselt, war modernisiert durch Fließendes Wasser und erhöhte Preise, und niemand dort erinnerte sich meiner. Das Fließende Wasser wurde uns vom Portier anderntags immer wieder unter die Nase gerieben.

Die Aussichten für den Theaterbesuch standen schlecht. – Ein gefährliches Föhnwetter attackierte meine Stimmbänder. – All meine Züricher Freunde traf ich an den Orten, wo ich sie vermutete, nicht an. Erst abends am Eingang vom Theater fand ich sie treu versammelt, den herrlichen Maler Hügin, den Bildhauer Haller und andre Künstler mit Familie oder Gesellschaft und sogar aus weit entfernter Heimat der verehrte Maler Professor Deußer. Mit diesen allen habe ich später die ganze Nacht bis zum hellen Morgen verbracht und bereue es nicht, trotzdem ich dafür eine tödliche Müdigkeit auskämpfen mußte.

Die Züricher Aufführung der Flasche wurde die beste auf unsrer ganzen Rundfahrt, sowohl in bezug auf Aufnahme und Applaus wie auch in pekuniärer Hinsicht. Ein geistig hochstehendes, elegantes Publikum, entgegenkommendes Personal, eine höfliche und fürsorgliche Direktion. – Von Trude Hesterberg lag ein Kartengruß an mich im Büro. Sie hatte vor uns dort gastiert mit einem Ensemble, das fernerhin auch in andren Orten uns bald vorausging, bald folgte. Zwischen dem zweiten und dem dritten Akt half ich einer Garderobiere mit ausgebreiteten, schwankenden Armen Garn abwickeln, wie ich das als Kind bei meiner Mutter gelernt hatte.

Wir verbrachten köstliche Stunden in der schönen Stadt Zürich. Aber am nächsten Tag hieß es ganz früh aufstehen, um die weite Reise nach München anzutreten. Wir frühstückten in dem rühmlichst bekannten Restaurant des Hauptbahnhofes.

Eine nicht enden wollende Bahnfahrt in überfüllten Wagen. Nicht einmal unterwegs eine Gelegenheit, unsere müden Glieder auszustrecken. Wir gähnten und stöhnten, hockten uns so hin und dann so hin, nickten für ein paar Minuten ein, bis uns irgendein schmerzender Knochen wieder aufschreckte. Die Zeit schien stehenzubleiben. Wenn ich an den leeren Kupees erster und zweiter Klasse vorbeiging und die unbesetzten, gepolsterten Bänke sah, war ich dem Weinen nah. Dennoch versuchten wir uns gegenseitig zu erheitern. Wir witzelten über eine bäurische Schweizerfamilie, deren vier runde und gesunde Mitglieder wie Nilpferde aussahen und wie Nilpferde riesige Bissen verschlangen. Den Dialekt dieser Leute konnten wir ebensowenig verstehen wie sie unsere Peux-Sprache, die wir gelegentlich zum Zeitvertreib einsetzten. Es war schwül in unserem Abteil und dabei gleichzeitig zugig, weil die unempfindlichen Nilpferde alle Fenster aufrissen. Trotzdem ich mich mit Rauchen und Trinken in acht nahm und unsere gesamten aus Ems mitgebrachten Vorräte von Emser Salz vergurgelte, nahm meine Heiserkeit doch zu. Ich spürte Fieber und wurde um mein Auftreten in München besorgt. Aber die malerischen Aussichten auf die Alpen lenkten ab. Mutter Mewes und Petra begeisterten sich am Anblick schneebedeckter Bergspitzen.

Die schweizerischen, österreichischen und deutschen Zollbeamten ließen uns fahrende Artisten unbehelligt passieren.

Ich zählte mein Geld nach. Es reichte doch nicht aus, um M. nach München kommen zu lassen, was ich gar sehr gewünscht hätte. Petra, der ich dies Leid klagte, sagte sofort: »Zieh doch die Franken zurück, die du der Sitty-Kasse gestiftet hast.« So gute Freundschaft hielten wir noch.

Pasing. O Gott! Jetzt nur noch zehn Minuten!! Ein ehemaliger Nordhäuser Schauspieler – durch eine Depesche benachrichtigt – empfing meine Kollegen in München am Bahnhof und hatte schon Zimmer für sie belegt.


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