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Die böse Frau

Ein stürmischer Novembernachmittag war es. Herr Bäckermeister Butz saß gemütlich am Fenster seines Wohnzimmers zu ebener Erde und rauchte seine Pfeife. Er sah hinaus auf den Marktplatz und hatte seinen Spaß an dem bunten Gewimmel vor seiner Tür. Die Leute flogen fast in die Luft bei dem heftigen Sturm und dem argen Schneetreiben. Hier klappte dem einen der Schirm in die Höhe, daß dieser alle Arme gen Himmel streckte, – dort riß der Wind einem andern die Mütze vom Kopfe, und der mußte hinterherjagen, um sie wieder zu erwischen, jetzt fuhr er unter das schützende Schirmdach einer Höckerin, welche Äpfel feilbot, hob es hoch in die Luft und sauste wie toll damit über den Marktplatz. Die Frau lief ihm nach, in der Eile warf sie einen Korb mit Äpfeln um, daß diese lustig in den hartgefrorenen Schnee kollerten. Schnell machten sich ein paar Kinder, die in der Nähe standen, darüber her und fingen an aufzulesen; jedes wollte die meisten haben, sie zankten sich darum, stießen sich mit den Ellbogen und endlich purzelten sie in einem Knäuel zur Erde nieder.

Herr Butz fing laut über diesen kleinen Vorfall an zu lachen.

»Was lachst du denn?« fragte seine Frau und trat aus dem Verkaufsraum, der sich dicht nebenan befand und dessen Tür stets geöffnet war, in das Wohnzimmer. »Was gibt es denn?«

Er zeigte mit der Pfeife auf den umgefallenen Korb. »Sieh nur,« sagte er, noch immer lachend, »ist das nicht komisch?«

»Wenn es weiter nichts ist,« entgegnete sie mürrisch, »ich weiß nicht, wie man darüber lachen kann. Ist denn die Schule noch nicht aus? Ich will froh sein, wenn die Kinder erst zu Hause sind, die armen Würmer werden tüchtig durchfroren sein, es ist ja ein Wetter, daß man keinen Hund hinausjagen möchte.« Sie setzte bei diesen Worten drei Paar warme Kinderschuhe von verschiedener Größe unter den Ofen und schob die Kaffeekanne an eine recht heiße Stelle in demselben. Dann begab sie sich in das kleine Gemach zurück, in welchem auf Fächern an den Wänden Körbe mit duftendem Weißbrot standen, und nahm dann wieder ihren gewöhnlichen Platz dicht an dem großen Bogenfenster ein, das nach dem Hausflur hinausging.

»I,« sagte Herr Butz, »mach nicht so viel Umstände mit den Jungen! So ein bißchen Schnee und Wind schadet ihnen nichts, sie werden nicht davon sterben. Ich habe anders hinaus gemußt, als ich jung war. Wer hat mich gefragt, ob ich fror oder nicht? – Niemand! Um fünf Uhr morgens hieß es: Marsch, die Semmeln austragen! Winter und Sommer, alles einerlei. Es hat mir nichts geschadet, war gesund dabei wie ein Fisch.«

»Ja du,« rief die dicke Frau von nebenan, »du warst auch ein wahrer Russe von Jugend auf, unsre Kinder sind anders geartet, sie sind viel zarter als du. Wenn ich nur daran denke, daß Bruno früh fünf Uhr heraus müßte in die Kälte und Dunkelheit!« – sie schüttelte sich ordentlich bei dem Gedanken – »es wäre fürchterlich!«

»Wär auch kein Unglück; was der Vater tun mußte, ist für den Sohn keine Schande. Der Junge wird eingesegnet zu Ostern, dann nehme ich ihn ins Geschäft, und daß er so gut wie ich von der Picke auf dient, darauf kannst du dich verlassen, – er soll ein richtiger Bäckermeister werden.«

Frau Butz sprang ordentlich von ihrem Stuhle in die Höhe und wurde so rot im Gesicht wie ihre Haubenbänder, die bei ihrer heftigen Bewegung hintenüberflogen. Die Arme in die Seite gestemmt, stellte sie sich in den Türrahmen, und mit zornigen Worten fuhr sie ihren Mann an:

»Das wird sich finden,« schrie sie förmlich – »darüber habe ich auch ein Wörtchen mitzureden. Ein Bäcker wird er nicht, sage ich dir, und wenn du dich auf den Kopf stellst!«

Herr Butz blieb unverändert ruhig, er ärgerte sich niemals über die Zornausbrüche seiner Frau, und das gerade machte sie noch aufgeregter. Er antwortete nicht und rauchte ruhig weiter. –

»Du bist ein Rabenvater,« fuhr sie grimmig fort, »wenn es nach deinem Willen ginge, könnten die Jungen sterben und verderben. Aber ich bin auch noch da, und daß Bruno nicht Bäcker, sondern Kaufmann wird, dafür werde ich sorgen. Punktum! Was meinst« – –

»Es klopft jemand an das Fenster nebenan,« unterbrach Butz sie in der größten Ruhe; »willst du nicht öffnen?« –

Sie mußte abbrechen und hätte doch gern noch so vieles von der Leber heruntergeredet; der Ärger, daß sie es nicht konnte, lag noch auf ihrem Gesicht, als sie das Fenster in die Höhe schob und den Davorstehenden fragte, was er haben wolle.

Es war dies ein elender, kleiner Mann, der Musikant aus dem Hinterhause, der zwei Semmeln von ihr verlangte. Er zitterte vor Kälte, und als er die Semmeln in Empfang nehmen wollte, überfiel ihn ein krampfhafter Husten, so daß er sich an die Wand lehnen mußte, sonst wäre er umgefallen.

Frau Butz sah teilnahmlos auf den leidenden Mann, der kaum noch in Haut und Knochen hing. Es ist wahr, sie hatte sich an seine jammervolle Gestalt längst gewöhnt in den fünf Jahren, die er nun schon in ihrem Hause wohnte, aber sie mußte doch sehen, daß der Ärmste heute ganz besonders litt, und daß es wohl nicht mehr lange mit ihm dauern würde; indes sie gab nicht weiter darauf acht, hielt ihm die Semmeln hin, und als er nicht zugreifen konnte, legte sie dieselben auf dem Sims, der längs des Fensters hinlief, nieder. Es wurde ja kalt im Zimmer, wenn das Fenster so lange offen blieb; sie schloß dasselbe und ließ sich in ihrem Lehnstuhl nieder.

Der Bäckermeister hatte auch den Musikanten husten hören und sich von seinem Platz erhoben. Schweigend schritt er zur Stubentür hinaus, die in den Hausflur führte, auf den kranken Mann zu und legte den Arm schützend um dessen Schulter.

»Das ist ja ein Teufelshusten,« sagte er gutmütig.

»Kommen Sie einen Augenblick in das Zimmer, Herr Brandt, und wärmen Sie sich. In dem dünnen Röckchen müssen Sie auch nicht ausgehen bei solcher Kälte, Sie sind so nicht der Stärkste.«

Wie ein Kind ließ sich der Kranke die Stufen hinauf in das Zimmer führen, und hier sank er ganz erschöpft auf den nächsten Stuhl.

Frau Butz war durchaus nicht erfreut über diesen Besuch; was ging sie fremdes Elend an. Sie hatte niemals Sinn dafür gehabt, niemals überhaupt in ihrem Leben Gutes getan. Nur an sich und ihre Kinder dachte sie, besonders an ihren Ältesten, Bruno, den sie abgöttisch liebte und verzog. ›Bettelgesindel‹, wie sie alle Hilfsbedürftigen zu nennen pflegte, hielt sie sich vom Halse, »denn,« so sagte sie, »gebe ich heute dem einen, so kommen morgen zehn andre, die auch haben wollen.«

Es fiel ihr auch jetzt gar nicht ein, die geringste Stärkung dem elenden Manne anzubieten; ärgerlich schielte sie in das Wohnzimmer hinein und auf die frischgescheuerten Dielen, die derselbe mit seinen nassen Füßen etwas beschmutzt hatte; sie konnte denn auch nicht unterlassen, ihm verdrießlich zuzurufen, daß er ein andres Mal sich besser abtreten möge.

»Da, Herr Brandt, trinken Sie ein Glas Wein,« sagte der Bäcker freundlich, »er ist gut und wird Sie stärken.«

Hatte sie recht gehört? Wein reichte er ihm, am Ende gar aus ihrer Flasche, die sie im Schranke in einer Ecke aufbewahrte, aus der nur Bruno, wenn der arme Junge so viel Schularbeiten zu machen hatte, ein Gläschen zu seiner Stärkung erhielt, – sie mußte sich sofort davon überzeugen. – Richtig! Es war der schöne, teure Wein, den ihr Mann da mir nichts, dir nichts dem Bettelmusikanten vorsetzte.

»Der Wein gehört Bruno,« rief sie erbost, »er hat ihn von mir,« sie betonte die letzten beiden Worte ganz besonders stark und tupfte dabei dreimal mit ihrem dicken Zeigefinger gegen ihre Brust – »von mir zu seinem letzten Geburtstag erhalten.« –

Dicht trat sie auf ihren Mann zu, um ihm die Flasche aus der Hand zu nehmen.

»Das weiß ich wohl, Frau,« entgegnete Herr Butz, »glaubst du denn, daß er deshalb dem kranken Manne weniger gut bekommt?« Und er behielt die Flasche, die noch über die Hälfte gefüllt war, fest in der Hand. »Hier, nehmen Sie den Rest mit hinaus in Ihre Wohnung, Herr Brandt, und trinken Sie fleißig davon; wenn der Wein alle ist, gibt es mehr von der Sorte.«

Und er drängte dem Musikanten, der ängstlich die zornig aufgeregte Frau ansah, die Flasche gewaltsam auf. »Und hier sind Ihre Semmeln,« fuhr er fort, ging in das Verkaufslokal, nahm eine Tüte vom Nagel, steckte mehrere Semmeln hinein und legte obenauf eine schöne Brezel mit Rosinen. Die giftigen Blicke seiner Ehehälfte, die sein Tun und Handeln beobachtete, prallten sämtlich an ihm ab.

»So,« sagte er und zeigte auf die Brezel, »die ist für Ihre Kleine. Das Kind sieht auch recht elend aus.«

»Das ist wohl ein Wunder!« stieß die Frau höhnisch hervor. »Vom Musikmachen ist noch keiner fett geworden. Es ist ein wahrer Skandal mit dem ewigen Fiedeln! Von früh bis in die sinkende Nacht muß man es mit anhören, man möchte sich die Ohren davor verstopfen, übrigens, Herr Brandt, daß Sie es wissen, der Schuhmacher, der unter Ihnen wohnt, hat sich beklagt über die unvernünftige Dudelei, lieber will er ausziehen zu Neujahr, als daß er sie noch länger erträgt. Daraus wird aber nichts! Der Schuhmacher ist ein ordentlicher Mann, der pünktlich seine Miete zahlt, lieber kündigen wir andern Leuten.«

Sie sah den Musikanten scharf an bei ihren Worten, als wollte sie ihn fragen: »Hast du wohl verstanden, daß ich dich damit meine?«

»Haben Sie nur noch wenige Wochen Geduld, Frau Butz,« bat dieser flehend und sah sie kläglich an – »dann zahle ich Ihnen gewiß den letzten Rest der Miete. Es muß doch endlich besser mit mir werden und ich kann wieder Geld verdienen. In der nächsten Woche trete ich wieder in die Kapelle ein, der Musikdirektor hat mich eben angenommen und hier, dieses Geld« – er nahm drei Mark aus seiner Tasche und zeigte sie, »hat er mir auf Abschlag vorausgegeben –«

»Darauf ist kein Verlaß,« erwiderte sie hart, »das sind leere Versprechungen.« –

»Nein, nein, es ist die Wahrheit! – Er meint es ehrlich, würde er mir sonst das Geld gegeben haben? O, liebe Meisterin, – lassen Sie mich nur nicht ausziehen – nur das nicht! Wenn der Schuhmacher des Kindes Übung nicht mehr anhören will, – soll es weniger spielen, oder gar nicht. – – Meine kleine Mignon gar nicht« – und Tränen zitterten in seiner Stimme – »gar nicht soll sie spielen. – Das wird ihr Kummer machen, die Geige ist ihr einziges Glück.«

»Lassen Sie es gut sein, Herr Brandt, meine Frau meint es nicht so böse,« brach der Bäcker seiner Frau das Wort vom Munde, – sie hatte denselben bereits geöffnet, um eine neue Bosheit zu sagen. »Gehen Sie getrost und ohne Sorge, vom Ausziehen ist keine Rede.« Und er schob den kleinen Mann, der ihm einen unaussprechlich dankbaren Blick zuwarf, zur Tür hinaus und ging selbst hinterher, denn das Ungewitter, das sich jetzt über seinem Haupte entladen würde, hatte er trotz seiner gewohnten Ruhe nicht die Lust abzuwarten.

Wütend sah seine Frau ihm nach, und als der Kater, der sich eben in das Zimmer geschlichen hatte, sich schnurrend an ihre Füße schmiegen wollte, gab sie ihm einen Fußtritt und warf ihn zur Tür hinaus. An etwas mußte sie doch ihr Mütchen kühlen.


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