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II.

Herr Feuillard erzählt, was er weiß.

Jean Mareuil hatte sich bei seinem Freunde Feuillard, dem weltmännischen Anwalte der vornehmen Pariser Gesellschaft, telephonisch angemeldet. Gegen sieben Uhr abends läutete er in seiner Wohnung an. Ausnahmsweise wollte er mit Feuillard der Erstaufführung eines lyrischen Dramas beiwohnen. Da Mareuil das Bedürfnis hegte, mit dem Gentleman-Notar etwas zu besprechen, hatten sie ausgemacht, miteinander nach der Vorstellung in einem Kabarett zu soupieren.

Der Notar erwartete bereits »in der Löwenhaut« seinen Freund. Sie trugen beide den nämlichen Abendanzug, dazu den schwarzen »Mac-Farlane«, ebenso die gleichen Seidenzylinder und das weiße Halstuch. Selbst was den Spazierstock aus schwarzem Ebenholz anbetraf, suchte es der Notar dem Dandy gleichzutun. Dennoch herrschte zwischen der natürlichen Vornehmheit Jean Mareuils und dem etwas banalen Schick des Juristen ein bedeutender Unterschied. Immerhin konnte man nachts, noch dazu in einer schlecht erhellten Straße, nur schwer den Klubmann vom andern unterscheiden.

»Da bist du ja, hübscher Bengel!» begrüßte Feuillard Mareuil.

Und als Mareuil mit komisch-gekränkter Geste abwehrte, fügte der Notar bei: »Doch, doch, Prinz. Scharmant! Du weißt sehr gut, Kanaille, wie entzückend du bist. Schaut mir einmal diesen jungen Antinous an! Bitte, geh einen Schritt vor, Jean, daß ich dich mit Muße betrachten kann. Einen zweiten solchen Gang gibt es nicht. Wo hast du, zum Teufel, diese Grazie und Geschmeidigkeit her? ... Du willst es mir nicht verraten? ... Dann nicht! ... So erzähle mir, was du auf dem Herzen hast. Um was dreht es sich? Um eine hypothekarische Vermögensanlage? Oder den Ankauf einer Liegenschaft? ... Gehn wir hinunter. Unterwegs kannst du mir den Fall erzählen.«

»Es handelt sich um etwas ganz anderes«, erwiderte Mareuil.

»Heirat?«

»Ja.«

»Wer ist die Glückliche?«

»Gilberte, die Tochter des verstorbenen Afrikaforschers Laval. Warum schmunzelst du?«

Sie nahmen einen Wagen.

»Ich schmunzle, mein lieber Alter, weil ich mit deiner Wahl zufrieden bin, sehr zufrieden. Fräulein Gilberte ist ein anbetungswürdiges junges Mädchen, dem man nur das Allerschönste nachsagen kann. Vielleicht ist die junge Dame etwas verzogen – du verzeihst doch? –, aber ansonsten besitzt sie, wie es allgemein heißt, einen aufrechten, geraden Charakter.«

»Ich hätte dich nicht für so unterrichtet gehalten!«

»Nun, du hast Glück, wie immer. Ich bin nämlich der Rechtsfreund der Familie«, entgegnete der Notar. »Ferner schmunzelte ich, weil mir ihre Tante, die Gräfin Prase, und deren Nichtsnutz von Sohn einfielen.«

»Wieso?«

»Wieso? Weißt du nicht, daß du ihre schönsten Hoffnungen zunichte machst?«

»Mein Gott!« Mareuil zuckte unbefangen die Schultern. »Ich muß dir gestehn, daß ich von der Familie der Lavals so gut wie nichts weiß.«

Der Notar blinzelte ihn ungläubig an. Jean Mareuil senkte den Blick und spielte geistesabwesend mit seinen Handschuhen.

»Na, höre mal, du hältst mich wohl zum besten?« meinte Feuillard. »Mit dir weiß man nie, wie man daran ist.«

»Aber ich versichere dir, liebster Freund,« – und Mareuil richtete den klaren Blick seiner stahlgrauen Augen, die Güte, Klugheit und Willensstärke bekundeten, auf den Notar – »ich weiß nichts von den Lavals, und wenn du mir etwas über sie und die Prases mitteilen kannst, tue es, ohne Rücksicht darauf, daß ich Gilberte liebe und sie zu heiraten gedenke. Bisher lag es mir vollkommen fern, in die Zukunftspläne der Gräfin und ihres Sohnes eindringen zu wollen. Die alte Dame lernte ich übrigens erst vor ganz kurzer Zeit kennen, während ich ihren Sohn ab und zu treffe. Er ist mir nicht sehr sympathisch, jedenfalls völlig gleichgültig. Beifügen möchte ich noch, daß ich dich nicht aufsuchte, um Erkundigungen über die Leute einzuziehen, sondern damit du mir erklärst, was eigentlich ein ›Ehekontrakt‹ ist.«

»Gut«, nickte der Notar. »Verzeihe mein Zögern. Aber mir als Juristen kommt es natürlich spaßig vor, wenn sich jemand blind und taub auf etwas einläßt. Weißt du, wir vom Fach geben nicht Liebende zusammen, sondern wir vereinigen Familien, die glauben, zueinander zu passen. Deshalb war ich vorhin etwas erstaunt. Und dann, mein guter Alter ... ich kann mich absolut nicht an die Art gewöhnen, die du manchmal hast.«

»Himmlischer Vater, was hab' ich denn für eine Art?!«

»Wenn du ins Träumen gerätst, dich in dein Inneres zurückziehst, wie eine Schnecke in ihr Haus, scheinst du so fernab, so zerstreut und mit dir selbst so beschäftigt zu sein, daß man sich oft fragt: weiß er überhaupt, was er eben sagte?«

Jean Mareuil lachte.

»Wahrscheinlich beschäftigt mich in solchen Augenblicken gerade ein Problem, oder irgendeine Arbeit geht mir im Kopfe um.«

Feuillard betrachtete ihn ein Weilchen.

»Du bist eine Type für dich!« erklärte er. »Ich werde ins Grab sinken, ohne dich je verstanden zu haben, Dichter, Philosoph, Künstler. Du Inbegriff eines rätselhaften Menschen!«

»Also ich höre«, erwiderte Jean Mareuil. »Erzähle! ... Es waren ...«

»Es waren einmal zwei Schwestern, die Fräulein von Osmond. Die ältere, Elisabeth, ehelichte einen armen Offizier, den Grafen von Prase. Die jüngere und weit hübschere, Jeanne, wurde von einem sehr bedeutenden und sehr reichen Manne, dem Erforscher von Zentralafrika, Guy Laval, als Gattin heimgeführt. Etwa zehn Jahre nach ihrer Hochzeit wurde die ältere Witwe. Hauptmann Graf Prase starb den schönsten Tod, den es für einen Soldaten gibt. Er fiel auf dem Felde der Ehre. Der Graf hinterließ einen Sohn, Lionel ... Du folgst doch meiner Erzählung, Jean?«

»Aber gewiß, mein Alter!«

»Du siehst nämlich aus, als weiltest du in Gedanken auf dem Monde. Ich fahre also fort. Seine Witwe saß ohne Geld da. Aber ihre Schwester, Frau Laval – die entzückende Frau Laval –, war ja mehrfache Millionärin. Sie bewohnte am Saume des ›Bois‹ in Neuilly ein großes Palais, und den Sommer verbrachte sie auf ihrer Herrschaft Luvercy, einem wahren Juwel von Besitz, das im Tale von Chevreuse liegt. All das stammte vom Vater Laval, der Industrieller war. Guy Laval und seine Frau beschlossen nun, die Gräfin Prase und deren Sohn aufzufordern, ganz zu ihnen überzusiedeln und ihr luxuriöses Leben zu teilen, was von den Prases mit Begeisterung angenommen wurde.

Du mußt auch wissen, daß Guy Laval und seine Gemahlin das reizendste Paar waren, das man sich denken kann. Sie lebten in glücklichster Ehe miteinander. Heute wären sie deine Schwiegereltern, und du hättest sie sehr lieb, hätte nicht ein widriges Schicksal sie von hinnen genommen. Beide vergötterten ihr Töchterchen, die entzückende, bildhübsche, kleine Gilberte. Allein Herrn Laval zog es mit unwiderstehlicher Gewalt zu seinem Berufe hin. Die Leidenschaft und Vorliebe für Gefahren, Reisen und Expeditionen in ferne Länder überwog seine Liebe zu Frau und Kind. Von den zwölf Monaten des Jahres weilte er kaum die Hälfte daheim. So ist es verständlich, daß er mit Freude die Gelegenheit ergriff, Schwägerin und Neffen aufzunehmen, damit seine Gattin ihre heißgeliebte Schwester zur Gesellschaft habe, womit er gleichzeitig ein gutes Werk tat. Dieses gute Werk verwandelte sich alsbald auch in ein gutes Geschäft, denn die Gräfin war ebenso ordentlich und sparsam, wie Frau Laval, die berückende Jeanne, flüchtig und verschwenderisch. Es dauerte nicht lange, und die gräfliche Witwe hatte zum Heile des Hauses Laval die Herrschaft über Dienstboten, Küche und Keller an sich gerissen.

So standen die Sachen ... Du hörst doch zu? Bist sicher, mir zuzuhören? ... Also! So standen die Sachen, sagte ich, als Frau Laval starb. Es sind, soviel ich mich besinne, etwa fünf Jahre her. Sie verschied zu Luvercy, als Guy Laval gerade zu Hause weilte, und das Tragische an ihrem Tode ist, daß der eigene Gatte an ihrem Sterben die Schuld trug.

Wenige Tage zuvor war Laval erst aus dem Innern von Afrika zurückgekehrt und hatte unter anderen Kuriositäten auch eine Anzahl Schlangen mitgebracht, die er dem Staat als Geschenk überweisen wollte.«

»Ich weiß«, nickte Jean Mareuil. »Ich erinnere mich des Falles, der in allen Zeitungen stand. Eines dieser Tiere entkam und biß Frau Laval nachts, als sie schlief?«

»Ganz recht«, erwiderte der Notar. »Guy Laval litt fürchterlich unter diesem Schicksalsschlage. Man fürchtete für seinen Verstand. Hervorgehoben muß werden, daß die Gräfin, die sich gleichfalls über den Verlust der Schwester bitter abhärmte, den Schwager hingebungsvoll pflegte.

Guy Laval blieb untröstlich. Er machte sich die furchtbarsten Selbstvorwürfe, er trage an dem Unglück die Schuld. Kaum war er wieder genesen und so weit wiederhergestellt, um reisen zu können, traf er Vorbereitungen zu einer neuen Expedition nach dem oberen Niger. Wer ihn damals sah, hatte das bestimmte Gefühl, daß er nicht zurückkehren würde. Alle Mühe, die man sich gab, ihm die Sache auszureden, war vergeblich. Nach sechs Monaten trat er die Fahrt an – und kam nie mehr wieder.

Ehe er Frankreich verließ, deponierte er bei mir seinen letzten Willen, dessen Fassung so bezeichnend war, daß über das Schicksal, das er sich selbst zu bereiten entschlossen war, kein Zweifel aufkommen konnte. In diesem Testament hatte Laval bestimmt, daß sich die Gräfin im Falle seines Ablebens seines innigstgeliebten Töchterchens Gilberte annehmen solle. – Gelegentlich eines Forschungsrittes, den er ganz allein unternahm – er hatte sich jedes Schutzgeleit verbeten –, fiel er unter den Hieben und Stichen eines wilden Stammes, den er in geradezu irrsinniger Weise herausgefordert hatte. Seine Leiche, die man später auffand, war von einer Unzahl von Pfeilen durchbohrt und entsetzlich verstümmelt.

Die Nachricht seines Todes stürzte das Haus Neuilly erneut in Kummer und Verzweiflung. Man munkelte damals allerhand. Einige wollten bemerkt haben, daß sich hinter dem Schmerz der Gräfin viel bittere Enttäuschung verbarg. Sie hatte sich ja den Kopf darüber zerbrochen, wie sie den Schwager in der Heimat zurückhalten könnte, denn nach dem Hinscheiden der Schwester eröffnete sich ihr anscheinend ein neuer Horizont. Offenbar hatte sie den Ehrgeiz, Jeannes Nachfolgerin zu werden, wenn Guy Laval sich erst über den Verlust seiner ersten Gattin etwas getröstet haben würde. Und da nun die Gräfin für die Liebe nicht so recht geschaffen ist, behauptete die böse Welt, sie könne es nicht verwinden, daß ihr die Lavalschen Millionen entgingen.

Diese Millionen begehrte sie allerdings nur für ihren Sohn. Das ist klar. Denn sie selbst ist eine bescheidene, manchmal fast unterwürfige Frau, aber eine heiß liebende Mutter. Lionel zählte damals siebzehn oder achtzehn, Fräulein Gilberte Laval etwa dreizehn Jahre. Das eine steht fest: Von jeher hatte die Gräfin mit dem Plan kokettiert, ihren Sohn Lionel mit Gilberte zu verheiraten. Aber die Verwirklichung dieses Plans stand noch in weiter Ferne. Tausend Dinge konnten die Sache durchkreuzen. Daher hätte sich die Gräfin vorerst einmal durch ihre Heirat mit Guy Laval gern mindestens einen Teil seines Riesenvermögens gesichert. Nun war durch Lavals Tod diese Hoffnung begraben, und die Gräfin kam auf ihren ursprünglichen Plan zurück, die Ehe zwischen Lionel und Gilberte.

Und jetzt willst du Fräulein Laval heiraten! Na, Mareuil, schläfst du? ... Woran denkst du?«

Der junge Mann zwinkerte mit den Lidern, als erwache er aus einem Traum.

»Ich dachte gerade an eine kleine römische Lampe, die ich heute nachmittags in der Auslage eines Antiquars entdeckte«, gab er zur Antwort. »Das Bronzelämpchen ist entzückend und hat eine goldene Viper als Henkel. Es würde sich gut in den Rahmen meiner Sammlung einfügen, und ich werde es mir wahrscheinlich leisten.«

Herr Feuillard war baff. Er fand nicht gleich die Worte. Eine derartige Gleichgültigkeit war ihm noch nicht vorgekommen. Er begann sich, zu ärgern.

»Zum Kuckuck«, rief er, ganz rot werdend. »Es verlohnt sich wahrlich nicht die Mühe, sich mit dir heiser zu reden. Du bist klassisch. Das kann ich dir schriftlich geben.«

»Vielleicht nur etwas phantastisch«, verbesserte Mareuil belustigt.

»Höre, hüte dich vor der Gräfin!« fuhr der Notar nach einer Weile fort. »Glaub' mir, mein Alter, nimm dich vor dieser Frau in acht! ... Nein, danke, vor Tisch rauche ich nicht.«

Jean Mareuil zündete sich eine Zigarette an. Die ersten blauen Wölkchen in die Luft blasend, erwiderte er gelassen: »Zur Sache, lieber Freund! Was ist also eigentlich ein Ehekontrakt?«

Der Wagen hielt, sie traten in das Kabarett ein.


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