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X.
Sieg der Liebe

Der Weringer kam denselben Tag nicht mehr heim; auch die folgende Nacht nicht.

Erst am nächsten Vormittage sah die Weringerin, besorgt nach allen Richtungen ausblickend, den Stangenschek die Gründlistraße heranschreiten, ihr Mann saß wohlbehalte auf dem Tier.

Aber sei ging ihm nicht entgegen.

Ihre Freude über die Heimkehr des »wilden Mannes« verbergend, ging sie ins Haus zurück und wollte es drauf ankommen lassen, was er sage und bringe. Jedenfalls blieb sie entschlossen, die Sache ihres Kindes frisch aufzunehmen.

Trapp, trapp –

Der Hufschlag tönte bald vom nächten Hause herüber, und nach wenigen Minuten schritt der Stangenscheck in den Weringerhof hinein.

Urban stürmte herbei, um das Tier in Empfang zu nehmen; aber der Weringer saß ab und führtr es selber in den Stall.

Hier blieb er so lange, bis alles, was auf die Pflege des Tieres Bezug hatte, bestens besorgt war; dann nahm er den neuen Zaum und ging mit dröhnenden Schritten durch die Hausflur nach der Stube, von hier nach der Kammer.

Bärbl hatte sich bei der Ankunft des Vaters versteckt und geschäftelte jetzt draußen herum. Die Mutter stand, als er durch die Stube ging, am Ofen, mit dem Mittagessen beschäftigt. Sie sagte nichts, und ihr Mann auch nicht. diese beklemmende Schweigsamkeit dauerte fort, als der Weringer schon eine gute Weile bei einem Morgenimbiss an dem Ecktisch saß; ja, er stand hernach ebenso schweigsam wieder auf und ging seinen Geschäften nach, als wäre nichts geschehen.

Kurz vor dem Mittagessen wollte Bärbl eben von der Hausflur her nach der Stube, als sie beim Öffnen der Türe sanft gegen eine breite Männerbrust stieß.

Ihren Vater bemerkend, der eben aus der Stube wollte, trat sie schnell bei Seite und suchte erschrocken und verlegen vorüber zu kommen.

Aber er streckte seinen Arm aus und führte sie milde an sein Herz zurück.

»Bleib' und höre«, sagte er mit einer Stimme, wie sie Bärbl nie gehört zu haben glaubte: »Es werden Leute kommen – Beistände werden kommen; und der Wolfgang Beck dazu. Ich hab' mit seinem Vater alles abgeredet. Jetzt kannst du ruhig sein.«

Bärbl brach in Schluchzen aus, drückte ihr Gesicht heftig an die Brust des Vaters und suchte mit bebenden Händen den Hals desselben. Der Weringer aber atmete tief auf und legte seine schwere Hand sänftlich auf das Haupt des Kindes.

Er war also entschlossen, Bärbl dem Zuge ihres Herzens folgen zu lassen. Dass er diesen Entschluss erst jetzt gestand, das hatte seinen guten Grund. Er musste vorher versichert sein, dass ihm der künftige Schwäher einige Bedingungen einräumen wolle, auf welche er großen Nachdruck legte. Darum hatte er heimlich einen Boten an den Beck nach Ettwangen gesendet, um ihn zu einer Besprechung einzuladen. In Folge dessen kamen beide Männer halbwegs zwischen Dobbl und Ettwangen in einem Wirtshause zusammen, und nachdem einige allgemeine Punkte vereinbart waren, bestand der Weringer darauf, dass die Verlobung sowohl als die Hochzeit in seinem Hause stattfinden müsste. Die Verlobung verstand sich eigentlich von selbst; aber die Hochzeit wollte der Beck im eigenen Hause halten. Es gab einen harten Kampf, und fast wäre das Glück der Kinder darüber in Trümmer gegangen. Der Weringer gab endlich unter der Bedingung nach, dass bei der Hochzeit alle Förmlichkeiten beobachtet würden, welche in seiner neuen Heimat Sitte wären, was der Beck auch gerne zugab; und so schieden die künftigen Schwäher doch noch als Freunde voneinander.

Jetzt hatte der Weringer nichts Dringenderes zu tun, als die Heirat auf das Schnellste zu betreiben.

Noch am Tag seiner Rückkehr teilte er seinem hocherfreuten Weibe bis ins Kleinste seine Anordnung mit, die auch ohne Widerstand genehmigt wurde. Der Weringer hatte nicht verhindern können, mit dem verhassten Ettwangen in so nahe Beziehung zu kommen; er wollte daher die Übersiedelung seiner Tochter fördern, solange die Eisenbahn noch nicht fertig war. So konnte er den Ort noch einmal in seinem alten Zustande sehen, dann wollte er ihn nie, nie wieder betreten!

Schon am dritten Tage nach Weringers Heimkehr traten in dessen Hause die »Beistände« beider Familien zusammen und vereinbarten die Mitgift. Sie wurde zu Papier gebracht, und der Bräutigam, der mitgekommen war, gab dem Bärbl fünf neue Krontaler zum üblichen Zeichen, dass der Bund mit Hand und Herz geschlossen war …

Alle Schritte zur Hochzeit folgten nun rasch. Eh noch vier Wochen um waren, hatte man alle kirchlichen und bürgerlichen Bedingungen, die vorhergehen mussten, erfüllt, und so erschien der Hochzeitmorgen selbst  …

Man schrieb den 19. Juni …

Schon um vier Uhr morgens riss ein furchtbarer Pistolenschuss durch die Luft; ein blaues Wölkchen stieg neben der Scheuer des Weringerhofes auf; Urban war der Vollzieher dieses ersten Freudensignals.

Wer noch nicht aufgestanden war, erhob sich jetzt mit dem Gedanken: »Das wird einen Tag geben! Ach, das gute Bärbl wird uns verlassen!«

Eine Versammlung von Wolken, die sich gegen Sonnenaufgang drohend aufgestellt, ging jetzt friedlich auseinander und ließ den Festtag zu einem schönen Tage werden.

Um sieben Uhr morgens standen bereits im Hofe, im Garten, in der nächsten Umgebung des Weringerhauses neugierige Zuschauer so dicht geschart, dass kaum ein Apfel hätte zu Boden fallen können; dabei herrschte eine fast andächtige Ruhe, als wollte man hören, was im Innersten des Hauses selbst vorgehe. In der Tat blieb diese Achtsamkeit nicht ohne Lohn: denn einmal rieselte ein ernstes Wort von Mund zu Mund – es hieß, der Weringer gebe jetzt seinem Kinde den Segen; viele Augen wurden feucht. Nach einer Weile lief ein neuer Bericht von Mund zu Mund – es hieß, der Weringer wolle Weib und Kind aufheitern, treibe Scherz und sein nie heiterer gewesen; dieser Nachricht folgt ein Lächeln auf mancher Lippe, das aber zu einem hellen Lachen wurde, als man hörte, der Urban gebärde sich so närrisch. Er sei in die Stube gedrungen, wo Bärbl im vollen Brautstaat, umgeben von Vater, Mutter, Geschwistern und Freunden saß, und habe Abschied nehmen wollen; anderthalb Worte seien ihm auch gelungen, die anderen seien stecken geblieben; dann habe er einen »Hupf« bis an die Decke gemacht, auf seine Schenkel geklopft, sich niedergeduckt und mit dem Zeigefinger lachend nach Bärbl gezeigt: »Du kriegst ihn!« habe er dann gerufen, sei wieder aufgesprungen, habe sich wie ein Wirbel um sich gedreht, sei in Tränen ausgebrochen und auf und davon; jetzt brülle er im Stalle herum dass die Wände Sprünge bekämen, und weine Tränen von der Größe erklecklicher Tannenzapfen.

Dieser Bericht war kaum zu Ende, als plötzlich – ein Richtscheit hätte die Gesichter nicht schneller und ebenmäßiger nach einer anderen Seite wenden können – an die hundert Pistolenschüsse abgefeuert wurden und alles nach der Gründlistraße blickte.

Denn der »Brautwagen« kam herauf. Es war ein großer Erntewagen, mit Leitern versehen und geziert mit Bändern und Streifen von Goldpapier. Von einer Leiter zur anderen schwangen sich zwei mit Tannenzweigen und Blumen umwundene Bogen, unter welchen in gerader Linie fünf Personen sitzen konnten. Auf diesem, von sechs Pferden gezogenen Wagen, saßen vorn auf einer Querbank die Musikanten, gleich hinter ihnen die »Gode« und die Brautjungfern aus Ettwangen.

Als der Wagen vor dem Weringerhofe ankam, stiegen Letztere schweigend ab, wurden in die Stube geführt und genossen den »Imbs«, ein Frühstück, wozu sie wacker Bier tranken und sich lustig aufspielen ließen. Nach dem Frühstück entstand eine kleine Pause, dann stimmten »Gode« und Brautjungfern ein sanftes geistliches Lied an und verließen mit allen Anwesenden die Stube; nur Bärbl, die Braut, blieb zurück und stellte sich hinter den Ofen.

Nach einer Pause kehrte sich die Gode draußen mit dem Gesichte gegen das Haus und sprach:

Wir grüßen euch, hoch und niedern allesamt!
Es wird euch sein gar wohl bekannt: –
Weringer langt uns eure Tochter heraus,
Die Jungfer Braut Bärbl genannt.
Wir haben ihr gebaut ein solches Haus,
Welches steht zu Ettwangen auf dem Plan,
Darin soll sie wohnen ihr Lebenlang;
Kyrie Eleison!

Dies wurde dreimal wiederholt.

Hierauf stiegen die Brautjungfern mit den Musikanten wieder auf den Wagen und sangen und spielten erst ein geistliches, dann folgendes weltliche Lied:

Die Braut im Haus
Die muss heraus;
Hinter der Tür
Und wieder herfür
Und wär' sie auch des Henkers schier!

Nun brachte ein »Brautknecht« einen Stuhl, stellte ihn an die rechte Seite des Brautwagens und stieg hinauf; ihm folgte ein zweiter Brautknecht mit dem »Brautrocken«.

Dies war kaum geschehen, als auch die Gode beim Wagen erschien und auf denselben stieg; sie hielt ein weißes Tuch in der Hand, welches der Braut über den Kopf gehängt werden sollte. Der Aufforderung der Gode gemäß, hatte sich inzwischen der Weringer nach der Stube begeben, um sein Bärbl zu holen, und erschien nun mit ihr, der Mutter, dem Vormund usw. auch vor dem Wagen, den sie nacheinander so bestiegen, dass sie sich in einer bestimmten Ordnung gegenüber zu sitzen kamen. Der Stuhl, auf welchem die Braut saß, hieß der »Freistuhl« und war ganz neu gemacht. Bärbl hatte sich kaum gesetzt, als ihr das weiße Tuch um den Kopf gehängt wurde, worauf sie diesen auf den Schoß der Gode legte. Man war so endlich mit allem in Ordnung gekommen, als ein Abgeordneter von der Brautseite sie Musikanten also ansprach:

Ihr Regalen, blaset auf!
Spielet neue Lieder drauf,
Setzt den Zinken an den Mund,
Lobet Gott zu aller Stund!

Alsobald spielten die Musikanten auf, und dazu ward gesungen:

In Gottes Namen fahren wir;
Bricht der Wagen, so halten wir etc.

Nun ward ein zweimaliger Versuch zur Abfahrt gemacht, der scheinbar nicht gelang; erst beim dritten Male ging es von der Stelle. Hinter dem Brautwagen her ritt ein Anverwandter, der verpflichtet war, die Braut, sooft sie angehalten würde, auszulösen.

Hatte die Abfahrt dieses Wagens die Aufmerksamkeit der Zuschauer in hohem Grade erregt, so wurde sie fast noch gespannter, als unter Pistolensalven der »Kammerwagen« Bärbls in Bewegung kam. Er enthielt die ganze Ausstattung der Braut und war mit den acht Pferden Weringers bespannt. Weil kein anderer Wagen große genug gewesen, den Reichtum von Hausgeräten auf einmal zu fassen, so war der einstige Lastwagen Weringers zu diesem Zwecke festlich bemalt und verziert worden; als Fuhrmann saß Weringers verheiratete Sohn Georg, der zur Hochzeit gekommen war, auf dem »Stangenscheck«. Welch ein prachtvoller Aufzug! Wie glänzten die Messingrosen des herrlichen Riemenzeugs, welches die Pferde fast bedeckte! Die Zuschauer jubelten hoch auf bei diesem Anblick; der junge Weringer aber seufzte still, dass es nicht mehr war wie einst, wo er mit seinem Vater so majestätisch durch die Welt hinfuhr.

In jedem Orte, durch welchen man kam, wurde Musik gemacht und gesungen, bis man endlich die Gemarkung von Ettwangen erreichte, wo der Bräutigam mit seinen Brautknechten und Gesellen stand, um die Braut zu empfangen. Eine kurze Strecke vor ihm wurde Halt gemacht; eine Brautmagd ergriff eine Spindel, spann, ohne stille zu stehen, drei Faden von dem Brautrocken ab, wand sie um die Spindel und warf sie hinter den Wagen, um das Unglück an der Grenze zurückzulassen. Während dies geschah, umritt der Wagenbegleiter dreimal den Wagen und trabte jetzt dem Bräutigam entgegen, den er mit einer langen Rede ansprach, in welcher die mit vielen Bibelstellen gezierte Geschichte des jungen Tobias erzählt ward. Nachdem er geendet hatte, traten die Brautknechte des Bräutigams herzu, und die der Braut mussten weichen; und jetzt ging es unter Musik und betäubendem Jubel der herandringenden Ettwanger dem Hause des Bräutigams zu. Dieser stieg vor demselben rasch ab und stellte sich unter die Haustür, während der Wagen mit der Braut sich langsam nahte. Stille haltend, wurde dieser noch dreimal umritten, und die Musikanten spielten ein geistliches Lied, wozu die Brautjungfern sangen. Nun kam der Bräutigam mit einem Stuhl, stellte ihn an die rechte Seite des Wagens, um der Braut herauszuhelfen; aber eh' sie noch den Boden berührte, hatte er sie schon mit starken Armen umfasst und trug sie nach der Stube, wohin nun auch ihr Gepäck gebracht ward. Hier erhielt das Brautpaar noch den fehlenden Blumen- und Bänderschmuck für die sofort folgende Trauung in der Kirche …

Unter solchen Festesförmlichkeiten hielt Bärbl ihren Einzug im lieben Heimatdorfe, das nun ihr Wohnort bleiben sollte; aber noch glänzender waren die Festlichkeiten, welche bei der Hochzeit folgten.

Zwei volle Tage dauerten diese; Wettrennen, Musik und Tanz, Schmausen und Zechen nahmen kein Ende.

Erst am dritten Morgen, nachdem noch die Familien der jungen Eheleute ein Frühstück im vertraulichen Kreise eingenommen hatten, brach der Weringer mi den Seinigen wieder auf. Er selber bestieg jetzt den Stangenschek, als es zum Dorfe hinausging.

Bärbl begleitete ihre Mutter eine Strecke zu Fuß. Sie hielten sich fest bei den Händen und sprachen kein Wort. Sie wollten einander verbergen, wie schwer ihnen der Abschied falle; nur das Zucken ihrer Lippen verriet die Wehmut, die sie bewegte.

Erst als auf einer Anhöhe die Mutter stehen blieb und sagte: »Bärbl, es ist genug; es muss sein; geh' heim, Kind, hier ist jetzt deine Heimat« – da weinte Bärbl laut auf und halste schluchzend ihre Mutter.

Der Weringer hielt stille, und sein Weib stieg auf. Jetzt reichte auch er seinem Kinde die schwere Hand vom Pferde, zog sie aber schnell wieder zurück, sagte: »Bärbl, komm auch bald einmal«, – und trieb die Pferde schneller an.

Bärbl blieb stehen und wechselte noch lange weinende Blicke mit ihrer Mutter; der Weringer aber starrte eine Weile stumm auf die Mähne eines Vorderpferdes, bis er seine volle Fassung wieder fand.

Dann erhob er stolz sein Haupt und blickte noch einmal nach Ettwangen hinab. Er sah das ganze Dorf seiner »achtspännigen« Heimfahrt zusehen. Viele winkten mit Tüchern und riefen ihm zu. Seine Antwort war, dass er seine acht Pferde umso stolzer antrieb. Er hatte erreicht, was er wollte: sein Andenken war lebhafter und glänzender als je wieder erweckt.

Der Weringer hatte bereits das Dorf aus den Augen verloren, als er auf seinem einstigen Felde das Wimmeln von Arbeitern noch sah, die gruben, schaufelten, karrten, um der Eisenbahn ihre Straße zu bauen; zugleich tönte aus den Eingeweiden der fernen Wälder von Zeit zu Zeit ein dumpfes Krachen: man sprengte Felsen, um auch unterirdisch jenem dämonischen Gefährte Raum zu geben. …


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