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VII.
In der neuen Heimat

Die Weningerin litt schwer an Heimweh. Sie war lange nicht zu bewegen, sich die neue Wirtschaft näher anzusehen. Nur was sie sozusagen vor den Fenstern hatte, wurde einer »Schau« gewürdigt.

»Da bin ich noch ein wenig daheim«, sagte sie, denn im Hofe ging ihr Gesinde hin uns wider, da standen Wagen und Werkzeuge, die sie kannte, im Stalle fand sie ihr Vieh, in der Küche ihre Geräte; höchstens den Obstgarten am Hofraum betrat sie in den ersten Tagen noch; ging ja ihr Geflügel, Hühner und Enten, dort vergnüglich hin und her.

Wer weiß, wie lange es so geblieben wäre, wenn nicht die Dorfkinder eine Wendung herbeigeführt hätten.

Es war Anfang Mai, der Wald hatte zu grünen angefangen, da versammelten sich eine Sonntags Knaben und Mädchen vor Weringers Hofe und riefen: »Laubmännle heraus! Laubmännle heraus!« Die Weringerin fragte am Fenster: »Wen meint ihr?« Die Kinder erwiderten: »Euer Severle!« Dieser hatte sich längst in der neuen Heimat zurechtgefunden und wusste, was bevorstand; wie der Blitz fuhr er zur Türe hinaus, dann ging's dem Walde zu. Die Kinder brachen nun Zweige von den Bäumen und banden sie um den kleinen Weringer, dass nur seine Schuhe sichtbar blieben. Wo die Augen waren, da wurden kleine Öffnungen gelassen, damit er wenigstens sehen konnte, was um in vorging. Als die grüne Umhüllung fertig war, wurde sie noch von allen Seiten mit farbigen Tüchern und Bändern behangen; dann nahmen die zwei ältesten Kinder das Laubmännle in die Mitte und führten es in das Dorf zurück, paarweise unter Jubel und Gesang folgten die anderen. Man zog nun wieder an den Fenstern des Weringerhofes vorüber und dann auf den Platz unter den Dorflinden, wo so lange getanzt und getollt wurde, bis Hunger und Müdigkeit eins nach dem anderen nach Hause trieb. Severle, der sich glücklich wieder aus den Zweigen gearbeitet hatte, sprang gegen Abend tanzend zur Türe herein und sang seiner Mutter das Liedchen vor, das er heute gelernt hatte:

Blau Kohl, blau Kohl sind die besten Pflanzen,
Wenn das Mädel gessen hat, hebt es an zu tanzen;
Tanz, Mädel, tanz,
Die Schuhe sind noch ganz;
Sind sie durchgerissen,
Geht's mit bloßen Füßen!

Wie es den Eltern gefällt, wenn man die Kinder lobt, so wird ihnen auch wohl, so sie ihre Kinder glücklich sehen.

Die Weringerin war gut gestimmt, und da die Abendsonne noch am Himmel stand, so sagte sie: »Komm, Alter, wir gehen ein wenig ums Haus herum.«

Der Weringer war gern bereit, diese bessere Stimmung zu benützen. Sie gingen durch den Garten, und als die Weringerin ein Stück Mauer eingefallen sah, sagte sie: »Das darf nicht so bleiben, Alter.« Der Weringer war froh, diese Achtsamkeit zu bemerken und erwiderte: »Hast recht, gleich morgen muss die Luke weg.« Obwohl er bereits den Befehl zur Verbesserung gegeben hatte, so wollte er doch seinem Weibe den Schein des Verdienstes lassen.

Jetzt zeigte er auf große Strecken Felder und Wiesen bis zum nächsten Walde hin und sagte: »Sieh, das all' ist unser!«

Die Weringerin warf einen flüchtigen Blick hinüber und wollte schweigend weiter gehen, als sie die Halsglocken der Kühe hörte, die aus der Taltiefe kommend, auf dem Heimweg waren.

»Wie die den Weg schon wissen«, sagte sie heiter und rief dann: »Scheckl!«

»Sie kennt mich! Und wie das Tier schon überall daheim ist!«

Der Weringer trat mit seinem Weibe jetzt auf eine Wiese hinaus und sagte: »Schau dich da um, du kannst nicht sagen, dass es wüst hier ist!«

Der Blick hatte wirklich eine weite, schöne Aussicht gegen Nord und Nordwest, und obwohl die vielen und mitunter düsteren Wälder der Landschaft großen Ernst verliehen, so war doch der Eindruck im Ganzen ein erhebender.

Die Weringerin legte sich die Schürze um das Kinn und blickte lange schweigend drein, dann sagte sie: »Viel Wald, viel Wald und überall kein Wasser.«

Das war richtig; denn die Waldbäche gingen weit und breit versteckt in den Taltiefen vorüber, Teiche waren nirgends zu sehen.

»Was ist denn das?« fragte die Weringerin hierauf und zeigte auf ein hübsches Landschlösschen, das sich im Abendscheine freundlich ausnahm.

Ihr Mann benannte den Besitzer, einen alten Baron, der sich mit geheimen Künsten abgeben sollte. »Ist's nicht, als ob Husaren aus und ein ritten?« bemerkte die Weringerin; sie meinte die Alleebäume, die aus verschiedenen Richtungen ihre Linien nach dem Schlösschen zogen.

»Alter«, fügt sie dann hinzu, indem sie unter eine Baumgruppe trat, »da muss ich ein Bänkl haben. Da will ich weilig sitzen und umschauen. Dorthin liegt die erste Heimat und – das bleibt die Heimat.«

Jetzt ging die Sonne unter, und die Weringerin sagte heimkehrend: »Ja, der Himmelvater ist überall, die Sonne geht auch da schön unter.« Der Anfang zur Eingewöhnung war hiermit gemacht.

In der Wirtschaft wurde nun auch nichts mehr versäumt oder gering geachtet. Die Weringerin hatte ihr Leben lang sich hager und steif gearbeitet, sie konnte in halber Untätigkeit nicht verharren. Es ist ein sehr bezeichnender Zug in der menschlichen Natur, dass uns alles umso teurer wird, je mehr von unserer Arbeit dabei ist. So gewann auch die Weringerin ihre neue Wirtschaft erst recht lieb, als die Spuren und Vorteile ihrer Tätigkeit sichtbar wurden. Auch der Weringer war mit Ernst bei allem. Eine große Freude machte er seinem Weibe, indem er das Wasser des Röhrbrunnen ableitete und nicht weit vom Hause einen kleinen Teich bilden ließ. Das gab doch einiger Maßen den Anblick von lebendigem Wasser. Sonst war der Weringer aber nicht gesonnen, in seiner Wirtschaft Neuerungen einzuführen. Der Pfeil des Hasses gegen alles Neue saß zu tief in seiner Brust. Er war froh, in eine Welt des festen Beharrens, des stetigen, ruhigen Kreisgangs des Lebens gerettet zu sein.

Ein wahrer Triumph war es ihm, in seiner neuen Umgebung überall das Echo seiner Gesinnungen zu vernehmen.

Er merkte freilich noch nicht, dass die Bauern, welche ihn zunächst umgaben, als Besitzer kleiner Wirtschaften ihm oft nur angenehm zu Gehör reden wollten; denn er nahm sich wie ein Fürst aus unter ihnen, und der Reichtum tat auch hier wie überall seine Wirkung.

Der bedeutendste Hofbesitzer des Ortes nach dem Weringer war der Mainhard. Das war ein ernster, einfacher und kluger Mann. Er war in früheren Jahren als Soldat in der Welt herumgekommen, lobte sich zwar auch das Alte, sagte aber nicht mehr, als was er selbst für wahr hielt. Trotzdem schloss sich der Weringer bald an ihn am meisten an; denn als ein Mann, der so sehr an Verkehr mit Menschen gewöhnt war, musste er doch jemand haben, der ihm etwas mehr war als gefälliges Echo …

Eines Sonntagmorgens stand Urban, der Oberknecht, vor dem Weringerhofe und los'te vor sich hin. Er war im vollen Sonntagsstaat und hatte die weichen Stiefelröhren über die Hälfte der Schenkel gezogen. Auf einmal sagte eine Stimme neben ihm:

»Was losest du?«

Urban rieb sich verlegen hinterm Ohr und sagte nichts.

Der Weringer aber fuhr fort: »Du sinnst nach heim.«

Nach einigem Husten erwidert Urban: »Mein Kropftauber ist davon; es wär' mir recht, ich könnt' ihn holen.«

Der Weringer sah verdrießlich aus und bemerkte nach einer Pause: »Hol' ihn; sieh' auch deine Alten wieder; sei aber zur rechten Zeit wieder da!«

Urban nahm sich in Acht, keine zu freudige Bewegung zu machen und ging, sich wieder hinterm Ohr reibend, langsam nach dem Hause; er bog eben um die Ecke, als er seinen Meister noch einmal rufen hörte:

»Urban!«

Die Stimme klang ernst.

Urban blieb stehen, ohne zu zucken. »Wenn du sonst gesehen und gefragt wirst«, sagte der Weringer, mit gesenkten Augenbrauen an ihm vorübergehend, »so weißt du, was dein Amt ist; es ist gut hier, man ist wohl zufrieden, alles ist recht so!«

Urban verstand den Wink und gab dies zu erkennen; als er durch den Hausflur nach der Bodentreppe schritt, um seine Jacke zu holen, begegnete er dem Bärbl.

»Ich geh'!« sagte er schnell und blickte sich um, ob niemand um die Wege sei.

Bärbl errötete; sie hatte das Tischtuch in der Hand, um die Brosamen unter die Hühner zu streuen. Eine Erwiderung auf jene Worte fand sie nicht, aber ihre Schritte wurden froh und fliegend. Das Tischtuch flatterte weit zur Türe hinaus, und Hühner, Enten, Tauben und Sperlinge kamen eilig heran, die Beute zu teilen.

»Was sg' ich ihm?« fragte Urban schon auf der Treppe stehend.

»Ei – grüßen kannst und sagen kannst –« Bärbls Gesicht glühte höher; geschwinde eine Schelmerei ausdenkend, um ihre Bewegung zu verbergen, wollte sie eben noch einige Worte hinzufügen, als sie Schritte hörte, das Tischtuch über'n Arm warf und der Stube zufloh. Das Röckchen warf wieder eine reizende Welle, eh' die Stubentür hinter ihr zuflog.


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