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IV.
Nahes Glück und ferne Sorgen

Indem Georg bei den Vorderpferden Fürsorge traf, dass sie langsamer gingen, und der Weringer an der Sperrwinde arbeitete, kam ihnen von Delsburg her ein Mann in Volkstracht entgegen, der, weil im Tal bereits die Schatten des Abends lagen, den Hut abgenommen und ihn mit gekreuzten Armen über den Rücken gelegt hatte.

Der Mann, eine hohe, hagere und vorgebeugte Gestalt mit stolzer, ruhiger Haltung, schien den ankommenden Lastwagen nicht zu bemerken, bis er etwa noch zehn Schritte von demselben entfernt war.

Erst jetzt erhob er den feinen Kopf mit hoher, schmaler Stirn, Adlernase und feinen, zusammengepressten Lippen und richtet sein großes, leuchtendes Auge auf das Gefährt; mit einem leichten Ruck wie einer, der aus tiefem Nachdenken erwachend, Angenehmes erblickt, blieb er stehen und nickte freundlich, aber flüchtig.

Es fehlte nicht viel, dass Georg beim Anblick dieses Mannes die Peitsche fallen ließ und zur Säule erstarrte, denn er hatte niemand anderen vor sich als – Hartung!

Der ersten Überraschung folgten aber bald noch andere. Denn Hartung hatte Georg kaum freundlich zugenickt, als er an ihm vorüber seinem Vater zuschritt, ihm die Hand reichte und an seiner Seite wie ein guter, alter Freund von alltäglichen Dingen sprechend, nach Delsburg zurückkehrte, wo er im »Stern« eingestellt und den Kauf des Hofes wirklich schon abgeschlossen hatte. Da er ebenfalls erst am nächsten Morgen wieder heimfahren wollte, so blieb er am Abend unzertrennlich mit dem Weringer beisammen, aß mit ihm zu Nacht und zeigte gegen Georg eine Freundlichkeit, wie sie dieser nie und nimmer für möglich gehalten hätte.

Dass der gute Bursche aus diesen Zeichen keine geringe Stärke seiner Hoffnungen schöpfte, braucht wohl kaum erwähnt zu werden; kurz vor Schlafengehen sollte auch noch ein Ereignis hinzu kommen, welches fast die letzen Zweifel seiner Liebe aus dem Felde schlug.

Denn als er eben aus dem Schiff des Wagens einen Futtersack holend, nach dem Stalle gehen wollte, fühlte er plötzlich eine Hand an seinen Arm fassen und ihn seitwärts unter eine Türe führen.

Es war die alte, aber immer noch rüstige Wirtin, welchen ihn so am Flügel ergriffen und spruchgerecht vor sich aufgestellt hatte.

»Männchen!« rief sie, ihn derb und lustig vom Kopf bis zum Fuße messend – »wird man hören, was mit ihm dran und los ist? Warum geht er denn herum, als könnt' er nicht fünfe zählen, er Sackerloter! Ist man die Sternwirtin noch oder nicht?«

»Ja, das seid Ihr, Frau Wirtin, was soll ich aber sagen?« erwiderte Georg.

»Was er sagen soll?« rief die Wirtin, ihre Dose aus der Ledertasche ziehend – »was er sagen soll?« Sie pustete, schnupfte, versetzte Georg einen lustigen Stoß in die Seite, treib ihn einige Schritte vor sich her und fuhr dann fort: »Er ist ein Strick! Er will sein Glück wie ein Taubenei im Schnupftuch tragen! Ein Geheimkrämer ist er! Ein undankbarer Mensch!«

»Aber – ja – «

»Was aber ja? Glaubt er, ich werde Ihm in meinen alten Tagen die Braut noch abwendig machen?«

»Braut – ?«

»Ich werde grad ihm unsern Hof nicht gönnen?«

»Hof nicht gönnen –?«

Eine Pause entstand, nur von einem Ton unterbrochen, als ging' eine Säge langsam durch einen Baumstamm; die Wirtin schnupfte nämlich, sah den Burschen lange durchdringend an und machte dem Auftritt dadurch ein Ende, dass sie Georg schweigend am Arme nachzog, ihn durch die Türe in ein Seitenstübchen drückte und hier sagte:

»Nu, so will ich ihm eine Neuigkeit sagen! … Der Hartung hat unsern Hof gekauft. Da drauf wird seine Tochter heiraten. Dazu braucht sie einen Mann. Der Mann bist du – das heißt, jetzt noch nicht, aber in so und so viel Wochen. Merk' dir die Geschichte, wenn du sie noch nicht weißt und – wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch!« schloss sie ihren Bericht und ging zur Türe hinaus, ohne sich um den erschrockenen Glücklichen weiter umzusehen.

Dies verscheuchte Georg nun vollends Schlaf und Ruhe. Sein Glück war beschlossen, die Wirtin hatte offenbar ausgeplaudert, was ihr Hartung im Vertrauen angedeutet hatte. Es handelte sich jetzt nicht mehr um kleine Zweifel über sein Glück, sondern um die beste Art, wie er seine stille Seligkeit verbergen könne, bis ihm sein Vater selbst die große Nachricht mitteilen würde.

Die ganze Nacht verbrachte Georg einem Traumwandler gleich im großen Hofraum des Sterns, ging auf und ab, sah dem Kater auf dem Dach, dem Vollmond am Himmel zu und saß dann wieder dort und hier auf Balken, Wagendeichseln und Tür schwellen herum, bis es gegen drei Uhr morgens Zeit war, die Pferde zu füttern.

Um halb vier Uhr morgens erhob sich auch der Weringer, um sich zur Weiterfahrt zu rüsten; er fand alles bereits sorgsam vorbereitet, die Pferde satt und angeschirrt – seinen Sohn aber an der Stallschwelle in leichten Morgenschlaf versunken.

Er blieb einen Augenblick lächelnd vor ihm stehen, legte ihm dann die Hand auf die Schulter und sagte freundlich:

»Wach' auf, Georg, und komm!«

Und Georg war schleunig in der Höhe. Er half dem Vater die Pferde herausführen, anspannen und in Kurzem begann der riesige Lastwagen seinen Donnergang wieder, um sozusagen den Grundbass zu spielen zu der Freudenstimmung Georgs, die nun den höchsten Grad erreichen sollte.

Denn bald nach der Ausfahrt lenkte der Weringer das Gespräch auf den gestrigen Abend und sagte:

»Du wirst verwundert sein, mein Sohn, wie da die neue Freundschaft mit dem Hartung so auf einmal herausgewachsen ist?«

Georg atmete tief auf – er fasste sich aber schnell und sagte: »Verwundert hat' mich freilich, Vater.«

»Nun, so will ich dir sagen, wie das gekommen ist«, fuhr der Weringer fort und erzählte den Hergang einfach, wie er sich verhielt.

Es war ein Fall, wie er im Leben gar nicht selten vorkommt. Manche adelsstolze Familie hat so lange den glänzenden Reichtum eines Bürgers mit Verachtung behandelt, bis er ihr durch eine »Missheirat« in den Schoß geleitet wurde, worauf derselbe freilich unerwartet in den Heiligenschein der besten Gabe Gottes gehüllt und mit Vergnügen aufgenommen wurde.

So wurde auch von Hartung der Besitz, den Weringer erworben, stets wie die zusammengeblasene Frucht eines Emporkömmlings betrachtet, bis ihm eines Tages heimlich gesteckt wurde, dass seine Tochter es eine gute Weile schon recht wacker mit dem jungen Weringer halte; diese Nachricht bereitete ihm zuerst eine Art Schrecken, dann einige Verwirrung, endlich eine Empfindung wie Scham über sein bisheriges Benehmen; der Sapperlotsbesitz des angesehenen Mannes stieg vor seinen Augen plötzlich in eine Art Verklärung auf, und der Gedanke, ein gut Teil davon in sein eigenes Haus herüberzuleiten, schmolz mit einem Male seinen Stolz und jeden Widerstand. Sofort gingen heimliche Sendboten an den Weringer ab, ihn von der Neigung seines Sohnes zu unterrichten und zugleich von der wohlwollenden Gesinnung Hartungs eben nicht unverständliche Wort fallen lassen.

Der Weringer gestand jetzt seinem Sohne, dass er die Kunde von der Sinnesveränderung Hartungs nicht ungern vernommen und eine Familienverbindung mit dem Hause desselben wirklich wünschenswert gefunden habe. Er sei daher bald darauf mit Hartung öfter zusammen gekommen und habe unter vier Augen mit ihm vieles beredet, was notwendig gewesen; auch der Kauf des »Sterns« in Delsburg sei dabei zur Sprache gekommen, wozu er selbst geraten.

Der Weringer ahnte nicht, wie viel Georg schon durch die Frau Wirtin in Delsburg erfahren hatte, als er jetzt sagte:

»Nun aber wollte ich nicht, dass am Ende du selber gegen die Heirat was zu sagen hättest; – verhält es sich zwischen dir und der Anne Hartung, wie es heißt, so wisse, mein Sohn, dass ich nichts dagegen habe: – ja oder nein?«

Georg bebte am ganzen Leibe … »Alles ist so«, brachte er nach einer Weile ziemlich erträglich hervor …

Der Weringer ließ nun den Gegenstand nicht sobald wieder fallen und ging mit Georg auf ernste und echt väterliche Weise die Umstände der beschlossenen Verbindung, die künftige Anordnung der Wirtschaft näher durch und bemerkte dann, wie er ganz besonders dafür sei, die Heirat sofort nach ihrer Heimkunft zu betreiben.

Nie hatte wohl ein Mensch den Weg nach der Hauptstadt mit tieferer Wonne zurückgelegt als diesmal Georg. Hunger und Durst, Schlaf und Müdigkeit, der Wechsel von Tag und Nacht schienen kaum mehr für ihn vorhanden.

Der Weringer wollte nicht abwarten, bis diese heftige Freude nach und nach auf ihr natürliches Maß zurückfallen würde, um seinen Sohn jetzt auch – mit dem Verkauf der beiden Lastwagen bekannt zu machen. Er hoffte auf diese Weise den Eindruck dieser Nachricht so wenige als möglich schmerzlich zu machen.

Er täuschte sich in der Tat auch nicht. Georg nahm diese Mitteilung mit einer Art heiterer Zerstreuung auf, und als ihm sein Vater kurz nachher auch sagte, er selbst habe diesmal seine letzte Fahrt nach der Hauptstadt gemacht, da blickte er zwar einige Male mit stockendem Atem auf, aber erwiderte nichts; – ja später konnte er eine stille Befriedigung darüber nicht unterdrücken, weil er sich sagen musste, dass die Fortsetzung der Fahrten seines Vaters, bei denen er nicht gut entbehrlich war, möglicher Weise das schönste Ziel seines Lebens, die Heirat, noch weiter hinausgeschoben hätte …

So hatte der Weringer nun wenigstens eine Person, die unter Umständen durch Klagen und Widerstand sehr lästig werden konnte, in einen Teil seiner nächsten Absichten eingeweiht und zum Schweigen gebracht; viel schlimmer freilich mussten die Dinge zu Hause werden. Doch –

»Die Stunde rennt auch durch den rauesten Tag …«, in solcher Stimmung sah der Weringer entschlossen dem entgegen, was noch kommen sollte.


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