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VIII.
Freud' und Leid

An diesem Morgen wollte der Weringer Weib und Kinder dem Pfarrer vorstellen.

Man ging eine halbe Stunde früher von Hause fort, um die feierliche Handlung noch vor dem Gottesdienste auszuführen.

Die Wahrheit zu sagen, erwartete man nicht viel Freundliches von dem ersten Zusammentreffen mit Seiner Hochwürden. Der Mann stand in einem seltsamen Rufe, und der Weringer, welcher schon einmal bei ihm gewesen war, schien keine besondere Meinung von ihm heimgebracht zu haben.

Dem Bärbl und den kleineren Geschwistern klopfte daher das Herz gewaltig, als ihr Vater männlich an die Türe des Pfarrers pochte und ein scharfes »Herein!« erscholl

Ein Mann stand vor ihnen, der einer genauen Beschreibung wert gewesen wäre.

Er war von mittlerer Größe, breitschultrig und stark beleibt; schon ziemlich hoch betagt, hatte er langes, schneeweißes Haar, das rings um ein brennrotes, volles Gesicht auf Schultern und Nacken hinab fiel. Der Ausdruck des Gesichtes war von jener übermütigen Härte, welche so häufig zum Vorschein kommt, wenn ehrwürdige und einflussreiche Stellungen rohen Menschen zuteilwerden; dazu waren die Augen, welche an einem üblen Gesichte so viel gut machen können, klein und hinter einem weißen Gebüsch von Brauen verborgen, so dass man nur von Zeit zu Zeit ihren Blitz und nicht das freundlichere Leuchten sah, zu dem sie manchmal doch vielleicht veranlasst waren.

Indessen merkte die Familie Weringers bald, dass sie freundlicher aufgenommen wurde, als sie erwartet hatte.

Seine Hochwürden richtete das Wort zwar nur an die Weringerin, aber die Fragen, welche er stellte, waren angenehm. Zu dem großen, unbefangen dastehenden Weringer empor verirrte sich nur dann und wann ein zuckender Blick, und die Kinder schienen ganz unbeachtet zu bleiben; doch erhielten diese beim Fortgehen kleine Heiligenbilder von greller Malerei und reicher Vergoldung.

Man ging also ziemlich befriedigt nach der Kirche, die Weringerin sprach ihr Bedauern aus, dass gerade Geistliche den üblen Nachreden so sehr ausgesetzt seien, Bärbl atmete leicht auf, »dass alles vorüber sei«, und die Kinder freuten sich am Gold und an den Farben ihrer Bilder.

Nach dem Gottesdienste überraschte sie ein kleines Volksfest, welches für die Heiterkeit des ganzen Tages entschied und auch für die Zukunft nicht ohne Folgen bleiben sollte.

Denn kaum war das Ite missa est gesprochen, als ein Pistolenschuss vor der Kirche an Wänden und Fenstern rüttelte; alles drängte aus dem Gotteshause, voran die Burschen dreier Dörfer. Diese versammelten sich in Eile unter einigen Linden, Musik begann, und neugierig lärmend setzte man sich in Bewegung zum Dorfe hinaus auf einen großen Weideplatz. Hier war für ein Fußwettrennen Raum und Ziel bestimmt; die Burschen erhielten Teller voll rund geschälter Rüben, die auf den Kopf gesetzt werden mussten; wer zuerst ans Ziel kam, ohne den Teller und eine Rübe verloren zu haben, der war der Sieger. Die Musik schwieg einen Augenblick; an die dreißig rüstige Burschen stellten sich an; hierauf ein Schuss, ein Tusch, und der Wettlauf begann. Jeden Augenblick schlug ein betäubendes Gelächter der Zuschauer auf, da man nach einige Sprüngen schon Teller und Rüben von den Köpfen fliegen und einen Burschen um den andern vom Wettlauf ablassen sah. Ein einziger Läufer, schlank und hübsch gewachsen, der seinen Kopf wie ein Hirsch munter trug und gleichmäßig ohne Übereile lief, erreichte mit dem Teller und allen Rüben das Ziel – er war der Sieger. Sofort wurde er lebhaft bejubelt und in einem großen Kreise umringt; die Musik stellte sich in die Mitte und spielte einen lustigen Ländler, der Sieger im Wettlauf musste den Tanz eröffnen. Es war eine Wahl mit Bedacht, als er nach einigem Zögern auf Weringers Bärbl losging und mit ihr den Plan durchflog; ihnen folgte nun Paar auf Paar, und in Kurzem wogte die weite Fläche von drehenden Burschen und Mädchen. Bald aber wurde das Zeichen zum Aufbruch gegeben, und die Musik voran, zog alles bunt durcheinander dem benachbarten Dobbl zu, wo nachmittags und abends der Tanz fortgesetzt werden sollte.

Weringer und seine Familie kamen vergnügt nach Hause.

Über Tisch wurde Bärbl nicht ungeneckt gelassen, und selbst ihr Vater ließ in guter Laune merken, dass er gerne sähe, wenn sie sich beim Tanz noch ferner vergnügte. Ihm war es willkommen, dass die Gegend öfter solche Feste darbot, weil sie besonders dazu beitragen mussten, den Seinigen die neue Heimat angenehm zu machen.

Bärbl gab sich Mühe, bei Tische heiter auszusehen, im Innern war sie aber betrübt und fest entschlossen, heute nicht mehr zu tanzen.

Als daher nach dem Essen das Nötige getan war, schlüpfte sie nach dem Garten und versteckte sich am äußersten Ende desselben hinter einen Fliederbusch. Hier saß sie lange, wohl und weh gestimmt, allein und berechnete Stunde und Minute, wo Urban in der alten, unvergesslichen Heimat ankommen und ihren Wolfgang sehen konnte.

Aber sie wurde aufgefunden und sehr unliebsam gestört.

Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten, Bärbls Eltern seien voraus zu den »Spielleuten« und hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch extra hinterlassen wollen, dass sie ja auch nachkommen solle. Da in diesem Augenblicke ein Ländler aus dem Wirtshaus herüber tönte, so fassten sich die zwei Dirnen freudvoll und tanzten um den Fliederbusch herum.

»O weh, mein Aug«, rief ein Bursch lachend über den Zaun herüber und ging weiter.

Die Dirnen erschraken und hörten auf zu tanzen.

»Bärbl«, sagte die ältere Magd jetzt, »hätt' ich meinen Tänzer so gewiss wie du, ich weiß, wo ich wär'; aber du musst mit; dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne Preislauf aus Erdingen will's. Bist du bei und, so dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben.«

Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders, als dem Willen ihrer Eltern zu folgen; sie ging also mit. Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte, und jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie fortgehend:

Die Kirschen sind zeitig
Die Weichsel sind braun:
Eine jed' hat ihr Büebl
Muss mit auch um eins schaun!

Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet.

Sie war noch nicht bis an die Tür des Wirtshauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen eilten. Besonders »der schöne Preislauf aus Erdingen« wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit.

Dieser war der Sohn eines wohlhabenden Bauern, hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte wohl ein ernstes Auge auf die schöne Tochter Weringers werfen. So zum mindesten wurde die Sachte allgemein aufgefasst, und man redete die nächsten Tage heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und dem schönen Franz Lämmer.

Bärbl wusste da und lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban inzwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimat mitgebracht.

»Sagt, was ihr wollt«, dachte sie, »ich weiß doch, was ich weiß.« Und sie ging unbekümmert und stillvergnügt inmitten des Geredes umher.

Aber die Sache war damit doch nicht abgetan.

Am Sonnabend vor Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer sprang und auf die Fragen der Mutter erwiderte, sie hätte jemand am Kammerfenster gehört und wisse nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen!

Sogleich wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da, man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbls Kammerfenster.

Die Mägde lachten, Urban lächelte.

Der Weringer wollte wissen, was die bedeute und erhielt nach einigem Zögern die Erklärung, dass die Äpfel von einem Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Festtanz lade; Bärbl müsste jetzt, wenn ihr der Bursche auch recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit Bändern und Blumen zieren.

Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: »Da müsst' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursche ist.«

Hier haperte es, bis Urban den Löffel weglegt und sagte: »Der Franz Lämmer ist's.«

Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Ihre Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es betrübte sie über die Maßen, dass der hübsche Bursche aus Erdingen wirkich ernstlich an sie dachte; von Urban aber verdross sie's peinlich, dass der die Sache so leicht und spaßhaft nehmen konnte.

»Du bist mir auch einer«, sagte sie noch denselben Abend an der Stallecke zu ihm. »Hast ihn nicht wieder fortschicken können? Du weißt, ich kann nicht, ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten. Das wär' so gerade recht für die Leute!«

Urban erwiderte: »Du Närrle! Ein' Tänzer musst du doch haben, und weil's der Wolfgang jetzt nicht sein kann, dacht' ich, soll's allerwenigsten der best' und schönst' herum sein.«

»Aber den Hut!« rief Bärbl wenig besänftigt.

»Den hol' ich dir selbst«, sagte Uran wohl gelaunt, »dabei will ich dem Lämmer den Daumen aufs Hirn drücken und sagen, bilde dir nichts ein.«

Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie nach der Stube gerufen wurde.

Die Mutter teilte ihr mit, dass der Vater gerne sehen würde, wenn sie die Volkssitte mitmache, wie es üblich sei.

Der Weringer hatte guten Grund, diesen Wusch auszusprechen. Denn der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pachthof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen sowie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte hatte sich seitdem erhalten, und auch ohne Lehnsherrn fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer wünschte daher, dass seine Tochter einen Tänzer nicht abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefasst hatte und der morgen vor dem Weringerhofe halb und halb als Gast erscheinen sollte. Also sagte Bärbl zu, brachte eine unbehagliche Nacht fast ohne Schlaf hin und schmückte am nächsten Morgen den Sonntagshut des Lämmer Franz so reich als möglich.

Nach dem Gottesdienste versammelte sich Jung und Alt in Weringers Hofraum. An einem Tisch in der Mitte saßen die Musikanten und auf einem Mauervorsprung ein Junge, der an einer Fichtenstaude den Preis des Tages hielt, einen mit Bändern geschmückten, neuen Hut für den Sieger und ein Paar Strümpfe für seine Tänzerin. Zu vier Seiten des Kreises standen als Preisrichter vier Bauern des Orts mit Gewehren, von denen einer den Zweig eines Walnussbaumes in der Hand hielt. Noch ehe der Tanz begann, schritt ein Mann mit einem Sack durch den Hofraum und leerte daraus eine Menge Holzäpfel auf den Boden, während ein anderer auf einen Baum stieg und eine geladenen Flinte mit brennender Lunte daran befestigte. Jetzt begann die Musik, und die Mädchen drangen aus der Nachbarschaft herzu; sogleich wurden sie von den Burschen ergriffen und auf den Plan entführt. Der Bursche des ersten Paares bekam den Walnusszweig in die Hand und behielt ihn bis zum nächsten Preisrichter, hierauf empfing ihn dieser und gab ihn dem zweiten Tänzer. So wälzte sich nun der fröhliche Schwarm unter Scherzen und Lachen über die Holzäpfel hin, wobei hie und da ein Pärchen auf den Boden zu liegen kam, bis plötzlich die Lunte das Pulver erreicht und das Gewehr losging.

Franz Lämmer, der mit Bärbl dahinflog und den Nussbaumzweig eben in der Hand hielt, war abermals der Sieger.

Man zog nun nach dem Wirtshause, wo der schöne Lämmer die Festgäste bewirten musste, worauf es den Nachmittag bis spät in die Nacht gewöhnlichen Tanz gab.

Bärbl war heiterer geworden, als sie dachte. Es schmeichelte ihr doch, den schönsten und besten Tänzer zu haben; auch der Umstand, dass ihre Eltern im Wirtshaus erschienen, sie lächelnd und liebevoll beobachteten und sie öfter zu sich an den Tisch riefen, trug viel zu ihrer vergnügten Stimmung bei.

Als sie gegen Mitternacht mit ihren Eltern aufbrach, um nach Hause zu gehen, erhoben sich auf Lämmers Wink alle Musikanten und begleiteten sie, lustige Weisen spielend, bis vor den Weringerhof.

»Ein rechter Bursch«, sagte der Weringer wiederholt vor Schlafengehen, »er hat ein schönes Wesen, man kann was auf ihn halten.«

Leider blieb jener Tag nicht ohne betrübliche Folgen.

Man war kaum in den ersten Schlummer verfallen, als ein greller Lärm das ganze Dorf aufschreckte.

Der schöne Lämmer war auf seinem nächtlichen Heimweg von zwei Burschen überfallen und arg zugerichtet worden; man sagte aus Eifersucht. Der Fall machte im Weringerhofe natürlich das meiste Aufsehen. Schreck und Mitleid ergriffen Bärbls Herz; ihre Mutter nahm heftig Partei für den schönen, unglücklichen Burschen; der Weringer aber warf sich rasch in sein Gewand und ging der Stelle des Unglücks zu.

Er fand den jungen Lämmer bereits verbunden und außer Gefahr. Einige Streiche mit Faustringen hatten ihn zwar schwer, aber nicht gefährlich getroffen. Der Weringer ließ sich den Vorfall genau erzählen und hörte mit Befriedigung, dass der junge Lämmer sich wacker gewehrt und schließlich seine überlegenen Gegner in die Flucht getrieben habe.

Auf dem Heimwege beschäftigte den Weringer nichts Geringeres als eine mögliche Verbindung zwischen seiner Tochter und diesem wackeren Burschen, der ihm ausnehmend gefiel und über dessen Eltern und künftige Aussichten das Beste erzählt wurde.

Er ahnte freilich nicht, dass indessen seine Tochter zu Hause eine wichtige Generalbeichte ihre Liebe ablegte, in welcher der Name Franz Lämmer nicht vorkam; denn von der Sorge getrieben, dass dieser Vorfall mit dem Lämmer nicht der einzige bleiben könnte, noch mehr von der Vorliebe erschreckt, welche sich bei Vater und Mutter bereits für den schönen Burschen zeigte, hatte sich Bärbl schnell ein Herz genommen und ihrer Mutter ihr ganzes Geheimnis eröffnet.

Aus der Entschiedenheit und leidenschaftlichen Hast, mit welcher Bärbl ihr Liebesbekenntnis ablegte, war bestimmt genug zu entnehmen, dass hier Widerspruch oder Zwang wohl schwerlich etwas ändern konnten.


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