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VI.
Der Auszug

Am folgenden Morgen stand der Weringer angekleidet wie zu einem größeren Gange über Feld an einem Fenster und blickte schweigend in den Hof hinaus.

Knechte und Mägde waren auf Wiesen und Feldern beschäftigt, Bärbl trug ihnen eben das Morgenbrot hinaus, und die Weringerin rüstete allerlei im Hause. Es war eine Stille rings umher, dass der Perpendikelgang der Wanduhr und das Girren der Tauben auf dem Dache mit seltener Stärke gehört wurden.

Heute vor zwölf Wochen war es, dass im Weringerhofe zum letzten Male zur Ausfahrt nach der Hauptstadt verladen wurde. Niemand ahnte damals des Weringers gewaltsame Entschlüsse, die ganz Hast und Freudigkeit eines blühenden Geschäftes entwickelte sich noch vor diesen Fenstern – und –

Ja, welch' ein Leben! Welch' ein Treiben! Da kamen und setzten die keuchenden Träger aus den Glashütten ihre Lasten ab; da fuhren die rüstigen Knechte aus dem Eisenhammer mit ihren leiterlosen Wägelchen an und halfen ihre Ware überladen; da kam ein Krämer mit Listen und Wechseln, ein Vater mit Rock und Stiefeln für seinen Sohn, eine Witwe mit einem Kistchen Ausstattung für ihre Tochter, eine Mutter mit Hemden, Schnupftüchern und Socken für »ihren Herrn Studenten« nebst einem Brief und einem Geldbeutelchen, das wie ein erdrosseltes Vögelchen zwischen ihren Fingern baumelte. Ernst, alle überragend, für jedermann zugänglich, aber in seinen Antworten kurz, Rat erteilend, aber keinen bedürftig ging der Weringer in dem Turbel herum; er schien gleichgültig, aber in der Stille des Herzens war er geschmeichelt; er übersah nichts, war schnell und streng mit Befehlen zur Hand, griff auch selber zu, wenn die Packer, blau im Gesicht und mit gebogenen Beinen ihre Last nicht vor noch zurück bringen konnten; dazwischen ließ er seine Gäule noch einmal in die Schwemme und zur Parade auf den Anger führen und hörte, von einer Gruppe Bewunderer schnell umringt, mit Behagen das ernste und lächelnd das zutäppisch überstürzte Lob. Auf die Minute musste dann alles geladen, Strohdecke und Leinwand über die Fracht gespannt und rings um den Wagen der Hof blank gekehrt sein, um den folgenden Morgen mit acht Pferden das wandelnde Warenhaus vielbewundert in die weite Welt zu führen …

Diese ganze Herrlichkeit war nun zu Ende! Hühner und Tauben schritten heute auf dem Schauplatz jener lärmenden Bewegung auf und nieder und schienen wohl zu wissen, dass die Zeiten der Gefahr für sie vorüber seien.

Diese Stille war es, die den Weringer mit Schauern des Entsetzens erfüllte. Hier, auf dem Schauplatze seiner blühenden Tatkraft, seines höchsten Glanzes mehr und mehr zu vereinsamen, gerade hier von dem Gipfel seines Ansehens Stufe für Stufe herabzusteigen, angesichts derselben Menschen, die ihn Schritt für Schritt empor hasten gesehen, das war es, was er nicht ertragen konnte. Heftig wendete er sich vom Fenster ab und ging mit großen Schritten auf und nieder. »Überall will ich werden, was mein Nächster ist, will mit der Ruhe freuen, will mein Los ertragen«, sagte er vor sich hin – »nur von hier muss ich fort, hier geh ich an Leib und Seele zu Grunde!«

Sein Weib trat mit einem Rahmkübel aus der Kammer und sagte arglos: »Johannes, wenn du morgen wieder daheim sein willst, so mach' jetzt vorwärts!«

»Du hast recht«, sagte er schnell mit klangloser Stimme, nahm Hut und Knotenstock, bot seinen Gruß und ging.

Die Weringerin glaubte, ihr Mann gehe bloß auf den Verkauf der Zugstiere aus, die er weggeben musste, um die Pferde behalten zu können; allein er hatte fest im Sinne, Haus und Hof zu verkaufen und sich dafür tief im Gebirge, fern von dem Schauplatz aller Neuerungen anzusiedeln, wo er seine Tage in häuslicher Tätigkeit und jener melancholischen Zufriedenheit zu beschließen dachte, welche bedeutenden Menschen eigen zu sein pflegt, wenn sie unfreiwillig einer großen Macht oder Ehrenstellung entsagen mussten.

Es war dem Weringer verraten worden, dass in einem Dorfe, Dobbl genannt, ein angesehener Grundbesitzer sein Wesen verkaufen wolle, und dahin begab er sich auch. Er kam erst gegen Abend daselbst an, und obwohl er ziemlich müde war, ließ er sich doch nach kurzer Rast noch den Hof und die nächsten Gründe zeigen, setzte am folgenden Morgen die genaueste Prüfung der Wirtschaft fort, und nachdem er seine früheren Erkundigungen durch sorgfältige Umfragen in der Nachbarschaft ergänzt hatte – schlug er ein … Ein flüchtiges Frösteln rann durch seine Glieder, als er die dargebotene Hand wieder zurückschlug; – dann sagte er sich laut vor: »So ist's gut!« ging in die Schänke, lud die Mannen des Dorfes, seine künftigen Nachbarn, zum Kauftrunk ein und kehrte erst am zweiten Morgen wieder heim …

Die Sonne ging eben unter, als der Weringer, über den »Kogel« kommend, sein Heimatdorf wieder vor Augen hatte. Ein sanfter Verklärungsschimmer lag über dasselbe ausgegossen, es herrschte eine elegische Stille durch den Ort, nur dann und wann von einem Freudenschrei der Kinder unterbrochen, die, ihren Spielplatz verlassend, jetzt nach Hause eilten.

Der Weringer hielt unwillkürlich an; wie ein lächelndes Kind hatte sich die Heimat zu seinem Empfange geschmückt – und er kam eben aus der Ferne, wo er den Pakt ihrer Verstoßung mit seinem Handschlag abgeschlossen hatte. Nie war ihm sein Haus, die Gärten herum das Dorf und die Gegend so schön und einladend vorgekommen, ein wehmütiger Reiz veredelte das ganze Bild, und seine Jugend schien daraus hervorzutreten und zu sagen: »Und das alles willst du jetzt verlassen?«

Der Weringer riss sich mit einer heftigen Bewegung los von diesem Bilde. Er ging einen Umweg, damit er niemand mehr begegne, und gelangte ungesehen bis zu seinem Hause.

Er wurde von seinem Weib und seinen Kindern froh empfangen, sie ahnten nicht, was vorgefallen war; nur fragte die Weringerin, als sie ihm zu essen vorsetzte, was ihn denn einen ganzen Tag länger auswärts gehalten habe. Die Antwort schien ihrem Manne leicht, denn er hatte sie vorbereitet. Also ging man allerseits harmlos und wohlgemut zu Bette, mit Ausnahme Weringers, der die ganze Last des Kommenden jetzt schwerer empfand, als er es vorausgesehen.

Für den Verkauf seines eigenen Hofes durfte dem Weringer nicht bange sein. Mehr als ihm lieb sein konnte, hatten sich Kauflustige unter der Hand schon melden lassen; er suchte sich jetzt den genehmsten heraus und wurde auch nach kurzem Für und Wider einig.

Ein tiefer Gram schnitt ihm einige Tage lang alle Lebensfreude ab. Er hatte die größte Mühe, nicht wie ein Traumwandler in seinem Reden und Tun sich selbst zu vergessen. Während Weib und Kinder, Knecht' und Mägde noch lebensfroh auf sicherem Grund und Boden ihren Arbeiten nachgingen, schien unter den Schritten Weringers alles zu wanken und Einbruch zu drohen; er gab nur halbe Befehle, unterließ Arbeiten, die er angefangen; kein Lächeln der Freude spielte mehr um seine Lippen, und die ganze Zukunft seines Lebens starrte ihn wie ein grauenvolles Dunkel an –

»Lebt wohl«, hätte er rufen mögen, »menschliche Ehre und Hoffnung, Tätigkeit und Besitz, Achtung vor den Nachbarn, Glück und Segen dieser Welt; alles ist zunichte, wenn der innere Segen, die Freude – wenn die Freude fehlt!«

Doch nicht lange konnte diese Empfindung bei einem Manne wie Weringer dauern. Wie alle Menschen, die nach starken Grundsätzen handeln, fand auch er die beherrschende Idee seiner Handlungen wieder heraus, an welcher er sich wie an einer granitenen Säule rasch und für immer emporhob.

Was hatte ihn den zu all den Schritten der jüngsten Zeit getrieben? War denn nicht alles noch da, was ihn mit Unmut, mit Empörung erfüllte? Der kürzeste Gang durch seine Felder, das erste, beste Gespräch seiner Nachbarn, das flüchtigste Bild seiner Phantasie über die Zukunft dieser Umgebung musste ihn auf jene Empfindungen zurückführen, welche so lange her die entscheidenden gewesen, und das war denn auch in Kürze wieder der Fall.

Diesen Zustand seiner Seele hatte der Weringer abgewartet, um die Seinigen eines Tages mit dem Geschehenen bekannt zu machen. Denn er fühlte wohl, wie viel daran lag, dass ihn Weib und Kinder ruhig und fest erblickten, wenn sie der erste Schmerz danieder warf …

Eines Morgens ging der Weringer eine Weile trüb und schweigend in der großen Stube auf und ab, dann schickte er die Kinder vor die Türe und sagte zu seinem Weibe:

»Es hilft nichts, Brigitte, ich muss dir eine Nachricht sagen, erschrick nicht – es ist nichts Geringes.«

Die Weringerin hatte eben eine große Mehlschüssel vom Wandkar genommen und sagte, die Rückseite derselben mit der Schürze abwischend:

»Was ist's?«

»Ich habe unsern Hof verkauft und einen anderen dafür eingehandelt; wir werden in einem halben Jahr nach Dobbl bei Kauffungen ziehen, dort werden wir's besser finden als hier, dort werden wir Glück und Frieden finden, hier ist unseres Bleibens nicht mehr.«

Die Weringerin veränderte ihre Stellung nicht mehr; nur schien sie einige Zeit zu wachsen.

So sehr der Weringer auch gepanzert war, um einen Sturm von Klagen und Vorwürfen zu hören, einen Strom von Tränen zu sehen; so übermannte ihn doch einige Augenblicke die lautlose Stille, das völlige Erstarren seines Weibes.

Mit einer Art besorgter Eile setzte er ihr seine Gründe auseinander, warum er Haus und Hof verkauft und den Handel, bis er abgeschlossen war, verschwiegen habe.

Er war fertig mit seiner Erklärung; auch jetzt noch kam kein Laut über die Lippen seines Weibes; vielmehr schienen sich dessen schmale, blasse Lippen immer fester zu schließen und auf jeden Ausdruck von Schmerz und Entsetzen zu verzichten.

Nur das scharfgeschnittene, von rastlosem Fleiß hagere und gebräunte Gesicht der Weringerin folgte dem auf und ab schreitenden Manne mit starren Augen, als schritte ein Gespenst in der Stube hin und wider.

Plötzlich fiel die große Schüssel zu Boden und sprühte in Scherben auseinander.

Der Weringer trat betroffen näher. –

Da fiel auch die Weringerin wortlos, ohne Seufzer und Zucken hin; der Weringer fing sie noch rechtzeitig auf.

Durch den Lärm der zerbrochenen Schüssel wurden Bärbl aus der Küche herbeigelockt; sie erblickte kaum den Zustand ihrer Mutter, als sie fassungslos an ihr vorüber sprang, das Fenster aufriss und ein über das andere Mal: »Jesus, Maria! Jesus, Maria!« hinaus rief. Die Folge war, dass Severle und die anderen Kinder schreiend und bald darauf das ganze Hausgesinde bestürzt, fragend und klagend hereindrang.

Der Weringer hatte indes sein Weib zu einer Wandbank geführt und sachte zum Sitzen gebracht. Er stand äußerlich gefasst neben ihr, den linken Arm um ihren Nacken geschlungen, und ermahnte mit fester Stimme zur Ruhe, es gehe vorüber.

Nachdem er seinem Weibe die Schläfe, Augen und Stirn mit kaltem Wasser gerieben, kam sie auch wieder zu sich. Die Starrheit ihrer Gesichtszüge löste sich nach und nach, ein unsäglicher Schmerz kündigte sich an, und als sie die Augen aufschlug, schien es nur zu geschehen, um sie zu unerschöpflichen Quellen eines Tränenstromes zu machen.

»Mach' den Kauf zurück, gib Reugeld«, sagte sie, als sie auch die Sprache wieder fand – »ich kann nicht von hier lassen!« Und als ob ihr gerade die Gewalt des Schmerzes die entrissenen Kräfte wieder rasch zurückbrächte, erhob sie sich trotz der Abwehr ihres Mannes, brach in nie für möglich gehaltene Vorwürfe und Drohungen aus, so dass Bärbl selbst für nötig fand, die Kinder wieder hinauszuführen und das Gesinde zu erinnern, wo sie wären.

Aber noch ehe die Stube von allen verlassen war, brach die Weringerin aufs Neue zusammen, fasste mit beiden Händen krampfhaft an den Boden und drückte die Stirn darauf, indem sie schluchzend ausrief:

»Das Haus ist auch mein! Ich verlass' es nicht! Hier hab' ich gelebt, hier will ich sterben!« …

Dem Gesinde war aus den Worten der Weringerin im Allgemeinen verständlich geworden, um was es sich handle, und obwohl der Oberknecht Urban draußen seinen Mitdienenden vorstellte, dass es ihre Pflicht sein, zu verschweigen, was sie gehört, so drang doch an demselben Tage noch ein dunkles Gerücht durch das Dorf: der Weringer habe Haus und Hof verkauft und werde Ettwangen für immer verlassen.

Das war seit Kurzem die dritte, aber auch gewaltigste Überraschung, welche durch den Weringer hervorgerufen wurde. Die meisten Nachbarn machten sich sofort auf den Weg, um sich von der Wahrheit des Gerüchtes selbst zu überzeugen. Sie fanden es leider bestätigt.

Allgemein war das Bedauern, vielfach ein wirklicher Schmerz.

»Dass du uns so was antun magst, Weringer, verwind' ich mein Lebtag nicht mehr«, sagte der Beck, als die Stube bereits eine reiche Anzahl bedauernder Nachbarn versammelt sah. Diese stimmten lebhaft bei, und die Sprach schmerzlichen Vorwurfes wuchs immer dringender an, bis der Weringer, der ernst und ruhig auf und nieder ging, endlich stehen blieb, die Hand abwehrend aufhob und kurzweg sagte:

»Ihr wisst, das ist geschehen, nun gemach! Denkt an uns, ihr Freunde, wenn wir nicht mehr da sind, alles andere«, – er schnitt senkrecht und rasch mit der Hand durch die Luft, man verstand, was er wollte  …

Es war also nichts mehr zu ändern. Aber je mehr man in Weringers Gegenwart mit Bedauern und Vorwürfen sich jetzt in Acht nahm, desto lärmender machten sich Ansichten und Gefühle anderswo geltend.

Die neue Hiobspost ward im Nu wieder mit der Frage über Nutzen und Schaden der Eisenbahn in Verbindung gebracht, und der alte Hader flammte aufs Neue mit aller Heftigkeit auf.

»Da habt ihr's«, rief der Beck als warmer Anhänger Weringers – »noch ist von dem ganzen Höllenwerk (der Eisenbahn) nichts als verfluchte Schreiberei auf den Ämtern und weiße Stangen auf unserem Grund und Boden zu sehen, und schon schlägt und ein Schade um den andern ins Genick. Fuhrwerk ist gestört, arme Leut' verlieren ihr Brot und unser erster Mann im Ort macht sich zornig aus dem Staube!«

Die Gegner Weringers blieben diesen und ähnlichen Meinungen nichts schuldig und sagten, abgesehen auch von ihrem Bedauern, den Mann aus ihrer Mitte zu verlieren, wisse der Weringer gar wohl, welchen schönen Zeiten in Ettwangen er aus dem Wege gehe; und dieser Ansicht folgte natürlich die Schilderung wieder von den oft hervorgehobenen Herrlichkeiten, welche im Gefolge der Eisenbahn hier einziehen würden.

Hatte der Weringer Teilnahme und Bedauern aus seiner Näher verbannt, so war er umso geschäftiger, einige Nachbarinnen zu Trost und Mitleid für sein Weib ins Haus zu rufen; und man muss sagen, dass sie diese Nächstenpflicht von Grund des Herzens erfüllten, wahre Tränen des Schmerzes mit ihr weinten und liebreiche Worte der Teilnahme auszusinnen wussten. Dies bewirkte nach und nach in der Weringerin ein wehmütiges Ergeben in ihr Schicksal, das auch anhielt, bis die schwere Zeit des Umzuges, Ostern des nächsten Jahres, herankam.

Es war zwei Tage vor dem Umzug, als der Weringer mit neuen Hufeisen nach Hause gehend an einer Hütte des Dorfes vorüberkam und plötzlich betroffen von einem Anblick stehen blieb.

Ein stark gebauter, aber hagerer Mann ließ auf der Schelle der Haustüre, den Kopf in die Hand gelegt und still verzweifelnd vor sich hinblickend. Der Mann war Hauptauflader bei Weringer gewesen und hatte sich manchen Gulden, manches Stück Brot dort geholt; – jetzt war ihm diese Hauptquelle seines Lebens vertrocknet, und er saß da, umringt von blassen, hungernden Kindern mit zerrissenen Kleidern und ungekämmten Haaren. Wie den Ausfall, den Mangel ersetzen? Kraus (so hieß der Mann) hatte sich seit dem Aufhören seines Geschäftes nicht mit Klagen bei Weringer eingestellt und war auch jetzt, wo er den Weringer vor sich stehen sah, keineswegs versucht, ein Wort der Klage zu äußern; umso mehr war der Weringer vom Anblick dieses stille trauernden Mannes ergriffen.

»Kraus«, sagte er daher nach einer Weile und legte ihm die Hand auf die Schulter – »es ist Euch bei mir ein Weniges zusammengelegt, lasst es heute noch holen«, und ohne eine Antwort oder ein Zeichen des Dankes abzuwarten, nahm er des Laders ältestes Mädchen an der Hand und sagte: »Komm du gleich mit und hole etwas für die Kleinen.« Und in der Tat versorgte er die Familie für einige Zeit mit Lebensmitteln und Geld, so dass die Gabe einem Jahresverdienst beinahe gleichkam.

Am Tage vor dem Umzug kamen aus Nah und Ferne Leute, um Abschied zu nehmen. Die Kinder der Nachbarschaft brachten Weringers Kindern rote Eier und andere kleine Geschenke, und in der folgenden Nacht sangen die Burschen des Ortes lange vor Weringers Hof. Dies galt dem Bärbl zum wehmütigen Abschied, das alle lieb hatten und der junge Beck so sehr verehrte. Darum konnte auch dieser nicht mitsingen, ihm versagte die Stimme, und Bärbl weinte die ganze Nacht.

Bärbl und Wolfgang mussten also dennoch scheiden und vielleicht auf immer. Einige ziemlich deutliche Anspielungen, welche der alte Beck über wünschenswerte Schwägerschaften fallen ließ, hatte der Weringer überhört oder überhören wollen; und nach allem, was geschehen war, musste dem Weringer daran liegen, keine Familienverbindung in einem Orte zurückzulassen, den er hassend verließ, um ihn zürnend für immer zu meiden.

Am nächsten Morgen vor Tagesanbruch begann denn wirklich der große Auszug.

Der Weringer, nachdem er Weihwasser über die versammelte Familie, über Knecht' und Mägde, die alle mitzogen, dann auch über Vieh und Hausgeräte gesprengt und stille gebetet hatte, begann auf dem Stangenscheck sitzend der Zug. Hinter ihm fuhr ein Knecht auf einem Steirerwägelchen die Weringerin, Bärbl und die Kinder; Severle hatte in junges Lamm, eine kleinere Schwester ein Kätzle im Arm. Dann kamen mehrere Wagen mit Hausgerät, hinter ihnen paarweise oder in kleinen Herden die verschiedenen Haustiere und zuletzt – die gesamten Dorfbewohner, klein und groß und alt und jung. Es gab ein schweres Schreien und Weinen, und weil die Sonne aufging, bevor der Zug über die nächsten Hügel weg war, so flatterten noch lange, lange die Tücher der Scheidenden und Bleibenden in der Luft …


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