Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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12.

Die Stimmen des Sieges

Sie schleppten an Bord ihrer Orlogsschiffe mehr als hundert brauchbare Kanonen, Elefantenzähne, Baumwolle, Zucker in Menge, Goldstaub und gemünztes Gold, Beute aus den Gemächern der Frauen, kostbare Harnische und Waffen der Männer, Tiger- und Löwenfelle und zuletzt – die Madorka. Wie auf der Flucht verließ die niederländische Macht die Trümmer der Stadt und des Kastelles Pavaosa, die Insel Sankt Thomas, und eintausendundzweihundert Leichname wurden noch während der ersten vierzehn Tage der Fahrt vom Bord ins Meer gestürzt. Man hatte zum zweiten Male die Flotte geteilt. Mit sieben Schiffen sollte Mynheer Gerhard Storms nach Brasilien gehen und den Rest mit der Beute der Schout by Nacht Cornelius Lensen nach der Heimat führen. Aber auch Mynheer van Wena starb an der Seuche, und es war niemand, der seine Stelle einnehmen konnte; seine Schiffe kehrten zu dem Schout by Nacht zurück, und nach einer traurigen, stürmischen Fahrt langte die Flotte im Anfange des Jahres 1600 wieder vor der Mündung der Maas an. »Da wurden auf manchem Orlog nicht sechs gesunde Leute gefunden, und sind nur zween Hauptleute und Mynheer Henricus Leflerus, der Prädikant, bei Kräften heimgekehrt«, klagen die Berichte aus dem Haag und aus Amsterdam.

Der Flotte von Coruña begegneten die Niederländer zum beiderseitigen Besten nicht. Sie war bis Gomera gekommen und war zum Schutz der westindischen Inseln wieder in See gegangen, als auch sie vom Sturme zerstreut wurde und übel zugerichtet von neuem den Schutz der spanischen Häfen suchen mußte.

Drei Tage nach dem Abzuge des Feindes von Sankt Thomas legte der Kapitän José Giralto mit der Corona de Aragon wieder unter den zertrümmerten Mauern von Pavaosa an, aber vom Turm Abreojos donnerte kein Salutschuß, und niemand kam, ihn zu begrüßen, als er wieder über die Planke an das Land schritt. Er war kein weicher Mann, dieser Kapitän Giralto, und er hatte in seinem Leben viel Schlimmes und Schreckliches gesehen, ohndaß ihm das Auge feucht wurde; – als er jetzt auf dieser blutbespritzten Ruine stand, weinte er.

Er und seine Leute versuchten es, die Körper ihrer Landsleute mit Erde zu bedecken; aber sie begruben nur einige Kinderleichname und ließen ab, denn noch immer strahlte die Sonne des Äquators auf Pavaosa hernieder, und der kürzeste Aufenthalt war sicherer Tod. So zog der Kapitän Giralto denn nur das Banner von Spanien von neuem auf der Trümmerstätte empor und hing, um sein Gemüt wenigstens etwas zu erleichtern und »zu Ehren und zum Gedächtnis der Señora Bracamonte y Mugadas Criades«, sieben Neger, welche er in den Gassen der verbrannten Stadt gefangen hatte, daneben auf. Dann lichtete er wieder den Anker und steuerte nach Sankt Jago am Cap Verde, um daselbst Nachricht zu geben, wie er Pavaosa gefunden und es verlassen habe, und so mochte denn vielleicht seinerzeit, wenn die Umstände günstig waren, ein dumpfes Gerücht davon gen Madrid oder zum Eskorial gelangen und dem Herrn Don Philipp III. das Achselzucken der Könige entlocken. –

 

Wie blaß, wie gleichgültig, wie nichtssagend das alles im Laufe der Jahrhunderte geworden ist! Zwei oder drei Zeilen in einer spanischen oder holländischen Chronik, eine Seite oder eine halbe in einer deutschen Geschichte der Vereinigten Niederlande für den Forscher, zwei Stimmen für den Dichter!

Es saß ein Negermädchen auf einem Felsvorsprung unter den Palmen von Sankt Thomas. Sie trug eine Federkrone, aber dazu das zerrissene, befleckte, versengte Kleid einer spanischen Dame und um das Handgelenk einen goldenen Reif, das Meisterstück eines cordovanischen Goldschmieds. Mit wildem, lachendem Blick sah sie über das Meer und sang:

»Es steigt ein Rauch auf vom Ufer, und mein Auge sieht die großen Schiffe nicht mehr, sie sind klein geworden in der Ferne, das Wasser hat sie verschlungen. Die Ketten sind abgefallen von dem Nacken meines Volkes, die Hände der Krieger sind rot und die Herzen der Jungfrauen fröhlich. Mein Volk sah die großen Schiffe kommen über das Meer, es stand auf den Bergen in großer Angst, aber seine Angst ward Jauchzen; das Volk des Meeres reichte seine Hand meinem Vater und meinen Brüdern, und die Hände der Krieger in den Bergen sind rot und mit Reichtümern gefüllt. Ich höre die Donner der weißen Zauberer nicht mehr; der Geier fliegt über dem Ort ihrer Gezelte, und des Geiers Weib fliegt über der Stadt des Drängers; – meine Brüder haben die Fackel in die Burg des Herrn geworfen; mit meinen Schwestern habe ich getanzt um die Erschlagenen, und den goldenen Reif hat mir die schöne weiße Herrin lassen müssen von dem kalten, starren Arm. Das schwarze Volk des Gebirges hat getanzt um das flammende Grab des Fürsten der Meeresleute. Sie haben das Haus über seinem toten Leibe angezündet, daß niemand Spott treibe mit seinen Gebeinen. Die große Schlacht ist zu Ende; – stille – stille – stille; die schwarzen Schiffe haben die Flügel ausgespannt; ich sehe sie nicht mehr. Mein Vater geht mit Bogen und Keule am Ufer des Meeres und wartet, was die Wellen bringen; – die Geier und Adler wissen es und lachen, und mein Herz ist wie ihr Flug in der Höhe. Wir lagen versteckt in den Höhlen und Schluchten der Berge, denn des Gebieters Arm war mächtig in der Burg am Wasser; meine Brüder schlug er mit der Peitsche, und meine Schwestern mußten seiner Jungfrau dienen; aber wie der Pfeil aus dem Gebüsch fährt, kam Abambu, der Gott des Todes, über ihn. Das Volk des Meeres hat gesiegt, aber es verging in der Sonne; Onarika, die Schlange, hat es umwunden mit tausend Ringen und ihm das Herz zerdrückt. Ich sehe die Zauberschiffe nicht mehr: der Stab des Königs liegt wieder in der Hand meines Vaters; im Sonnenschein tanzen die Wellen um mein Land; meines Volkes Götter haben uns gerettet: ich trage den Ring der jungen weißen Fürstin; ich bin des Königs Tochter, und meine Brüder und Gespielen bauen mir meine Hütte aus grünem Gezweig auf, wo das stolze Haus des weißen Mädchens über ihr und ihrem Volk zu Boden liegt!« – – – –

Im grauen Winternebel schritt ein alter Mann, angetan mit einem schwarzen Predigerrock, am Strande von Scheveningen auf und nieder – der Prädikant von Ysselmünde, Herr Heinrich Leflerus.

Er hatte den ganzen Morgen hindurch in dem Hause Mynheers van der Does, zwischen dem Vater und der Mutter Georgs, gesessen und den trauernden Eltern immer von neuem von dieser unheilvollen Expedition der hochmögenden Herrn Generalstaaten nach dem Äquator, von dem tapfern Admiral, von Georg und Camilla Drago erzählen müssen. Er war ein guter Prediger, aber ein schlechter Erzähler, und das größeste Grauen hatte er doch immer für sich selber im Herzen behalten: die Eltern durften nur wehklagen und weinen.

Am Nachmittage, gegen die dritte Stunde, hielt er es auch nicht mehr aus in dem Hause. Er schritt durch den Garten und über die schneebedeckte Wiese, auf der einst die junge spanische Gefangene Blumen gepflückt und mit dem wilden niederländischen Knaben Schmetterlinge gehascht hatte. Langsam wanderte er den Kanal entlang, immer weiter fort, dem Meere entgegen. Nun stand er auf den Dünen und sah die Wellen der Nordsee gegen den Strand heranrollen; nun schritt er hin und wider in dem Nebel, geschüttelt vom Frost, in allem Entsetzen der Erinnerung – es drohte Wahnsinn, hier, an einem solchen Tage, jener Sonne von Sankt Thomas gedenken zu müssen.

»Was soll ich fürderhin tun, nachdem ich von einem solchen Wege heimgekehret bin?« sagte er. »Wohin soll ich fliehen vor den Gespenstern, so mich verfolgen? Da ist Ruhe nirgends; die Toten recken die Hände nach mir von jeder Seite. O Pavaosa, Pavaosa, es will kein Gebet, kein Schreien und kein Flehen, keine Arbeit und kein Mühen gegen den Klang deines Namens helfen. O Pavaosa, deine Mauern liegen nieder und halten mich doch gefangen bis ins Grab; es ist keine Rettung aus deinen Wällen. O Pavaosa, die Flammen, welche über dir zusammenschlugen, sind längst erloschen, aber nicht in meiner Brust. Ich sahe sie liegen, deine Kinder, o Pavaosa, und meine Seele ist mit ihnen begraben, wie der Knabe, den ich ohne Harnisch und Schwert zu dir sendete, die Arme vor ihnen auszubreiten. Ich sahe deine Jugend, Lieblichkeit und Schönheit zerrissen und zerfleischt – wehe mir! Ich sah den Rauch deiner Trümmer verwehen über den Wassern und die Spitzen deiner Berge versinken in den Wogen: Dein Name, o Sankt Thomas, hat die Schiffe meines Volkes über den Ozean gejagt; wie Verlorene hat er uns an den Strand der Heimat geworfen. Wir fuhren aus, Männer und Krieger, wir ließen unsere Mannheit und Stärke dir, o Sankt Thomas. Wie Schatten schleichen die Heimgekehrten und fürchten den Anblick des Meeres; denn, siehe, die Wellen schnappen und springen gleich den Hunden und bellen deinen Namen, Pavaosa, Pavaosa!«


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