Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8.

Camilla Drago schlägt für den Schloßleutnant Pedro Tellez einen Antrag aus

Im friedlichsten Glanze leuchteten die südlichen Sterne auf den Schauplatz von so vielen entfesselten Leidenschaften, so viel Angst, Not, Schmerz und Zorn hernieder, aber der Prädikant und der junge Krieger sahen erst dann auf, als sie das Lager verlassen und die letzte Postenkette hinter sich hatten. Sie schritten Arm in Arm stillschweigend bergan, bis das wirre Getöse zu einem dumpfen Rauschen abgeklungen war, und dann standen sie still und wandten sich, und unter ihnen lag die belagerte hispanische Stadt, das lärmende niederländische Lager und das Meer mit der erleuchteten Flotte. Sie griffen beide nach der Stirn, der Greis wie der Jüngling, und suchten sich mühsam der Betäubung, welche sie gefangen hielt, zu entringen: dem jungen Krieger schlugen noch immer heftig alle Pulse von der fürchterlichen Anstrengung des letzten vergeblichen Sturmes, und der Prädikant hatte ebenfalls seinen Kampf gekämpft und ihn verloren.

Der Bewegteste aber war doch Georg van der Does. Von Rechts wegen hätte er mit am lautesten auf den geistlichen Herrn einschreien und einspringen müssen, denn sein junger, toller Sinn hätte am allerletzten von diesen widerspenstigen, trotzigen spanischen Mauern abgelassen, und nun stand er hier an der Seite des Alten und blickte mit ihm, qualvoll beschwerlich Atem schöpfend, auf das wilde Durcheinander von Finsternis und Feuerschein in der Tiefe hinab und wußte nicht, weshalb er mit dem Unglücksprediger und ernsten Warner gegangen war.

Wie die andern verspürte Georg die Wirkungen des unheilvollen fremden Klimas; auch ihm hatte das erbarmungslose Gestirn den Stempel aufgedrückt; auch er fühlte die Erschlaffung durch seine Adern und Knochen kriechen, und was fünfzig nordische Winter nicht bewirkt hätten, das hatten die letzten Wochen geschafft – sie hatten ihn müde gemacht. Jene Mattigkeit war auf ihn gefallen, die zugleich die höchste Unruhe ist, die auf keinem Lager und an keinem Orte stillhalten kann und verzehrend ist wie die tödlichste Krankheit.

»Da habt Ihr Euch eben in einen mächtigen Ameisenhaufen gesetzt, Ehrwürden!« sprach er zu seinem Begleiter. »Heisa, Ihr ginget los wie des Gianibelli Feuerschiff, aber Antwerpen habt Ihr darum doch nicht gerettet. Was fiel Euch auch ein? Mit den Zähnen würden wir uns lieber in den Erdboden verbeißen, ehe wir von diesem spanischen Steinhaufen abließen.«

»Mein Sohn, ich sehe es wohl ein, es war nicht klug, in jenen Augenblicken zu reden, wie ich tat. Ihr kamet im Ärger und Zorn heim zu Euern Zelten, und ich habe das Ärgernis vermehrt, aber – doch ist es, wie ich sprach. Ich weiß! ich weiß! es ist ein Schauder über mir und ein fremder Geist in mir – ich habe die Wahrheit geredet – der Herr will unsern Stolz demütigen, unsern Kamm erniedrigen; aber es ist wie immer: sie haben Augen zu sehen und sehen nicht, Ohren zu hören und hören nicht. Aus den Siegern und Triumphatoren sind Schwelger, Gotteslästerer und Teufelskinder geworden; ich aber wollte mein Leben hundertmal dafür geben, wenn ich sie in dieser Nacht noch zusammenkehren könnte mit dem Besen und sie auf die Schiffe treiben –«

»Da fanget Ihr von neuem an!« rief Georg. »Aber vielleicht habt Ihr bald genug für Euern Willen. Laßt uns Pavaosa haben, und Ihr werdet sehen, wie schnell wir diesem Backofen den Rücken wenden. Aber was meinet Ihr, wie sollt ich gehen können, ohne meiner Gespielin da drinnen die Tageszeit gewünscht zu haben? Das wäre recht! Ich habe neulich ihr weißes Gewand auf der Mauer gesehen, und es ist mir wie ein Schlag vor die Stirn gewesen. Euch mag wohl wenig daran liegen, Ehrwürden, ob wir Pavaosa nehmen oder nicht, ich aber muß hinein über Graben und Wall, durch die Bresche oder durchs Tor, und so wird's geschehen, glaubet es nur!«

Herr Heinrich Leflerus hob entsetzt und erschüttert die Hände zum Himmel empor.

»O grundgütiger Gott«, rief er; »was hat dieser Krieg aus deiner Welt gemacht? Welch einen Schrecken redest du aus dem Munde der Kinder, und sie wissen es nicht! Das lebendige Herz ist Stein geworden; die mit Blumen in den Händen einander nahen sollten, bieten sich mit lachendem Munde das schwerste Herzeleid, ja den Tod –«

»Ich will der Jungfrau Camilla kein Leid antun«, sagte Georg störrisch. Doch der Prädikant rief:

»Und sie hat mit ihm jahrelang zu den Füßen seiner Mutter gesessen; sie hat in seines Vaters Hause gewohnt, und in seiner Brust ist kein Fünklein von Barmherzigkeit für sie – kein Mitleid mit ihrer Not. Er hat es mit seinen eigenen Augen gesehen, wie die Körper der Frauen und Kinder in den Gassen von Palma lagen und wie das brennende Gebälk auf sie herabstürzte; er weiß, daß er denselben Anblick in dieser Nacht, morgen, übermorgen dort unten in Pavaosa haben kann; aber es ist ihm nichts; er denkt, er fühlt nichts; er weiß nichts weiter als sein wildes Geschrei: Vorwärts! vorwärts! greif an! greif an! Wo er der Welt nicht mit dem Schwert und der Pistole zu Leibe gehen kann, da hat sie keinen Sinn für ihn!«

Mit geballten Fäusten stand Georg van der Does da; jetzt rief er:

»Was wisset Ihr davon? Ich habe wohl an sie gedacht; ich habe mich gefreut, sie wiederzusehen, aber auf der See hat man uns niederländische Jungen nicht gelehrt, viele Worte zu machen. Ich habe freilich auch nicht Zeit gehabt, immer an sie zu denken; aber ich habe ihr stets das Beste und alle Freude gewünscht. Was kann ich für den Krieg? Fragt ihre Landsleute darnach, die wissen mehr davon zu sagen. Wie kann ihr Übeles begegnen, wenn ich im rechten Augenblick an ihrer Seite bin? Ich werde sie finden in allem Gewühl, und niemand soll sie berühren oder ihr nur ein böses Wort sagen. Es wäre nur schlimm gewesen, wenn mich der Oheim mit Herrn Jan Gerbrants von Gomera aus nach Hause geschickt hätte.«

»Es nützt nichts, auf dieses Geschlecht einzureden«, murmelte der Prädikant. »Der Herr hat sie aus Eisen gewollt, er hat sie mit ihrem Land zwischen Amboß und Hammer gelegt. Der Herr allein kann ihnen den Panzer abtun.«

Er wendete sich ab von der Stadt und dem Lager und blickte seufzend nach dem dunkeln Gebirge und empor zu den Gestirnen; dagegen schien nun aber des Jünglings Aufmerksamkeit plötzlich ganz und gar von der Stadt und dem Schlosse Pavaosa gefesselt zu sein; er hatte sich mit einer wilden Gebärde in das versengte Gras niedergeworfen, er lag bewegungslos und starrte über den schroffen Abhang nach den spanischen Lichtern im Tale. So verharrten beide Männer eine geraume Weile, bis ein verwunderungsvoller Ausruf Georgs auch die Augen des Prädikanten wieder herab- und zurückzog.

Georg van der Does war aufgesprungen:

»Was ist das? Dort! dort! Mynheer Leflerus, sehet, sehet!«

Ein rotes Leuchten ging von der Stadt Pavaosa aus; Don Franzisko Meneses hatte seinen Vorsatz ausgeführt, und die leichten Hütten und Häuser der Kolonie standen in Flammen. Mit unbeschreiblicher Schnelle flog der Schein über den Strand und das Lager, über das Meer und die Flotte der Niederländer, und Lager und Flotte beantworteten die spanische Verzweiflungstat mit einem Wutgeschrei, welches nicht zu Ende kommen wollte, denn sie sahen den größesten und besten Teil der gehofften Reichtümer vor ihren Augen untergehen.

»Holla, das ist ein falsches Spiel!« rief Georg van der Does, und ohne sich nach seinem Gefährten umzusehen, sprang er in weiten Sätzen über Felsentrümmer und Gebüsch den Berg hinunter dem Lager zu. Langsamer, doch auch so schnell ihn seine Füße tragen wollten, folgte ihm der Prädikant von Ysselmünde, und bald waren beide wieder in das zornige Gewoge des Belagerungsheeres hineingerissen.

Während aber die Niederländer noch verwirrt durcheinanderliefen oder starr und mit offenen Mäulern dastanden, tanzten bereits die schwarzen Bundesgenossen auf den Wällen der Stadt Pavaosa vor dem feuerigen Schein, der von ihr aufging, ihren phantastischen Schattentanz. Mit Triumphgeheul hatten sie sich auf die Leitern geworfen, wie Tigerkatzen waren sie über Pfahlwerk und Gemäuer geklettert, sie waren die Herren von jedem Platz, den die Flamme verschonte; ihre Geschosse umschwirrten das ins Schloß sich zurückziehende Volk, und ein Pfeil aus einem ihrer Köcher traf den Gouverneur, Don Franzisko Meneses, auf der Zugbrücke unter dem Turme Del Oriente in die Seite. Der Gouverneur griff nach dem buntgefiederten Rohr, es zerbrach in seiner zuckenden Hand und ließ den Widerhaken in der Hüfte zurück. Noch stürzte ein Weib, einen heulenden Buben von acht Jahren hinter sich herschleppend, über die Brücke; dann kreischten und knarrten die Ketten und Rollen, die schweren Bohlen erhoben sich, und die indianischen Pfeile, die noch immer den weichenden Unterdrücker suchten, fuhren in das Holz oder sprangen von Eisen und Stein zurück.

Auf dem Rand des Grabens, welcher die flammende Stadt von dem Schlosse trennte, erschienen in dem Gewühl der Negerkrieger die ersten Weißen. Georg van der Does schwang sich auf einen Steinhaufen und rief:

»Mynheer van Meneses, gebt her das Kastell! Ihr haltet es nicht länger! Der Admiral bietet Euch das Leben und die Freiheit mit allen Kriegesehren; Herr Gouverneur, um Euer und Eueres Volkes willen gebet das Kastell!«

Auf den Mauern des Schlosses unter den spanischen Schwertern, Hellebarden und Musketen erhob sich die Gestalt eines Weibes:

»Don Franzisko Meneses ist bei Gott! – Kommandant ist Pedro Tellez! Denkt an Palma und Gomera; wir geben Euch Pavaosa nicht!«

»Camilla! Camilla Drago!« rief Georg van der Does; doch von jenseits des Grabens antwortete ihm nur das Feuergewehr.


 << zurück weiter >>