Wilhelm Raabe
Sankt Thomas
Wilhelm Raabe

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10.

Die Madorka

Wieder hinüber zu den Niederländern! Sie hatten Pavaosa, die Stadt, und die Madorka hatte sie. Das Wort des Predigers war zu einer Wahrheit geworden, der Engel des Todes hatte über Assur geblasen, und wenn das Fieber sie mit Ruten schlug, so peitschte die Madorka sie nunmehr mit Skorpionen: die Madorka aber war die eigentliche Seuche des Landes, vor welcher selbst die Eingeborenen zurückschauderten, als sie unter dem fremden, blondhaarigen Kriegsvolk erschien. Sie zerschmolz die Muskeln und das Fett des Körpers, sie kannte keine Gnade, und nur die Flucht aus den senkrechten Strahlen der Sonne konnte das Heer wenigstens in seinen Trümmern retten. Noch aber hielt der Rausch an, noch hatten sie Pavaosa, das Schloß, nicht; siebenzig schwere Geschütze hatten sie auf den Wällen der verbrannten Stadt gefunden und sie mit den eigenen Kanonen gegen das Kastell gerichtet; sie wußten, daß unendliche Reichtümer, die jahrelange Ausbeute der Gold- und Elefantenküste, hinter diesen trotzigen Mauern aufgehäuft lagen: es war außer dem Prädikanten von Ysselmünde niemand, der das Wort »Rückwärts, Niederland!« aussprechen konnte.

»Greif an! Niederland, greif an!« scholl es fort und fort um die spanische Burg.

Und die Madorka griff nach den Stärksten, den Gewaltigsten zuerst; unter den Friesen brach sie aus, und am dritten Tage nach der Verbrennung der Stadt faßte sie den Admiral van der Does, der das gesamte Heer um eine Haupteslänge überragte, am Schopfe und zerbrach ihm den Schwertarm. Mit beiden Armen aber mußte der Tod den Riesen umschlingen und ihm beide Kniee auf die Brust setzen, ehe Mynheer sich gab. Er wehrte sich verzweifelt, und wie sein Kriegsvolk um das Schloß Pavaosa, so schlug er sich um sein Leben. Aber die Madorka richtete ihren Willen doch schneller ins Werk als die niederländische Macht auf Sankt Thomas den ihrigen; schon am zweiten Tage nach dem Anfange der Krankheit wurde der Admiral stiller, und mit der Madorka hatte Herr Henricus Leflerus leichteres Spiel, als er am Abend mit der Bibel sich neben dem Kopfkissen des Admirals niedersetzte.

Um das Haus, das Hauptquartier, drängten sich die Befehlshaber aller Grade ab und zu; Cornelius Lensen kam von der Flotte zu Land, um die letzte Willensmeinung des Sterbenden zu vernehmen; Gerhard Storms van Wena meldete, daß das Kastell sich höchstens bis zur nächsten Nacht halten werde.

Georg van der Does saß zu Füßen des Lagers seines Oheims, und wenn der Blick des Prädikanten von der Bibel zu dem jungen Manne hinüberglitt, so haftete er mit tiefer Bekümmernis auf dem matten Gesicht und der zusammengesunkenen Gestalt. Jede Stunde zählte wie ein Jahr in diesem unglückseligen nordischen Heer auf der schrecklichen Insel Sankt Thomas; dieselbe ruhelose Erschlaffung, dieselbe fieberische Müdigkeit zeigte sich in allen Gesichtern, welche sich vor den Fenstern der Hütte oder in der Türe drängten.

»So nehmt das Nest und kümmert euch nicht um mich!« rief der Admiral. »Geht an euere Geschäfte, ihr Herren, und verschwendet keine unnützen Höflichkeiten an einen verlorenen Mann. Schlaget zu und stürzet um; – zu Schiff mit euch so schnell als möglich, und sprecht ein gutes Wort für mich daheim. Nehmt das Ding so lustig, wie ihr könnt, ich hab's auch getan; – das Schicksal hat uns einmal in den Glutofen geschoben, greift zu und nehmt, was ihr kriegen könnt, und fort mich euch, ehe die Klappe ganz verschlossen wird. Geht, gute Herren und tapfere Kameraden, noch einmal drauf mit allen Breitseiten, Cornelius! noch einmal dran mit Schwert und Messer, Herr Storms! Fort mit dir, Georg, mein Engelchen; die Bestie in meinem Hirn und Eingeweide hat böse Fangarme; Herr Heinrich Leflerus wird mich abwarten wie eine Kinderfrau; er hat's ja den Herren Generalstaaten versprochen. Vorwärts zu Land und Wasser für Alt-Niederland!«

»Wir nehmen das Ding und bauen es Euch über Euerm Leibe zu einem stolzen Denkmal auf, verlasset Euch drauf«, sprach Cornelius Lensen.

»Knochen und Gestein durcheinand!« rief Mynheer van Wena. »Haltet Euch fest am Bettpfosten bis Mitternacht; sie haben da drinnen trotz ihrer Sonne das Spiel verloren. Haltet gut bis Mitternacht, und noch einmal wenigstens sollt Ihr die Staaten Viktoria rufen hören, und wann Ihr dann nicht länger bleiben wollt, so könnt Ihr uns andern doch mit Lachen Quartier bestellen.«

»So soll es sein!« sprach der Admiral, und sämtliche Hauptleute drückten ihm die Hand und traten hervor aus der Hütte. Es blieben bei dem Sterbenden nur der Neffe und der alte Prediger zurück.

»Da gehen sie hin in Erz und Stahl«, sprach der Prädikant von Ysselmünde. »Kein irdischer Hauch kann ihrer Seelen Härtigkeit schmelzen. Siehe, du Held, du eiserner Kriegsmann, du gewaltiger Hauptmann über hundert Segel, siehe, Mynheer van der Does, die Dämmerung fällt hernieder, noch ein Stündlein, und es wird finstere Nacht sein; du wirst das Licht des Tages, dem du gefluchet hast, nicht wieder erblicken. Du bist mit Hunderten und Tausenden umgürtet gewesen, aber horch, ihr Geschrei und Schwertgeklirr verhallt, es wird still in deinem Lager. Sie haben dir tönend, mit Drommetenklang, ins Ohr gesprochen: harre nur bis Mitternacht, und deine Seele wird mit Jubel und Triumph von hinnen scheiden. Ich aber, ein Diener des Herrn, sage dir, du bist mit Tausenden dahergeschritten über die Wogen und das Land, du wirst um Mitternacht allein – allein gehen, und wenn sie mit dem Donner des Himmels Sieg riefen von dem Wall des Feindes und wenn sie deinen Namen mit ihren Stimmen aufwärts trügen bis zu dem Wunder Gottes, dem flammenden Kreuz, das allhier die Nacht durchleuchtet: es würde dir sein wie das Rieseln der letzten Welle, so auf dem Sande von Nordholland verläuft und von niemand gehört wird. Admiral, es wird mit dem Siegesruf ein ander Geschrei gen Himmel steigen und nicht verhallen in deinem Ohr. Sie schlagen mit den Starken die Schwachen, mit den Männern die Weiber und die Kinder, und du hast kein Wörtlein der Gnade für sie gehabt. ›Schlage zu, stürze um, wirf nieder!‹ ist dein Wort gewesen dein ganzes Leben durch; o großer Admiral, auf allen Meeren hast du es dem Gegner ins Gesicht geschrieen, willst du es auch wie einen Enterhaken an Bord des Himmels werfen? Mynheer van der Does, auf allen Meeren hat dir der Gegenruf des schlachtgerüsteten Feindes geantwortet; nun aber siehe, es ist Finsternis worden; niemand antwortet dir jetzt, deine Stimme verhallt in der Öde: so falte deine Hände zum Gebet und sprich: Barmherzigkeit, Herr, laß deine Gnade walten über mir und dem armen Schloß Pavaosa; – erbarme dich aller Sterbenden, Herr, rette die Unschuldigen aus den Händen, die losgebunden sind über sie, und –«

Georg van der Does erfaßte die Hand des Greises:

»Er höret Euch nicht, ehrwürdiger Herr. Sehet ihm ins Gesicht.«

»So höre du mich, Knabe!« rief der Prädikant, von seinem Sitze aufstehend. »Gehe hinaus für ihn und sprich: die Leben, welche ich rette in dieser Nacht, sollen in seine Schale fallen vor dem Stuhle des Höchsten; die Jungfrau, welche ich den Händen der wilden Neger entreiße, das arme Kindlein, welches ich aus den Flammen trage, sollen ihm geeignet sein; und wenn um Mitternacht seine Kriegsobersten nach ihrem Wort mit seinem Namen die niederländische Viktoria ausrufen, dann soll dein Schweigen ihm mehr gelten, als aller Kanonendonner und alles Triumphgeschrei der Welt ihm wert sein würden.«

Georg van der Does zog stillschweigend die Pistolen aus seinem Gürtel, er löste das Schwertgehänge ab und legte die Waffen zu den Füßen des Bettes seines Oheims nieder. Herr Heinrich Leflerus legte ihm die Hand auf das junge Haupt:

»Gehe hin und rette; – es ist die schönste Nacht deines Lebens.«


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